Gute Argumente gegen den Ausstieg

ROLF LINKOHR über Jeanne Rubner, Zurück zur Kernkraft?, Berliner Republik 5/2006

"Zurück zur Kernkraft?“ fragt Jeanne Rubner zu Recht in der Berliner Republik 5/2006 und weist auf die vor allem in Deutschland irrational und emotional geführte Debatte zur Kernenergie hin. Es gibt in der Tat mehrere Gründe, warum ein Ausstieg aus der Kernenergie keinen Sinn ergibt – und andere Staaten ihn nicht erwägen.

Erstens steigt der weltweite Energie- und Stromverbrauch. Immer mehr Staaten wollen ihre Energieversorgung deshalb auch mit der Kernenergie sichern. Sie erzeugt etwa ein Sechstel des weltweit verbrauchten Stroms. So plant Großbritannien den Bau von sechs neuen Kraftwerken. Viele Länder verlängern die Laufzeit ihrer Reaktoren auf bis zu 60 Jahre. Denn entgegen landläufiger Meinung reichen die Uranvorkommen noch sehr lange. Sollte es tatsächlich einmal knapp werden, wäre Thorium eine Alternative.

Zweitens haben unsere Kernkraftwerke einen sehr hohen Sicherheitsstandard erreicht. Seit der Tschernobyl-Katastrophe hat die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) weltweit für technische Verbesserungen gesorgt und das Personal der Kraftwerke geschult. Aus den Reaktoren der so genannten dritten Generation kann selbst im schlimmsten Fall keine Radioaktivität austreten. Die Kraftwerke der kommenden, vierten Generation werden sich vor einem Störfall sogar selbst abschalten. Kernreaktoren sind damit sicherer als Industrieanlagen in anderen Bereichen.

Drittens ist die Abfallentsorgung weniger ein wissenschaftliches als ein psychologisches Problem. Finnland hat jüngst als erstes Land einen Ort für ein Endlager bestimmt. In den Vereinigten Staaten will das Energieministerium bis Mitte 2008 den Bau des Endlagers Yucca Mountain/Nevada beantragen. Und das französische Parlament verabschiedete vor fünf Monaten ein Gesetz, das Zeitplan und Realisierung einer Endlagerung festlegte.

Viertens emittieren Kernreaktoren kein Kohlendioxid und brauchen somit keine teuren Kohlendioxid-Emissionszertifikate. Dadurch haben sie einen klimapolitischen und wirtschaftlichen Vorteil.

Niemand kann uns den Atomausstieg verbieten, doch hat er auch für unsere Nachbarländer Folgen. Da Kernkraftwerke im Gegensatz zu alternativen Energien in der Grundlast arbeiten, können nur Kohle oder Erdgas sie vollständig ersetzen. Dadurch würde mehr Kohlendioxid erzeugt und das Gas knapper, also teurer. Deutschland müsste noch mehr Gas aus Russland kaufen, was zu Lieferengpässen führen würde. Für den Eigenbedarf müssten die Russen zusätzliche Kernkraftwerke bauen. Wo liegt da der tiefere Sinn?

Der deutsche Ausstieg ist gar keiner

Hinzu kommt: Im europäischen Binnenmarkt können Energieunternehmen überall in Europa in Kraftwerke investieren. So beteiligt sich die italienische ENEL an französischen Kernkraftwerken, obwohl sie in Italien keine eigenen Anlagen bauen darf. Deutsche Unternehmen werden sich vermutlich an britischen Kernkraftwerken beteiligen. Und sollte E.On den Energieriesen ENDESA kaufen, erwirbt das Unternehmen damit auch spanische Kernkraftwerke. Der deutsche Ausstieg relativiert sich also ohnehin.

Nein, die wirklichen Gefahren der Atomenergie liegen nicht in ihrer zivilen Nutzung. Es sind die Kernwaffen, die ein Problem darstellen, weshalb die Anreicherung von Uran unter internationale Kontrolle gestellt werden muss. Zudem sind Terroristen eine Bedrohung. Dieses Risiko teilt die Kernenergie jedoch mit vielen technischen Anlagen. Nicht nur in der Energiewirtschaft müssen die Verantwortlichen deshalb auf Techniken und Verhaltensweisen setzen, die diese Risiken minimieren.

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