Es gibt keinen wahren Po im falschen

Feminismus humorlos? Was für ein Quatsch! Emphatischer Popfeminismus verbindet Spaß mit Politik, das Angenehme mit dem Nützlichen. Kritik und Reflexion schließt das nicht aus

Feminismus ist spaßfeindlich – bei dieser Gleichung handelt es sich um einen Mythos, der aktuell in zahlreichen Feuilletons reproduziert wird. Diese Gleichung scheitert allerdings schon am Singular. Der Feminismus – was soll das überhaupt sein? Den Feminismus gibt es nicht, denn nicht nur die Ideen und Gedanken, sondern auch die Werkzeuge und Repräsentationsmittel haben sich ausdifferenziert. Ronja von Rönne, eine der zurzeit am meisten diskutierten KritikerInnen des Feminismus, weist ja schon selbst darauf hin, wenn sie zwischen Netzfeminismus und „Birkenstock-Feminismus“ unterscheidet. Mit letzterem meint sie vermutlich die AkteurInnen der so genannten Zweiten Welle der Frauenbewegung. Damit ist die Aufzählung aber keineswegs vollständig. Ohne ins Detail gehen zu können: Neben den Netz- und „BirkenstockfeministInnen“ gibt es außerdem Queer-, Pop-, Differenz- und PostfeministInnen, Alphamädchen, Riot Grrrls, AktivistInnen, die einen intersektionalen Ansatz vertreten sowie Gaga-FeministInnen, wie sie Judith Jack Halberstam beschreibt (nicht zu verwechseln mit Birgit Kelles „Gender-Gaga“; Kelle ist Antifeministin – von denen gibt es auch noch einige). Die Reihe ließe sich fortsetzen. Von Feminismus im Singular zu sprechen ist ungefähr so, als würde man die gesamte Popkultur auf die Charts reduzieren: Viel würde verloren gehen und es würde dieser Bewegung, die so divers ist, nicht gerecht werden. Die Grenzen zwischen den einzelnen Spielarten des Feminismus sind fließend – ebenso wie die zwischen den Generationen, obwohl das natürlich schön einfach wäre: Der Birkenstock-Feminismus von damals und der Netzfeminismus von heute. Als Arbeitsbegriff könnten wir uns auf die so genannte Dritte Welle einigen, wobei auch dieser Begriff schwierig ist, da er mehr Einheit suggeriert, als de facto vorhanden ist, und die feministischen Bestrebungen seit den siebziger Jahren künstlich von den heutigen abtrennt.

Wer von Dritter Welle spricht, darf den Pop nicht vergessen: Egal ob J. Jack Halberstam Lady Gaga heranzieht, um queer-feministische Dekonstruktionen zu erläutern, oder ob Angela McRobbie sich an Bridget Jones abarbeitet, um den ­Postfeminismus zu kritisieren – die Popkultur in ihrer gesamten Bandbreite ist ein wichtiger Fluchtpunkt aktueller feministischer Bewegungen.

Als populärer Ausgangspunkt hierfür wird in der feministischen Geschichtsschreibung die Riot-Grrrl-Bewegung Anfang der neunziger Jahre gesehen. Genervt davon, dass die Hardcore- und Punkszene nicht nur männerdominiert, sondern auch ­sexistisch ist, erschufen die Riot Grrrls in Olympia (Washington) kurzerhand eine neue Szene. Sie gründeten neue Bands, veranstalteten Konzerte, brachten Fanzines – also selbstgestaltete und -kopierte Magazine – heraus und veröffentlichten ihre Schallplatten bei eigenen Labels. Feministisch aufgeladene Fragen wie die nach der Entscheidungsgewalt über den eigenen Körper oder nach der Repräsentation von Frauen (zum Beispiel innerhalb einer Musikszene) fanden Eingang in Diskussionsrunden und Songtexte (Leseempfehlung: Jonas Engelmann und ­Katja Peglow, Riot Grrrl Revisited). „Riot Grrrls“ nannten und nennen sich diese jungen Frauen, um sich den häufig pejorativ verwendeten „Girl“-Begriff wiederanzueignen. Mit der speziellen Schreibweise ­machen sie deutlich, dass es ihnen nicht um Niedlichkeit, sondern um Wut und Energie geht.

Keine Widerrede, Mann, weil ich ja sowieso gewinn’

Im deutschsprachigen Raum wurde die Riot-Grrrl-Bewegung der neunziger Jahre kaum rezipiert. Die Spice-Girls-Losung der „Girl Power“ und der dazugehörige Girlie-Kult, der die emanzipatorischen Ideen der Riot Grrrls hauptsächlich auf Äußerlichkeiten reduzierte, prägten die deutschsprachige Pop-Rezeption der Bewegung – man denke an Lucilectrics’ Song Weil ich ein Mädchen bin.

Auf Resonanz stieß hingegen das Konzept des „Ladyfests“, das im Jahr 2000 ebenfalls in Olympia als Nachfolge der Riot-Grrrl-Bewegung ins Leben gerufen wurde: Die „Grrrls“ waren inzwischen erwachsen geworden, zu „Ladies“ eben. Mit den Ladyfesten wollten die Veranstalterinnen eine Plattform für Künstlerinnen aus verschiedenen Bereichen wie Musik, Film, Tanz, Comic oder Street-Art schaffen und interessierte Frauen und Mädchen dazu ermutigen sich auszuprobieren. Ladyfeste sind auch heute noch einer emanzipatorischen Praxis verpflichtet und erhöhen gleichzeitig die Sichtbarkeit von kunstschaffenden Frauen. Die feministische Bewegung kann sich an einem Wochenende untereinander verständigen, stärken und gemeinsame Projekte anstoßen. Inzwischen werden im deutschsprachigen Raum mehrmals im Jahr Ladyfeste veranstaltet, zuletzt etwa in Heidelberg, wo neben verschiedenen Sport- und Musikworkshops unter anderem Vorträge über Karl Marx und Michel Foucault sowie Workshops zu „Women in Exile“ und Sexspielzeug angeboten wurden. Die Beispiele veranschaulichen die thematische Bandbreite feministischer Interessen.

Beim ersten Ladyfest in Deutschland, das 2003 in Hamburg stattfand, lernten sich auch Sonja Eismann, Chris Köver und Steffi Lohaus kennen, die fünf Jahre später das Missy Magazine gründeten: Eine feministische Zeitschrift, die sich schwerpunktmäßig der Popkultur widmet. Der Ansatz ist dem der Ladyfeste nicht unähnlich: Mittels der Berichterstattung zu Musik, Film, Literatur und Theater von Frauen soll ein Raum geschaffen werden, in dem auch die journalistische Arbeit in erster Linie von Frauen geleistet wird. Dem gängigen Popkulturmagazin als „Jungsspielplatz“ wird ein weibliches Äquivalent zur Seite gestellt.

900 Euro brutto für die Chefredakteurin

Die Geschichte vom Missy Magazine ist eine Erfolgsgeschichte: Die Auflagenzahl der vierteljährlich erscheinenden Hochglanz-Publikation konnte stetig gesteigert werden, ebenso wie die Klickzahlen der Online-Angebote. Die Expertise der Macherinnen ist in anderen Medien, auf Podien und in Workshops gefragt. Dass diese Erfolgsgeschichte allerdings von Idealismus getragen wird und nicht ohne Entbehrungen auskommt, hat zuletzt Chefredakteurin Katrin Gottschalk im Kleinerdrei-Blog geschildert: „Als Chefredakteurin kann ich mir 900 Euro im Monat auszahlen. Auf Rechnung, also brutto.“ Grund genug für das Missy Magazine, 2015 nicht nur das siebenjährige Bestehen, sondern auch eine gelungene Crowdfunding-Kampagne zu feiern: Mit fast 50.000 Euro Unterstützung fördert die feministisch interessierte Community das Zeitschriftenprojekt, das mit den gewonnenen Mitteln seine Online-Präsenz ausbauen will.

Apropos Online-Präsenz: Stichwort Netzfeminismus – da war doch was! FeministInnen tauschen sich nicht nur innerhalb von Magazinprojekten aus – neben dem Missy Magazine gibt es da natürlich noch die altbekannte Emma, darüber hinaus An.schläge, fiber, Queerulant_in, für den englischsprachigen Raum wären Bust und Bitch zu nennen. Außerdem findet der Austausch in zahlreichen Blogs und anderen sozialen Medien statt. Und was für die Prekarität der JournalistInnen bei feministischen Zeitschriften gilt, potenziert sich für die BloggerInnen. Die für eine Verständigung unter feministischen AktivistInnen nach innen und außen wichtige Arbeit, die etwa bei der Mädchenmannschaft, Kleinerdrei oder Feminismus im Pott geleistet wird, geschieht in der Regel ehrenamtlich und nicht minder idealistisch.

Dass die NetzfeministInnen – die wahrscheinlich heterogenste Gruppe innerhalb der feministischen Bewegung – wichtige Arbeit leisten, die auch außerhalb der so genannten Filterblase für Aufsehen sorgen kann, hat spätestens das Hashtag Aufschrei gezeigt, mit dem sich Frauen über ihre Erfahrungen mit Alltagssexismus austauschen. Schnell wurde #aufschrei auch außerhalb feministischer Kontexte virulent und schaffte ein erschreckendes Panorama individueller sexistischer Erlebnisse. Durch die Berichterstattung in Printmedien, Radio- und Fernsehsendungen wurde das Thema Sexismus auch offline (be-)greifbar: Sexismus ist nicht nur ein individuelles, sondern ein gesamtgesellschaft­liches Problem (Leseempfehlung: Anne Wizorek, Weil ein Aufschrei nicht reicht).

Auch wenn feministischer Aktivismus eine ernste Angelegenheit ist, spaßfeindlich ist er nicht. So bietet die Popkultur immer mal wieder Möglichkeiten zum Feiern. Beispielhaft sei Beyoncés Song Flawless genannt – eine feministische Pophymne: „Feminist: The person who believes in the social, political, and economic equality of the sexes“, heißt es darin. Ein Bekenntnis zum Feminismus? Nun, das „F-Wort“ geht ­Beyoncé nicht selbst über die Lippen, dafür aber der nigerianischen Schriftstellerin und Aktivistin Chimamanda Ngozi Adichie. In einem TED-Talk hatte sie 2012 ein Plädoyer mit dem Titel „We should all be feminists“ gehalten. Bei Youtube hat das Video inzwischen über zwei Millionen Klicks. Ein Grund dürfte sein, dass Teile dieses Vortrags von Beyoncé in ihrem Song gesampelt wurden. Bei den MTV Video Music Awards stand Beyoncé sogar bildlich vor dieser Botschaft: In einem 20-minütigen Medley ihrer aktuellen Songs performte sie Flawless vor einem gigantisch-funkelnden Banner mit der Aufschrift „Feminist“.

Wer kritisiert, ist noch lange nicht verbiestert

Feminismus und Pop – geht das überhaupt zusammen? Nein, meinen die KritikerInnen: Pop als Massenkultur, als Teil des ­kapitalistischen, hegemonialen und patriarchalen Systems stehe den Forderungen des Feminismus diametral entgegen. „Es gibt keinen wahren Po im Falschen“, wie PeterLicht mit Blick auf Theodor Adornos berühmtes Diktum singt.

Pop und Feminismus: Na klar!, sind die popsozialisierten VerfechterInnen eines emphatischen Feminismus überzeugt. Das emanzipatorische Potenzial der Popkultur ist eben nicht zu unterschätzen: Wenn Beyoncé, die ihre Songs inzwischen selbst schreibt und produziert, als woman of colour selbstbestimmt von Sex, Gleichberechtigung und Mutterschaft singt und in selbstproduzierten Handy-Videos mit dem Pop-Marionetten-Mythos aufräumt, so könnte man sagen: Da schwingt genau die ­Richtige ihren Po im Pop.

Beyoncé ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Mit An einem Tag für rote Schuhe lieferte Kerstin Grether 2014 den Pop-­Roman schlechthin, der viele Themen der feministischen Bewegung abbildete. Mit Orange Is The New Black geht in diesem Sommer eine Netflix-Serie in die dritte Staffel, die sich unter anderem mit intersektionaler Diskriminierung befasst. Mit Tariks Genderkrise hat in diesem Jahr eine Videokolumne begonnen, die in poppigem Design und recht niedrigschwellig erklärt, was es mit Sexismus und Co auf sich hat – und die Aktivistin Sookee wurde dieses Jahr als queerfeministische Rapperin von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes als Botschafterin gegen Geschlechterdiskriminierung ausgewählt.

Popfeminismus – als eine Spielart des Feminismus – verbindet Spaß mit Politik, das Angenehme mit dem Nützlichen. FeministInnen sind Fans: Fans der Popkultur und oft auch Fans voneinander. Gelegenheiten und Räume zum Austausch, zur Vernetzung und Stärkung schafft sich die feministische Bewegung selbst. Mit dem Hashtag Aufschrei, Beyoncé und Co ist es gelungen, ansonsten eher in szeneinternen und gegenöffent­lichen (wenn auch nicht geheimen) Räumen verhandelte Ideen in die breite Öffentlichkeit zu tragen und dort – so die Theorie – das eine oder andere zu etablieren, was für FeministInnen selbstverständlich ist. In der Praxis bedeutet dies, dass bei aller Emphase die Kritik – auch untereinander – nicht ausbleibt. Mit Spaßfeindlichkeit hat das aber nichts zu tun, sondern mit Reflexionsvermögen.«

Soundtrack zum Text: Gossip, Pop goes the world, 2009

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