Mit Kunst den Wertewandel gestalten?

Kunst und Kultur sollten in der Debatte über gesellschaftliche Veränderungen zukünftig eine größere Rolle spielen

Die Kunst von Ólafur Elíasson kann als Schule eines aufmerksamen und reflektierten Sehens bezeichnet werden. Der dänisch-isländische Konzeptkünstler ist eine feste Größe in der Kunstwelt und bekannt für seine spektakulären Installationen. In einem britischen Museum ließ er eine riesige künstliche Sonne aufgehen und in New York installierte er mit Hilfe seiner Mitarbeiter Wasserfälle entlang des East River. Während der Klimakonferenz in Paris stellte Elíasson auf einem Platz im Zentrum der Stadt zwölf große Eisblöcke in Form eines Ziffernblatts auf. Für die Installation Ice Watch hatte der Künstler Gletschereis aus Grönland bringen lassen. Während in den Konferenzräumen Vertreter aus 195 Staaten um ein neues Klimaabkommen rangen, konnten die Besucher der Kunstaktion an den Eisblöcken lauschen. Sie vernahmen dabei ein leises Knacken, das die Luftblasen, tausende Jahre alt, erzeugten, als sie aus dem schmelzenden Eis entwichen. So klingt der Klimawandel, schien uns der Künstler sagen zu wollen.

Praxis zur gesellschaftlichen Veränderung

Wenn es darum geht, aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen zu reflektieren und zu gestalten, können Kunst und Kultur durchaus Bündnispartner sein. Denn im Kern ist Kunst – jenseits der Präsentation und Repräsentation –, als Praxis der Reflexion und somit als Agens gesellschaftlicher Veränderungen zu verstehen. Sie kann Anstöße dazu geben, tradierte Praktiken und Verständnisse in der Welt zu revidieren, indem sie das Gewohnte in Frage stellt, Vertrautes verfremdet und zum offenen Denken anregt. In diesem „freien Spiel der Erkenntniskräfte“ (Immanuel Kant) steckt ein beachtliches Veränderungspotenzial. Wo Erkenntnisformen der Wissenschaft und politisches Handeln an ihre Grenzen stoßen, kann Kunst Bilder des Wandels imaginieren und Experimentalräume schaffen – für eine Lebensweise, die die Grenzen des Planeten akzeptiert und die Zukunft kommender Generationen nicht aufs Spiel setzt.

Die Frage nach der Bedeutung von Kunst und Kultur für das Konzept nachhaltiger Entwicklung beschäftigte den Rat für Nachhaltige Entwicklung bereits im Jahr 2002. In einer Publikation konstatiert er, dass bislang „Nachhaltigkeit auf ein Umweltprogramm reduziert … als vorrangig technisches Konzept missverstanden“ werde und „im Diskurs die Experten für technische und sektorale Lösungen“ dominieren. Angesichts dessen sprach sich der Rat für eine Erweiterung der „Ökologie- und Nachhaltigkeitsdebatte zu einem gesellschaftlichen Diskurs über Ästhetik, Werte, Kultur und Lebensstile“ aus. Kunst, Kultur und Ästhetik sollten verstärkt in den allgemeinen Diskurs um Nachhaltigkeit hineingetragen werden, so die Empfehlung des Nachhaltigkeitsrats. Denn das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung bedürfe einer grundlegenden Überprüfung bisheriger Normen, Werte und Praktiken in allen Gesellschaftsbereichen und sei daher eine kulturelle Herausforderung. Auch in der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie wird dieser Aspekt als „Kultur des Handelns“ aufgegriffen.

Das Umweltbundesamt und die Berliner Akademie der Künste gingen im vergangenen Sommer mit der Podiumsdiskussion „Selbstverbrennung oder Transformation. Mit Kunst und Kultur aus der Klimakrise?“ ebenfalls der Frage nach, ob Kunst neue Sichtweisen auf komplexe Phänomene wie den Klimawandel eröffnen und zu einem anderen Verständnis zwischen Mensch und Natur beitragen kann. Einigkeit herrschte unter den Teilnehmern darüber, dass Kunst und Kultur keine Patentrezepte für die Wege aus der „Klimakrise“ aufzeigen können und es auch nicht ihre Aufgabe ist, gesellschaftliche Akzeptanz für Klimapolitik herzustellen. Kunst könne jedoch neue Perspektiven für ein künftiges Zusammenleben aufzeigen. So sah die Kulturwissenschaftlerin Eva Horn die Kompetenz von Kunst vornehmlich darin, Dinge sichtbar zu machen – also zu lernen, das Klima jenseits der Abstraktheit und Komplexität der Klimaforschung wahrzunehmen.

Mehr Bedeutung in der Nachhaltigkeitsdebatte

Gleichwohl steht die Implementierung des Kulturbegriffs in das Konzept nachhaltiger Entwicklung erst am Anfang. Zwar haben Kunst- und Kulturschaffende in letzter Zeit solche Fragen vereinzelt aufgegriffen. Zu nennen wären etwa das zweijährige „Anthropozän-Projekt“ des Hauses der Kulturen der Welt (HKW) in Berlin, das Projekt „Über Lebenskunst. Initiative für Kultur und Nachhaltigkeit“ der Kulturstiftung des Bundes und des HKW oder auch der thematische Schwerpunkt „Klima-Kunst-Kultur“ des Goethe-Instituts. Dennoch spielen Kunst und Kultur in der Nachhaltigkeitsdebatte bislang eine unbedeutende Rolle und die Nachhaltigkeitspolitik ist zu wenig mit Sujets, Themen, Prozessen und Konzepten aus Kunst und Kultur verbunden.

Gegenwärtig beschäftigt sich ein Forschungs- und Entwicklungsvorhaben des Umweltbundesamtes mit der Frage, ob Kunst und Kultur den Wandel in Richtung einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Gesellschaft fördern können und, ob sich ökologische Fragestellungen in der künstlerischen Praxis und in kulturpolitischen Konzeptionen verankern lassen. Das Ziel ist es, einen Dialog zwischen Kunstpraxis und Kulturpolitik sowie Wissenschaft und Nachhaltigkeitspolitik anzustoßen; neue Kommunikationsformate zur Kultur der Nachhaltigkeit zu erproben und Anknüpfungspunkte kultureller Diskurse an die Nachhaltigkeitspolitik aufzuzeigen. Im Rahmen des im Frühjahr 2017 gestarteten Projektes wurde unter anderem ein Artist-in-Residence-Stipendium für Kunstschaffende auf der Insel Vilm ausgeschrieben, zudem sind Expertengespräche sowie Kooperationen mit Institutionen aus Kultur, Wissenschaft und Lehre geplant. Die Arbeitsergebnisse und Erfahrungen aus dem insgesamt dreijährigen Projekt sollen in eine Ausstellung sowie in eine Publikation einfließen.

Umweltschutz galt lange Zeit als eine Angelegenheit der Naturwissenschaften; für jedes Umweltproblem musste nur eine technische Lösung gefunden. Indes: Ohne die Akzeptanz der Gesellschaft, ohne Beteiligung und Mitwirkung der breiten Öffentlichkeit kann Umweltschutz nur schwer gelingen. Deshalb sollten wir künftig Kunst und Kultur als vergessene Dimension von Nachhaltigkeit stärker in Betracht ziehen. Den guten Absichten zum Trotz, steht schnell der Verdacht im Raum, die Kunst solle instrumentalisiert und ihrer Freiheit beraubt werden. Was also können wir bei der Sensibilisierung der Menschen für ökologische Fragestellungen von Kunst und Kultur erwarten? Vielleicht, dass sie uns ein Gespür für die Fragilität und Schönheit unserer Welt gibt.

(Dieser Text ist am 16. August 2017 als Online-Spezial-Beitrag der Berliner Republik erschienen.)