Geht′s jetzt los?

EDITORIAL

Könnte es sein, dass in diesen Tagen wirklich etwas in Bewegung kommt? Dass sich seit der Verkündung der "Agenda 2010" am 14. März 2003 eine neue, andere, transformative Idee von Politik durchzusetzen beginnt? Eine, die davon handelt, dass Veränderung möglich ist? Davon, dass die Dinge nicht so bleiben müssen, wie sie sind, sondern anders - besser - gedacht und gemacht werden können? Geht doch noch jener "Ruck" durch unsere Gesellschaft einschließlich ihrer politischen Eliten, den Roman Herzog vor mehr als einem halben Jahrzehnt vergeblich herbeiflehte? Ist der "Mentalitätswechsel" da?

Es kommt darauf an, was man unter "Ruck" und "Mentalitätswechsel" versteht. Wer meint, es wäre möglich, dass nur irgendwo der richtige Hebel umgelegt werden müsste, damit sich die Gewohnheiten und Traditionen eines großen Landes gleichsam auf einen einzigen Schlag verändern, der wird bald wieder ernüchtert sein. In Berlin jedenfalls ist vorerst alles wie immer. Die Menscher eilen noch nicht erkennbar beseelter zu ihren Arbeitsplätzen, erfüllt von frischem Mut zum großen Sprung nach vorn und der Zuversicht, dass sich die Zukunft meistern lassen werde.

Fast muss man sagen: im Gegenteil. Ja, die Erwartungen verändern sich. Immer mehr Menschen begreifen, dass vieles nicht bleiben wird wie es war; sie sehen das ein und wollen nicht blockieren. Doch zugleich: Nein, noch jedenfalls ist die Aussicht auf die "große Transformation" für die wenigsten ein Anlass zu neuer Hoffnung und neuer Zuversicht. Von "Zeiten der Verunsicherung" schreibt Werner Kindsmüller in diesem Heft. Man wappnet sich für den Wandel, aber man fürchtet ihn - und hofft, der Kelch möge an einem vorüber gehen.

Genau deshalb hängt so viel davon ab, dass sich die verbreitete Veränderungserwartung mit der Erkenntnis verbindet, dass damit Verbesserung und neuer Lebenssinn gemeint sein könnte. Der Weg in die Zukunft muss begehbar aussehen, sonst wird ihn keiner beschreiten. Gebraucht werden Anführer, die eine genaue Vorstellung davon haben, wohin sie Reise gehen soll. Gebraucht werden Kompass und Karte. Und gebraucht, da hat Hans Bellstedt ganz Recht, wird eine "Roadshow der Zuversicht", die die Botschaft dort unter die Leute bringt, wo sie tatsächlich leben. Zugleich von der unbedingten Notwendigkeit und Möglichkeit des Aufbruchs wie von den begründeten Befürchtungen vor ihm handelt deshalb diese Strandausgabe der Berliner Republik. Wer sich den "Ruck" voraussetzungslos vorstellt, muss weiter auf ihn warten.

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