No Place to Hide

Glenn Greenwald hat ein Buch über die globale Überwachung geschrieben. Weitere werden folgen

Für aus dem Englischen ins Deutsche übersetzte Bücher finden deutsche Verlage in der Regel wenig hilfreiche Titel. Oft sind sie sogar sinnentstellend und lösen sich völlig von der Originalvorlage. Die Verleger begründen dies gerne mit den deutschen Marktverhältnissen. Im Fall des im Mai erschienenen ersten Buches von Glenn Greenwald über den „Whistleblower“ Edward Snowden und die NSA-Enthüllungen setzte auch der Droemer Verlag diese Politik fort. Im Original heißt das Buch „No place to hide“ („Kein Platz, sich zu verstecken“), was eher an einen Hollywood-Blockbuster erinnert. Der Titel der deutschen Fassung lautet Die globale Überwachung. Dem politischen Aufklärungsanspruch des Bandes wird der deutsche Titel gewiss besser gerecht. Er lässt nüchtern anklingen, worum es auch im Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre des Deutschen Bundestages geht: um die Aufklärung des vor allem durch die NSA und die übrigen Nachrichtendienste der Geheimdienstallianz „Five Eyes“ (USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland) betriebenen Geschäfts der globalen, anlasslosen Massenüberwachung der Daten aller Bürgerinnen und Bürger.

Dem Inhalt des Buches entspricht wiederum der englische Originaltitel besser, denn der Autor hat zumindest die ersten beiden der insgesamt fünf Kapitel im Stile eines Spionagethrillers verfasst: Greenwald schildert, wie Snowden Kontakt mit ihm aufnahm – von den ersten pseudonymisierten E-Mails bis zur ersten persönlichen Begegnung in Hongkong. Die Geschichte ist gut geschrieben, verfügt aber auch über Längen. So schildert Greenwald seitenlang, wie er über Wochen die Aufforderungen Snowdens ignoriert, sich auf seinem Rechner eine Verschlüsselungssoftware zu installieren.

Das Versagen der vierten Gewalt

Warum suchte sich Edward Snowden als Vertrauensperson ausgerechnet Glenn Greenwald? Dieser Frage geht der Autor in der kurzen Einleitung nach. Greenwald war zunächst als Anwalt für Menschenrechte tätig und begann vor rund zehn Jahren, in einem Blog über die Aktivitäten amerikanischer Geheimdienste zu schreiben. „Snowden glaubte, ich würde die Gefahren der Massenüberwachung und der extremen staatlichen Geheimhaltung erkennen und mich keinem Druck seitens der Regierung und ihrer zahlreichen Verbündeten in den Medien und anderswo beugen.“ Amerikanischer Pathos ist ein weiterer roter Faden dieses Buches.

Dieses Werk ist äußerst wichtig. Ebenso wie andere Journalisten, die sich mit dem NSA-Komplex investigativ befassen, leistet Greenwald einen wesentlichen Beitrag für die Aufklärungsarbeit des deutschen Parlaments. Doch es wäre übertrieben, Die globale Überwachung als ein Enthüllungsbuch zu bezeichnen. Denn nahezu alles, was der Autor an Fakten über das Ausmaß der globalen Massenüberwachung durch die Five Eyes präsentiert, fand bereits vorher den Weg an die Öffentlichkeit. Das dritte Kapitel, das sich dieser Faktenaufzählung mit zahlreichen Screenshots widmet und den Hauptteil des Buches ausmacht, liest sich daher wie eine kompakte Einführung in den bereits bekannten Sachverhalt.

Absolut lesenswert erscheint auch das fünfte Kapitel über das aus Greenwalds Sicht elementare Versagen der vierten Gewalt. Es ist besonders eine Abrechnung mit der New York Times, der Greenwald eine freiwillige Gleichschaltung mit den Interessen der amtierenden amerikanischen Regierung vorwirft. Seitenweise schildert er die Diffamierungen und Hetzkampagnen gegen ihn und Edward Snowden, die allesamt auf Mutmaßungen aufbauten. Dabei klingt an vielen Stellen auch durch, wie sehr Greenwald darum kämpft, als investigativ tätiger Journalist anerkannt zu werden.

Aufklärung als Geschäftsmodell

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Das Buch folgt der von Greenwald und seinen Kollegen verfolgten Auswertungsstrategie aller Snowden-Dokumente. Zunächst werden einzelne kleine Stücke aus dem großen Aufklärungskuchen herausgelöst, je nach Bedeutung skandalisiert und der Öffentlichkeit präsentiert. Dabei bedient sich das Journalistenteam bisher vor allem angesehener Tageszeitungen wie dem britischen Guardian. Diese Veröffentlichungstaktik führte dazu, dass das Thema in den vergangenen 15 Monaten weltweit die Schlagzeilen beherrschte. Zuletzt verlegte Greenwald seinen persönlichen Arbeitsschwerpunkt jedoch auf die von dem Multimilliardär und eBay-Gründer Pierre Omidyar finanzierte profitorientierte Internetplattform The Intercept. Dort ist Greenwald als leitender Herausgeber tätig. Erst in einem zweiten Auswertungsschritt folgt dann die Zusammenstellung der bereits veröffentlichten Informationen in Büchern wie dem vorliegenden. Dass es nicht bei einem Buch bleiben wird, liegt auf der Hand.

In diesem Zusammenhang stellt Wolfgang Michal in einem klugen Artikel über die Enthüllungsplattform The Intercept in der Wochenzeitung Der Freitag die alles entscheidende Frage, mit der auch die Schwierigkeit des NSA-Untersuchungsausschusses bei der Befragung Snowdens und der Sichtung seiner Dokumente auf den Punkt gebracht wird: „Wenn Greenwald die Aufklärung des Volkes über alles stellt, warum müssen die Snowden-Dokumente dann von einer Handvoll Gatekeeper wie Greenwald über Jahre hinweg scheibchenweise und nach eigenem Gutdünken veröffentlicht werden, anstatt sie in einem Zug in die Hände des Volkes zu legen?“

Ein Ort, an dem dies geschehen könnte, wäre sicherlich der NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages, der sich dem Themenkomplex als einziger Ausschuss eines demokratischen Parlamentes weltweit annimmt. Es gehört nicht viel Prophetie dazu, um vorherzusagen, dass dies nicht geschehen wird. Aufklärung ist eben auch ein Geschäftsmodell.

Glenn Greenwald, Die globale Überwachung: Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen, München: Droemer Knaur Verlag 2014, 368 Seiten, 19,99 Euro

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