Nachhaltige Zuwanderung - aber wie?

Deutschland braucht Arbeitskräfte aus dem Ausland. Aber Angebot und Nachfrage kommen noch längst nicht gut genug zusammen. Ein Allheilmittel im demografischen Umbruch ist die Arbeitsmigration freilich nicht. Nur wenn die Integration klappt, wird Deutschland zum nachhaltigen Zuwanderungsland

Deutschland erlebt eine Renaissance der Zuwanderung. In keinem anderen OECD-Land stieg sie in den vergangenen Jahren stärker an. Vor allem der Zuzug aus der erweiterten EU, aus der rund zwei Drittel der Einwanderer kommen, wies jährlich zweistellige Wachstumsraten auf.

Doch nur etwa 40 Prozent der rund 540 000 Zuwanderer, die 2011 aus der erweiterten EU nach Deutschland kamen, hielten sich auch Ende 2012 noch in Deutschland auf. Die niedrige Bleibequote ist zunächst darauf zurückzuführen, dass die deutsche Wanderungsstatistik – im Gegensatz zur Statistik in anderen OECD-Ländern – auch sehr kurzfristige Migrationsbewegungen berücksichtigt. Betrachtet man jedoch die Gruppe der Arbeitsmigranten aus Nicht-EU-Staaten, so lässt sich ein Muster feststellen: Nur jeder dritte Arbeitsmigrant aus Drittstaaten bleibt länger als drei Jahre in Deutschland. Hinzu kommt, dass die Arbeitsmigration von außerhalb der EU im internationalen Vergleich nach wie vor bescheiden ist. So beträgt die pro-Kopf Arbeitszuwanderung aus Drittstaaten nur die Hälfte des OECD-Durchschnitts. Dies überrascht, da Deutschland nicht nur vergleichsweise günstige Arbeitsmarktbedingungen aufweist, sondern auch eines der liberalsten Systeme für hochqualifizierte Zuwanderung besitzt, wie wir im OECD-Bericht „Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte – Deutschland“ Anfang des Jahres aufgezeigt haben.

Ist hierfür eine mangelnde „Willkommenskultur“ verantwortlich, wie häufig beklagt wird? Oder ist Deutschland für Arbeitsmigranten nicht attraktiv genug? Abgesehen davon, dass oft unklar ist, was mit dem Begriff der Willkommenskultur gemeint ist, fehlt es der Bundesrepublik zumindest nicht an Attraktivität. Im Gegenteil: In vielen Ländern ist Deutschland sehr beliebt. Unzählige hochqualifizierte und hochmotivierte Arbeitskräfte würden gerne zu uns kommen. Laut einer weltweiten Gallup-Umfrage ist Deutschland in 5 der 25 wichtigsten Herkunftsländer das beliebteste Zielland. Selbst dort, wo Deutschland nicht zu den bevorzugten Ländern zählt, wie in Indien, ist das Interesse an unserem Land groß. Dies belegen tausende von Anfragen, die beim deutschen Kontaktbüro in Neu Delhi innerhalb von wenigen Monaten eingegangen sind.

Allerdings mangelt es den Interessenten häufig an Kenntnissen der deutschen Sprache – gewiss ein wesentlicher Grund für die kurze Aufenthaltsdauer vieler Migranten. Denn gute Deutschkenntnisse sind nach einer Umfrage, die die OECD gemeinsam mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag unter 1 200 Arbeitgebern durchgeführt hat, die mit Abstand wichtigste von deutschen Unternehmern verlangte Fähigkeit, noch weit vor formalen Qualifikationen.

Eine umfassende Zuwanderungsstrategie müsste an diesem Faktor ansetzen, der auch für die langfristige Integration in die Gesellschaft entscheidend ist. Dazu gehört, das Erlernen der deutschen Sprache in wichtigen Ursprungsländern zu fördern, aber auch, Arbeitsmigranten hierzulande durch mit den Arbeitgebern abgestimmte Sprachkurse zu unterstützen. Diese könnten mittels höherer Gebühren für die Arbeitszulassung finanziert werden, schließlich sind die deutschen Gebühren im internationalen Vergleich niedrig. Auch für internationale Studierende sollten verstärkt Anreize gesetzt werden, die deutsche Sprache zu lernen. Ein möglicher Weg, der von verschiedenen nicht-englischsprachigen OECD-Ländern begangen wurde, besteht darin, höhere Gebühren für internationale Studierende zu erheben, die nicht in der Sprache des Gastlandes studieren.

Welches Auswahlsystem funktioniert?

Häufig wird vorgeschlagen, Deutschland solle seine Attraktivität mit einem „Punktemodell“ zur Selektion von Arbeitsmigranten steigern, ähnlich wie es in Australien, Kanada und Neuseeland besteht. Allerdings entspricht ein Punktesystem nicht einem Personalbeschaffungssystem, sondern dient lediglich der Auswahl von Zuwanderern. Der Vorteil eines solchen Systems ist, dass es erlaubt, verschiedene Kriterien – Alter, Sprache, Qualifikation oder Berufserfahrung – gegeneinander abzuwägen. Darüber hinaus können qualifizierte Personen ins Land gelassen werden, die kein konkretes Arbeitsplatzangebot haben. Die Erfahrungen mit Einwanderung ohne vorliegendes Jobangebot sind allerdings sehr gemischt, denn diese Migranten finden häufig keinen adäquaten Arbeitsplatz. Deshalb wurde diese „angebotsorientierte“ Zuwanderung in den genannten Ländern in den letzten Jahren zunehmend eingeschränkt. Zu beachten ist zudem, dass ein Punktesystem möglicherweise restriktiver wäre als das relativ großzügige gegenwärtige System, das den Arbeitgebern weitgehend Wahlfreiheit lässt. Die Vorteile eines Punktesystems lägen daher vor allem im Bereich des Marketings und in der Möglichkeit, Kenntnisse der deutschen Sprache oder das Alter bei der Auswahl stärker zu berücksichtigen. Allerdings könnten diese Ziele auch im bestehenden System erreicht werden.

Ein optimales Auswahlsystem kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn Arbeitgeber auch die Möglichkeit nutzen, Personal aus dem Ausland zu rekrutieren. Bislang ist dies nur sehr eingeschränkt der Fall. Das ist im Grundsatz sogar wünschenswert, da zuerst das einheimische Arbeitskräftepotenzial – und dazu zählen auch die Zuwanderer, die sich bereits in Deutschland befinden, sowie deren Kinder – bestmöglich genutzt werden sollte. Hierfür sind mit den Hartz-Reformen und den verstärkten Anstrengungen zur Integration die richtigen Impulse gesetzt worden. Problematisch wird es jedoch, wenn Unternehmen angesichts eines Mangels an Fachkräften eher auf eine Ausweitung ihrer Aktivitäten verzichten, statt auf Arbeitsmigranten zurückzugreifen. Genau das scheint in Deutschland jedoch zumindest teilweise der Fall zu sein. Denn selbst unter denjenigen Unternehmen, die mit einem Anstieg der offenen Stellen in ihrem Betrieb aufgrund des Fachkräftemangels rechnen, zog in unserer Umfrage nur jedes fünfte eine Rekrutierung aus dem Ausland in Betracht.

Der Mittelstand braucht bessere Unterstützung

Dies betrifft vor allem mittelständische Unternehmen, deren Verantwortliche häufig gar nicht wissen, welche Möglichkeiten Arbeitgeber bereits heute haben. Gerade kleinere Betriebe sollten besser informiert und im administrativen Prozess verstärkt unterstützt werden. Auch die Ausländerbehörden, von denen viele bislang nur selten Anträge zur Arbeitsmigration bearbeiten mussten und die deshalb häufig über kein spezialisiertes Personal verfügen, müssen auf diesem Gebiet aktiver werden. Eine bessere Betreuung von Unternehmen und Arbeitsmigranten könnte ebenfalls durch eine Gebührenerhöhung gegenfinanziert werden.

Die größte Herausforderung aber besteht darin, geeignete Kandidaten in den Ursprungsländern und potenzielle Arbeitgeber in Deutschland zusammen zu bringen. Dies gilt erneut vor allem für mittelständische Unternehmen und Firmen in ländlichen Gegenden, die in der Regel nicht die erste Anlaufstelle für interessierte Kandidaten aus dem Ausland sind. In diesem Bereich gab es in Deutschland 2012 und 2013 zahlreiche Initiativen, angefangen bei der Internetseite www.make-it-in-Germany.de über das Sonderprogramm des Bundes zur „Förderung der beruflichen Mobilität von ausbildungsinteressierten Jugendlichen und arbeitslosen jungen Fachkräften aus Europa“, Bewerbermessen in den europäischen Ursprungsländern organisiert von der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung, Initiativen lokaler Handelskammern bis hin zu den Pilotprojekten zur Werbung um Fachkräfte in wichtigen außereuropäischen Ursprungsländern wie Indien, Indonesien und Vietnam. Zusätzlich könnte Deutschland von den Instrumenten anderer OECD-Länder wie Australien und Neuseeland lernen und profitieren, besonders was den Bereich des „In-Verbindung-bringens“ von Arbeitgebern und potenziellen Migranten anbelangt, beispielsweise über Online-Jobbörsen.

Integrationsförderung als Zukunftsinvestition

Nicht zuletzt gilt es, bestehende Vorurteile gegenüber Einwanderern weiter abzubauen sowie einen ausgewogenen und stärker faktenorientierten öffentlichen Diskurs zum Thema Migration und Integration zu pflegen. Denn Fakt ist: Die große Mehrheit der Zuwanderer und ihrer Kinder ist gut integriert trotz mancher Probleme.

Aber Arbeitsmigration stellt kein Allheilmittel zur Bewältigung des demografischen Wandels dar, sondern kann andere Strategien lediglich ergänzen. Eine Grundvoraussetzung dafür ist allerdings die gelungene Integration der bereits hier lebenden Einwanderer und ihrer Kinder. Sie ist ausschlaggebend dafür, dass sich die Gesellschaft für mehr Zuwanderung öffnet. Zugleich hat gelingende Integration, ebenso wie der damit verbundene öffentliche Diskurs über Migration, einen erheblichen Einfluss auf die Bereitschaft potenzieller Arbeitsmigranten, nach Deutschland zu kommen. Deshalb ist es wichtig, bei den Anstrengungen zur besseren Arbeitsmarktintegration nicht nachzulassen und zugleich dem Thema Diskriminierung größere Beachtung zu schenken – ein häufig unterschätztes Thema, gerade auch in Deutschland. Kein Zweifel: Wir müssen die Integrationsförderung noch stärker als Investition in die Zukunft betrachten, damit Zuwanderung für alle Beteiligten von nachhaltigem Erfolg ist.

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