Hausfrauen können wir uns nicht mehr leisten



In den Leitsätzen zum neuen Grundsatzprogramm heißt es zum Thema Geschlechtergerechtigkeit zu Recht: „In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Frauen mehr Chancen in der Arbeitswelt erkämpft. Dennoch ist der Weg zu wirklich gleichen Chancen noch durch viele Hindernisse verstellt.“

Woran liegt das? Einer der wichtigsten Gründe ist das traditionelle Familienbild, das in unseren Rechts-, Steuer- und Sozialsystemen tief verankert ist. Es spiegelt sich auch in einer Reihe von Sozialleistungen wider, die Arbeit für verheiratete Frauen unattraktiv machen. Beispielsweise müssen verheiratete Frauen keine eigene Altersversorgung aufbauen, solange es die Witwenrente gibt. Die beitragsfreie Mitversicherung in der Krankenversicherung entfällt, wenn die Frau arbeiten geht. Und das Ehegattensplitting lohnt sich dann am meisten, wenn nur ein Ehepartner arbeitet.

Der Fachkräftemangel steht vor der Tür

Diese Fehlanreize haben enorme Auswirkungen: auf die Rolle der Frauen in unserer Gesellschaft, aber auch auf unsere Volkswirtschaft. Ganz gleich, ob die Emanzipation Hausfrauen und Mütter tatsächlich herabgewürdigt hat oder ob die Bedeutung der Arbeit für die Selbstverwirklichung überbewertet wird, wie die ehemalige Tagesschau-Sprecherin Eva Herman glaubt: Unsere Volkswirtschaft kann sich Hausfrauen einfach nicht leisten. Wir sind – besonders vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung – auf die Arbeitskraft gut ausgebildeter Frauen dringend angewiesen.

Trotz anhaltend hoher Arbeitslosigkeit zeichnet sich in der Wirtschaft ein Fachkräftemangel ab, der sich in den nächsten Jahren weiter verstärken wird. Gleichzeitig belegen wissenschaftliche Untersuchungen, dass Frauen besonders häufig hoch qualifiziert und gut ausgebildet sind. Deshalb müssen wir unbedingt Maßnahmen ergreifen, die zu einer Erhöhung der Frauenerwerbsquote führen. Denn trotz unbestreitbarer Fortschritte auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung liegt Deutschland mit einer Frauenerwerbsquote von knapp 65 Prozent europaweit nur im unteren Mittelfeld. An der Spitze stehen die – ökonomisch erfolgreicheren – skandinavischen Länder mit Frauenerwerbsquoten von etwa 80 Prozent.

Fehlanreize müssen auf den Prüfstand

Um mehr Frauen auf den Arbeitsmarkt zu bringen, müssen wir die erwähnten Fehlanreize im Steuer- und Sozialversicherungsrecht beseitigen. So sollten wir die Witwenrenten für jüngere Jahrgänge und die beitragsfreie Mitversicherung in der Krankenversicherung schrittweise abschaffen und das Ehegattensplitting auf das verfassungsrechtlich notwendige Maß reduzieren. Auch die Steuerklasse V – überwiegend von Frauen gewählt, die weniger verdienen als ihre Männer – gehört auf den Prüfstand: Weil ihr Einkommen hoch besteuert wird, hat die arbeitende Ehefrau nämlich subjektiv das Gefühl, sehr schlecht zu verdienen. Der ohnehin besser verdienende Mann genießt derweil die Vorteile der Steuerklasse III und zahlt weniger Steuern.

Gleichberechtigung durch Unabhängigkeit

Auf die Beseitigung dieser Fehlanreize dürfen wir uns allerdings nicht beschränken. Zusätzlich müssen wir die Betreuungsmöglichkeiten für Kinder ausbauen und die steuerliche Anerkennung des Haushaltes als Arbeitgeber durchsetzen. Mit den vorgeschlagenen Kürzungen könnten wir aber enorme Summen einsparen und an anderer Stelle sinnvoll investieren. Allein das Ehegattensplitting kostet den Staat jährlich rund 20 Milliarden Euro. Für Krippen, Kindergärten und Horte geben Bund und Länder zusammen dagegen nur rund acht Milliarden Euro im Jahr aus. Außerdem ließen sich durch die Kürzung der genannten Sozialleistungen die Lohnnebenkosten senken. Niedrigere Lohnnebenkosten, der Ausbau der Betreuungsmöglichkeiten sowie die Anerkennung des Haushaltes als Arbeitgeber – so könnte eine Vielzahl neuer Jobs entstehen.

Es ist kaum verwunderlich, dass in der Politik noch immer das altbackene Familienbild vom männlichen Alleinernährer vorherrscht. Besonders profitabel sind die derzeitigen Regelungen nämlich für Männer, die mit ihrem guten Einkommen die ganze Familie alleine versorgen können – also auch für einen Großteil der Politiker. Finanziert wird diese „Versorgerehe“ letztlich von Alleinerziehenden und Menschen mit geringen Einkommen. Sie kümmern sich neben ihrer Arbeit um Kinder und Haushalt und zahlen zudem die Beiträge, aus denen Leistungen wie Witwenrente, beitragsfreie Mitversicherung und Ehegattensplitting finanziert werden. Die bestehenden Sozialleistungen fördern also nicht nur ein veraltetes Frauenbild. Sie sind auch zutiefst ungerecht.

Kritiker argumentieren, derlei Veränderungen im Sozialversicherungssystem könnten die Bedeutung von Ehe und Familie schmälern, was wiederum negative Auswirkungen auf die Geburtenrate haben werde. Dieser Vorwurf trifft bei genauerer Betrachtung ebenso wenig zu, wie die Behauptung, arbeitende Frauen bekämen weniger Kinder. Denn die „Normalfamilie“ scheint ohnehin ein Auslaufmodell zu sein. Im Vergleich zu anderen Lebensformen wird die Ehe immer seltener, immer mehr Kinder werden nichtehelich geboren. Gleichzeitig machen uns die europäischen Nachbarn vor, dass hohe Frauenerwerbsquoten und hohe Geburtenraten sich nicht ausschließen. Vielmehr entscheiden sich Frauen vor allem dann für Kinder, wenn sie gleichberechtigt und dadurch unabhängig sind. Gelingt es also, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf entscheidend zu verbessern, könnte eine höhere Frauenerwerbsquote auch bei uns zu einem Anstieg der Geburtenrate führen.

„Hindernisse“ aufzeigen reicht nicht

Dafür muss aber nicht nur die Politik, sondern auch die Gesellschaft zu einem Paradigmenwechsel bereit sein. Noch immer existiert in vielen Köpfen das Bild der „Rabenmutter“. Noch immer verdienen Frauen durchschnittlich 25 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen mit gleicher Qualifikation. Das SPD-Grundsatzprogramm könnte zu diesem Umdenken beitragen, indem es die notwendigen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen klar benennt. Deshalb sollte es deutlich über die in den Leitsätzen nur vage formulierten Hinweise auf existierende „Hindernisse“ hinausgehen.

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