Leben ohne Leiden

Acht Thesen für einen neuen Umgang mit dem Feminismus

Ja, es gibt sie, die neue deutsche Frauenbewegung. Dass sie noch weitgehend sprachlos ist, liegt an der Betroffenheitskultur der letzten Jahrzehnte. Emanzipation und Gleichberechtigung - während die Latzhosen durch graue Anzüge ersetzt wurden, haftet an den Vokabeln noch immer das Henna der Siebziger. Weil modernere Begriffe wie Empowerment und Gendermainstreaming zwar Klang, aber wenig Klarheit haben, müssen die alten Begriffe mit neuem Inhalt versehen werden, um die Debatte um gleiche Chancen von der Stelle zu bewegen. So viel steht fest: Der neue Feminismus unterscheidet sich klar vom alten. Er mutet den Frauen zu, selbst für sich zu sorgen. Leben ohne leiden - ein Rezept in acht Thesen:

Deutschland braucht eine neue Frauenbewegung.


Der ersten Frauenbewegung vor rund hundert Jahren ist es zu verdanken, dass Frauen überhaupt staatsbürgerliche Rechte erhielten. Damit war zumindest formal der Weg eröffnet, dem Käfig aus Kinder-Küche-Kirche zu entkommen. Die Nationalsozialisten machten dieser neuen Freiheit indes ein jähes Ende, und wären da nicht der Männermangel und die Trümmerfrauen gewesen, Nachkriegsdeutschland hätte mit einem noch viel altbackeneren Rollenverständnis begonnen.


Als Folgebewegung der APO war die zweite Frauenbewegung vor allem eine Welle der drei Bs: Bewusstsein, Betroffenheit und Selbst-Bezug. Das hat die innere Befindlichkeit gehoben und mit der Einführung von Erziehungsurlaub, Gleichstellungsgesetzen und Frauenquoten auch die realen Chancen für mehr Gleichberechtigung in Familie und Beruf verbessert. Dass die Schlachten um formale Rechte heute aber geschlagen sind, wollen viele nicht wahrhaben. Und so geraten Veranstaltungen zum 8. März meist zu Lamentierstunden durchgegrauter Alt-Feministinnen, in denen vor allem auf jene jungen Frauen geschimpft wird, die die erkämpften Chancen ohne das rechte Maß an devoter Dankbarkeit in Anspruch nehmen. Einfach leben, ohne zu leiden - dieses Lebensgefühl vieler junger Frauen empfinden die Vorruheständlerinnen als das Abfackeln ihrer Lorbeerkränze. Die dritte Frauenbewegung nimmt Formen an.

Deutschlands junge Frauen sind Feministinnen. Sie wollen nur nicht so heißen.


Sie leben mit dem Bewusstsein, dass Chancengleichheit etwas Selbstverständliches ist. Sie sind selbstbestimmt, privat wie beruflich, wollen Kinder und Karriere. Gleiche Rechte sind für sie kein politisches Ziel, das es noch zu erkämpfen gilt. Und so tragen sie sogar bodenlange Röcke, weil Hosen längst kein Zeichen von Emanzipation mehr sind. Frau sein heißt für sie, sich nicht als Objekt, sondern Subjekt zu fühlen und auch so zu benehmen.


Diese neue Generation von Frauen ist nicht per se undankbar. Sie würdigt durchaus die Kämpfe, die Generationen vor ihnen gefochten haben. Sie empfindet sich aber als neue Generation, die sich darauf konzentrieren kann, die neuen Chancen voll auszuleben.

Trotz gleicher Rechte sind die Chancen noch immer ungleich verteilt.


Auch wenn aber die formale Gleichberechtigung weitgehend erstritten ist, die Ungleichheit bei der Verteilung der realen Chancen ist dennoch geblieben. Nicht nur die Statistik, sondern nahezu jedes Gruppenfoto auf den wichtigen Seiten der Zeitungen und Magazine belegt, dass Frauen unterrepräsentiert sind. In allen politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsgremien. Formal ist alles gleichermaßen durchlässig für beide Geschlechter. Doch Frauen, die sich ernsthaft auf den Weg machen, merken schnell, dass die Zwischentüren aus Panzerglas sind. Wer dennoch den Sprung nach ganz oben schafft, wird als unfraulich abgestempelt, von Männern und Frauen gleichermaßen. So ist der Frauenanteil von über 30 Prozent im Deutschen Bundestag zwar ein echter Hingucker in der sonst öden Wirklichkeit. Trotzdem wird stets gefragt, was diese Frauen jenseits ihres Quotenvorteils eigentlich für den Polit-Job qualifiziert. Niemand käme auf die Idee, bei den männlichen Kollegen nachzufragen. Nicht in der Politik, und auch nicht auf dem restlichen Arbeitsmarkt.


Für eine nicht geringe Anzahl von Frauen hat sich die Situation sogar dramatisch verschlechtert. Die Beschäftigungssituation in Ostdeutschland offenbart auf einen Blick, dass die Folgen der wirtschaftlichen Krise noch immer vor allem Frauen aufgeladen werden. Und die Idee, Frauen über die Bezahlung von Hausarbeit wieder an den Herd zu ketten, wird längst nicht von allen durchschaut.

Junge Frauen haben den Kampf um gleiche Chancen individualisiert.



Anlass zum Streit gibt es genug. Zum Beispiel darüber, dass Chancengleichheit bestenfalls bis zum Ende von Lehre, Ausbildung oder Studium gilt. Schon während dieser Zeit ist das Gefälle zwischen Männern und Frauen in Führungspositionen nicht zu übersehen. Den eigentlichen Schock bekommen Frauen allerdings erst nach dem Eintritt ins Berufsleben. Jetzt erleben Frauen, dass sie bei Beförderungen entweder systematisch übergangen werden oder unter dem Druck der politischen Korrektheit mit deutlichem Hinweis auf ihr Geschlecht befördert werden. Die positive Diskriminierung dieser falsch verstandenen Frauenförderung hat einen weitaus fataleren Effekt als die übliche Ausgrenzung. Sie gibt all jenen männlichen frustrierten Mittfünfzigern endlich einen Grund für das Ende ihrer Karriere. Nicht sie haben versagt, sondern sie wurden übergangen, weil nun junge Frauen dran sind. Ob diese Frauen besser oder schlechter als sie selbst sind, mehr Innovation, Engagement und Kreativität zeigen, spielt auf den Fluren der Unternehmen und staatlichen Institutionen keine Rolle. Wenn Frauen derzeit Führungspositionen erhalten, kann es dafür keinen anderen Grund als ihr Geschlecht geben. Solchermaßen abgestempelt und auf den Aspekt Frau reduziert zu werden, trifft die jungen Frauen meist unvorbereitet. Kämpfen oder aufgeben ist die Alternative, vor der die meisten Frauen von Beginn an stehen, und zwar allein. Nicht einmal die Frauenbeauftragte erweist sich als hilfreich, denn auch sie reduziert die Frau auf eben ihr Geschlecht.


Der wichtigste Schritt ist deshalb, die fehlende Chancengleichheit wieder als Politikum zu verstehen und sich zu einer modernen Form von Feminismus zu bekennen. Dessen oberstes Gebot lautet: Gleiches Spiel, gleiche Regeln. Wenn Frauen es in Führungspositionen geschafft haben, müssen sie diese Rollen auch selbstbewusst ausfüllen und zeigen, dass sie prinzipiell jedem Job gewachsen sind. Jedoch auch die besten Frauen sind nicht darauf vorbereitet, sich an den üblichen Hahnenkämpfen zu beteiligen. Sich aufzublasen erscheint ihnen - völlig nachvollziehbar - albern. Ziel- und sachbezogen sind sie und versuchen wie in der Schule, mit Fleiß, Ausdauer und Understatement das Klassenziel zu erreichen.


Doch wer mit den Jungs Fußball spielen will, der muss auch die Regeln akzeptieren. Trotz aller Bemühungen der 70er-Jahre-Feministinnen, lauten diese immer noch: Klotzen und Protzen. "Tu Gutes und rede (ständig) darüber" ist die Männerdevise, die sich Frauen zu eigen machen müssen. Schlechteres haben sie auch nicht von sich zu geben. Niemand verlangt, dass Frauen dieses Spiel aus Überzeugung mitmachen, im Gegenteil. Es reicht, es so lange als Strategie zu verwenden wie noch so wenige Frauen in Führungspositionen sind, dass jede einzelne in erster Linie als Frau und nicht als Kollegin gesehen wird. Die Kickerregeln können erst dann zur Seite gelegt werden, wenn so viele Frauen die Männerrunden veredelt haben, dass sich Ton und Art des Umgangs - ein Ergebnis empirischer Studien - spürbar verändert haben. Bis dahin sollte sich keine Frau zu schade sein, alles zu unternehmen, um dieses Ziel zu erreichen. Dazu gehört auch, andere Frauen gezielt zu fördern. Nicht willenlos, weil sie Frauen sind, sondern jene, die es verdienen. Und davon gibt es immer mehr.

Frauenpolitik muss von einer Politik für Frauen zu einer Politik von Frauen werden.


Teilzeitbeschäftigung, Ganztagskindergarten und Telearbeit - die meisten Ansätze zur Verbesserung der Berufschancen von Frauen gehen von der empirischen Tatsache aus, dass Männer nicht die Kinderbetreuung übernehmen. Für einen großen Teil der Frauen steht die Familie hingegen klar vor der eigenen Karriere im Beruf. Eine neue Frauenbewegung muss dies akzeptieren und damit aufhören, gerade jungen Frauen vorschreiben zu wollen, welcher Weg mehr wert ist. Diejenigen Frauen, die sich Karriere mit Kindern zutrauen, und jene, die nur Kinder haben wollen, müssen als gleichwertig behandelt werden. Dies hat indes zur Voraussetzung, dass sie zwischen Alternativen entscheiden und diese Entscheidungen auch autonom treffen können.


Alle familienpolitischen Maßnahmen müssen immer auch für Männer gedacht werden. Die Öffnungszeiten von Kindergärten sind ebenso wenig ein reines Frauenproblem wie die finanziellen Auswirkungen des Erziehungsurlaubes. Wenn Frauen allerdings darauf warten, dass sich erst die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ändern, bevor sie selbst zur Veränderung bereit sind, wird die gegenwärtige Stagnation dauerhaft bestehen bleiben. Weil Männer nicht an den eigenen Stühlen sägen werden.

Es bleibt dabei: Es geht um Macht.


Frauenkonferenzen, Frauentage und Frauenbeauftragte - all diese Instrumente für mehr Gleichberechtigung bewirken im Grunde das Gegenteil ihrer Intention: Frauen lassen sich marginalisieren, versammeln sich als Minderheit, obwohl sie keine sind und setzen auf ihr Frausein, um eben dies zu überwinden. Diese Form der politischen Einflussnahme ist zwar sympathisch, aber nutzlos. Frauen setzen auf Einsicht, Vernunft und Kooperation, während Männer den entscheidenden Schlüssel in den Händen halten: Macht - und damit politischen Gestaltungsspielraum. Wenn Frauen Macht weiterhin als männliche Domäne betrachten, an der sie sich die Hände nicht schmutzig machen wollen, dürfen sie sich über ihren Ausschluss aus der Welt der Entscheidungen nicht beklagen. Wenn sie hingegen mehr wollen als eine wohlmeinende, politischkorrekte Berücksichtigung ihrer Interessen, müssen sie aktiv nach der Macht greifen, wo immer sich eine Gelegenheit bietet. Nur wenn sich Frauen mehr Positionen mit mehr zu Sagen nehmen, werden sie ihre beschränkten Felder verlassen können. Wer glaubt, dies allein auf dem bisherigen Pfad der individuellen Karriereversuche erreichen zu können, unterschätzt das Beharrungsvermögen der bestehenden Strukturen.

Der Feminismus ist tot. Es lebe der Feminismus.


Die Zeit ist reif für eine neue Frauenbewegung, für ein frisches Bekenntnis zu einem neuen Feminismus, der Frauen nicht länger als Opfer, sondern als Täterinnen versteht. Der neue Feminismus siedelt die Verantwortung für Frauen gleichermaßen bei ihnen selbst und in den Strukturen an. Deshalb setzt er für die Schaffung wirklich gleichberechtigter Wahlmöglichkeiten auf Instrumente wie die Quote, die für eine Übergangszeit unverzichtbar bleiben, um Frauen den Zugang zu Entscheidungspositionen zu erleichtern. Zugleich akzeptiert der neue Feminismus die Lebensentscheidungen von Frauen, wie immer sie auch ausfallen.


Der neue Feminismus ist zugleich pragmatisch und politisch, denn er enthält zwei Zumutungen für Frauen. Die erste lautet: Machtchancen müssen ergriffen und Machtpositionen in (nahezu) der gleichen Weise ausgefüllt und genutzt werden, wie Männer dies auch tun. Macht erwerben und erhalten, Netzwerke bilden und jene Frauen fördern, die es durch Leistung verdienen. Wenn Frauen mehr als 40 Prozent der Stühle besetzen, können sie auch die Umgangsformen ändern. Anders funktioniert es nicht.


Die zweite Zumutung heißt: Erfolg allein ist nicht alles. Die jungen Frauen müssen ihr Machiavelli-Buch vergessen und wieder politischer werden. Sie müssen sich mit dem Übergangsinstrument der Quote versöhnen. Frauen müssen aufhören andere Frauen mit dem Hinweis auf die eigene Nichtquotierung zu diskriminieren. Damit betreiben sie das Geschäft der Männer und schaden sich selbst.


Und schließlich müssen Frauen akzeptieren, dass die Dinge durch ihr verstärktes Mittun vielleicht anders, aber nicht unbedingt besser werden. Frauen sind nicht die besseren Menschen. Diese Glaubensikone der 70er-Jahre-Feministinnen kann getreulich begraben werden. Aber die schlechteren sind sie auch nicht.

An die Arbeitsmarktdaten und alltäglichen Herrenrunden mit Alibidame hat sich jede Frau so gewöhnt, dass viele die Gründe für ihr persönliches Scheitern allein im Privaten suchen. Es kommt hinzu, dass heute gerade jungen Leuten politisches Engagement ein Gräuel ist, weil es ihrer Elterngeneration ein must war. Diese Ablehnung bezieht sich auf fast alle Formen langfristig organisierter Interessenvertretung und richtet sich gegen die komplexen Entscheidungsprozesse in Parteien, Parlamenten und anderen demokratischen Institutionen. Auch die alte Sprache, die trotz intensivem 68er-bashing immer noch dominiert, zieht nicht mehr. Junge Frauen reagieren mit besonderer Ablehnung auf Begriffe wie Feminismus, Emanzipation und Gleichstellungsbeauftragte, die ihnen als Relikte einer absterbenden Art erscheinen. Einen Streit um die hinter diesen Begriffen stehenden Werte würden sie aber auch aus einem anderen Grund nicht führen wollen: Privates und Politisches werden strikt getrennt, und die Angst, auch nur in die Nähe des alten Betroffenheitsfeminismus′ zu geraten, ist für sie ein Albtraum in Lila. Sie verstehen sich lieber als Einzelkämpferinnen, die sich mit dem Machiavelli für Frauen unterm Arm Zutritt in die Säle der Macht verschaffen wollen.

Keine Angst vor einer neuen Frauenbewegung: Aus den Girlies müssen Angry Young Women werden, die ohne die alte Betroffenheit zu streiten wagen.

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