Letztlich springt der Staat ein

Susanne Schmidt und Joseph Stiglitz analysieren die globale Finanzkrise

Wer unter den sehr zahlreichen Veröffentlichungen zur Finanzkrise eine leicht verständliche und kurzweilige Lektüre sucht, der hat bei zwei kürzlich erschienenen Büchern die Qual der Wahl. Wer es kurz, bündig und ohne akademischen Unterbau mag, der greife zu Susanne Schmidts Markt ohne Moral. Wer eine kluge und vertiefende Erörterung möchte, die rhetorisch versiert und gleichfalls eingängig ist, dabei die Finanzkrise zum Krimi werden lässt, dem sei Joseph Stiglitz’ Im freien Fall ans Herz gelegt.

Die promovierte Ökonomin und Tochter von Helmut Schmidt, die viele Jahre am Finanzplatz London als Investmentbankerin und später als Kommentatorin eines Börsensenders gearbeitet hat, führt den Leser behutsam durch die Mechanismen der internationalen Bankengeschäfte und die Geschehnisse der vergangenen drei Jahre. Dabei beschäftigt sich Schmidt zunächst mit dem Finanzplatz London und beschreibt, wie das Arbeitsumfeld in der „City“ eigentlich aussieht, um sich anschließend den dort agierenden Akteuren zuzuwenden. Das sind neben den Bankern natürlich die Institutionen – etwa die Notenbanken, die Ratingagenturen, die Politiker, aber auch Privatanleger. Nachdem Personen und Orte dem Leser vorgestellt sind, kommt Susanne Schmidt zum eigentlichen Dilemma, in dem sich der Finanzmarkt befinde: das Renditestreben um jeden Preis, die Systemrelevanz mancher Institute kombiniert mit der fehlenden Angst vor dem wirtschaftlichen Aus („moral hazard“).

Schmidts Buch will zum Glück keine Abrechnung sein, keine Fundamentalkritik und keine Quelle von Redebausteinen für jene, die an den Finanzmärkten sowieso alles schlecht finden. Es soll – wie Susanne Schmidt selbst schreibt – Entwicklungen, Eindrücke und Fakten darlegen und aus ihrer Sicht bewerten. Es ist somit (auch) ein sehr persönliches Werk. Auf den ersten etwa hundert Seiten schildert die Autorin die Umstände, die zur Krise geführt haben, verzichtet dabei auf unnötiges „Finanz-Fachchinesisch“ und gibt dem wenig bewanderten Leser zudem ein Glossar zur Hand, mit dem im Text verwendete und erklärte Begriffe einfach nachgeschlagen werden können. In den letzten drei Kapiteln folgen dann Schlussfolgerungen und Ideen für eine Verbesserung des Systems. In diesem letzten Viertel des Buches fragt die Autorin unter anderem, ob die Krise vielleicht viel zu schnell vorbei war – sie also ihre reinigende Kraft gar nicht voll entfalten konnte –, und was sich in der Zukunft ändern muss, um dann abschließend nochmals auf die grundlegenden Probleme und Gefahren des Finanzsektors hinzuweisen.

Es fehlt die Angst vor dem finalen Aus

Wer sich ohnehin mit dem Finanzmarkt beschäftigt, wird bei Susanne Schmidts Schilderungen wenig Neues finden, und wer revolutionäre Ideen erwartet, wird zwangsläufig auch ein bisschen enttäuscht. Dennoch ist das Buch eine Empfehlung wert – für Finanzmarktaffine und für Fachfremde. Denn es ist die Kürze, die Prägnanz und das Ausschmücken mit Beispielen und Kuriositäten aus einer ganz eigenen Welt, die das Buch auszeichnen, und die auch ein wenig von der Person Susanne Schmidt preisgeben.

Nicht etwa die Passagen über die landläufig breit diskutierten toxischen Wertpapiere, die Subprime-Krise und die systemrelevanten Banken, die „too big to fail“ sind, machen die Stärke des Buches aus. Sie finden ausreichend und in guter Gewichtung Berücksichtigung bei Schmidt. Vielmehr ist es die wiederholte, manchmal auch etwas mantra-hafte Beschwörung des moral hazard im Finanzsektor, also das Phänomen der fehlenden Angst vor dem endgültigen Aus, die die einzelnen Kapitel verklammert und sie schließlich zu einem stimmigen Ganzen zusammenfügt. Nach der Lektüre des Buches erscheint es dem Leser offensichtlich, dass es zur Krise kommen musste. Die Sorglosigkeit der Akteure auf dem Finanzmarkt, bei denen die Gewissheit herrscht, dass letztlich der Staat in die Bresche springt, wenn es eng wird, macht Susanne Schmidt nachvollziehbar als fundamentale Ursache der Krise aus.

Einen solchen Aha-Effekt kann auch Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz erzeugen. In größerem Umfang und mit deutlich größerem USA-Bezug vollbringt Stiglitz in zehn Kapiteln einen Husarenritt durch die Finanzkrise. Gleichwohl ist der Freie Fall doppelt so umfangreich wie Schmidts Werk. Gemein ist beiden Autoren eine grundlegend kritisierende Haltung gegenüber bisherigen Entwicklungen und staatlichen Reaktionen, der laute Ruf nach effizienterer und marktangepasster staatlicher Aktivität und (natürlich!) das Anprangern eines amoralischen (und nicht unmoralischen) Systems.

Keine Moral und auch keine Stringenz

Stiglitz will es nicht versäumen, die Genese der Finanzmarktkrise nachzuvollziehen. Dazu legt er zunächst ein akademisches Fundament und schreibt über volkswirtschaftliche Ideen vom funktionierenden Markt, auf die er später zurückgreift. Die folgenden Kapitel haben – wie bei Schmidt auch – entweder eine die fehlende Moral der Banker anprangernde oder die fehlende Stringenz der Regierungen kritisierende Grundhaltung. Stiglitz nimmt sich (wie Schmidt) etwa zwei Drittel des Buches, um Ausgangslage der Krise, konkrete Auswirkungen und Phänomene zu beschreiben. Er geht auf Subprime ein, auf die Sinnhaftigkeit (oder Sinnlosigkeit) des Krisenmanagements von Barack Obama und anderen Regierungen (und unnötigerweise findet sich auch noch eine Menge Bush-Bashing). Teilweise gelingt ihm die Schilderung mit mehr Verve als Schmidt. Wenn es bei ihm etwa pointiert heißt, der Fall Lehman Brothers sei für den Marktfundamentalismus das gewesen, was für den Kommunismus der Fall der Berliner Mauer war, kann man sich eines Schmunzelns nicht erwehren. Übrigens kommt bei Stiglitz der „alte Kontinent“ in puncto Krisenmanagement deutlich besser weg als die Vereinigten Staaten. Er konstatiert gar, dass mit der Finanzkrise (also der „Nahtod-Erfahrung der USA“) die Ära des amerikanischen Triumphalismus ende. Stiglitz präsentiert also die Probleme und Risiken im Finanzmarkt und fragt immer wieder zwischendurch: „Was ist zu tun?“

Wenn der Leser bei Stiglitz durch markige Formulierungen und die dramatische Erzählweise bei Laune gehalten wird, schafft Schmidt dies subtiler anhand allerlei Kuriosem und kleinen Beispielen aus der persönlichen Erfahrung. Sie widmet sich kurz und knapp den „stuffees“ (die als Stopfgänse bekannten deutschen Landesbanken am Finanzplatz London, denen mangels ausreichender Marktkenntnis jeder Ramsch in den Hals gesteckt werden konnte) oder beschreibt, was Volkswirte mit „Goldlöckchen“ meinen (eine gebräuchliche Umschreibung beständiger Wachstumsphasen). In dem Kapitel über die „Sorglosigkeit und Bequemlichkeit“ schafft es Schmidt, dem Leser leicht verständlich die Parallele zwischen der Geschichte vom sorglosen Goldlöckchen bei der Bärenfamilie und Investmentbankern zu vermitteln.

Bei Stiglitz hingegen scheint nicht nur zwischen den Zeilen ein orakelhaftes „Ich-hab-es-schon-immer-gewusst“ durch. Zuweilen larmoyant, manchmal sogar fast überheblich wirkt Stiglitz in seinen Quintessenzen. Es ist nicht der Neid des Lesers auf Stiglitz’ seherische Fähigkeiten, der ja tatsächlich vor dem Fall von Lehman ein Szenario von weltweiter Bedeutung heraufziehen sah, sondern es ist diese professorale Herablassung, die das Buch an mancher Stelle langweilig macht („Das einzig Überraschende an der Krise war, dass sie für viele überraschend kam.“).

Dennoch ist auch Im freien Fall ein kluges und empfehlenswertes Buch. Ebenso wie Schmidt schildert Stiglitz die Entwicklungen präzise, kompakt und auch für branchenfremde eingängig. Umständlich sind die Anmerkungen und Fußnoten am Ende, die jeder Systematik entbehren und das Nachschlagen unnötig anstrengend werden lassen. Da ist Schmidts Glossar viel besser gelungen. Trotz des Stiglitz etwas zu fade geratenen Kapitels über den Amoralismus des Finanzmarkts – auch hier ist Schmidt deutlicher und viel überzeugender – sind gerade die amerikanischen Besonderheiten ein Pluspunkt für Stiglitz. Am Ende ist es doch viel weniger ein akademisches Werk, als es zunächst den Anschein machte, sondern ein leidenschaftliches und manchmal auch selbstironisches Plädoyer für eine sicherere und bessere Finanz- und Wirtschaftspolitik. Da kann man getrost über jeden Anflug von Rechthaberei hinwegsehen.

Susanne Schmidt, Markt ohne Moral: Das Versagen der internationalen Finanzelite, München: Das Versagen der internationalen Finanzelite, München: Droemer Knaur 2010, 208 Seiten, 19,95 Euro

Joseph Stiglitz, Im freien Fall: Vom Versagen der Märkte zur Neuordnung der Weltwirtschaft, München: Siedler Verlag 2010, 448 Seiten, 24,95 Euro


zurück zur Ausgabe