Kein Wunder, dass hier kaum noch jemand den Durchblick hat

Der Bildungsföderalismus bedeutet heute aus der Perspektive der betroffenen Schüler, Eltern und Lehrer vor allem unübersichtliches Bildungschaos. Wer daran ernsthaft etwas ändern will, muss endlich für verstärkte Vereinheitlichung und bessere Kooperation unter den Bundesländern sorgen

Wer soll da noch durchblicken? Das Bildungschaos in Deutschland wird von Schülerinnen und Schülern, Eltern und Lehrkräften besonders stark und als ebenso störend wahrgenommen: Mit den 16 Bundesländern gehen auch 16 verschiedene Schul- und Bildungssysteme einher, Unübersichtlichkeit ist vorprogrammiert. Kein Wunder, dass hier kaum noch jemand den Durchblick bewahrt.

Eine Schulform, dreizehn verschiedene Namen

Gerade Eltern haben es schwer: Wer berufsbedingt von einem Bundesland ins andere ziehen möchte, weiß nicht einmal, was einen am Zielort erwartet. Das beginnt schon mit den Schulformen. Jedes Bundesland hat mindestens eine Schulform, in der Haupt- und Realschulzweig miteinander verbunden werden, allerdings gibt es bundesweit 13 unterschiedliche Bezeichnungen dafür – ganz abgesehen von den verschiedenen Inhalten und Charakteristika der jeweiligen Schule. Ein anderes Beispiel sind die Vergleichsarbeiten, die je nach Bundesland in den Klassenstufen 3, 5, 6, 7, 8 oder 9 durchgeführt werden. So könnte es beispielsweise sein, dass ein Kind jedes Jahr Vergleichsarbeiten schreiben muss, wenn es an der Grenze zweier Bundesländer wohnt oder umzieht. Ein unwahrscheinlicher Fall, klar. Aber er verdeutlich das Chaos in der Bildungslandschaft – und dass die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz (KMK) sehr unterschiedlich in die Tat umgesetzt werden.

Die höhere Mobilität lässt die Bürger für die Unterschiede zwischen den deutschen Bundesländern sensibler werden. Viele Eltern, Schüler und Lehrkräfte überfordert die Komplexität und Unübersichtlichkeit. Die Betroffenen reagieren darauf häufig mit der Forderung, das Schulwesen zu zentralisieren und das Bildungssystem stärker zu vereinheitlichen. Umfragen zufolge wünschen sich 61 Prozent der Bevölkerung eine zentrale Steuerung in der Bildungspolitik und 40 Prozent sprechen sich für Länderfusionen aus.

Sorgt eine zentrale Steuerung tatsächlich für bessere Schülerleistungen? Oder anders herum: Leiden die Leistungen der Schüler unter dem föderalen System? Die klare Antwort lautet: Nein! Meine quantitative Studie „Die Zukunft des Bildungsföderalismus in Deutschland“ hat ergeben, dass die Staatenorganisation keinen Einfluss auf die Schülerleistung hat. Dazu wurden die verschiedenen Bildungsstudien PISA, PIRLS und TIMSS im Zeitraum von 1995 bis 2009 auf Staatenebene verglichen, darunter föderal organisierte Staaten wie Deutschland, ebenso wie zentral gesteuerte Staaten wie Frankreich. Das erstaunliche Ergebnis: Es macht keinen Unterschied, ob ein Staat föderal oder zentral gesteuert ist. Auch die finanzielle Lage des jeweiligen Landes hat keinen Einfluss auf die Schülerleistung. Dagegen ist der familiäre Bildungshintergrund hoch signifikant und ausschlaggebend. Diese Erkenntnis deckt sich mit anderen Studien in der Bildungsforschung, die ebenfalls den starken familiären Einfluss aufzeigen.

Für die Bildungspraxis bedeutet das Ergebnis der vorliegenden Untersuchung, dass der Wunsch nach einer größeren zentralen Steuerung im Bildungswesen nicht mit dem Ziel besserer Schülerleistungen begründet werden kann. Um diese zu erreichen, muss stärker über den Einfluss des familiären Bildungshintergrunds nachgedacht werden.

Das Kooperationsverbot gehört abgeschafft

Trotzdem scheint der bundesdeutsche Föderalismus im Bildungswesen ausgedient zu haben. So herrschte bei einer Befragung von Experten aus Wissenschaft und Politik zur Zukunft des föderalen Systems vor allem in einem Punkt Einigkeit: Alle Fachleute betrachten die Aufhebung des Kooperationsverbotes als wünschenswert und die Hälfte der Befragten hält dies auch für realistisch. Sollte es zu einer Aufhebung kommen, kann der Bund die Länder in der Bildung stärker finanziell unterstützen. Die offene Frage ist, ob der Bund im Gegenzug auch inhaltlichen Einfluss ausüben will.

Um das Bildungschaos abzubauen, bedarf es besonders einer Stärkung der Kultusministerkonferenz. Das Gremium der Bildungs- und Kultusminister der Bundesländer hat bereits einige wichtige Ziele durchsetzen können, zuletzt etwa das bundesweite Zentralabitur oder die gegenseitige Anerkennung der Lehramtsabschlüsse. Mit der KMK ist eine Annäherung der Systeme in den Ländern möglich. Im Kern hat die Konferenz dabei auch gar kein Erkenntnisproblem, sondern eher ein Umsetzungsproblem. Deshalb sollte die Politik dafür sorgen, dass die Beschlüsse der KMK besser verwirklicht werden. Zum Beispiel müssten die Landesparlamente und Regierungen stärker in die Entscheidungen der Bildungsminister einbezogen werden. Vor allem muss die Finanzierung der Beschlüsse von Anfang an sichergestellt sein, etwa indem die Finanzminister direkt in die Entscheidungsprozesse mit eingebunden werden.

Standhafte Zielstrebigkeit jetzt!

Doch nicht für alle Verbesserungen bedarf es großer Finanzierungspläne. Der Bildungslandschaft Deutschland wäre schon sehr geholfen, wenn durch einheitliche Bezeichnungen und klarere Regelungen ein Bundesland-übergreifender Schulwechsel einfacher würde. Wozu braucht es in den verschiedenen Ländern eine Realschule, eine Mittelschule oder eine „Werk­realschule“, wenn hinter allen Begriffen das gleiche steckt – nämlich eine Schulform der Sekundarstufe eins, in der sowohl der Haupt- als auch der Realschulabschluss erreicht werden kann? Hier sollten die Bundesländer vereinheitlichen. Dass eine stärkere Angleichung prinzipiell möglich ist, zeigt etwa die Möglichkeit, dass Lehrer von einem Bundesland ins andere wechseln können (wenn auch mit gewissen Hürden).

Nach Meinungen der Experten könnte die Kultusministerkonferenz auch gestärkt werden, indem die langfristige Verbindlichkeit ihrer Beschlüsse erhöht wird. Denn viele Vereinbarungen sind im Kampf gegen das Bildungschaos zwar von großer Bedeutung, scheitern dann aber an Regierungswechseln in den Ländern oder am Einstimmigkeitsprinzip. Auch der jährliche Wechsel des Präsidenten der KMK verhindert entschlossene Beständigkeit und standhafte Zielstrebigkeit, die für nachhaltige Verbesserungen notwendig sind.

Was sagt uns das alles? Sowohl quantitative als auch qualitative Untersuchungen geben Aufschluss darüber, dass wir kein Problem mit dem Föderalismus selbst haben, sondern damit, wie unübersichtlich und chaotisch unser Schulwesen ist. Insgesamt ist der Erhalt des Bildungsföderalismus zu erwarten – allerdings bedarf es einer höheren Vereinheitlichung und einer stärkeren Kooperation zwischen den Bundesländern. Die Bildungs- und Kultusminister sollten dafür die Eigeninteressen der einzelnen Länder hinten anstellen und stets das Beste für die Bürger im Blick haben. Dann kann auch mal aufgeräumt werden im Bildungschaos!

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