Malefiz mit Digitalisten

Computerspiele machen dick, dumm und gewalttätig - was den Bundeskulturminister nicht daran hindert, den "Deutschen Computerspielpreis" großzügig aus seinem Etat zu fördern. Empfehlenswerter ist der Griff zum analogen Brettspiel

Der Preis für das beste deutsche Computerspiel 2008 ging an Das schwarze Auge - Drakensang, entwickelt von der Berliner Firma Radon Labs. 112.500 Euro überwies Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) den Entwicklern, und die Computerspielindustrie legte den gleichen Betrag noch oben drauf. Eine Auszeichnung, die zum ersten Mal vergeben wurde. Hingegen existiert der Preis "Spiel des Jahres" für das beste deutsche Brett- und Kartenspiel bereits seit 30 Jahren. Doch dafür hat die Bundesregierung keinen Cent übrig.

Früher war das noch etwas anders. Für die erste Auszeichnung "Spiel des Jahres" im Jahr 1979 hatte die damalige Ministerin für Jugend, Familie und Gesundheit, Antje Huber (SPD) die Schirmherrschaft übernommen. Damals gewann das Spiel Hase und Igel von Ravensburger. In den Anfangsjahren unterstützte Hubers Ministerium die von einigen Spielekritikern gegründete Jury auch finanziell. Die Preisverleihung fand in der Essener Volkshochschule statt, in Antje Hubers Wahlkreis. Doch irgendwann geriet das "Spiel des Jahres" in Vergessenheit - nicht beim spielenden Publikum, sondern in der Politik. Spiele kamen erst wieder auf die politische Agenda, als sie computerisiert waren beziehungsweise als sie sich zunehmend als Gefahr herausstellten.

Computerspiele machen dick, dumm und gewalttätig, warnen Jugendforscher wie der Kriminologe Christian Pfeiffer. Auch deshalb wurden Computerspiele im Jahr 2003 erstmals ins Jugendschutzgesetz aufgenommen. Aber nicht alle Politiker halten gewalthaltige Computerspiele für so gefährlich wie Pfeiffer. "Es war eine Farce", sagte er gegenüber der Zeit, als er mit seinen Forschungsergebnissen im Unterausschuss für Kultur und Medien des Bundestages auf großkoalitionäres Unverständnis stieß. Dort war man sich einig, dass Computerspiele ein "bedeutendes Kultur- und Wirtschaftsgut" seien. Dies ist eine Argumentation, der man sich kaum verwehren kann: Kultur plus Wirtschaft! Zumal die deutsche Computerspielebranche einiges nachzuholen hat; ausländische Unternehmen dominieren den Markt.

Autorenspiele statt Halma und Skat

Da haben es die Brett- und Kartenspiele in mancher Hinsicht leichter. Die Branche wird tatsächlich fast ausschließlich von Deutschland aus beherrscht. Das Phänomen, dass Erwachsene sich zum Spielen an einen Tisch setzen, ist vermutlich irgendwann Ende der siebziger Jahre im studentischen Milieu deutscher Universitäten entstanden. Statt Skat, Schach und Halma werden so genannte Autorenspiele gepflegt, die alljährlich in großer Zahl auf den Markt kommen und eine thematisch interessante gute Stunde Unterhaltung versprechen.

Die Etablierung des Brettspiels ist auch das Verdienst einiger weniger Spielejournalisten um Jürgen Herz und Tom Werneck, die den Kritikerpreis "Spiel des Jahres" kreierten. Deutschland "kleinster Kulturpreis" ist heute ein weltweit beachteter award. Und im Bonner Vorwärts-Verlag entwickelte der Verlagsleiter Friedhelm Merz mit seinem Marketingchef Reiner Müller (der später als Spieleredakteur maßgeblich für den Erfolg des millionenfach verkauften Spiels Siedler von Catan verantwortlich war) mit der Spielbox eine der ersten Spielezeitschriften und die Idee der Essener Spieltage. Diese alljährliche Messe ist mit 150.000 Besucherinnen und Besuchern die weltweit mit Abstand größte Publikumsveranstaltung dieser Art.

Als die Computerspiele aufkamen, zeigte sich die Brettspielbranche eher unbeeindruckt. So gibt es heute mehr und bessere Brettspiele als in der Vor-Computer-Ära, und das Publikum ist weiter stetig gewachsen.

Inzwischen ist die deutsche Brettspielbegeisterung auch auf andere Länder übergeschwappt. Die "German-style Games", wie sie im Englischen genannt werden, haben in einer Reihe von Ländern - von Skandinavien bis Südkorea - eine Spieleszene mit begeisterten Fans entstehen lassen. Anfangs waren es nur eingeschworene kleine Gruppen, die in diesen Ländern zu oftmals recht anspruchsvollen deutschen Spielen griffen. Mittlerweile ist das Auslandsgeschäft gerade für kleinere deutsche Verlage eine beträchtliche Einnahmequelle geworden. Durch die größere Verbreitung werden zudem immer mehr deutsche Kinder- und Familienspiele nachgefragt, so dass auch die großen Verlage mit ihren professionelleren Vermarktungsstrukturen ihre Chance sehen.

Eine "Exportquote" kann dabei nur schwer ermittelt werden, denn die meisten deutschen Verlage exportieren gar nicht ins Ausland, sondern verkaufen dorthin ihre Lizenzen. Aber selbst dadurch bleibt die Wertschöpfung zum größten Teil in Deutschland. Denn um die Qualität eines "German-style Games" zu gewährleisten, greifen auch ausländische Verlage häufig auf zwei süddeutsche mittelständische Unternehmen zurück, die Marktführer sind auf dem Gebiet der Spieleproduktion. Kaum ein Spieleverlag besitzt eine eigene Fertigung.

Jeder will den roten Pöppel

Den Preis "Spiel des Jahres" müssen die Verlage zu 100 Prozent selbst finanzieren. Das nehmen sie fast ohne zu murren hin. Denn wenn ein Spiel diesen Kritikerpreis gewinnt, bedeutet das kurzfristig mindestens eine Verzehnfachung seiner Auflage. Auch wenn die Verleger von Computerspielen, die ganz andere Dimensionen kennen, darüber lachen mögen: Ein mit dem "roten Pöppel" prämiertes "Spiel des Jahres" lässt sich in wenigen Monaten 300.000- bis 500.000-mal verkaufen. Auch der im Jahr 2001 ins Leben gerufene "blaue Pöppel" für Kinderspiele garantiert inzwischen Umsatzzahlen, die an den Erfolg des etablierten Hauptpreises heranreichen.

Für jedes verkaufte "Spiel des Jahres" zahlt der Verlag eine Lizenzgebühr, mit der die Kosten der ehrenamtlichen Juryarbeit und deren Öffentlichkeitsarbeit finanziert werden. Das ist ein wesentlicher Unterschied zum gut dotierten Deutschen Computerspielpreis, der in neun Kategorien verliehen wird, für die Preisgelder in Höhe von insgesamt 600.000 Euro ausgeschüttet werden. Die Hälfte davon muss die Computerspielindustrie beisteuern, 300.000 Euro kommen aus dem Etat des Kulturstaatsministers - obwohl die Industrie ihn vermutlich problemlos selbst finanzieren könnte.

Dabei greift es zu kurz, auf die Lobbyarbeit der beiden Branchen zu verweisen. Zwar verzichtete die eher behäbige Brettspielbranche bislang völlig auf Lobbyarbeit, während die Computerspielindustrie überaus mächtig ist. Doch es sind in erster Linie die Überzeugungen einzelner Politikerinnen und Politiker, die die öffentliche Anerkennung der Computerspiele nachdrücklich befördern.

Susanne Gaschke bezeichnet diejenigen, die mittels Computer "politisch, gesellschaftlich, in Bildungsfragen an der Fortschrittsfront stehen wollen" als "Digitalisten". In der Zeit schrieb sie: "Digitalisten, besonders wenn sie Computerspiele verteidigen, stellen sich gern als die Verfolgten eines Kultur-Establishments dar, das ihnen immer dann mit Dünkel gegenübertrete, wenn der bildungsbürgerliche Kanon durch eine neue Kulturtechnik bedroht scheine." Diese "Masche" scheint zu funktionieren. Im Sommer 2008 wurde der Bundesverband der Entwickler von Computerspielen (GAME) in den Deutschen Kulturrat aufgenommen. Die Autorenzunft der Brett- und Kartenspiele nahm das zum Anlass, ebenfalls um Aufnahme in den Kulturrat zu bitten.

Horst Seehofer bekam kalte Füße

Mit den 300.000 Euro in der Tasche durfte Staatsminister Bernd Naumann nach München reisen, wo der erste Computerspielpreis verliehen wurde. "Wir hoffen, die Preisverleihung in München trägt dazu bei, dass auch bei der CSU die Medienkompetenz in diesem Bereich wächst", spottete die SPD-Kulturpolitikerin Monika Griefahn. Doch CSU-Chef Horst Seehofer bekam kalte Füße und verzichtete überraschend auf seinen Auftritt. Stattdessen schwadronierte sein Innenminister Joachim Herrmann über den Zusammenhang zwischen der Tragödie von Winnenden, Computerspielen und - absurderweise - Kinderpornografie.

Mit dem Preis solle "das Bessere" gefördert werden, wusste Naumann eine Antwort auf die "nicht zu leugnenden" Gefahren durch manche Computerspiele. So wird wohl manch einer gedacht haben, als er die 300.000 Euro aus dem Bundeshaushalt locker machte. In gewisser Weise stimmt das sogar: Eine Verbotsstrategie allein führt in der Auseinandersetzung mit gewalttätigen Computerspielen sicher nicht zum Erfolg, sondern es geht um positives Herangehen, um Aufklärung und um Alternativen, damit Computerspiele weder faul, noch dumm, noch gewalttätig machen.

Dass jedoch ein "besseres" Computerspiel die Alternative sein soll, ist kurzsichtig. Auf die Idee, den PC auch einmal auszuschalten, scheint man heutzutage gar nicht mehr zu kommen. Dabei ist es doch gar nicht so schwer: Die Alternative zum digitalen Computerspiel kann auch ein analoges Brett- und Kartenspiel sein. Vielleicht wäre es gut, auch diese Sparte der Kultur angemessen zu würdigen.

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