Für mich bedeutet Heimat …

Fünf Annäherungen an ein Gefühl von Geborgenheit, Sehnsucht, Verlust und Hoffnung auf Ankunft

Für ein achtjähriges Mädchen aus Polen, das an einem sonnigen Maitag im Jahr 1988 mit seiner Familie in einen Zug nach Deutschland stieg, ist Heimat eine komplizierte, schmerzhafte Angelegenheit. Rückfahrttickets hatten wir keine, und so ist die Heimat bis heute das Entrissene und Verklärte. Heimat war der Geruch von Weihrauch in der Kirche, der Geschmack von Mutters Hühnersuppe, die rußige Stadtluft, das Grau der sozialistischen Häuserfassaden. Und plötzlich war die Heimat fort. Wenn ich zurückkehre nach Krapkowice, wo mein Leben begann, spüre ich das Herzklopfen noch: Du bist daheim. Doch ich bin eine Fremde, ein Gast, der nicht lange bleibt.   

Unsere Vorstellung von Heimat ist an einen Ursprung gebunden. Und doch muss ein Mensch, der das Vertraute aufgegeben hat, nicht heimatlos bleiben. Wie könnte es anders sein in Zeiten, in denen Biografien tausende Kilometer umspannen, Menschen umziehen, den Job wechseln, sich hier scheiden lassen, dort wieder heiraten? Wer nach einer Heimat sucht, wird nächstes Mal womöglich keinen Ort finden, eher: einen Mensch, den man liebt. Eine Sprache, die einen beheimatet. Etwas, das ­einen in der Welt hält. Dieses suchende Gefühl im Leben, den Wunsch, irgendwann anzukommen, teilen Migranten wie Deutsche gleichermaßen.

In diesen Tagen sehe ich die Bilder von abgewiesenen Flüchtlingen an europäischen Grenzen, von Kindern, die nicht begreifen, was mit ihnen geschieht. Es schmerzt, wie der Zufall über Leben entscheidet; sich daran zu erinnern, was für ein Glück meine Familie damals im Frühjahr 1988 hatte. Eine Heimat zu haben, denke ich mir beim Anblick dieser Bilder, ist fast zu viel verlangt in diesen Zeiten. Ein Ort, an dem man sein darf, würde schon reichen.

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