Nach der Wahl ist vor der Wahl
EDITORIAL
Das ist etwas bedauerlich. Es ist im Übrigen auch nicht zwangsläufig gewesen. Unter sozialstrukturellen und kulturellen Gesichtspunkten gibt es buchstäblich keinen Grund, weshalb eine moderne, in jeder Hinsicht zeitgenossenschaftliche Partei der sozialen Demokratie in diesem Jahrzehnt nicht die natürliche Partei einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit in dieser Republik sein könnte. Vielleicht gelingt ihr das im September, vielleicht nicht. So oder so aber muss schon jetzt die Debatte darüber beginnen, wie eine überzeugende sozialdemokratische Mehrheitsstrategie für die kommenden Jahre aussehen sollte. Viel wird darauf ankommen, ob Sozialdemokraten die sozialen, geistigen und kulturellen Tendenzen ihrer Zeit intensiv genug im Blick behalten. Viel wird auch darauf ankommen, ob Sozialdemokraten zur produktiven Synthese von Wirklichkeit und eigenen Werten in der Lage sind. Ganz in diesem Sinne hat sich die Berliner Republik in den vergangenen Jahren zu einem offenen Forum des intellektuellen Austauschs über Gegenwart und Zukunft des neuen Deutschland entwickelt. Sie ist nicht nur zu einem Ort der politischen Analyse geworden, sondern zugleich zu einem Seismografen gesellschaftlicher Zustände. Die intensive Anstrengung ihrer Autorinnen und Autoren, dieses Land in seinem Umbruch zu verstehen, mag manchmal etwas unbequem sein. Überflüssig ist sie umso weniger.