Immer wieder Parteispendenskandale

Weniger Geld wäre mehr für die Demokratie

Als Helmut Kohl am 30. November 1999 vor dem CDU-Bundesvorstand eingestand, dass er an der offiziellen Parteikasse der CDU, deren Vorsitzender er über 25 Jahre gewesen war, vorbei Nebenkonten geführt hatte und damit zugab, was Heiner Geißler aufgrund von Indiztatsachen zuvor behauptet hatte, war das politische Deutschland sicht- und hörbar erschüttert. Und wie die Wähler und Parteimitglieder der Union darauf reagieren, meinen die Demoskopen schon zu wissen. Sie sind jedoch auch in der Vergangenheit mit Erklärungsmustern schnell bei der Hand gewesen, an die sich die Wähler oft nicht gehalten haben.


Die "Skandalbewältigungsmuster", die bei solchen Gelegenheiten zu besichtigen sind, erstaunen den in der bundesdeutschen politischen Geschichte bewanderten Betrachter immer wieder insbesondere in ihrer Oberflächlichkeit. Neben denjenigen, die zum Verdruss manch altgedienter Kämpen sofort - und für manche Parteifreunde zu schnell - erkennen, dass es ohne "rückhaltlose Aufklärung" (ein Ausdruck, der inzwischen reichlich abgedroschen klingt, aber ohne ernsthafte Alternative ist) nicht geht, erscheinen immer wieder die Gralshüter traditionsverhafteter Denkmalsverehrung auf der Bildfläche, die geflissentlich Tatsachen nicht zur Kenntnis nehmen mögen. Das hatten wir alles schon einmal! Nicht zu vergessen sind allerdings auch die politischen Unschuldslämmer in Gestalt der jeweiligen politischen Gegner, die Krokodilstränen über die Schändlichkeit des offenbar gewordenen Fehlverhaltens äußern, über die "Leichen im eigenen Keller" aber geflissentlich den Mantel gnädigen Schweigens zu decken versuchen.


Denn nahezu zeitgleich mit Kohls Enthüllungen musste ein der SPD angehörender Ministerpräsident, für den sich sein Amt auch privat als höchst nützlich erwiesen hatte und der dabei keinerlei Scham empfand, demissionieren. Und andere sollen eine auffällige Flugleidenschaft entwickelt haben, wenn es sie vermeintlich nichts kostete, sondern nur eine ganz bestimmte Bank. Kohl hat für seine Partei Mittel eingesetzt, deren Existenz diese gar nicht kannte. Erkennbar privat bereichert hat er sich nicht.


Doch mit Aufrechnen kommen wir nicht weiter. Befassen wir uns abseits des doch recht fernliegenden Verdachts der tatsächlichen Beeinflussung des Handelns einer Bundesregierung durch Parteispenden, den Staatsanwälte aufklären mögen, mit der Binnenstruktur unserer politischen Parteien:


1. Es gibt Reparaturbedarf an unserem (partei-)politischen System. Einer der Herausgeber dieser Zeitschrift und der Autor dieser Zeilen haben vor ein paar Jahren zusammen ein Buch veröffentlicht*, in dem auf die schon seinerzeit für jedermann sichtbare Krise unseres Parteiensystems hingewiesen wurde. Insbesondere wurde die demokratische Binnenstruktur der beiden großen Volksparteien kritisch hinterfragt. Vorausgegangen war gerade das Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts, das wegen undemokratischer Kandidatenaufstellungen bei einer Partei - in diesem Fall auch die CDU, doch lehrreich war das Urteil gewiss für alle Parteien - die Wiederholung der Bürgerschaftswahl angeordnet hatte.


Hat das mit der Spendenaffäre dieser Tage zu tun? Selbstverständlich! Bei funktionierender innerparteilicher Demokratie, wie von Artikel 21 des Grundgesetzes und dem Parteiengesetz den Parteien ausdrücklich abverlangt, wäre es nicht als Majestätsbeleidigung bei Karriereverlust strafbar gewesen wäre, im Parteivorstand völlige Offenheit in Fragen der Parteifinanzen notfalls zu erzwingen. Dies scheint jedoch so gewesen zu sein. Es mag im Zeitalter moderner Massenmedien eine unglaubliche Versuchung auch durch die Einflüsterungen cleverer Werbeberater der Parteien sein, Parteivorsitzende - zudem noch in Staatsämtern - zu entrückten Objekten grenzenloser Verehrung zu stilisieren. Nicht selten trifft man schon in ständiger Nähe von Ministerpräsidenten PR-Berater an. Wer bezahlt die wohl? Und welche Partei wäre frei davon, der Versuchung, Erhabenheit zu inszenieren, gelegentlich zu erliegen? Wenn dies aber gleichzeitig zur Ausschaltung "demokratischer Warnlämpchen" führt, wenn die Verehrung den Willen zur Kontrolle erlahmen lässt und die betreffende Person dazu noch besonders machtbewusst ist, kann - nicht muss - das Ergebnis so fürchterlich sein, wie gegenwärtig bei der CDU zu besichtigen. Gerade vor solchen Ergebnissen soll (auch innerparteiliche) Demokratie bewahren.


2. Notwendig ist zunächst eine Effektivierung der vom Grundgesetz und vom Parteiengesetz geforderten innerparteilichen demokratischen Verhältnisse. Das wird nicht ohne Reformen auch des zweiten Abschnitts des Parteiengesetzes gehen. Das Parteiengesetz hat seit 1967 sechs Änderungen erfahren. Der Abschnitt über die innere Ordnung, der den Parteimitgliedern wenig einklagbare Rechte auf demokratische Mitwirkung verschafft, ist davon jedoch völlig verschont geblieben. Dafür ist umso intensiver die Parteienfinanzierung ein ums andere Mal - und bisher fast jedes Mal zum Missfallen des Bundesverfassungsgerichts - neu geregelt worden. Aber solange keine leicht einklagbaren Rechte für Mitglieder bzw. Vorstandsmitglieder geschaffen werden, werden die Parteiapparate - Vorsitzende, Schatzmeister, Geschäftsführer - die Parteifinanzen und manch anderes weiterhin als geheimhaltungsbedürftige Tatsachen deklarieren.


3. Über die Notwendigkeit und Behandlung von Spenden an politische Parteien wird seit Bestehen der Bundesrepublik - und lange vor Inkrafttreten des Parteiengesetzes - immer wieder intensiv gestritten. Die Zahl der gesetzgeberischen Versuche, dieses Problems in verfassungsrechtlich einwandfreier und zugleich für die politischen Parteien erträglicher Weise Herr zu werden, ist kein Ruhmesblatt für die Beteiligten. Deshalb ist auch die Aufregung über in diesen Tagen festgestellte Verstöße gegen die Rechenschaftslegungspflichten einer Partei zum Teil heuchlerisch und von offenkundigen tagespolitischen Bedürfnissen geleitet, endlich einen großen langjährigen Gegner, der vor einem Jahr eine Wahl mit Pauken und Trompeten verloren hat, dessen "System" schon 1998 abgewählt worden ist, noch nachträglich zur Strecke zu bringen. Sehr appetitlich ist das nicht. Auch nicht für das Ansehen der Politik insgesamt.


4. Ein Kardinalproblem ist die inzwischen gefestigte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das die politischen Parteien als privatrechtliche Vereine definiert und nicht als dem öffentlichen Recht zuzuordnende Staatsorgane. Und es gibt gute Gründe, im Gegensatz zu dem ersten Bundesverfassungsrichter Leibholz, der diese Idee protegierte, dabei zu bleiben. Denn vollständig staatlich finanzierte Staatsparteien entsprechen nicht dem Bild einer freiheitlichen Demokratie.


Daraus resultiert aber das weitere Problem, dass die Förderung solcher Vereine durch natürliche und juristische Personen kaum in verfassungsrechtlich zulässiger Weise wirksam unterbunden werden kann und darf. Mit anderen Worten: Spenden von Unternehmen sind bei nahezu allen Parteien für ihre Finanzierung von erheblicher Bedeutung. Spätestens die Flick-Affäre hat gezeigt, dass auch die Sozialdemokraten derartige Gaben hoch zu schätzen wissen.


Solange die Parteien als nichtrechtsfähige Vereine des Privatrechts agieren sollen, wird es auch die Versuchung zur Umgehung etwaiger spendenbegrenzender Regelungen geben. Wo es solche Versuchungen gibt, wird es auch Menschen geben, die ihnen erliegen. Gegen den Reformvorschlag, den Parteien die Rechtsfähigkeit zu verleihen, sie also zu eingetragenen Vereinen zu machen - wie die CSU dies schon heute ist -, werden möglicherweise vor allem die Sozialdemokraten aus ihrer Tradition heraus etwas einzuwenden haben. Denn schon die Gewerkschaften sträubten sich zu Beginn des letzten Jahrhunderts dagegen, derartige Vereine zu werden, weil sie sich zu sehr unter der Aufsicht des Staates fühlten. Dieser Vorschlag könnte aber - zusammen mit einigen dem Stiftungsrecht und ihrer Aufsicht entlehnten Regelungen - die Kontrolldichte deutlich erhöhen. Und niemand wird behaupten, dass eingetragene Vereine in Deutschland am staatlichen Gängelband zu laufen hätten (was bei den Stiftungen schon problematischer ist).


5. Noch problematischer ist die gegenwärtige Regelung der sogenannten Strafbestimmung des Paragrafen 23a des Parteiengesetzes, der erst 1988 in das Gesetz eingefügt worden ist. Vom reinen Wortlaut her liegt es bei entsprechender Höhe rechtswidrig erlangter Spenden in der Hand des Präsidiums des Bundestages, in dem die betroffene Partei selbst möglicherweise nur als Minderheit vertreten ist, eine Partei mit einem Federstrich um ihre Existenz zu bringen. Dieser Paragraf ist in mehrfacher Hinsicht verfassungsrechtlich angreifbar. Dass das Bundestagspräsidium mit einer solchen Rechtsmacht als neuer Herr über ganze Parteiorganisationen ausgestattet werden sollte, hat der Gesetzgeber offenkundig nicht gewollt, es gleichwohl aber getan. Die Vorschrift ist überdies vom Wortlaut her reichlich unbestimmt und deshalb möglicherweise unanwendbar. Weder ist über eine zeitliche Grenze der Abführungspflicht rechtswidrig erlangter Spenden im Gesetz etwas zu lesen noch über eine Grenze hinsichtlich der absoluten Höhe. Wenn es nur um Ein-Jahres-Beträge gehen sollte, wie Absatz 3 der vorgenannten Vorschrift nahe legt, wäre die Vorschrift jedenfalls im gegenwärtig diskutierten Fall ohne jede Brisanz für die CDU.


6. Unabhängig davon, was der Gesetzgeber nun für Konsequenzen aus diesem Spendenskandal zieht, wird für alle Parteien zukünftig "Schmalhans" der Küchenmeister sein. Die Bereitschaft von Bevölkerung und Unternehmen, Parteien Geld zu spenden, damit sie ihre Apparate finanzieren können, wird dramatisch sinken - gerade bei denen, die es bisher getan haben. Medienkampagnen der Art, wie sie 1998 die SPD für ihren Wahlsieg führen konnte, werden nach menschlichem Ermessen in Zukunft mangels Finanzierbarkeit nicht mehr möglich sein.


Aber war es nicht auch seit langem ein Irrweg, dass die Parteien meinten, sich jeglicher neuen, teuren Form des Marketings öffnen zu sollen, dass Parteitage nicht länger mehr Orte ernsthaften politischen Ringens um die richtigen Lösungsvorschläge waren, sondern Medienshows mit Akklamationsfunktion für die zahlreich erschienenen Delegierten, die bloß, bitte, nichts Kontroverses vortragen dürfen? Innerparteiliche Landschaften würden weniger planbar, unübersichtlicher, spannender - auch für den Wähler. Könnte dies, eine neue Bescheidenheit, nicht ohnehin der einzige Weg sein, bei Wählern verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen? Die Parteien sollen an der Meinungsbildung des Volkes "mitwirken". Sie sollen sie nicht allein gestalten, was sie angesichts der Medienlandschaft ohnehin schon seit langem nicht mehr können. Aber sie verkennen und überschreiten auch ihre Aufgabe, wenn sie in diesem Medienumfeld den Versuch unternehmen, mit millionenschweren Anzeigen- und sonstigen Werbekampagnen und mit ganzen Heerscharen hauptamtlicher Mitarbeiter Wahlen zu gewinnen. Die Amerikanisierung der deutschen Politik, in der die Parteien keine Debatten mehr führen, sondern sich nur noch als Spendenakquisitionsvereine betätigen, die allenfalls, wenn eine Wahl bevorsteht, zum "caucus" zusammentreffen und für die im Zweifel derjenige der beste Kandidat ist, der das meiste Geld beschaffen kann, ist ein falscher Weg für eine Demokratie, die auf Wahlbeteiligungen von deutlich mehr als 50 Prozent Wert legt. Was das Geld angeht: Weniger als bisher wird mehr sein.

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