Osama und die Kraft des Windes

Fossile Brennstoffe werden knapp und teuer. Doch auch sicherheitspolitische Erwägungen sprechen dringend dafür, auf den Wind und andere regenerative Energiequellen zu setzen. Denn dezentral vernetzte Systeme bieten Terroristen keine günstigen Ziele

Im Dezember 2004 kündigte Osama Bin Laden an, mit Anschlägen einen Ölpreis von „mindestens hundert Dollar pro Barrel“ zu erzwingen. Der größte Terrorist der Welt drohte mit einer Verdreifachung des damaligen Preises, und die Industrieländer waren geschockt. Die Vision einer neuen Ölkrise mit leeren Zapfsäulen und erzürnten Autofahrern ließ an der Warenterminbörse den Preis für Rohöl um fünf Prozent nach oben schießen, wieder einmal schien der Untergang des Abendlands unmittelbar bevor zu stehen. Rund 14 Monate nach dieser Kampfansage verübten Islamisten tatsächlich einen Anschlag auf eine der größten Förderanlagen in Saudi-Arabien. Trotzdem stürzte sich kein Börsenmakler aus dem Fenster. Auch wenn sich der Preis für Rohöl heute bereits der 80-Dollar-Marke nähert, geht man damit gelassener um, als es Politik und Wirtschaft für möglich gehalten hätten.

Diese Leidensbereitschaft ist dem Beharrungsvermögen des petrochemisch geprägten Wirtschaftssystems zu verdanken. Experten für regenerative Energiequellen bauen ihre Wirtschaftlichkeitsberechnungen seit Jahren auf der Annahme auf, dass der Ölpreis mit zunehmender Verknappung des Rohstoffs bald unerträglich hoch sein wird. Dann wäre, so sagen sie voraus, die bislang zu teure Wind-, Solar- oder Wasserstoffenergie nicht mehr aufzuhalten. Seltsam nur, dass viele den Startschuss für diesen Siegeszug Alternativer Energien eigentlich schon bei knapp der Hälfte des aktuellen Ölpreises erwartet hatten. 40 Dollar galten schon als dramatisch. 60 Dollar waren kaum noch denkbar. 80 Dollar der helle Wahnsinn.

In der Debatte um Energiesicherheit finden die regenerativen Energiequellen kaum Berücksichtigung. Der mediale Fokus jedenfalls wandert noch unstet von einem Thema zum nächsten. Da empfiehlt die Frankfurter Allgemeine schon mal das „Überstreifen eines Shetlandpullovers“ im Winter, um fossile Ressourcen zu schonen, dann rücken die Klimaschutzvorgaben von Kyoto oder die Sorgen um russische Gaspipelines wieder in den Vordergrund. Derzeit erleben wir eine Renaissance konventioneller Techniken: Fürsprecher von Kohle und Kernkraft werden nicht müde, auf ihre vorteilhafte Umweltbilanz und die geringe Importabhängigkeit zu verweisen. Da selbst sauber verbrannte Kohle noch Treibhausgase absondert, wird die CO2-Endlagerung empfohlen, etwa indem das Gas durch die Bohrlöcher in ehemalige Erdgasfelder unter der Nordsee gepumpt wird. Mit solchen Ideen macht die Kohle-Lobby durchaus Punkte, die Freunde der Kernenergie hingegen haben angesichts des beschlossenen Atomausstiegs weniger Erfolg. Unter Sicherheitsaspekten erscheint es ohnehin absurd, über eine Verlängerung der Betriebszeiten oder gar neue Atommeiler zu diskutieren. Schließlich möchte niemand ausprobieren, ob Reaktorhüllen wirklich einen abstürzenden Jumbo aushalten.

Die Skepsis gegenüber der Windenergie bleibt

Der traditionelle Energiesektor bemüht sich also um Besitzstandssicherung, das kann nicht verwundern. Verblüffend ist allerdings, dass die Diskussion um alternative Energiequellen kaum zusätzliche Impulse aus der Sicherheitsdebatte erhält. Die Weichen für die meisten Forschungs- und Entwicklungsprojekte wurden schon in den neunziger Jahren gestellt, heute herrscht in einigen Bereichen sogar Ernüchterung. Zwar arbeitet die Automobilindustrie weiter an der Brennstoffzellentechnologie, die eines Tages Otto- und Dieselmotoren ablösen soll, aber die Hersteller rechnen für die nächsten zwanzig Jahre nicht mehr mit einer nennenswerten Anzahl von Wasserstoff-Autos auf den Straßen. Und bei der Windenergie beklagt sich nicht nur der umweltpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Marco Bülow über die „Gespensterdebatte“, die Fortschritte beim Kampf gegen den Klimawandel verhindert. Die Skepsis gegenüber der Windenergie hält an, und sie ist nicht nur auf den Einfluss von Lobbyisten zurückzuführen. Blickt man an klaren Tagen von einer der ostfriesischen Inseln aufs Festland zurück, sind schon heute Dutzende Propeller Teil des Panoramas – für viele zumindest ästhetisch ein Ärgernis. Physiologische Nebenwirkungen der Windenergieanlagen schließt das Bundesgesundheitsamt zwar aus, aber bei einigen Gegnern der Windenergie hält sich hartnäckig der Verdacht, das Vibrieren der Masten könne Gesundheitsschäden verursachen. Offshore-Windparks außerhalb der Zwölf-Seemeilen-Zone sind da sicher weniger problematisch, machen aber betriebswirtschaftlich kaum Freude: Die zeitliche Vorgabe für die Inbetriebnahme der derzeit geplanten Projekte macht den Investoren das Leben schwer. Für Windparks, die nicht bis Ende 2010 betriebsbereit sind, fällt die garantierte Vergütung für den Offshore-Strom auf 5,71 Cent statt 8,57 Cent pro Kilowattstunde. Bei rund 400 Millionen Euro Investitionsvolumen je Anlage wäre dann so mancher Businessplan ernsthaft gefährdet. Gleichzeitig läuft der Genehmigungsprozess nur schleppend. Unterschätzt wurde in der Vergangenheit auch die mechanische Belastung, der die Windräder auf hoher See ausgesetzt sind. Die Rotoren und Turbinen für Offshore-Windfarmen müssen äußerst robust sein, will man die exorbitanten Kosten für Wartungsfolgekosten sparen.

Machen vibrierende Masten krank?

Der Durchbruch für die Windenergie und die anderen regenerativen Energiequellen kommt ganz sicher trotzdem. Nicht, weil die fossilen Ressourcen eines Tages erschöpft sind. Sondern weil sie irgendwann nicht mehr wirtschaftlich nutzbar sein werden. Wann dieser Kulminationspunkt erreicht ist, bestimmt aber nicht allein der Markt: Bezieht man die Abwendung außenpolitischer Risiken und den Schutz kritischer Infrastruktur – also die externen Kosten der Sicherheit – in die Bilanz ein, sollte die Schmerzschwelle für den Verzicht auf fossile Brennstoffe erreicht sein, bevor der Ölpreis auf Osama Bin Ladens Wunschhöhe gestiegen ist.

Zu den sicherheitspolitischen Hauptaufgaben zählen heute der Schutz der Energiewirtschaft und die Absicherung der Verkehrs- und Energienetze. Dabei versuchen die Industriestaaten nicht nur, Anschläge auf die eigene Infrastruktur zu verhindern. Auch die politische Stabilisierung der Lieferbeziehungen zu Russland oder den Ländern des Nahen Ostens ist Teil einer transformierten Sicherheits- und Verteidigungsstrategie. Was aber, wenn die Infrastruktur nicht nur bedroht ist, sondern selbst die Bedrohung darstellt? Schließlich sind unsere heutigen Energiesysteme doppelt verwundbar: Sie sind abhängig von Energiequellen, deren Knappheit politisch kaum beherrschbare Risiken birgt, und sie liefern mit ihrer Vielzahl an neuralgischen Punkten innerhalb der traditionellen Transport- und Verteilstruktur jede Menge Angriffsmöglichkeiten.

Die Importabhängigkeit von fossilen Brennstoffen ist schon lange Gegenstand sicherheitspolitischer Überlegungen. Seit der Ölkrise im Jahr 1973 sind wir von Öl und Gas kaum unabhängiger geworden. Aber die Sorgen sind gewachsen, wie lange die OPEC-Länder ihre fein justierte Angebotspolitik noch weiterführen. Jahrelang bewegte sich der Ölpreis zwischen 22 und 28 Dollar pro Barrel, die Förderländer wanderten auf dem schmalen Grat zwischen Profitmaximierung und dem Ziel, die Abnehmer nicht zu verunsichern. Diese Balance ist in Gefahr. Nicht von ungefähr widmen die Islamisten dem Öl große Aufmerksamkeit.

Auch die strukturellen Schwächen der Energiesysteme sind ins Blickfeld der Sicherheitspolitik gerückt. Vom Stromausfall im Niagara-Mohawk-Stromnetz im August 2003 waren über 50 Millionen Kanadier und US-Amerikaner betroffen. Einen terroristischen Hintergrund schloss man rasch aus, dennoch öffnete der Vorfall vielen Sicherheitsexperten die Augen – von Toronto bis New York waren die Lichter ausgegangen, weil Bäume eine Fernleitung in Ohio berührt und eine fatale Kettenreaktion ausgelöst hatten.

Windkrafträder sind nicht spontan genug

Dass die Energieinfrastruktur sich selbst gefährden kann, zeigen auch die aktuellen Probleme bei der Integration von Windenergie in die Stromnetze. Je größer der Anteil der Windenergie am Gesamtsystem ist, desto anspruchsvoller wird es, für eine zuverlässige Stromversorgung zu sorgen. Das Netzmanagement steht dabei vor Herausforderungen, die unmittelbar aus dem politischen Willen resultieren. Denn das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) aus dem Jahr 2000 enthält eine Abnahmegarantie für Windstrom. Der gesamte Strom, der in Windkraftanlagen erzeugt wird, muss an das Netz abgegeben werden können. Stromnetze benötigen aber Reserven, die innerhalb weniger Sekunden zur Verfügung stehen müssen. Windkrafträder sind für diese spontane Zusatzleistung ungeeignet, den erhöhten Bedarf können deshalb nur konventionelle Kraftwerke befriedigen, wie die Stromkonzerne gern vorrechnen. Der Verband der Elektrizitätswirtschaft behauptet sogar, dass selbst bei 35 Gigawatt Windstromleistung im Jahr 2015 allenfalls die Abschaltung von zwei konventionellen Großkraftwerken möglich wäre. Von den Betreibern der Windenergieanlagen kann andererseits kaum erwartet werden, ihre Windräder ständig mit angezogener Handbremse laufen zu lassen, um bei Bedarf zusätzliche Energiereserven bereitstellen zu können. Denn Kohle- oder Gaskraftwerke sparen bei eingeschränktem Betrieb wenigstens Brennstoff, aber der Windmüller müsste seine Produktion drosseln, ohne dabei Kosten zu sparen.

Die Windkraft ist keine Nischentechnologie mehr, ihr Anteil am Energiemix kann zu Spitzenzeiten vereinzelt schon dreißig bis vierzig Prozent ausmachen. Die Abnahmegarantie des EEG diente ursprünglich nur der Anschubfinanzierung regenerativer Energiequellen. Heute beschleunigt sie dagegen vor allem den dringend benötigten Paradigmenwechsel in den Transport- und Verteilungskonzepten des Stromnetzes. Das Lastmanagement der heutigen Stromwege kann die massenhafte Einspeisung aus Wind- oder Solaranlagen nicht steuern, ohne dabei die Sicherheit des Systems zu gefährden. Die Netze der Zukunft müssen also flexibler sein, lokale Lösungen erlauben, auch Mikroproduzenten einen bidirektionalen Zugang bieten. Interaktive Stromnetze werden die bisherige Verteilstruktur ablösen – und dem Internet dabei zum Verwechseln ähnlich sehen. Der Umbau der Netze beschleunigt nicht nur den Ersatz konventioneller Kraftwerke und die Ablösung fossiler Brennstoffe. Er erfüllt ganz nebenbei auch sicherheitspolitische Anforderungen, indem er das Energiesystem weniger angreifbar macht. Kritische Infrastruktur schützt man am besten, indem man sie auflöst – das Internet entzieht sich terroristischer Bedrohung, weil die Streckenführung in den Datennetzen weitgehend vom Zustand des physikalischen Netzes unabhängig gemacht werden konnte. Vergleichbare Selbstheilungsmechanismen fehlen im Stromnetz noch, auch deshalb muss es konsequent umstrukturiert werden.

Wenn Kraftwerke elegant verschwinden

Die Sicherheitspolitik wird ihre eigenen Argumente beisteuern, um diesen Trend zur effizienten dezentralen Energieerzeugung zu beschleunigen. Schließlich ist es nicht nur teuer, all die Treibstofflager, Pipelines, Großkraftwerke und Hochspannungstrassen zu schützen. Es wäre auch viel eleganter, sie einfach verschwinden zu lassen. Die unmittelbare Beziehung zwischen Energiewirtschaft und unserer Sicherheit sollte endlich auch in der Politik ankommen.

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