Kalter Krieg? Ach, wär es bloß das

All die Kriege, Konflikte und Krisen der Region sind viel komplizierter und betreffen uns stärker, als manche glauben

Was kennzeichnet die Lage der Welt? Russland und der Westen seien „abgerutscht in die Ära eines neuen Kalten Krieges“, gab Wladimir Putins Premier Dmitri Medwedew jüngst auf der Münchner Sicherheitskonferenz zum Besten. Man muss das ernstnehmen, denn wenn ein so großer Akteur der Weltpolitik glaubt, mit unserem Teil der Welt in Feindschaft zu leben, dann schafft sich diese kognitive Rahmung ihre eigene Wirklichkeit. Wer zu Verschwörungsdenken neigt, braucht immer Sündenböcke. Und wenn er einmal zu der Überzeugung gelangt ist, ein bestimmter Anderer sei „an allem schuld“, dann wird er überall Belege dafür entdecken (oder auch konstruieren), die ihn in diesem Glauben bestätigen. So schafft sich Verschwörungsdenken eine ganz ­eigene Welt – und eigene Handlungslogiken. Genau das macht die russische Rhetorik vom „Neuen Kalten Krieg“ so gefährlich: Um „verdorbene“ (Medwedew) Verhältnisse zwischen zwei Akteuren zu schaffen, genügt es völlig, wenn einer von beiden den Anderen mit seiner Feindseligkeit überzieht.

Tatsächlich ist die neoimperiale Aggressivität Russlands unter Putin zweifellos einer der entscheidenden Faktoren, die derzeit den Weltfrieden und die Stabilität in Europa zerstören. Wo wir dringend mehr Kooperation und Vertrauen brauchen, um Sicherheitsarchitekturen zu entwickeln, Krisen zu entschärfen und Brände zu löschen, da wirft Putins Russland derzeit immer noch mehr Holzscheite ins Feuer – und reagiert dann auf Kritik daran mit seinen empörten Klagen über den „Neuen Kalten Krieg“, den der Westen vom Zaun gebrochen habe. Es ist dieser beinharte Wille zur Hermetik, der Russlands aktuelles Agieren in der Welt so besonders gespenstisch macht.

Die Vorstellung jedenfalls, „der Westen“ (wie auch immer man diese Kategorie aktuell überhaupt begreifen mag) besitze heute die Ambitionen oder Ressourcen, aktiv gegen Putins Russland vorzugehen, ist schlicht abwegig. In Wirklichkeit haben der Westen und im Besonderen wir Europäer schon mehr als ­genug damit zu tun, nicht selbst in den Strudeln einer sich – gerade auch unter handfester russischer Mithilfe – auflösenden Weltordnung unterzugehen. Europa, von außen bedroht durch kriegsbedingte Massenfluchtbewegungen und islamistischen Terror, im Inneren erschüttert durch (pro-putinistischen) ­Populismus, regionale Separatismen, Renationalisierung und sozialökonomische Malaise, erlebt seine schwerste Krise. Und dabei lassen sich innere und äußere Bedrohungen überhaupt nicht mehr voneinander trennen. Die erhellenden Texte unseres Schwerpunkts beleuchten das anhand der eskalierenden Kriege, Konflikte und Krisen des Nahen Ostens, die längst so nah an uns heranrücken, dass sie gefährlich mit unseren schon bestehenden Problemen verschmelzen. Leben wir im Kalten Krieg? Frank-Walter Steinmeier bringt es lakonisch auf den Punkt: „Es ist leider alles viel komplizierter.“

PS: Und wo bleibt das Positive? Auch das bieten wir. Denn ­Progressive müssen auch in schwersten Krisen immer wieder auf der Möglichkeit von Fortschritt beharren. Das tut auf bewundernswerte Weise Hilmar Höhn. Seinen Essay sollte lesen, wer gerade an der Welt, so wie sie ist, zu verzweifeln droht.

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