Integration statt Ausgrenzung

Skizze eines sozialdemokratischen Einwanderungskonzeptes

Die Erkenntnis ist mittlerweile selbst bei dem Letzten angekommen: "Deutschland ist ein Einwanderungsland". Es gibt unterschiedlichste Formen des Zugangs in die Bundesrepublik, die sich in den Einwanderungszahlen niederschlagen oder aber unbemerkt stattfinden. Alle Parteien haben ihre Vorstellungen zur Einwanderungspolitik geäußert. Nur die SPD hat sich bisher zurückgehalten, denn sie verfügt zurzeit über kein zusammenhängendes Konzept. Stattdessen hat die Bundesregierung eine Zuwanderungskommission eingesetzt, die von Rita Süssmuth geleitet wird, und die Vorschläge zur Regelung der Einwanderung entwickeln soll. Die Projektgruppe des SPD-Parteivorstands hat über ein Jahr nicht getagt, obwohl zeitgleich die Einwanderungsdebatte bei den anderen Parteien und in den Medien auf Hochtouren lief. Ein Konzept wäre wichtig, damit die SPD in der Einwanderungspolitik endlich wieder diskussionsfähig wird, damit sie den Kampagnen der CDU etwas entgegensetzen und die Ergebnisse der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages bewerten kann.

Grundlagen für ein sozialdemokratisches Konzept

Wichtige Voraussetzung für eine Einwanderungspolitik ist die Beschreibung des zugrunde gelegten Gesellschaftsbildes. Die CDU hat mit der von ihr angestoßenen Leitkulturdiskussion ihr konservatives Weltbild dargestellt. Leider haben Merz, Meyer und Merkel bisher vermieden, den Begriff klar zu formulieren. Er bleibt diffus und bedient das konservative Wählerpotenzial und dessen Leitkulturphantasien.

Dem steht das multikulturelle Gesellschaftsbild gegenüber. Dieser Begriff geht von der Gleichwertigkeit kultureller Eigenheiten aus und ist damit der Gegenpol eines oft auf Abgrenzung bedachten Ansatzes konservativer Politiker.

Aus diesen verschiedenen gesellschaftlichen Vorstellungen entstehen zwei unterschiedliche Ansätze des Zusammenlebens: Zum einen der Versuch der Integration, der von Toleranz in einem demokratischen und pluralistischen Staat geprägt ist und auf der Gegenseite das Prinzip der Assimilation und Ausgrenzung. Für Sozialdemokraten kann es nur die Entscheidung zu Gunsten der Vielfalt geben, auch wenn damit Konflikte verbunden sind.

Ein weiterer Aspekt in der Debatte ist die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland. Nicht erst die Debatte um die Rentenreform, die Belastung der sozialen Sicherungssysteme und der erwartete Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials haben deutlich gemacht, dass ohne Einwanderung die Folgen der Überalterung kaum auszugleichen sind. Selbst Konservative haben eingestanden, dass Einwanderung nötig ist. Sie haben dann aber sogleich die unsägliche Unterscheidung in nützliche und nicht nützliche Ausländer gemacht und haben so eine Vorstellung der unterschiedlichen Wertigkeit von Menschen zu Grunde gelegt.

Sozialdemokratische Politik hält am Individualrecht auf Asyl fest. Es ist eine entscheidende Säule in unserem politischen System und unsere humanitäre Verpflichtung gegenüber Asylsuchenden. Eine institutionelle Garantie, wie sie Konservative und auch der Bundesinnenminister Schily befürworten, wäre ein weiteres Aufweichen des Asylrechts. Das individuelle Asylrecht muss in einem Einwanderungskonzept ebenso eigenständiger Zuwanderungsgrund sein wie die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen oder aus anderen humanitären Gründen.

Skizze eines sozialdemokratischen Einwanderungskonzeptes

Ein sozialdemokratisches Einwanderungskonzept muss aus zwei Elementen bestehen: Zum einen bedarf es eines Einwanderungsgesetzes, das die Möglichkeiten der Einwanderung, ihre Regelung und den rechtlichen Status der Migranten festlegt. Zum anderen brauchen wir ein Integrationskonzept.

Das Einwanderungsgesetz

Ein zukünftiges Einwanderungsgesetz sollte nach den Einwanderungsgründen differenziert werden und aus drei Säulen bestehen.
Die erste Säule umfasst all jene, die einen Antrag auf Asyl stellen. Da es weiterhin beim individuellen Rechtsanspruch bleibt, kann für diese Säule keine Quote festgelegt werde. Sicherlich sind qualitative Verbesserungen und zeitliche Verkürzungen der Verfahren möglich - im Prinzip soll sich aber in einem neuen Einwanderungsgesetz für diese Zuwanderergruppe rechtlich nichts ändern.

In der zweiten Säule werden Regelungen für die Einwanderung von Flüchtlingen aufgestellt, die vorübergehend Schutz vor einer Notsituation im Heimatland suchen (z.B. Bürgerkriegsflüchtlinge). Gleichsam gilt diese Säule für Gruppen, denen aus besonderen Gründen eine Zuwanderung nach Deutschland ermöglicht wird (z.B. Juden aus Osteuropa) sowie Aussiedlerinnen und Aussiedler. Die Zuwanderung dieser Gruppen sollte speziellen Quoten unterliegen. Für Flucht vor Bürgerkrieg und anderen Katastrophen sind zumindest auf europäischer Ebene abgestimmte Quoten zu erstellen.

Für die Zuwanderung von Arbeitskräften werden Regelungen benötigt, die sich an den Erfordernissen des Arbeitsmarktes orientieren.


Für diese dritte Säule sind jährlich Quoten festzulegen, um den entsprechenden Bedarf an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Fach- und Führungskräften aufzunehmen. Bei der Aufstellung dieser Quoten ist darauf zu achten, welche Möglichkeiten der eigene Arbeitsmarkt bietet. Es ist schwer vermittelbar, wieso Einwanderungsquoten festgelegt werden, obwohl es 3,5 Millionen Arbeitslose gibt.

Die Festlegung der verschiedenen Quoten der zweiten und dritten Säule bedürfen einer Zuwanderungskommission. Es sollten darin Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen, Sozialpartner, Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Vertreter der Ausländerbeiräte zusammenarbeiten. Eine Beteiligung verschiedener gesellschaftlicher Akteure soll dabei für eine Verankerung in der Gesellschaft sorgen.

Entscheidend für die Funktionsfähigkeit eines solchen Konzeptes ist jedoch, dass nicht von starren Säulen ausgegangen wird, sondern diese als "kommunizierende Röhren" verstanden werden. Dies bedeutet, dass zwischen den "Röhren" Übergänge geschaffen werden, die es den Betroffenen ermöglichen ihren Aufenthaltsstatus zu verfestigen. Dadurch können Arbeitsplätze mit bereits hier lebenden und integrierten Menschen besetzt werden.


Warum sollen beispielsweise Bürgerkriegsflüchtlinge nach acht Jahren Aufenthalt in Deutschland nicht entscheiden dürfen, ob sie hier bleiben oder nach Beendigung der Notsituation in ihr Heimatland zurückkehren wollen. Im Falle der Entscheidung in Deutschland zu bleiben, würden sie von der zweiten in die dritte Säule wechseln.

Vor der nächsten Wahl 2002 wird ein so umfangreiches Gesetzesvorhaben allerdings nicht zu schaffen sein. Eine konkrete Umsetzung sollte zudem auch die zu erwartenden Richtlinien auf europäischer Ebene mit einbeziehen.

Integration sichern

Anders verhält es sich mit dem zweiten Teil eines Einwanderungskonzeptes. Die Sicherung der Integration und der Schutz vor Diskriminierung sollten so schnell wie möglich konzeptionell erarbeitet und die notwendigen Gesetze eingeleitet werden. Ein Integrationskonzept sollte Rechte und Pflichten zur Integration bestimmen und ein Antidiskriminierungsgesetz berücksichtigen. Grundvoraussetzung für die Integration sind die deutsche Sprache sowie Grundkenntnisse des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, so dass Einwanderer zur Teilnahme an Kursen zur Sprachförderung und zur politischen Bildung verpflichtet werden. Diese Kurse müssen in ausreichender Anzahl und Qualität angeboten werden. Integrationsmaßnahmen dürfen sich in Zukunft nicht mehr am Rechtsstatus orientieren, sondern am individuellen Bedarf zur Integration des Einzelnen.

Wir brauchen dringend verstärkte Bemühungen zur Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit durch Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, gezielte Sprachförderung sowie die Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten auch im zweiten Arbeitsmarkt. Das abgestufte Verfahren in den Arbeitsämtern ist abzuschaffen - es kann nicht sein, dass Ausländerinnen und Ausländer erst dann einen Arbeitsplatz vermittelt bekommen, wenn kein Deutscher zur Verfügung steht.

Im Bildungsbereich müssen vom Kindergarten bis zum Schulabschluss differenzierte Fördermaßnahmen vorgenommen werden. Eine bessere Vorbereitung auf den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt muss stattfinden, damit Migrantenkinder den Anschluss finden können und eine Zukunftschance bekommen. Zur Umsetzung solcher Integrationskonzepte bedarf es der Begleitung durch eine Vernetzung der zahlreichen sozialen Einrichtungen.

Teil eines Integrationskonzeptes müssen aber auch kommunale Beteiligungsmöglichkeiten sein. Vorstellbar wäre dabei das kommunale Wahlrecht für alle zu schaffen, sowie die Beteiligung der Ausländerbeiräte an kommunalen Integrationskonzepten zu ermöglichen. Vor Ort sollten Möglichkeiten der kulturellen Gestaltung und Begegnung vermehrt möglich sein. Ein klares Signal für die Integration wäre die Teilhabe am Erscheinungsbild der Gesellschaft. Erst wenn Migranten in Medien, Verwaltung, Bildung und Politik nicht mehr als einzelne Exoten in Erscheinung treten, werden Integrationsbemühungen glaubhaft. Die Belastung der Kommunen, die die Hauptlast der Umsetzung tragen, muss durch Maßnahmen des Bundes, der Bundesanstalt für Arbeit und der Länder erträglich gestaltet werden.

Vielfach wird in der Diskussion erwähnt, dass das Einwanderungsthema in der politischen Auseinandersetzung für die SPD kein Gewinnerthema ist. Dies ist sicherlich richtig. Doch wer die Notwendigkeit der Zuwanderung leugnet oder diese ungesteuert hinnimmt, drückt sich vor drängenden gesellschaftlichen Fragen und verspielt gleichsam die damit verbundenen Chancen. Es ist dringend erforderlich, in dieser Frage als Partei sprachfähig zu werden, um die Akzeptanz der Bevölkerung für ein notwendiges sozialdemokratisches Konzept zu gewinnen. Ansonsten überlässt man konservativen Angstkampagnen das Feld. Setzen wir das Angebot von Vielfalt in einer demokratischen Gesellschaft daneben.

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