Nach Detroit

Das jüngste Beinahe-Attentat hat auf eindrückliche Weise gezeigt, dass sich die Sicherheitspolitik meilenweit von sachlichen Überlegungen entfernt hat und zu einem Teufelskreis der Hysterien geworden ist

Es erinnert an eine Farce. Erstes Kapitel: Mit deutschen Forschungsgeldern wird seit Jahren an der Entwicklung eines Nacktscanners für die Sicherheitskontrolle an Flughäfen gearbeitet. Zweites Kapitel: Die EU schlägt vor, diesen Nacktscanner europaweit zu verwenden. Drittes Kapitel: Die deutsche Regierung, die 29 Millionen Euro in den Nacktscanner investiert hat, protestiert empört. Der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble versichert im Oktober 2008, dass eine Ganzkörperdurchleuchtung an deutschen Flughäfen nichts zu suchen habe. Man werde „diesen Unfug“ nicht mitmachen. Viertes Kapitel: Die Bundespolizei fährt trotzdem fort, die Nacktscanner zu testen. Fünftes Kapitel: In Detroit wird ein Terroranschlag auf ein Flugzeug verhindert. Sechstes Kapitel: Der neue Bundesinnenminister Thomas de Maizière ist zuversichtlich, dass der Nacktscanner alias „Körperscanner“ noch im Jahr 2010 zum Einsatz kommen kann.

Das Beinahe-Attentat von Detroit zeigt auf eindrückliche Weise, dass sich die Sicherheitspolitik meilenweit von sachlichen Überlegungen entfernt hat und zu einem Teufelskreis der Hysterien geworden ist. Die Hysterie von oben (Politik und Medien rufen den Ausnahmezustand aus) erzeugt eine Hysterie von unten (die Menschen haben Angst vor Terroranschlägen), was wiederum die Hysterie von oben verstärkt – Politiker geraten unter Druck, ihre Handlungsfähigkeit zu beweisen, weil sie sich im Fall eines Attentats nicht vorwerfen lassen wollen, sie hätten nicht „alles“ zum Schutz der Bevölkerung getan. Katalysatoren dieses Teufelskreises sind handfeste Interessen. Manch ein Politiker liebäugelt mit einer flächendeckenden Kontrolle der Bürger. Die Medien sichern mit Horrorszenarien ihr Aufmerksamkeitsmonopol. Die Wirtschaft freut sich über saftige Verdienstmöglichkeiten in der Sicherheitsindustrie. Auf der Strecke bleibt eine profunde Auseinandersetzung mit der wichtigen Frage, ob und wie der Terrorismusgefahr überhaupt begegnet werden kann.

Zwei paradoxe Prinzipien regieren den Sicherheitswahn. Das erste Prinzip besteht darin, etwas zu verbieten, was gerade passiert ist. In Flugzeugen keine Klogänge vor der Landung mehr, weil der Attentäter möglicherweise seine Bombe auf der Toilette scharf machte. Keine Wolldecke auf dem Schoß, weil er möglicherweise im Schutz einer Decke an seinem Sprengsatz herumgefummelt hat. Nigerianer auf die schwarze Liste, weil der Terrorist Nigerianer war. Bürger aus Ghana ebenso, weil der Terrorist dort sein Flugticket kaufte. Und der Nacktscanner wird plötzlich populär, weil er vielleicht den Sprengstoff in der Unterwäsche entdeckt hätte.

Hätte er das? Hier greift das zweite Prinzip: Möglichst schnell handeln, solange die Aufregung noch anhält. Wo bleibt die Logik? Mal angenommen, wir hätten den Nacktscanner. Was, wenn jemand ein Wärmepflaster auf dem Rücken trägt? Darunter könnte sich Sprengstoff befinden. Wie verdächtig ist ein Gipsarm? Welcher Scanner findet heraus, dass ein metallener Schlüsselanhänger mit Schwarzpulver gefüllt ist? Und was ist, wenn der Terrorist den Sprengstoff schluckt? Werden dann Magen-Darm-Spiegelungen zur Pflicht? Muss man ABC-Pflaster, Gipsarme und Schlüsselanhänger verbieten? Am besten im Nachhinein, wenn die Katastrophe schon eingetreten ist?

Letztlich entscheidet immer menschliches Verhalten

Jeder Terrorist kennt die aktuellen Sicherheitsvorkehrungen und findet einen Weg, sie zu umgehen. Was den Anschlag von Detroit verhindert hat, waren weder Sicherheitsgesetze noch Technologie. Es war das beherzte Einschreiten von Crew und Passagieren. Daraus könnte man lernen, dass letztlich immer menschliches Verhalten ausschlaggebend ist. Seit Langem wird verlangt, das Sicherheitspersonal aufzustocken und besser auszubilden. Testläufe haben gezeigt, dass es ohne weiteres möglich ist, alle Kontrollen zu umgehen – aufgrund von menschlichem Versagen. Solche Hinweise stammen nicht von Politikern oder Journalisten, sondern aus der Praxis. Auch jetzt erinnert die Polizeigewerkschaft wieder daran, dass Sicherheitsaufgaben zunehmend privatisiert und an Flughäfen von „Hartz-IV-Empfängern, Leiharbeitern und Billiglöhnern“ wahrgenommen werden. Wenn überhaupt jemand die konkrete Gefahr eines Anschlags erkennen kann, dann doch wohl eher ein Fachmann als eine Maschine. Aber aus gut bezahltem und geschultem Personal ist politisch und ökonomisch eben kein Kapital zu schlagen.

Siebtes Kapitel: Der Nacktscanner kommt. Achtes Kapitel: Der nächste Anschlag findet (beinahe) statt. Neuntes, zehntes und alle folgenden Kapitel: Die sicherheitspolitische Spirale dreht sich weiter. Da capo sine fine. «

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