Kontrolle ist besser

Der Staat muss seine Bürger schützen. Doch ohne demokratische Aufsicht ist staatliche Wehrhaftigkeit illegitim. Deshalb muss Deutschland einen Beauftragten des Bundestages für die Nachrichtendienste bekommen

Der internationale Terrorismus ist in Deutschland angekommen. Militante Islamisten haben auch uns im Visier. Lange haben wir uns in relativer Sicherheit gewogen: nach den Anschlägen im Jahr 2001, weil ein Teil der Attentäter zwar in Hamburg studiert hatte, aber die Vereinigten Staaten angegriffen wurden; nach den Anschlägen in Madrid 2004 und in London 2005, weil wir uns – aus guten Gründen – nicht am Krieg im Irak beteiligt hatten. Mit dieser „gefühlten Sicherheit“ dürfte es nun vorbei sein. Spätestens die geplanten Kofferbomben-Anschläge im Juli 2006 und die Festnahmen der „homegrown terrorists“ im Sauerland im September 2007 haben uns allen vor Augen geführt, dass eine konkrete Gefährdung besteht.

Die veränderte Sicherheitslage ist nicht ohne Auswirkungen auf die Architektur der Sicherheitsbehörden geblieben, weltweit und auch in Deutschland. Die Nachrichtendienste, besonders der Bundesnachrichtendienst (BND) und das Bundesamt für Verfassungsschutz, wurden mit zusätzlichen Stellen, Kompetenzen und finanziellen Mitteln ausgestattet. Die gesetzlichen Grundlagen für die Erhebung und Speicherung personenbezogener Daten wurden geändert. Außerdem kooperieren die Nachrichtendienste heute in einer Weise – sowohl untereinander als auch mit anderen Behörden –, die früher nicht vorstellbar gewesen wäre, zum Beispiel im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ). Auch haben sich die deutschen Dienste international stärker vernetzt.

Darüber hinaus hat der BND im Rahmen der zunehmenden Auslandseinsätze der Bundeswehr weitere Aufgaben erhalten und das bisher selbständige Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr übernommen. Eine Organisationsreform wird die traditionelle Trennung zwischen „Beschaffung“ und „Auswertung“ von Informationen weitgehend aufheben. Und auch das Bundesamt für Verfassungsschutz organisiert sich neu. Der deutsche Inlandsnachrichtendienst soll effizienter und schlagkräftiger werden, nachdem er mit dem so genannten Programm zur Stärkung der Inneren Sicherheit bereits deutlich mehr Stellen und Finanzmittel erhalten hat.

Wolfgang Schäuble treibt an

Zur Diskussion steht überdies eine engere Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. So hat der Präsident des Bundesrechnungshofes in seinem aktuellen Gutachten an die Föderalismuskommission empfohlen, die einzelnen Verfassungsschutzbehörden auf der Bundesebene zusammenzuführen und in den Ländern Außenstellen einzurichten. Die Effizienzreserven in einem Umfang von rund 1.000 Personalstellen könnten dann für eine Stärkung der Kernaufgaben genutzt werden, statt für interne Informations- und Abstimmungsprozesse.

Vielen gehen diese Entwicklungen zu schnell und zu weit, anderen wiederum gehen sie nicht weit genug. Besonders Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble versteht sich als Antreiber: Er hat sich unter anderem für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren ausgesprochen und will die Online-Durchsuchung als Fahndungsinstrument durchsetzen. Auf dem Jahres-Symposium des BND hat Schäuble jüngst die klassische Trennung zwischen dem Völkerrecht in Friedens- und in Kriegszeiten in Zweifel gezogen. Beobachter wie Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung kritisieren einige von Schäubles Vorstößen als Versuche, eine Art „Feindstrafrecht“ einzuführen.

Richtig ist: Es gehört zu den konstitutiven Merkmalen und zentralen Aufgaben des Staates, dass er seinen Bürgern innere und äußere Sicherheit gewährleistet. Es stimmt auch, dass der Staat auf gesellschaftliche und technologische Veränderungen und eine neue Gefahrenlage reagieren muss, um dieser Aufgabe gerecht zu werden. Doch die Stärkung der staatlichen Handlungsfähigkeit muss mit einer Stärkung der demokratischen Kontrolle einhergehen. In der Diskussion über das Wechselverhältnis von Sicherheit und Freiheit wird meist übersehen, dass dem demokratischen Prozess bei der Vermittlung zwischen diesen Werten eine zentrale Rolle zukommt. Ein wehrhafter Staat ohne demokratische Kontrolle wäre ein illegitimer Staat. Die Bundesrepublik als „wehrhafte Demokratie“ muss beides sein: wehrhaft und demokratisch.

Leider gibt es an der Funktionalität des bestehenden Modells zur Kontrolle der Sicherheitsbehörden berechtigte Zweifel. In den meisten Fällen ist die demokratische Kontrolle eine Ex-post-Kontrolle, die mehr der nachträglichen Legitimation als der laufenden Überprüfung dient. Mehrere öffentlich bekannte Vorgänge – die Beobachtung von Journalisten durch den BND, die Führung von Quellen in der rechten Szene durch die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, die Bewertung der Gefährdung von Murat Kurnaz oder die Beobachtung von Abgeordneten der PDS – belegen Defizite bei der Kontrolle der Nachrichtendienste.

Wie der BND-Untersuchungsausschuss einmal mehr gezeigt hat, besteht ein ausgeprägtes Misstrauen zwischen Parlament und Regierung, was den Umgang mit vertraulichen Unterlagen und Angelegenheiten angeht. Die Abgeordneten der Regierungskoalition stehen dabei vor einer schwierigen Doppelaufgabe: Einerseits haben sie auch in den Kontrollgremien des Parlaments die Aufgabe, „ihre“ Regierung zu stützen; andererseits nehmen sie gleichzeitig als Vertreter des Parlaments dessen Gesamtverantwortung wahr, eine effektive Kontrolle der Regierung beziehungsweise ihrer Aufsicht über die Nachrichtendienste zu gewährleisten.

Wie alle Exekutivorgane interpretieren die Teile der Bundesregierung, die die Fachaufsicht über die Nachrichtendienste des Bundes führen, die Arbeit des Parlaments nicht selten als Eingriff in den Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung. Anfragen und Informationswünsche werden entsprechend zurückhaltend behandelt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Arbeit der Nachrichtendienste naturgemäß im Verborgenen geschieht und damit die Kontrollfunktion der Medien entfällt. Die Öffentlichkeit muss sich also darauf verlassen können, dass das Parlament seiner Kontrollaufgabe gerecht wird, ohne dies selbst nachprüfen zu können.

Neben diesen grundsätzlichen Problemen stellt sich die Frage, wie effektiv die parlamentarische Kontrolle derzeit organisiert ist. Der Bundestag wählt aus seiner Mitte die Mitglieder der beiden Kontrollgremien, die die Arbeit der Nachrichtendienste begleiten: das Parlamentarische Kontrollgremium und das Vertrauensgremium. In den Sitzungen beider Gremien geht es im Wesentlichen um Berichte der Dienste und der Bundesregierung. Im Grunde bestimmen also die zu Kontrollierenden selbst die Agenda.

Dem Parlament fehlt Erfahrungswissen

Doch nicht nur die parlamentarischen Gremien sind in ihren Kontrollmöglichkeiten eingeschränkt. Auch die zuständigen Ressorts der Bundesregierung können angesichts der Zahlenverhältnisse keine umfassende Fach- und Rechtsaufsicht gewährleisten: Im Kanzleramt führt eine rund dreißigköpfige Abteilung die Aufsicht über den BND mit seinen rund 6.000 Mitarbeitern. Im Innenministerium hat die Abteilung Öffentliche Sicherheit, in der rund 80 Mitarbeiter beschäftigt sind, unter anderem die Aufgabe, das Bundesamt für Verfassungsschutz mit seinen etwa 2.500 Mitarbeitern zu steuern und zu kontrollieren. Wie in anderen Ressorts stellt die Führung derart großer „nachgeordneter Bereiche“ die politische Leitung vor beträchtliche Herausforderungen.

Allerdings hat die Regierung den strategischen Vorteil, dass sie durch die kontinuierliche Arbeit ein Maß an Kompetenz aufgebaut hat, das sich das Parlament alle vier Jahre erst neu erwerben muss. Da die Arbeit der Parlamentsgremien vertraulich ist und die Mitglieder wechseln, besteht kaum die Möglichkeit, im Zeitverlauf Erfahrungswissen aufzubauen. Das Sekretariat des Parlamentarischen Kontrollgremiums hat sechs Mitarbeiter und betreut noch weitere Gremien; das Vertrauensgremium baut ein wirkliches Sekretariat gerade erst auf. Hinzu kommt, dass sämtliche Mitglieder der beiden parlamentarischen Gremien mindestens eine weitere, oftmals als Hauptaufgabe empfundene Verpflichtung in Ausschüssen und Fraktion haben. Dies gilt besonders für die Abgeordneten der kleineren Fraktionen.

Sicherheit und Legitimität

Trotz der Ungleichgewichte zwischen Kontrolleuren und Kontrollierten sind es Regierung und Parlament, die sich gegenüber der Öffentlichkeit für die Arbeit der Nachrichtendienste verantworten müssen. Angesichts der wachsenden Befugnisse der Sicherheitsbehörden wächst auch das Erfordernis für eine effektivere parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste.

Deshalb könnte die Arbeit der Gremien zur Kontrolle der Nachrichtendienste durch einen gewählten Beauftragten des Bundestages ergänzt werden. Dieser wäre dann die zentrale und kontinuierliche Anlaufstelle, etwa auch für Beschäftigte der Nachrichtendienste. Zudem könnte er mit einem eigenen Stab auch die Gremien, die ihm gegenüber weisungsberechtigt wären, in ihrer Arbeit unterstützen. Ein erster Schritt bis zur Schaffung dieses Amtes wäre es, ein gemeinsames Sekretariat von Parlamentarischem Kontrollgremium und Vertrauensgremium einzurichten.

Jede Stärkung der parlamentarischen Kontrolle erhöht zugleich die Legitimität der Arbeit der Nachrichtendienste und ist somit ein Beitrag zur Verbesserung der inneren und äußeren Sicherheit unseres Landes. Um Gefahren abwehren zu können, brauchen wir effiziente und demokratisch kontrollierte Nachrichtendienste.

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