Kultur oder Markt? Kultur und Markt!

Wer von Kreativwirtschaft spricht, gerät schnell in den Verdacht, die Kultur ausschließlich den Mechanismen des Marktes aussetzen zu wollen. Zu Unrecht. Es kommt auch darauf an, dass Künstler von den Erträgen ihrer Arbeit leben können müssen

Die aktuelle Debatte über die Potenziale der Kultur- und Kreativwirtschaft wird je nach Blickwinkel mit mehr oder minder großer Skepsis begleitet. Werden Kunst und Kultur vorrangig den Mechanismen des Marktes ausgesetzt? Was bedeutet dies wiederum für den nicht steuerbaren schöpferischen Prozess, der dem künstlerischen Wirken zwangsläufig innewohnt? Was bedeutet es für die Qualität des Werkes? Verabschiedet sich der Staat aus seiner Verantwortung, die Kultur zu fördern? Entstehen letztlich nur neue Förderbürokratien, die sich selbst genügen, ohne den jungen Kreativen, die Marktpotenziale besitzen, eine dauerhafte Perspektive zu eröffnen?

 

Zunächst: Die staatliche Kulturförderung steht nicht zur Disposition, auch wenn heftig um ihre Neuakzentuierung (etwa in Form einer stärkeren kulturellen Bildung) zu ringen sein wird. Gleichzeitig hört Kulturpolitik nicht an den Grenzen der öffentlichen Kulturförderung auf. Für kulturelle Güter, die auf dem freien Markt gehandelt werden, trägt sie ebenso Verantwortung (zum Beispiel mittels der Buchpreisbindung) wie für die wirtschaftliche und soziale Situation von Künstlerinnen und Künstlern. Dennoch ist zu fragen, ob wir die ökonomischen Potenziale von Kunst und Kultur hinreichend erkannt haben und wie diese für die künstlerisch Kreativen zu einer stabilen Erwerbsquelle weiterentwickelt werden können.

Übersteigerte Zukunftsbilder aus der Szene?

 

Mit diesem Thema hat sich der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Richard Florida in seinem Buch The Rise of the Creative Class (2002) intensiv auseinandergesetzt. Nach dem Niedergang mancher Industriebranchen, so Florida, werde die ökonomische Zukunft der Vereinigten Staaten von der „Kreativen Klasse“ geprägt sein. Doch auch in Europa wird der Blick zunehmend auf die Kultur- und Kreativwirtschaft gerichtet. So sagte Dieter Gorny, Gründer des Musiksenders VIVA und der Musikmesse Popkomm, in einer Anhörung der Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages, die Kreativwirtschaft sei einer der europäischen Leitmärkte der Zukunft. Sind das alles nur übersteigerte Zukunftsbilder aus der Kreativszene, oder werden Musik, Werbung, Design et cetera tatsächlich ökonomisch unterschätzt?

 

Im Herbst 2006 stellte die Europäische Kommission eine europaweite Untersuchung zur ökonomischen Relevanz der Kreativwirtschaft vor. Die Autoren der Studie unterscheiden zwischen einem kulturellen und einem kreativen Sektor. Der kulturelle Sektor umfasst die Kerngebiete der Kunst wie darstellende Künste, Bücher oder Film, während im kreativen Sektor die ökonomische Nutzung von künstlerisch-kreativer Arbeit im Vordergrund steht, etwa Werbung, Software, Computerspiele.

 

Die Ergebnisse beeindrucken: Im Jahr 2003 waren in der Kreativwirtschaft europaweit bereits rund sechs Millionen Menschen beschäftigt – Tendenz steigend. Der Umsatz betrug im gleichen Jahr rund 654 Milliarden Euro oder 2,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Auch in Deutschland finden diese Zahlen ihre Entsprechung: Laut dem Arbeitskreis Kulturstatistik betrug die Bruttowertschöpfung der Kulturwirtschaft in Deutschland im Jahr 2004 mit 36 Milliarden Euro etwa 1,6 Prozent des BIP. Addiert man die Werbebranche und die Hersteller von Software und Computerspielen hinzu, kommt man auf 58 Milliarden Euro oder 2,6 Prozent des BIP.

 

Trotz dieser positiven Zahlen unterliegt die Kultur- und Kreativwirtschaft keiner „Wachstumsautomatik“. So ging ihr Umsatz in Deutschland zwischen den Jahren 2000 und 2004 zurück. Zugleich stieg die Anzahl der künstlerisch Kreativen an. Kein Wunder, dass die Einkommen der in diesen Feldern Beschäftigten sinken. Genau deshalb sind Künstler und künstlerisch Kreative besonders gefordert. Sie müssen nicht nur schöpferisch tätig sein, sondern auch Märkte für ihre Produkte finden oder entwickeln, um ein Einkommen zu erzielen.

Selbständige in ungesicherten Verhältnissen

Ein weiteres Charakteristikum des kreativen Sektors ist die große Anzahl von Klein- und Kleinstunternehmen. Nur ein geringer Teil der Firmen sind Mittel- und Großunternehmen mit abhängig beschäftigten Arbeitnehmern. Häufig handelt es sich bei Kultur- und Kreativwirtschaftsunternehmern um Selbständige, die in wirtschaftlich ungesicherten Verhältnissen leben.

Was kann die staatliche Kultur- und Wirtschaftspolitik somit flankierend tun, um den Kreativen, die sich auf den Märkten noch nicht etabliert haben, Perspektiven zu verschaffen? Auf Bundesebene gibt es bisher keine spezielle Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft. Zwar fördert der Beauftragte für Kultur und Medien (BKM) Kunst und Kultur, womit er grundsätzlich zur Entwicklung der kreativen Branchen beiträgt. Eine gesonderte Unterstützung für Kultur- und Kreativwirtschaftsunternehmen existiert jedoch nicht. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie sieht die Zuständigkeit für dieses Thema beim BKM. In den Ländern verhält es sich häufig ähnlich. Die wenigsten von ihnen verfügen über gesonderte kulturwirtschaftliche Förderinstrumente.

 

Vernetzte Politik statt neue Apparate

Wie es gehen kann, zeigt ein Blick auf Großbritannien. Bereits im Jahr 1997 bildete die Labour-Regierung die Creative Industries Task Force, die die ökonomischen Potenziale der creative industries ermittelt und in einem jährlichen Bericht darlegt. Anhand dieses Berichts hat die Regierung gemeinsam mit privaten Akteuren Ziele der Kreativwirtschaft definiert, gewichtet und mit den zuständigen politischen Ressorts abgestimmt. Beispielsweise kümmert sich das britische Kulturministerium um eine generelle Musikförderung, wie etwa die Förderung von Live-Auftritten. Das Wirtschaftsministerium sorgt für die Durchsetzung von Richtlinien des Urheberrechts und stellt Beratungsleistungen für Kreativwirtschaftsunternehmen zur Verfügung. Das Finanzministerium nimmt bei steuerlichen Fragen besondere Rücksicht auf den kreativen Bereich. Das Bildungsministerium schließlich verankert frühkindliche kulturelle Bildung in den Lehrplänen und sorgt dafür, dass die Bedeutung geistigen Eigentums vermittelt wird.

 

In Großbritannien ging es nicht darum, neue Apparate zu etablieren. Im Zentrum stand vielmehr das Bemühen, vorhandene Kompetenzen und Ressourcen auf verschiedenen politischen Gebieten miteinander zu verknüpfen. Diese vernetzte Politik hat zu bemerkenswerten Ergebnissen geführt. Die creative industries wachsen jährlich um etwa fünf Prozent – und damit doppelt so schnell wie die Gesamtwirtschaft. Die frühe kulturelle Bildung sorgt dafür, dass Großbritannien auch in Zukunft auf eine stabile Nachfrage nach kulturellen Gütern bauen kann. Von den Erfolgen in anderen europäischen Staaten inspiriert, hat sich auch der Deutsche Bundestag des Themas angenommen. Und erfreulicherweise gibt es in Deutschland inzwischen einen intensiven Dialog zwischen der Wirtschafts- und der Kulturpolitik.

 

Die politischen Instrumente müssen auf die gesamte kulturelle Wertschöpfungskette abgestimmt sein – von der Künstlerförderung bis zur ökonomischen Verwertung. Dabei ist vor allem die Kulturpolitik gefragt, die auf diesem Gebiet über Erfahrungen verfügt. Unter Federführung der Kulturpolitik sollten erstens die bestehenden wirtschaftspolitischen Förderinstrumente wie Kapitalzugang, Existenzförderung oder Instrumente der Außenwirtschaftsförderung für Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft zugänglich gemacht werden. Denn bisher sind diese aufgrund ihrer geringen Größe und des kulturellen Kerns ihrer Tätigkeit häufig durch das wirtschaftspolitische „Raster“ gefallen. Dabei geht es zumeist um kleine Summen, die für die Kleinst- und Kleinbetriebe notwendig sind.

Auf die kulturelle Bildung kommt es an

 

Zweitens muss die wirtschaftlich und sozial oft prekäre Lage der Kreativen unter sozialpolitischen Gesichtspunkten betrachtet werden. Einerseits brauchen sie eine soziale Absicherung, andererseits muss ihre kreative Arbeit hinreichend nachgefragt werden. Auch an dieser Stelle trägt die Kulturpolitik Verantwortung: Kulturelle Bildung trägt zur Persönlichkeitsentwicklung bei und fördert die Rezeptionsfähigkeit von Kunst und Kultur. Zudem fördert die Sensibilisierung für Kunst und Kultur auch die Bereitschaft, kulturelle Güter zu erwerben. So kann die Kulturpolitik mit der Förderung der kulturellen Bildung einen wesentlichen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaft leisten. Ich bin zuversichtlich, dass sich die Potenziale der Kultur- und Kreativwirtschaft auf diese Weise positiv entwickeln werden.

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