Mediale Politik

Nach dem Sommertheater übt die Regierungsvolkspartei Kommunikationsdisziplin

Wir müssen unsere Kommunikation verbessern" oder "Die Kommunikationsdisziplin stimmt nicht". So die Erklärungen der SPD-Spitze wenn mal wieder sinkende Umfragewerte oder niederschmetternde Wahlergebnisse zu kommentieren sind. Gemeint ist damit, dass eigene Leute nicht vor laufender Kamera die Politik der Regierung angreifen und zerreden sollen.

Am offensichtlichsten wurde dieses Disziplin-Problem am sogenannten Zukunftsprogramm, dem Herzstück der ersten Legislaturperiode der Regierung Schröder.

Erstaunlich, weil öffentlich für unmöglich gehalten, war schon die Aufstellung des Sparhaushalts im Juni 1999. Gut waren die Kritiken der Kommentatoren und Fachleute, zahnlos die Vorwürfe der Opposition. Doch dann kam Klimmt. Mit ihm einige Bundestagsabgeordnete der SPD, die im Programm "eine soziale Schieflage" zu entdecken glaubten. Das bewährte Stück "Modernisierer gegen Traditionalisten" wurde neu aufgelegt. Nun brauchte es gar keine Opposition mehr, um die Bürger zu verwirren. Das Ergebnis ist an den Regionalwahlergebnissen des Spätsommers abzulesen.

Erkennbar wurde, dass die öffentliche Darstellung von Politik fast wichtiger ist als der Inhalt selbst. Gleichzeitig mit der Planung eines Gesetzes sollte deshalb im Kopf auch schon der Plan für die mediale Vermarktung beginnen. Wie kann ich die Nachricht möglichst effektiv platzieren? Wie gewinne ich die Meinungsführerschaft? Wie öffentliche Zustimmung?

Spätestens an diesem Punkt kommen die Journalisten ins Spiel. Sind sie für die Politiker nur Medium zum Zweck oder umgekehrt? Haben Journalisten ein eigenes Sendungsbewusstsein oder geben sie Informationen nur weiter? Politik und Medien leben in Symbiose. Die einen brauchen Platz für ihre Ideen, für die Meinungsführerschaft und ihr Ego. Die anderen brauchen Informationen, um ihre Zeitung attraktiv und zitierfähig zu machen, und für ihr Ego. Aber: Machen Medien auch Politik? Einige Beispiele. Das 630-DM-Gesetz trifft die Zeitungsverleger, denn die Zustellung ihrer Zeitungen verteuert sich. Kann nun die 4. Gewalt im Staate geschäftliches Interesse und ihre Pflicht zur seriösen Berichterstattung trennen? Die Antwort war enttäuschend. Über den Bundesverband der Zeitungsverleger wurde Arbeitsminister Riester mit einer Öffentlichkeitskampagne gedroht, die den Bundeskanzler fast zum Einknicken brachte. Die Kampagne kam, und in einigen Zeitungen waren Verlagsinteressen und Berichterstattung nicht zu unterschieden.

Politik machte auch die legendäre Bild-Meldung vom März 1999 aus der Kabinettsitzung. Laut Bild hatte der Kanzler mit Rücktritt gedroht, wenn ihm weiterhin "die Wirtschaft" kaputt gemacht würde. Einen Tag später trat Lafontaine zurück. Ein Schelm wer Böses dabei denkt.

Ähnlichem Muster folgend musste auch Peter Struck die Macht der kanzlertreuen Bild-Zeitung spüren. "Kanzler faltet Struck zusammen" lautete diesmal die Schlagzeile. Im Ergebnis schmiss Struck zwar nicht hin, aber seine Stellung als SPD-Fraktionsvorsitzender war nach innen wie nach außen geschwächt. Und mit ihm die 298 Abgeordnete starke Bundestagsfraktion. Was war passiert? Struck hatte nur eine Banalität öffentlich kundgetan, nämlich dass kein Gesetz den Bundestag so verlasse, wie es eingebracht wird. Die Medien werteten dies aber als Angriff auf die Autorität des Kanzlers ("nicht wackeln"). Struck war fällig.
Policy by media - Gerhard Schröder ist ein Experte dafür. Dies ging schon so weit, dass die SPD ihren Kanzlerkandidaten an allen Parteigremien vorbei quasi medial bestimmt bekam. Der Druck der veröffentlichten Meinung legte der sozialdemokratischen Partei sehr nahe, Schröder zu nominieren.

Gute Kontakte zahlen sich aus. Der Korrespondent erhält Hintergrundinformationen und der Politiker bekommt "sein" Thema irgendwann mal unter. Neben diesen verständlichen Kumpaneien gibt es aber auch eine Tendenz zu unsolider Berichterstattung. Nehmen wir das Beispiel eines Ausschussvorsitzenden. Nach Bekanntwerden eines Falles russischer Wirtschaftsspionage, überlegte sich die Hamburger Redaktion einer großen Sonntagszeitung einen Artikel mit der Forderung die Wirtschaftshilfe zu stoppen. Gesucht wurde nur noch eine Stimme aus dem Politgeschäft, die die Idee zur Meldung machte. Also musste der Parlamentskorrespondent auf "Suche" gehen und Samstag nachmittag ihm bekannte Politgrößen anrufen: "Finden Sie nicht, dass den Russen die Beihilfen versagt werden müssten, wenn sie unsere Wirtschaftsunternehmen ausspionieren?" Antwort: Ja, klar, warum nicht? Schon ist der Beitrag fertig. Ziel: Aufmacher. Wahrheitsgehalt: null komma eins.

Ähnlich erging es einer jungen Abgeordneten, die sich in einem Hörfunkinterview missverständlich zum Thema Rentenanpassung und Haushaltssanierung ausdrückte und aus deren Aussagen eine Agenturmeldung wurde: "Schröder nimmt Rentenanpassung aus Gesamtpaket". Die Nachricht lief in Windeseile über den Ticker und zwang den Regierungssprecher zu einem Dementi. Die ganze Szene war wieder mal aufgescheucht wegen - gar nichts. Die Abgeordnete diskreditiert und die Öffentlichkeit noch stärker verunsichert.

Was wollen die da oben überhaupt? Es gibt zwar eine klare Linie, doch wenn die Äußerung eines einfachen Abgeordneten in der Presse den gleichen Widerhall findet wie das Wort des Kanzlers, dann kann die Öffentlichkeit kaum noch einen unverbindlichen Referentenentwurf von einem Kabinettsbeschluss unterscheiden.

Im Ergebnis wird sich die SPD-Spitze gezwungen sehen, Maulkörbe zu verteilen. Denn teuer angelegte Kampagnen können durch ein einziges Interview eines einzelnen Genossen gefährdet werden. Also: Kommunikationsdisziplin. General Müntefering wird vor dem Wochenende Spitzengenossen anrufen und sie bitten keine Interviews zu geben. Das System Kohl lässt grüßen.

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