Entmachtet das Bundesverfassungsgericht!

Immer mehr Gesetze landen in Karlsruhe - und die obersten deutschen Richter finden ständig größeren Gefallen an der Ausübung politischer Gewalt. Höchste Zeit dafür, das Wahrheitsmonopol der elitären Oligarchen in Rot zu bändigen

Öffentliche Kritik am Bundesverfassungsgericht ist selten. Denn die Roten Roben in Karlsruhe erscheinen unentbehrlich und unfehlbar zugleich. Was sie sagen, wird hingenommen. Gesetzgeber und Öffentlichkeit haben sich danach zu richten. Und beschwert sich einmal eine Persönlichkeit der Politik über die höchste deutsche Rechtsinstanz, wie im Jahr 1973, als Kanzleramtsminister Horst Ehmke gesagt haben soll, er lasse sich "von den acht Arschlöchern in Karlsruhe" seine Ostpolitik nicht kaputtmachen, dann wittert die versammelte Hofjournaille den Verfassungsnotstand und spricht von der "Demontage des Bundesverfassungsgerichts".

Dementsprechend ist heftige Kritik am Bundesverfassungsgericht in der jüngeren Vergangenheit ausgeblieben, sieht man einmal von ein paar Aufsätzen in wenig gelesenen juristischen Fachzeitschriften und einer katholischen Demonstration im Karlsruher Schlosspark gegen den "Kruzifix"-Beschluss ab.

Derart gesellschaftlich akzeptiert haben sich die Verfassungsrichterinnen und -richter in den vergangenen Jahren ein Imperium aufgebaut, das sie längst mächtiger hat werden lassen als alle parlamentarischen Institutionen zusammen. Das Bedenkliche dabei: Dieser Umstand ist nur bedingt der Unsitte der jeweiligen Opposition zu verdanken, Gesetze in Karlsruhe auf den Prüfstand zu stellen, und schon gar nicht dem Wortlaut der Verfassung selbst. Das meiste an Macht haben sich die Verfassungsrichter selbst gegeben: durch eine Neudefinition ihrer eigenen Kompetenzen.

Sendungsbewusstsein und Machtstreben

Der Staatsrechtslehrer Winfried Brohm, ein Schüler des oben vermeintlich zitierten Horst Ehmke, sieht im Bundesverfassungsgericht die Gefahr einer "elitären Oligarchie", die darin bestehe, dass Kompetenzträger aus Engagement, Sendungsbewusstsein oder persönlichem Machtstreben dazu neigten, ihre Entscheidungsbefugnisse laufend zu erweitern, auch gegen die Interessen der von ihnen vertretenen Institution.

In Wirklichkeit regieren die Oligarchen schon längst - und das Parlament hat seine ureigene Rolle, politisch über die Notwendigkeit von Gesetzen zu entscheiden, bereits eingebüßt. Schon lange werden in Karlsruhe nicht mehr in erster Linie Grundrechte "gehütet", längst wird hier Politik gemacht. Vor allem die abstrakten Normenkontrollverfahren sind es, die dem Bundesverfassungsgericht hinreichend Gelegenheit dazu geben: Lauschangriff, AWACS, Nato-Konzept, Lebenspartnerschaftsgesetz, Zuwanderung, Atomkonsens, TV-Duell der Kanzlerkandidaten, Abschaffung der Studiengebühren, Gesundheitsreform, womöglich auch das Haushaltsgesetz des Bundes - die Liste ließe sich ohne weiteres verlängern: Jede gesellschaftlich bedeutende Regelung endet mit hundertprozentiger Sicherheit in Karlsruhe.

Dort begnügen sich die Verfassungsrichter schon lange nicht mehr damit, auf bequeme Weise Gesetze zu verwerfen (sie zu erfinden erscheint im Übrigen ganz entschieden anspruchsvoller), sie machen den Umgang mit der Verfassung durch eine Anmaßung von Kompetenzen, die sich aus dem Grundgesetz schlichtweg nicht ableiten lassen, immer unberechenbarer und verunsichern dadurch den Gesetzgeber. Der Buchstabe der Verfassung ist nicht mehr der Maßstab verfassungsgerichtlicher Entscheidungen.

Beispiel Maastricht: In seiner Entscheidung über das Zustimmungsgesetz zum Maastrichter Vertrag billigt das Bundesverfassungsgericht in freier Rechts(er)findung Deutschland ein Austrittsrecht aus der Europäischen Union zu, falls die Stabilitätskriterien nicht eingehalten werden, obwohl aus dem Maastrichter Vertrag das genaue Gegenteil hervorgeht. Beispiel Rechtschreibreform: Kein Zivil- oder Verwaltungsgericht in Deutschland würde auf die Idee kommen, ein Urteil zu erlassen, wenn der Kläger seine Klage zurückgenommen hat. Anders das Bundesverfassungsgericht: Die Rücknahme der Klage sei schlichtweg "unwirksam", denn die Sache sei von "allgemeiner Bedeutung" wegen der "Auslegung und Fortbildung" des Verfassungsrechts.

Ohne Not erfinderisch

Am eklatantesten ist die richterliche Rechtsfortbildung jenseits der Verfassung ausgerechnet dort, wo das Gefüge unseres Grundgesetzes am sensibelsten ist: in Fragen des Föderalismus. Wer allein ist verantwortlich dafür, dass 60 Prozent bis zwei Drittel der Bundesgesetze der Zustimmungspflicht des Bundesrates unterliegen? Das Bundesverfassungsgericht! Schon sehr früh hat es ohne Not eine bis heute gültige Formel erfunden, wonach ein Gesetz im Ganzen der Zustimmungspflicht des Bundesrates unterliegt, wenn auch nur ein einzelner Paragraf dieses Gesetzes die Zustimmung erfordert.

Im Falle des Artikel 84 Absatz 1 Grundgesetz, der in den allermeisten Fällen die Zustimmungspflicht auslöst, hat dies fatale Folgen. Nach diesem Artikel ist die Zustimmung des Bundesrates erforderlich, wenn eine "Regelung" über "das Verwaltungsverfahren" getroffen wird. Schafft der Gesetzgeber zum Beispiel in nur einem Paragrafen des Ausländergesetzes eine neue Art der Aufenthaltsgenehmigung, ist das Verwaltungsverfahren betroffen, weil die Länder eben diese Aufenthaltsgenehmigung erteilen müssen. Dies ist natürlich keine explizite "Regelung" des Verwaltungsverfahrens, wie Artikel 84 Absatz 1 Grundgesetz dies vorsieht. Doch das hat das Bundesverfassungsgericht nicht daran gehindert, entgegen dem Wortlaut des Grundgesetzes die Zustimmungspflicht nahezu zum Regelfall zu machen. Alle gesetzlichen Bestimmungen, die "die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden" regelten, seien zustimmungspflichtig, steht zwar nicht in der Verfassung, dafür aber seit 1980 in Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zu lesen.

Der Gesetzgeber sitzt in der Falle

Schon damals lieferte das Bundesverfassungsgericht (gegen das Minderheitenvotum zweier Richter) politische, außerhalb der Verfassung liegende Argumente für seine Vorgehensweise. Es gehe darum, die Länder "vor einem Eindringen des Bundes in den ihnen vorbehaltenen Bereich der Verwaltung zu schützen" und um eine "verstärkte Einflussnahme auch auf den materiell-rechtlichen Teil des Gesetzes". Der Bundesgesetzgeber ist bis heute in dieser höchstrichterlich-politischen Bewertung des Föderalismus gefangen.

In jüngerer Zeit häufen sich beim Bundesverfassungsgericht die politischen Argumentationen - in gleichem Maße geht die Orientierung am geschriebenen Grundgesetz verloren. Beispiel Zuwanderung: Dass der Innenminister Brandenburgs im Bundesrat seinem Ministerpräsidenten widersprechen dürfe, folge, so sechs von acht Richtern, aus der "Konzeption des Grundgesetzes". Eine Konzeption, die sich die sechs Richter (im Gegensatz zu den zwei Richterinnen des Minderheitenvotums) selbst erdacht haben.

Beispiel Atomkonsens: Als das Land Hessen den Atomkonsens vors Bundesverfassungsgericht zerrte, versuchten zwei Richter allen Ernstes, das Atomrecht zur Existenzfrage der Bundesländer auszurufen: Der Bund "gefährde" durch den Vertrag mit den Energieversorgungsunternehmen den Vollzug des Atomgesetzes, ohnehin fehle ihm "die erforderliche Sachkunde im Detail". Mit anderen Worten: Der Minister für Reaktorsicherheit habe keine Ahnung. Nicht auszudenken, hätten sich drei weitere Richter dieser politisch paradoxen Auffassung - wie soll die Schließung von Atomkraftwerken das Atomrecht gefährden? - angeschlossen.

Was "sinnvoll" ist, weiß Karlsruhe am besten

Mittlerweile hat die politisch motivierte, selbst gegebene Kompetenzerweiterung des Bundesverfassungsgerichts einen kaum für möglich gehaltenen Höhepunkt erreicht: Seit Oktober 2002, als das Bundesverfassungsgericht auf Geheiß der bayerischen Staatsregierung das Altenpflegegesetz überprüfte, maßt sich Deutschlands allerhöchste Instanz an, nahezu jedes ihm vorgelegte Bundesgesetz, daraufhin zu überprüfen, ob es überhaupt "erforderlich", also sinnvoll und notwendig ist - und zwar gerade auch dann, wenn der Bund hierfür unumstritten die Gesetzgebungskompetenz hat.

Denn das Bundesverfassungsgericht hat den Artikel 72 Absatz 2 des Grundgesetzes neu entdeckt. Darin heißt es, der Bund habe nur dann die (konkurrierende) Gesetzgebungskompetenz, "wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht".

Der Artikel hatte bis dato keine große Bedeutung - der Bundesgesetzgeber wird schon wissen, dachte man sich, wann er die "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse" und anderes ins Auge fasst, was immer das auch bedeuten mag. Dementsprechend sprach die ganz überwiegende verfassungsrechtliche Literatur von einer "Prärogative des Bundesgesetzgebers" und einem "unverzichtbaren Moment politischer Gestaltung", das verfassungsgerichtlich nicht zu überprüfen sei.

Doch jetzt gehen die Uhren anders. Das Bundesverfassungsgericht mischt sich nun endgültig in die Politik ein und prüft, ob Bundesgesetze (Artikel 74 und 75 Grundgesetz) zur "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse" oder zur "Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit" "erforderlich" sind. Nicht mehr das Parlament, nicht mehr die gewählten Volksvertreter in Bundestag und Bundesrat, sondern nur noch acht Richter in Karlsruhe entscheiden über die Notwendigkeit jedweden Gesetzes - und begründen diesen beispiellosen Eingriff in den Kernbereich der Legislative in besonderem Zynismus ausgerechnet damit, dass dies der Bundestag anlässlich einer Änderung des Grundgesetzes 1994 so gewollt habe.

Da schon jeder Jurastudent im ersten Semester lernt, dass juristisch ohnehin alles begründbar ist, sollte man sich hiervon nicht irritieren lassen, und vielmehr den Blick darauf richten, wie das Bundesverfassungsgericht mit seiner neuen, ebenfalls selbst gegebenen Macht umgeht. Es handelt sich dabei um politische Aussagen, mit Hilfe derer dem Bundestag das Letztentscheidungsrecht darüber, welche Gesetze das Volk zur Sicherung von Frieden, Freiheit und sozialer Gerchtigkeit braucht, dauerhaft und endgültig entzogen wird:

Zur "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse" dürfe, so das Bundesverfassungsgericht, der Bund nur tätig werden, wenn sich die "Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinanderentwickelt haben".

Offensichtlich also nur dann, wenn die Bürger in wenigstens mehr als einem Bundesland am Hungertuch nagen, denn, so das Bundesverfassungsgericht wörtlich: "Dem Bundesgesetzgeber ist ein Eingreifen auch dann nicht erlaubt, wenn lediglich eine Verbesserung der Lebensverhältnisse in Rede steht." Mit anderen Worten: "Nur" zu dem Zweck, dass es den Bürgern besser geht, darf der Bundestag kein Gesetz verabschieden (!), sondern erst dann, wenn es ihnen dreckig geht - trotz von Verfassungs wegen gegebener Gesetzgebungskompetenz. Auch zur "Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit", rund 14 Jahre nach der deutschen Vereinigung immer noch ein Dauerthema, lässt das Bundesverfassungsgericht Bundesgesetze erst dann zu, wenn "erhebliche" "Nachteile" für die Gesamtwirtschaft drohen - also wiederum erst, wenn das Bruttoinlandsprodukt oder die Arbeitslosenzahlen den Zusammenbruch der Nation ankündigen.

Monopolisten der Wahrheit auf dem Marsch

Das Bundesverfassungsgericht bestimmt zudem nicht nur, ob das Gemeinwesen ein Gesetz braucht, es nimmt darüber hinaus auch noch für sich in Anspruch, Umstände neu zu bewerten, die zu einem Gesetz geführt haben, und sich damit endgültig an die Stelle des Gesetzgebers zu setzen. Damit degradiert das Bundesverfassungsgericht den vom Volk unmittelbar legitimierten Bundestag (und mit ihm den an den Gesetzen beteiligten Bundesrat) zum Notstandsgesetzgeber von eigenen Gnaden, dessen politische Einschätzungen von den acht Oligarchen auf ihre "Richtigkeit" überprüft werden, und der nicht einmal dann tätig werden darf, wenn die Lebensverhältnisse der Bürger verbessert werden sollen. Dass diese Richtigkeitskontrolle ein Wahrheitsmonopol bedeutet, gleich einem absolutistischen Herrscher, einer totalitären Partei oder Kirche, dürfte auch den Verfassungsrichtern nicht entgangen sein.

Spätestens jetzt sieht man, dass es so nicht weitergehen kann. Jahrelang schaute der Gesetz- und Verfassungsgeber in falsch verstandener Ehrfurcht zu, wie das Bundesverfassungsgericht seine Macht ausbaute. Er nahm dies demütig hin und suchte die Schuld bei sich selbst. Stets gab es in der Vergangenheit nur gesetzgeberische Reaktionen auf verfassungsgerichtliche Urteile, aber nie gegen das Bundesverfassungsgericht. Kein Wunder also, dass der Bundestag die Quittung bekommt, wenn er sich nur unterwirft, statt mit den Mitteln des Parlamentarismus dem höchsten deutschen Gericht die Stirn zu bieten: Jetzt ist er nur noch Notstandsgesetzgeber.

Was die Föderalismusreform leisten muss

Diese Erkenntnis steht in diametralem Gegensatz zu dem, was die Föderalismuskommission aus Bund und Ländern bewirken soll: "Wir wollen über die Gesetze entscheiden", sagte Franz Müntefering anlässlich der Debatte zur Einsetzung der Föderalismuskommission am 16. Oktober 2003 im Bundestag - und meinte dabei das Parlament. Doch die Stärkung des Parlaments kann nur gelingen, wenn man dem Bundesverfassungsgericht vieles von seiner Macht wegnimmt. Zu allererst diejenige Macht, die es sich selbst gegeben hat.

Wie kann dies funktionieren? Viele Verfassungsjuristen, gegenüber Reformen traditionell nicht aufgeschlossen, werden jetzt schon im Voraus den Rechtsstaat in seinen Grundfesten erzittern sehen, wenn das erste Mal in der Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland das höchste deutsche Gericht in seine Schranken gewiesen werden soll. Aber Bundestag und Bundesrat stehen vor der Alternative, entweder dauerhaft politische Einmischungen erdulden zu müssen, zu denen das Bundesverfassungsgericht weder berufen noch kompetent ist - oder das Bundesverfassungsgericht auf seine eigentliche Funktion des Grundrechtsschutzes und der Lösung echter Verfassungskonflikte zurückzuführen.

Unterstellt man, dass es der Föderalismuskommission gelingen wird, eine echte Trennung der Bundes- und Länderkompetenzen bei der Gesetzgebung zu erreichen, dann ist Artikel 72 Absatz 2 des Grundgesetzes überflüssig. Mit der ersatzlosen Streichung dieser Norm, die bis zum Donnerschlag aus Karlsruhe im Oktober 2002 ohnehin niemand als bedeutsam wahrnahm, hätte man dem Bundesverfassungsgericht das schwerste Instrument aus der Hand geschlagen, mit dem es Politik machen kann.

Zeit für ein paar radikale Lösungen

Die zweite Verfassungsnorm, die so nicht bestehen bleiben kann, ist Artikel 84 Absatz 1 des Grundgesetzes. Hier gibt es bereits Änderungsvorschläge. Aber auch hier ist aufgrund der Bedeutung, die das Bundesverfassungsgericht - ohne Not - der Norm zuerkannt hat, eher eine radikale Betrachtung geboten als eine vorsichtige: Da sich verfahrensrechtliche und materiell-rechtliche Vorschriften nicht voneinander trennen lassen, sollte der Bund in einer geänderten Verfassung dort, wo er die Gesetzgebungskompetenz für das materielle Gesetz hat, auch stets das Verwaltungsverfahren regeln können, auch wenn die Länder diese Verwaltungsverfahren durchführen müssen.

Eine geänderte Verfassung kann festlegen, bei welchen konkreten materiellen Gesetzen der Bundesrat in Zukunft zustimmen soll - dann stimmt er auch dem Verwaltungsverfahren zu. Im Übrigen regelt der Bund das Verwaltungsverfahren ohne Zustimmung. Artikel 84 Absatz 1 des Grundgesetzes kann unter diesen Voraussetzungen ebenfalls ersatzlos gestrichen werden. Dann hätte auch das Bundesverfassungsgericht keine Chance mehr, eine eventuelle Neufassung im Sinne eines erneuten Machtzuwachses des eigenen Hauses auszulegen, und die Macht über die Frage der Zustimmungspflicht würde definitiv beim Parlament verbleiben.

Ein dritter Hebel, an dem angesetzt werden muss, ist das Verfassungsprozessrecht: Während für den Grundrechtsschutz hohe Hürden bestehen, ist jedes Bundesgesetz durch den einfachen Antrag einer Landesregierung überprüfbar. Schlichte "Zweifel" an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes genügen. In dieser Form ist die abstrakte Normenkontrolle verzichtbar. Auch sie kann man getrost aus der Verfassung streichen, da sie allein dazu dient, Verantwortung beim Bundesverfassungsgericht abzuladen.

Dabei soll nicht verkannt werden, dass den Ländern weiterhin die Möglichkeit gegeben sein muss, sich gegen die Verletzung ihrer Eigenstaatlichkeit zu wehren. Dafür bedarf es aber nicht der abstrakten Normenkontrolle, sondern einer effektiven Ausgestaltung des Bund-Länder-Streits, der sich schon heute gegen Gesetze des Bundes richten kann.

Um einem politischen Missbrauch dieser Rechtsschutzform zu begegnen, könnte man seine Zulässigkeit von einer Zwei-Drittel-Mehrheit im jeweiligen Länderparlament abhängig machen. Nicht aus dem Blick geraten dürfen schließlich die Organstreitverfahren: Sie sollten erst dann Erfolg haben dürfen, wenn die Fraktionen oder der Bundesrat, die diesen Streit vor dem Bundesverfassungsgericht führen dürfen, in ihren eigenen Rechten verletzt sind, nicht schon bei einer objektiven Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes.

Wer tatenlos zusieht, wird ferngesteuert

Hier wird keiner Rechtsschutzverkürzung das Wort geredet. Es geht einzig und allein darum, dem Bundesverfassungsgericht die Macht dort zuzuweisen, wo es sie haben soll: Als Kontrollinstanz bei klaren Verstößen gegen klare Bestimmungen des Grundgesetzes. Davon abgesehen hat die Macht bei den jeweiligen Parlamenten des Bundes und der Länder zu liegen. Das ist nichts anderes als das zeitgemäße Verständnis des in der Verfassung angelegten Demokratieprinzips. Im Interesse des gesamten Volkes, von dem die Staatsgewalt ausgeht, ist es notwendig zu verhindern, dass acht Richterinnen und Richter bestimmen, was gesetzlich "erforderlich" und "richtig" ist. Und wenn man weiß, dass die Verfassungsrichterinnen und -richter dazu neigen, sich zu "elitären Oligarchen" aufzuschwingen, darf man als Parlamentarier dieser Entwicklung nicht tatenlos zusehen. Sonst wird man irgendwann von Karlsruhe ferngesteuert.

Die Föderalismuskommission hat hier eine große Zukunftsaufgabe. Will sie ihr gerecht werden und Politik effektiv und parteiübergreifend transparent machen, dann muss sie das Bundesverfassungsgericht bändigen - auch und gerade wenn sie von Staatsrechtlern und ehemaligen Verfassungsrichtern beraten wird, denen solche Überlegungen wie eine Denkmalschändung vorkommen, weil sie die stillschweigende Machterweiterung des Bundesverfassungsgerichts längst verinnerlicht haben.

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