Job-Vagabunden

oder: Mein Zuhause ist die Welt

Eine englische Zeitung, so berichtete die Junge Karriere, eine Zeitschrift für den Führungskräftenachwuchs, habe kürzlich den Hyp und die Hyppie erfunden. Der Homeless young professional sei gewissermaßen der Hippie im Boss-Anzug: zwischen 20 und 30 Jahre alt, international tätig und überhaupt ganz ungewöhnlich genial. Auf jeden Fall aber sei dieser Manager der Zukunft pausenlos unterwegs. Denn er arbeite für einen internationalen Konzern, der eigentlich keiner mehr ist, sondern ein gigantisches Netzwerk aus weltweiten Aktivitäten.

So werden aufstiegswillige Akademiker auf die schöne neue Arbeitswelt eingestimmt. Doch nicht nur für die erlesene Schar des Management-Nachwuchses soll künftig, so prognostizierte uns jüngst der Stern, das Credo "Mein Zuhause ist die Welt" gelten. Was früher Diplomaten und Auslandskorrespondenten vorbehalten war, könne heute jeden Revisor bei VW, jeden Techniker bei Daimler-Chrysler oder Betriebswirt bei Bayer treffen.

Die Begeisterung für das Leitbild des vollständig mobilen Arbeitnehmers ist nicht auf die Wirtschaftspublizistik beschränkt. Auch Politik und Wissenschaft erklären das bevorstehende Ende der Normalarbeitsbiographie. Jene werden für spießig erklärt, die scheinbar altmodisch an einem Ort verharren und dort ihrem Nine-to-five-Job nachgehen. Die Karriereavantgarde hingegen freut sich nach drei Jahren Bukarest auf die nächste Versetzung nach Taipeh. Räumlich und zeitlich flexibel hetzen sie den neuen Jobs hinterher, während die Beharrenden den Jets hinterher sehen.

Längst wird auch jenseits (wirtschafts-)liberaler Parteiprogramme vom baldigen Aussterben konventioneller Lebensentwürfe gesprochen. Sie entsprächen nicht dem schnellen Takt der global vernetzten Ökonomie. Bis hinein in die Sozialdemokratie scheint es zunehmend Konsens zu sein, dass nur diejenigen, die sich allzeit den Erfordernissen einer sich rasant beschleunigenden und über Ländergrenzen agierenden Wirtschaft anpassen, zukunftstauglich sind.

In den einschlägigen Stellenmärkten wird die neue Arbeitswelt allwöchentlich real. "Enter & go - stellen Sie Ihre Bestmarke auf!" - so wirbt ein großes Geldinstitut markig in einer Stellenanzeige. "110 Prozent", "uneingeschränkte Mobilität", "teamorientiert", "hohes Engagement", "Durchsetzungsvermögen", "kommunikative Stärke", "Eigeninitiative", "unternehmerisches Denken" sowie verhandlungssichere Sprachkenntnisse und Auslandspraktika sind Selbstverständlichkeiten. Und das alles "not older than 28", sonst würdigt das "Human Resources Department" die Bewerbung keines Blickes. Als Gegenleistung erwartet den "International Trainee" kein 08/15-Arbeitsplatz, sondern - so etwa bei Gruner und Jahr - ein harter und steiniger Weg. Bei der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers wird dem Führungsnachwuchs sogar die Mitwirkung an Revolutionärem versprochen: "Join us. Together we can change the world."

Die Dresdner Bank benennt klar, was out ist: Für "Alltag mit Ablage, Akten und Ärmelschonern" ist bei den Bankern kein Platz. Dort gilt es anzupacken, zu verändern und den Wandel mitzugestalten, wofür man "in der faszinierenden, internationalen Welt der Finanzen" Persönlichkeiten mit Charakter benötige.

Der Ideal-Trainee scheint allerdings vielfach so real wie Lara Croft. Ein blühendes Recruiting-Gewerbe, so ist der Wirtschaftspresse zu entnehmen, sei der kleinen Schar von "High Potentials" auf der Spur. Nur rund die Hälfte der angehenden Juristen, Wirtschafts- und Naturwissenschaftler seien fachlich überhaupt qualifiziert. Von diesen entsprächen nur zehn Prozent als "High Potentials" den weitreichenden Erwartungen ihrer künftigen Arbeitgeber. Sie sind die Henneckes des globalen Kapitalismus.

Vorbei die Zeiten des fürsorglichen Arbeitgebers, in denen weite Teile der heutigen Führungseliten ihre beruflichen Laufbahnen starteten. Ohne euphorisierende Rhetorik, die Motivationsseminaren zu entstammen scheint, warben vor dreißig Jahren Konzerne und Behörden mit graphisch nüchternen Anzeigen und höflichen Formulierungen um Berufsanfänger. Während die Qualifikationsanforderungen zumeist kurz abgehandelt wurden, wurden dem Bewerber die Annehmlichkeiten ausführlich nahegebracht: Volljuristen garantierte die Stadt Leverkusen 1971 "gute Sozialleistungen (z.B. vorbeugende Gesundheitsfürsorge, Zuschuss zum Mittagstisch), Hilfe bei der Beschaffung einer Wohnung, gleitende Arbeitszeit, die üblichen Leistungen des öffentlichen Dienstes (zum Beispiel Kinderzuschlag bereits für das 1. Kind)". Das Bundesministerium der Finanzen stellte bei seiner Stellenausschreibung für wissenschaftliche Nachwuchskräfte die umfassende soziale Absicherung in den Vordergrund - sogar die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen fand im Inserat Erwähnung. Statt dem Prädikatsexamen ein forderndes "Sie haben ..." voranzustellen, wurde der erwünschte überdurchschnittliche Abschluss erst zaghaft am Ende der Anzeige erwähnt.

Auch die Privatwirtschaft formulierte zurückhaltend: Die Württembergische Metallwarenfabrik (WMF) suchte "junge Damen und Herren als Nachwuchsführungskräfte (...), die auch eventuell bereit sind, den Wohnort zu wechseln." Es ist förmlich spürbar, wie der Personalchef mit roten Ohren um eine vorsichtige Formulierung dieser Unannehmlichkeit rang, um möglichst wenige Bewerberinnen und Bewerber zu vergrämen.

"Neben einer erstklassigen Ausbildung" bot ein international bekannter Konzern der Grundstoff-Industrie einem jungen Diplom-Ingenieur "ein sehr gutes Gehalt (14mal im Jahr), beitragsfreie Altersversorgung, erstklassige Unfallversicherung (Prämie zahlen wir), Hilfe bei der Wohnraumbeschaffung und Übernahme der Umzugskosten."

30 Jahre später sieht die Welt ganz anders aus: Die Beschaulichkeit der nationalen Volkswirtschaften ist in der Ära der beschleunigten Verflechtung globalen Wirtschaftens untergegangen. Es gibt kein Zurück in die Siebziger - was auch angesichts der Alltagsästethik dieses Jahrzehnts gut so ist.

Zwischen dieser Erkenntnis und der populären Euphorie für den rastlosen Arbeitnehmer in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik liegt die politische Herausforderung. Gewiss brauchen wir mobile Arbeitnehmer, jungdynamische Akademiker, die sich nichts so herbeisehnen wie die nächste Versetzung von London nach Kapstadt. Aber jene Arbeitnehmer, die in dieser Perspektive eine nicht nur materielle Bedrohung ihrer Existenz sehen, haben ein Recht auf ihr Unbehagen. Sie dürfen Sorgenfalten auf der Stirn haben, wenn ihnen prognostiziert wird, ihr Wissen werde in fünf Jahren entwertet sein und sie müssten in ihrem Leben zigfach Arbeitsplatz und Wohnort wechseln. Leben, um zu arbeiten?

In den Stellenanzeigen für junge Akademiker scheint diese Prioritätensetzung längst eine Selbstverständlichkeit. Einige Personalmanager großer Konzerne haben schon recht klare Vorstellungen des künftigen Arbeitnehmerbildes. Sie haben die Initiative "Selbst-GmbH" (www.selbst-gmbh.de) gegründet, deren Postulat lautet: "Menschen sollen ihre Arbeitskraft unternehmerisch einsetzen, sich gewissermaßen als Unternehmer der eigenen Existenz verstehen." Der Begriff "Selbst-GmbH" soll "den Abschied von patriarchalischen Arbeitsverhältnissen und den Einstieg in vernetzte, eigenverantwortliche Arbeitssysteme signalisieren", denn "langfristige oder gar lebenslange Beschäftigungen können Unternehmen heute nicht mehr zusichern. Im immer schnelleren weltweiten Wettbewerb sind sie gezwungen, sich in hoher Geschwindigkeit aus sich selbst heraus zu erneuern, sie müssen stetig neue Menschen mit neuen Kompetenzen andocken und andere abdocken." Das Menschenbild dahinter ist simpel: Mensch = (Sub-)Unternehmer.

Einerseits wird in aktuellen Stellenanzeigen eine weitreichende Identifikation mit dem jeweilig arbeitgebenden Unternehmen verlangt. Andererseits sichert dies dennoch keine langfristigen Perspektiven. Trotz Engagement, Sprachkenntnissen und Mobilität droht jederzeit das "Abdocken". Vielleicht wird in einem solchen Umfeld noch mehr Lotto gespielt oder an Fernsehshows mit üppigen Gewinnen teilgenommen, um die Hoffnung auf ein Entkommen aus einer derartigen Arbeitswelt zu wahren.

Der Ökonomisierungs- und der damit einhergehende Flexibilisierungsrausch löst nicht allein individuelle Verunsicherungen aus. Wie müssen wir uns eine Gesellschaft vorstellen, in der aus Bürgern uneingeschränkt mobile "Selbst-GmbH′s" werden? Hat unser demokratisches Gemeinwesen nicht einen Bedarf an Sesshaftigkeit und Konstanz in den Beziehungen der Menschen zu den Institutionen und auch untereinander. Jene gern als spießig diskreditierten Zusammenschlüsse von Freiwilliger Feuerwehr über karitative Einrichtungen bis hin zu Sportvereinen brauchen Menschen, die nicht alle zwei Jahre von Metropole zu Metropole ziehen. Die Rotationsintervalle von Daimler-Chrysler werden sich kaum mit Wahlperioden kommunaler Parlamente synchronisieren lassen.

Natürlich sind Flexibilität und Mobilität nicht zu vernachlässigende Kriterien für wirtschaftliches Wachstum. Sie sind aber kein Selbstzweck und müssen auch nicht zu Leitbildern erklärt werden. Die meisten Menschen werden weiterhin arbeiten, um zu leben - nicht umgekehrt. Sie wollen keine Vagabunden sein.

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