Immer Ärger mit den Altlasten

In der Ära Kaczynski hat Polen einen nationalkonservativen Sonderweg eingeschlagen, unter dem auch die deutsch-polnischen Beziehungen leiden. Sind die Sozialdemokraten mit ihrem 33-jährigen Parteichef Wojciech Olejniczak eine Alternative mit Zukunft?

Auf fünfzehn Prozent ist das Demokratische Linksbündnis (SLD) in Warschau bei der Sonntagsfrage geklettert. Seit Monaten hält der positive Trend für die polnischen Sozialdemokraten an. Parteichef Wojciech Olejniczak aber kann sich nicht recht freuen. Denn unlängst ist seine Partei wieder schwer in die Defensive geraten: Die Medien publizierten Auszüge aus einem heimlich aufgenommenen Gespräch zwischen dem früheren Partei- und Regierungschef Jozef Oleksy und dem Multimillionär Aleksander Gudzowaty, der sein riesiges Vermögen in der ersten Hälfte der neunziger Jahre auf undurchsichtige Weise angehäuft hat. Oleksy berichtete seinem Gesprächspartner bei Wein und Cognac von angeblich korrupten Geschäften des früheren SLD-Vorsitzenden und Staatsoberhauptes Aleksander Kwasniewski sowie des ehemaligen Partei- und Regierungschefs Leszek Miller, ebenfalls SLD.

Die Warschauer Führung um die konservativen Kaczynski-Zwillinge, seit Monaten im Umfragetief, freut sich unverhohlen über dieses Geschenk; die regierungsnahen Medien berichten derzeit ausführlich über den Streit unter den Sozialdemokraten, dessen vorläufiger Höhepunkt der Austritt Oleksys aus dem Linksbündnis war. Ganz offensichtlich wollte der Politiker, der auch schon Parlamentspräsident und Innenminister war, einem Parteiausschluss zuvorkommen. Denn nun ermittelt die Staatsanwaltschaft, und auch die drei früheren Parteichefs werden befragt werden. Selbst wenn sich Oleksys Äußerungen als haltlos erweisen sollten, für das Linksbündnis wird der Vorgang allemal unangenehm bleiben. Die Medien werden immer wieder auf das Thema „Korruption unter Postkommunisten“ zurückkommen.

Dies ist wohl der Hauptgrund für die Schwäche der Sozialdemokraten an der Weichsel. Vor allem aufgrund einer Serie von Publikationen über Finanzaffären und Korruptionsskandale, die bis in die Parteiführung reichten, verlor das SLD nach der vergangenen Wahlperiode fast drei Viertel seiner Wähler. Hatte das Demokratische Linksbündnis, gemeinsam mit der aus dem linken Flügel der Gewerkschaft Solidarnosc hervorgegangenen kleinen Union der Arbeit (UP), bei den Sejm-Wahlen 2001 noch triumphale 41 Prozent der Stimmen verbuchen können, stürzte es bei den Wahlen im Jahr 2005 auf elf Prozent ab. Überraschend wurde damals die von Jaroslaw Kaczynski geführte Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) mit 27 Prozent zur stärksten Gruppierung.

Kein Bruch mit der düsteren Vergangenheit

Die Affären und Skandale, die der Partei diesen massiven Stimmenverlust bescherten, sind Folgen der fehlenden Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit. Das Linksbündnis entstand ohne große Brüche und Erschütterungen aus der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR), die wiederum ein Zwangsbündnis zwischen den Sozialisten und den zuvor nahezu unbedeutenden Kommunisten war – ähnlich der SED in der Sowjetischen Besatzungszone.

Wie die Bruderparteien in den anderen Staaten des Ostblocks hatte auch die PZPR versucht, die Gesellschaft mit einem riesigen Repressionsapparat zu kontrollieren – und gleichzeitig die Volkswirtschaft ruiniert. Um den drohenden Staatsbankrott und Massenunruhen zu vermeiden, musste sie Ende der achtziger Jahre, als während der Perestroika vom Kreml weder finanzielle noch militärische Hilfe zu erwarten war, die verbotene Gewerkschaft Solidarnosc wieder zulassen. Am Runden Tisch handelten beide Seiten einen Kompromiss aus, der zu den ersten partiell freien Wahlen im Ostblock am 4. Juni 1989 führte. Die Solidarnosc erzielte zwar einen Erdrutschsieg. Doch zwei Drittel der Sejm-Mandate waren den damaligen Blockparteien unter Führung der PZPR vorbehalten. Beide Seiten einigten sich schließlich auf eine Koalitionsregierung unter Führung des Solidarnosc-Beraters Tadeusz Mazowiecki.

Rasante Rückkehr an die Macht

Wenige Monate darauf, im Januar 1990, entstand aus der PZPR die Sozialdemokratische Partei (SdRP), die sich später in Demokratisches Linksbündnis (SLD) umbenannte. Schon drei Jahre später kehrte sie an die Macht zurück, da die Solidarnosc mittlerweile zerfallen war und ihre ehemaligen Führer sich öffentlich bekämpften. Ein Grund für die Konflikte waren die scharfen Attacken der Sozialdemokraten im Wahlkampf 1993 gegen den harten Reformkurs, den der Finanzminister Leszek Balcerowicz nach der Wende eingeleitet hatte.

Heute allerdings vertreten dem Linksbündnis nahe stehende Publizisten die Auffassung, die Regierungsübernahme sei nur wenige Jahre nach dem politischen Bankrott der PZPR und der Volksrepublik zu früh gekommen. Zu ihnen gehört der greise Mieczyslaw Rakowski, der unmittelbar vor der Wende Ministerpräsident und Vorsitzender der PZPR war. Seiner Meinung nach nahm die frühe Rückkehr an die Macht seinen Genossen den Druck, sich ein programmatisches Profil zu geben.

Dabei hatte Rakowski in der ersten Hälfte der neunziger Jahre großen Anteil daran, dass die gewendeten Sozialdemokraten ihre Vergangenheit überaus gründlich verdrängten: Er ebnete ihnen dank seiner über Jahrzehnte gepflegten Kontakte zu führenden westeuropäischen Politikern, darunter sein Freund Willy Brandt, den Weg in die Sozialistische Internationale. Dies gelang ziemlich reibungslos, trotz der Bedenken von Polen-erfahrenen deutschen Sozialdemokraten wie etwa Hans-Jochen Vogel, der vom damaligen Parteichef Björn Engholm als eine Art Pfadfinder nach Warschau geschickt worden war. Nach Unterredungen mit den gewendeten Genossen, darunter dem Vorsitzenden Aleksander Kwasniewski und dem Generalsekretär Leszek Miller, hatte Vogel intern erklärt, er könne bei ihnen bestenfalls ansatzweise eine sozialdemokratische Programmatik erkennen. Ebenso wie die späteren kurzzeitigen Regierungschefs Wlodzimierz Cimoszewicz und Jozef Oleksy hatten seine Gesprächspartner zur jungen aufstiegsorientierten PZPR-Elite gehört, die den Glauben an die Parteiideologie längst verloren oder ihn nie geteilt hatte. Sowohl die Dogmatiker in der Partei als auch die Opposition um die Solidarnosc nannten sie schlicht „ideologiefreie“ Karrieristen.

Keiner kümmerte sich um die „Erziehung“

Jedenfalls fanden diese polnischen Genossen bei dem Versuch, auch nach dem Untergang der PZPR einen Platz in der internationalen Politik einzunehmen, mit dem spanischen Sozialistenchef Felipe Gonzalez einen einflussreichen Fürsprecher, der sich allerdings bis dahin nicht durch besonderes Wissen über die Verhältnisse in Warschau ausgezeichnet hatte. Er empfahl die Aufnahme der PZPR in die Sozialistische Internationale. Seine Maßgabe: Die Polen seien „streng programmatisch zu erziehen“. Doch dann, so stellen sich die Dinge heute dar, fühlte sich für diese „Erziehung“ niemand richtig zuständig. Man sah in den westeuropäischen Hauptstädten auch wenig Grund dafür. Denn energisch setzte Kwasniewski einen Westschwenk der früher Moskau-hörigen Genossen durch und erklärte die Mitgliedschaft in Nato und EU zum strategischen Ziel auch seiner Partei; überdies hatte die PZPR längst der Planwirtschaft abgeschworen.

In der SPD entschied man sich sehr schnell für eine enge Zusammenarbeit mit den ehemaligen PZPR-Kadern. Rasch fand sich mit Kwasniewski und dem in die Parteiführung aufgestiegenen Oleksy im wörtlichen Sinne eine gemeinsame Sprache, da beide sehr gut Deutsch sprechen. Die Sozialdemokraten drängten sie nicht dazu, sich von belasteten Funktionären zu trennen, weil dies als Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Nachbarlandes hätte angesehen werden können.

Die Mentalität der Staatspartei blieb

Offiziell betrachteten die SPD und die Sozialistische Internationale zwar auch die kleine Union der Arbeit als Partner. Doch beklagten die früheren Aktivisten des linken Flügels der Solidarnosc, dass sie eine weitaus geringere Unterstützung aus dem Ausland bekämen als die Postkommunisten, die die Mentalität einer Staatspartei nie abgelegt hätten und dazu auch nicht angehalten würden. Die Anfang der neunziger Jahre in Warschau eröffnete Vertretung der Friedrich-Ebert-Stiftung jedenfalls tat dies nicht. Die FES entsandte zunächst Repräsentanten an die Weichsel, die kein Polnisch sprachen und deshalb nicht recht verstanden, dass die postkommunistischen Sozialdemokraten kaum an einer Programmdebatte interessiert waren.

Wozu sollten sie sich auch den Mühen einer programmatischen Selbstfindung unterziehen? Ohne Probleme hatten sie Anschluss an die politischen Strukturen des Westens und Zugang zu dessen politischen Salons gefunden. Bereits 1993 waren sie wieder Minister, Behördenchefs, Generaldirektoren geworden; im Zeichen der Marktwirtschaft auch Aufsichtsratsvorsitzende oder gar Inhaber großer Aktienpakete. Kwasniewski gewann 1995 sogar die Präsidentenwahlen – ausgerechnet gegen den alten Solidarnosc-Haudegen Lech Walesa. So siegessicher fühlten sich nun der neue Präsident und seine Mitstreiter, dass sie auch jene Gefolgsleute in wichtige Positionen aufrücken ließen, die die düsteren Seiten des untergegangenen Regimes repräsentierten.

So wurde der frühere Pressesprecher des Zentralkomitees, Jan Bisztyga, bekannt für seine Manipulationen und Lügen, Leiter der Kanzlei des Ministerpräsidenten; ein General, der Streiks brutal hatte niederschlagen lassen, stieg in die oberste Armeeführung auf; der Anführer eines Rollkommandos des Staatssicherheitsdienstes wurde Konzernchef. Auf allen Verwaltungsebenen und in allen staatlichen Institutionen sowie Betrieben übernahmen zu Sozialdemokraten gewendete ehemalige PZPR-Kader Schlüsselpositionen. Sie schienen die großen Gewinner der Wende geworden zu sein – und verhehlten nicht, dass sie sich als Sieger fühlten, die es sich leisten konnten, nahezu alle ehemaligen Solidarnosc-Aktivisten aus der Staatsverwaltung zu drängen.

Alte Arroganz und neuer Reichtum

Diese Arroganz der Macht, gepaart mit der offenen Zurschaustellung eines neuen Reichtums, war einer der Gründe, warum die Postkommunisten 1997, nach nur vier Jahren Regierungszeit, die Macht wieder verloren. Da aber das damals siegreiche konservative Lager wegen weltanschaulicher Streitfragen sehr rasch zerfiel, konnte sich das mittlerweile von Miller geführte Linksbündnis als pragmatische Alternative präsentieren und die Wahlen 2001 souverän gewinnen.

Miller und seine Mannen schienen jedoch wenig aus der Niederlage von 1997 gelernt zu haben. Wieder machten provozierende Personalentscheidungen Schlagzeilen. So wurde ein Staatsanwalt, der unter dem Kriegsrecht Solidarnosc-Aktivisten hinter Gittern bringen und besonderen Schikanen aussetzen ließ, zum Vertreter des Justizministers. Für Erstaunen sorgte auch die Wahl Longin Pastusiaks zum Senatspräsidenten: Zu PZPR-Zeiten hatte er als Propagandist des Zentralkomitees noch vor dem „kriegstreiberischen amerikanischen Imperialismus“ gewarnt, in den neunziger Jahren publizierte er dann Bücher über die polnisch-amerikanische Freundschaft. Auf die Frage nach seiner politischen Vision erklärte Miller: „Politik ist, seine eigenen Leute in Positionen zu bringen.“ Vermutlich meinte er das keineswegs ironisch.

Diese Personalpolitik und die bis in die Parteispitze hineinreichenden Korruptionsskandale hatten auch einen außenpolitischen Aspekt, denn das Linksbündnis war zu einer entschieden proeuropäischen Gruppierung geworden. Die Affären gaben nun der damaligen rechten Opposition die Gelegenheit, diese Europapolitik zu diskreditieren und vor einer Annäherung an europäische Strukturen zu warnen.

Ihre Glaubwürdigkeit beschädigten die Sozialdemokraten überdies mit ihrem Wirtschaftskurs: Im Wahlkampf hatten sie die radikalen Reformen der ersten Solidarnosc-Regierung von 1989 angeprangert und viele soziale Wohltaten für die Reformverlierer versprochen. Einmal an die Macht zurückgekehrt, hielten sie an den Grundzügen genau dieser Wirtschaftspolitik Balcerowiczs fest, die zweifellos dem Gebot der Vernunft entsprach, weil sie ein langfristiges Wachstum sicherte. Doch damit gaben sie – nicht nur in den Augen eines Teils der mit ihnen verbündeten Publizisten wie Rakowski – sozialdemokratische Positionen schon im Ansatz auf und überließen dieses Feld anderen Gruppen.

Die junge SLD-Führung kennt das Problem

Entschlossen versuchte die PIS der Kaczynski-Zwillinge, dieses Vakuum zu füllen. Die westlichen Medien etikettieren sie gern als „nationalkonservativ“, doch trifft das nur für die weltanschaulichen Positionen zu. Ihr Wirtschaftsprogramm hingegen entspricht durchaus dem der SPD vor Godesberg. Hingegen verkörpert die SLD nahezu das Gegenteil: Bei ideologischen Konflikten – um den Abtreibungsparagraphen, die Rechte von Homosexuellen oder den Religionsunterricht in der Schule – vertritt sie linke oder linksliberale Positionen. Doch ihre Wirtschaftspolitik folgte in der Praxis eher neoliberalen Ideen und war überdies von extremer Vetternwirtschaft und Kumpanei mit den Oligarchen wie Gudzowaty geprägt, die ebenfalls aus der PZPR oder aus Geheimdienststrukturen stammen. Die Öffentlichkeit erfuhr eine pikante Einzelheit über das skandalträchtige Gespräch zwischen Gudzowaty und Oleksy. Auch der einstige ZK-Propagandist Bisztyga war zugegen gewesen; er arbeitet heute für den Multimillionär Gudzowaty. Bisztyga gab zu, dass er das Gespräch mitschneiden lassen und der Staatsanwaltschaft übergeben habe. Auf diese Weise bekam die regierungsnahe Presse die Gelegenheit, von einer „Schlammschlacht“ auf Seiten der Linken zu berichten.

Viele links eingestellte Polen sehen sich in einem grundlegenden Dilemma: Die Kaczynskis haben das „linke“ Wirtschaftsprogramm, stehen jedoch weltanschaulich rechts, während es sich beim Linksbündnis nahezu umgekehrt verhält. Hinzu kommt, dass die Zwillinge als persönlich integer gelten, was die überwältigende Mehrheit der polnischen Wähler nicht über die SLD-Führer sagen würde, die in den letzten anderthalb Jahrzehnten nicht nur an der Parteispitze standen, sondern auch hohe Staats- und Regierungsämter innehatten. Die Folge: Ein Großteil der links orientierten Polen geht nicht zur Wahl.

Die derzeitige junge SLD-Führung um den 33 Jahre alten Olejniczak ist sich dieser Defizite ihrer Partei offenbar bewusst. Die Frage ist, ob sie sich gegen die alten Kräfte durchsetzen kann, die ihre Karriere in der PZPR begonnen haben. Das Problem Oleksy hat sich durch die publizierten Tonbänder von selbst gelöst: Er hat die Partei verlassen. Zuvor hatte schon Cimoszewicz, der im Jahr 2005 nach der Aufdeckung von Insidergeschäften vorzeitig das Rennen um die Präsidentschaft aufgeben musste, seinen Abschied aus der Politik verkündet. Jedoch möchte sich Leszek Miller wieder bei den Sozialdemokraten nützlich machen, worüber sich Olejniczak wenig freuen dürfte. Schließlich stand Miller bei seinem vorzeitigen Rücktritt als Premier 2004 ganz unten auf der Popularitätsskala; die Ermittlungen wegen mehrerer Korruptionsaffären, in die er verwickelt sein soll, sind noch nicht abgeschlossen.

Neuanfang mit Kwasniewski?

Miller wird also von den jungen Sozialdemokraten um Olejniczak eher als Altlast angesehen. Überdies gilt er als politischer Intimfeind Kwasniewskis, der sich nach seiner zweiten Amtszeit als Präsident Ende 2005 eine Auszeit genommen, nun aber ebenfalls seine Rückkehr in die Politik angekündigt hat. Bei der Mehrheit der Polen ist Kwasniewski noch beliebt, Umfragen zufolge haben ihm die Anschuldigungen Oleksys nicht geschadet. Allerdings haben die von der Regierung kontrollierten Justizbehörden angekündigt, seine Vermögensverhältnisse zu durchleuchten. Übersteht er dies schadlos, könnte er wieder eine führende Rolle in der polnischen Politik spielen. Doch gehen die Meinungen darüber auseinander, ob der Pragmatiker Kwasniewski auch für einen programmatischen Neuanfang der polnischen Sozialdemokraten stehen könnte.

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