Keine Wunder, keine Monster

Die Grüne Gentechnik hat in Deutschland einen schweren Stand. Aber ohne die gezielte Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen wird die Nahrungsnachfrage in Zukunft nicht mehr zu decken sein

Unsere Welt steht in den kommenden Jahrzehnten vor enormen Herausforderungen. Obwohl die Bevölkerungszahlen in den Industrieländern stagnieren, wird die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050 voraussichtlich auf rund 9 Milliarden Menschen anwachsen. Wie können all diese Menschen adäquat ernährt werden? Bei dieser Frage geht es nicht nur um eine Mindestsicherung gegen Hunger: Mit wachsendem Wohlstand ändern sich häufig auch die Ernährungsvorlieben, weg von vorwiegend pflanzlicher Nahrung hin zu tierischen Produkten. Deshalb müssen wir mit einer wachsenden Zahl von Nutztieren rechnen, die wiederum ernährt werden müssen. Für jedes Kilo-gramm Fleisch werden etwa sieben Kilogramm Getreide an das wachsende Tier verfüttert, was gesteigerte Anforderungen an die landwirtschaftliche Produktion stellt.

Schon heute kommt es immer wieder zu regionalen Hungerkatastrophen. Wichtige Ursachen, die bekämpft werden müssen, sind Verteilungsprobleme und Nachernteverluste, zum Beispiel aufgrund fehlender Kühlung. Aber auch die Pflanzenproduktion bietet Lösungsmöglichkeiten. Hinzu kommt, dass Pflanzen als Basis für industrielle Rohstoffe immer bedeutender werden. Denn fossile Rohstoffe, besonders Erdöl, drohen zur Mangelware und damit immer teurer zu werden. Öl ist nicht nur die Grundlage unserer mobilen Welt, sondern auch ein wichtiger Ausgangsstoff für ein breites Spektrum industrieller Produktionslinien. In verschiedenen Regionen der Welt gibt es inzwischen Bestrebungen, knapper werdende fossile Rohstoffe mit nachwachsenden Rohstoffen zu ersetzen. Vor diesem Hintergrund ist die kontroverse „Tank oder Teller“-Diskussion fast schon unausweichlich: Können wir gleichzeitig möglichst viele Menschen angemessen ernähren und die industrielle Nutzung nachwachsender Rohstoffe steigern?  

Weltweit sind die für den Ackerbau nutzbaren Flächen nahezu vollständig erschlossen. Ein signifikanter Zuwachs ist nicht zu erwarten, eher eine Abnahme aufgrund von Erosion, Übernutzung und Klimawandel. Von restriktiven gesellschaftspolitischen Maßnahmen und wohlmeinenden Appellen an den gesunden Menschenverstand („Esst mehr vegetarisch!“) einmal abgesehen, stehen uns nur eine Steigerung der Effizienz des land- und forstwirtschaftlichen Anbaus sowie eine intensivere Nutzung nachwachsender Rohstoffe aus dem Meer zur Wahl. Als Proteinlieferant offeriert das Meer ein großes, bislang wenig ausgeschöpftes Potenzial, jedoch müssen dafür neue, umweltschonende Wege entwickelt und weiterverfolgt werden. Bislang nutzen wir die Meere oft in unverantwortlicher Weise als Nahrungslieferanten: Zum einen beuten staatlich subventionierte Hochseeflotten unter enormem Energieverbrauch natürliche Wildfischbestände aus. Zum anderen werden in küstennahen Gewässern massenhaft Zuchtfische produziert – mit ökologisch problematischen Nebeneffekten durch den Futtereintrag und die Tierexkremente. In küstennahen Gewässern ist die Strömung in der Regel gering, so dass die Gebiete um die Farmen schnell überdüngt werden. Das wiederum führt zu einer Veränderung der natürlichen Flora und Fauna und kann negative Auswirkungen auf die Widerstandsfähigkeit der Zuchtfische gegenüber Krankheiten haben. Um den wirtschaftlichen Schaden gering zu halten, sind früher oder später weitere Eingriffe nötig, etwa der Einsatz von Antibiotika.

Die Konkurrenz von Tank und Teller

Derzeit erprobt man neue Konzepte der Offshore-Fischzucht, zum Teil mit vielversprechenden Resultaten. So werden Fischfarmen in Gebieten mit stärkerer Meeresströmung errichtet. Die Strömung sorgt für einen kontinuierlichen Wasseraustausch und verhindert die lokale Überdüngung. Ferner birgt der Futtereintrag großes Effizienzpotenzial: Fischfarmen verfüttern hauptsächlich Fischpellets, die aus wild gefangenen Kleinfischen wie Sardinen oder Anchovis hergestellt werden. Fischfarmen ersetzen den Wildfang also gar nicht, sondern veredeln ihn nur. Mittlerweile ist es gelungen, bei der Produktion von Futterpellets Kleinfische durch pflanzliche Produkte und Abfallprodukte aus der Landtiernutzung (zum Beispiel Geflügelöl) zu ersetzen, ohne qualitative oder quantitative Einbußen zu verzeichnen.

Dieses Beispiel zeigt: Die Produktionskreisläufe nachwachsender Rohstoffe müssen global analysiert und verbessert werden. Dies gilt nicht nur für die Nutzung der Meere, sondern auch und vor allem für die Nutzung der begrenzten Landflä-chen. Dort kann Effizienzsteigerung „mehr Ertrag pro Hektar genutzte Fläche“ bedeuten, aber auch eine vielfältigere Verwertung des Ertrags. Solche Koppel- und Kaskadennutzungen sind ein wichtiger Bestandteil der landwirtschaftlichen Tradition; ein bekanntes Beispiel ist die Verwertung des Strohs aus dem Getreideanbau. Auf diese Weise könnte die „Tank oder Teller“-Problematik entschärft werden: Die zurzeit hauptsächlich verwendeten Biokraftstoffe der ersten Generation konkurrieren mit der Nahrungsmittelproduktion. Sie werden aus den gleichen pflanzlichen Bestandteilen gewonnen, die auch für die Ernährung geeignet wären (etwa Stärke, Zucker oder Öle). Einige Biokraftstoffe der zweiten Generation verwerten dagegen auch „Abfall“-Biomasse, so dass Nahrungsmittel und Energie parallel erzeugt werden können. Eine derartige Mehrfachverwertung der nachwachsenden Ausgangsrohstoffe ist nicht nur aus moralischen Gründen erstrebenswert, sondern geht mit vielfältigen ökologischen und ökonomischen Vorteilen einher. Somit fallen Koppelnutzungs- und Kaskadennutzungsstrategien eine zentrale Bedeutung bei der Lösung des Nahrungsmittel- und Ressourcenproblems zu. Hierbei müssen wir uns technologisch anspruchsvollen Herausforderungen stellen, angefangen bei den Ausgangsprodukten, den genutzten Pflanzen.

Die meisten der derzeit angebauten Kulturpflanzensorten sind primär mit Blick auf einzelne Kriterien gezüchtet worden und in der Regel für Mehrfachverwertungen nur bedingt geeignet. Um neue Nutzungsstrategien entwickeln zu können, müssen also in relativ kurzer Zeit neue Pflanzensorten mit passenden Eigenschaften entwickelt werden. Ohne moderne Methoden der grünen Gentechnik wird dies nicht möglich sein. Leider hat in den vergangenen Jahrzehnten negatives Marketing dafür gesorgt, dass das Wort „Gentechnik“ heute negativ besetzt ist. Fast jeder denkt dabei an einen Maiskolben mit Totenkopfmaske. Die Wortwahl der journalistischen Berichterstattung – etwa „mit Gen-Mais verseuchte Felder“ oder „mit Gen-Mais kontaminierter Mais“ – erinnert an Chemie- oder Strahlenunfälle. All dies erweckt den Eindruck, die Gentechnik sei unkontrollierbar und mit einem hohen Restrisiko verbunden.

Gentechnik gibt es seit Tausenden von Jahren

In Wirklichkeit hat der Mensch bereits vor mehreren Tausend Jahren eine Art primitive Gen(selektions)technik betrieben: In den Anfängen des Ackerbaus erkannte man, dass einige Gräser höhere Erträge erzielen als andere. Bei den folgenden Aussaaten verwendeten die Bauern nur noch Samen der Pflanzen mit den besten Eigenschaften. Dieser Ausleseprozess, durch den vorteilhafte Gene selektiert und weniger vorteilhafte aus dem Genpool der Kulturpflanzen eliminiert wurden, konnte die Erträge immer weiter steigern. Darüber hinaus werden die Eigenschaften der Kulturpflanzen seit langem schon von toxischen Chemikalien oder radioaktiver Strahlung in zufälliger Weise verändert. Auch diese undefinierten und fast immer unbekannten Mutationen sind in unseren heutigen Getreide- und Obstsorten zu finden.

Die moderne grüne Gentechnik erlaubt es, Gene unserer Kulturpflanzen gezielt zu wandeln und neu zu kombinieren. Anstatt also bloß darauf zu hoffen, optimierte Sorten zu züchten, lassen sich einzelne Gene – und damit die pflanzlichen Eigenschaften – präzise verändern. Aufgrund dieses enormen Vorteils entwickelt sich das Forschungsgebiet der grünen Gentechnik international äußerst dynamisch. Beispielsweise sorgen Wissenschaftler mithilfe gentechnischer Verfahren dafür, dass bestimmte Kulturpflanzen Umweltstress besser standhalten. Auch kann der Ertragsverlust in Extremsituationen wie Trockenheit, die immer häufiger auftreten, reduziert werden. Die übrigen Eigenschaften der Pflanzen bleiben gleich oder ähnlich.

Was den gesellschaftlichen Dialog erschwer
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Derart modifizierte Pflanzen werden als „gentechnisch verändert“ bezeichnet und unterliegen einer strengen, gesetzlich geregelten Überwachung. Für Pflanzen, die mittels Kreuzungen verändert wurden, bestehen diese strengen Auflagen hingegen nicht. Gentechnisch veränderte Pflanzen zu überwachen, ist durchaus sinnvoll. Nur so können in absehbarer Zeit genügend Daten zusammengetragen werden, die für eine Risikoabschätzung unabdingbar sind. Leider entsteht durch die Überwachungspflicht ein falscher Eindruck: „Was gekennzeichnet und überwacht wird, muss auch gefährlich sein, sonst bräuchte man es ja nicht zu überwachen.“ So wird der gesellschaftliche Dialog über die neuen technischen Möglichkeiten erschwert. Auch deshalb erleben wir einen emotional aufgeladenen, ideologisch belasteten Konflikt, der nicht immer gewaltfrei bleibt. Selbst ernannte „Umweltaktivisten“ schrecken selbst vor Straftaten nicht zurück, etwa wenn sie genehmigte Freilandversuche mit neuen, gentechnisch veränderten Sorten zerstören. Es bedarf gemeinsamer Anstrengungen von Wissenschaft, Politik und Medien, um Fehlinformationen vorzubeugen und die Gentechnik sowohl verständlicher als auch transparenter zu machen.

Momentan gehört Deutschland zu den führenden Ländern in der Gentechnikforschung und trägt an wichtiger Stelle zur Entwicklung neuer gentechnisch veränderter Sorten bei. Auch in der anbaubegleitenden ökologischen Sicherheitsforschung spielt Deutschland eine wichtige Rolle. Das bedeutet: Noch kann Deutschland auf die weitere Entwicklung dieser Technologie entscheidenden Einfluss nehmen. Eine übertrieben vorsichtige Haltung oder gar vollständige Verweigerung würde das Gegenteil bewirken, denn gentechnisch veränderte Pflanzen werden weltweit immer wichtiger. Gerade auch Kleinbauern in Schwellenländern können trotz des höheren Preises für das Saatgut vom Anbau gentechnisch veränderter Sorten profitieren.
Unter Berücksichtigung des globalen Erfolgszuges der grünen Gentechnik brauchen wir in Deutschland also eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung, die das wissenschaftliche und personelle Know-how auf diesem Gebiet langfristig sichert. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass gut ausgebildetes Personal für die Risikobewertung gentechnisch veränderter Pflanzen zur Verfügung steht, die aus anderen Regionen der Welt in die EU eingeführt werden. Parallel dazu müssen wir uns um die Fortentwicklung dieser Technologie bemühen. Beispielsweise haben gentechnische Verfahren wesentlich dazu beigetragen, das Wissen über einzelne Gene und ihre Bedeutung für die Eigenschaften der Pflanzen zu erweitern. Mit Hilfe dieses Wissens konnten neue Verfahren der Präzisionszüchtung etabliert werden. Diese so genannte „Smart-Breeding-Technologie“ basiert auf herkömmlicher Kreuzung, nach Gesetzesdefinition werden also keine gentechnisch veränderten Pflanzen erzeugt. Die Selektion wird jedoch nicht mehr anhand der sichtbaren Eigenschaften der Pflanzen durchgeführt. Vielmehr wird das Erbmaterial daraufhin analysiert, ob die neuen Pflanzen die vorher identifizierten vorteilhaften Gene besitzen. Diese Untersuchungen werden mit weiteren molekularen Analysen der Inhaltsstoffe der Pflanzen kombiniert.

Wir müssen die Ressourcen effizienter nutzen

Bis zum Jahr 2050 wird die wachsende Erdbevölkerung gezwungen sein, die knapper werdenden Ressourcen immer effizienter zu nutzen. Dies wird nur gelingen, wenn wir sämtliche uns zur Verfügung stehenden Technologien auf das zu vertretbare Risiko überprüfen und – gegebenenfalls – konsequent einsetzen und weiterentwickeln. Besonders die Ernährungsproblematik werden wir mit den heute vorhandenen Kulturpflanzensorten nicht lösen können. Die grüne Gentechnik und die mit ihrer Hilfe entwickelten neuen Züchtungsmethoden geben uns jedoch ideale Hilfsmittel an die Hand, mit denen wir Pflanzen gezielt so an die neuen Herausforderungen anpassen können, dass Ertragsverluste minimiert und Mehrfachnutzungsstrategien verbessert oder neu entwickelt werden können. Das ist keine einfache Aufgabe; auch von der Gentechnik dürfen wir über Nacht keine Wunder erwarten. Wir brauchen von dieser Technologie aber auch keine Monster zu befürchten. «

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