Entflechtung ist kein Selbstzweck

Bei der anstehenden Reform des Föderalismus geht es um mehr als nur die Klärung von Zuständigkeiten. Deutschland muss die richtigen politischen Prioritäten setzen. Deshalb brauchen vor allem Bildung und Wissenschaft bessere Bedingungen

Wir erleben zur Zeit den Beginn einer neuen verfassungspolitischen Debatte. Vor allem süddeutsche Verteidiger der Landeszuständigkeiten und ebenso die Regierungschefs der Länder fordern, die Kompetenzen des Bundes zurückzuschneiden sowie Grau- und Mischzonen im Bund-Länder-Verhältnis abzuschaffen. Auf diese Vorschläge hat die Bundesre-gierung mit eigenen Vorstellungen zur Modernisie-rung der bundesstaatlichen Ordnung reagiert. Bundestag und Bundesrat haben im Oktober eine "Föderalismuskommission" eingesetzt, die Vorschläge für eine Verfassungsänderung erarbeiten soll.

Zur "Föderalismusreform", so das inzwischen übliche Debattenetikett, hat auch die Diskussion über die Ergebnisse des EU-Konvents Anregungen gegeben. In der Europäischen Union geht es, bei allen Unterschieden, wie in Deutschland um die Abgrenzung zwischen zwei Ebenen der Willensbildung: den Verantwortungsgebieten der EU-Staaten und den EU-Instanzen.

Die Organe der EU trifft seit langem der Vorwurf, ungebremst die eigenen Befugnisse auszudehnen. Weder Bildungs- noch Wissenschafts- oder Kulturfragen sind frei von erheblichen EU-Einwirkungen. Auf Betreiben der EU-Mitgliedsländer wird auch die klassische Außenpolitik von der EU-Ebene in Anspruch genommen, in wesentlichen Fragen allerdings manchmal mehr durch Formelkompromisse als durch tragfähig abgestimmte Positionen, wie zuletzt der Irakkrieg gezeigt hat.

Vor diesem Hintergrund verfolgen viele Länder das Reformziel, die EU-Koordination und die demokratische Legitimation der EU-Exekutive zu verbessern sowie die Kompetenzen der EU einzudämmen und klarer abzugrenzen. Ob und inwieweit die neuen Vorschläge für eine EU-Verfassung diesen Maximen, besonders dem fast von allen geforderten Ziel der Abgrenzung, gerecht werden, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Wie die Initiativen für eine Föderalismusreform zeigen, ist "Entflechtung" auch ein Stichwort der innerstaatlichen Verfassungsdiskussion Deutschlands. Einige verbinden die Verfassungsreform mit der Idee, den Territorialbestand der sechzehn Länder zu durchforsten. Weniger Bundesländer mit größerer Finanzkraft sollen demnach Träger der Landesstaatlichkeit sein. Auf der anderen Seite des Debattenspektrums hat Bundeskanzler Gerhard Schröder im Wahlkampf 2002 Rahmenkompetenzen des Bundes für die Bildung und die stärkere Beteiligung des Bundes bei der Bildungsfinanzierung vorgeschlagen.

Bundesweite Bildungsstandards

In ihrer Stellungnahme zu den Länderpositionen hat die Bundesregierung einen derartigen Gedanken nicht explizit aufgegriffen, allerdings für die gemeinsame Bildungsplanung von Bund und Ländern einen "verpflichtenden Verfassungsauftrag" gefordert, der vor allem zu "bundesweit verbindlichen Standards" in der Bildung führen soll. Außerdem schlägt der Bund als Ersatz für die - auch nach seiner Auffassung künftig wegfallende - Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau eine modifizierte, flexible Bundeshochschulförderung mit "inhaltlichen Gestaltungsrechten" vor.

Für andere Gebiete sieht die Bundesposition ausdrücklich die Stärkung von Bundeszuständigkeiten vor, etwa für den Umwelt- und Verbraucherschutz oder für den Schutz deutschen Kulturgutes vor Abwanderung ins Ausland. Gleichzeitig werden Verzichtsangebote gemacht, etwa für Kompetenzen des Bundes im Bereich der allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse oder des Jagdwesens.

Ein Konsens ist nicht in Sicht

In Deutschland setzen Verfassungsänderungen Zwei-Drittel-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat voraus. Infolgedessen sind Verfassungsreformen mit durchgreifenden Auswirkungen auf das Bund-Länder-Verhältnis erst ein einziges Mal, während der Großen Koalition von 1966 bis 1969, verwirklicht worden. Eine Neuauflage der Großen Koalition ist in der nächsten Zeit nicht sehr wahrscheinlich, und ein Konsens über die Grundzüge der notwendigen Verfassungsreform ist in Deutschland nicht abzusehen.

Insoweit unterscheidet sich die heutige Ausgangsposition von derjenigen vor der Finanzverfassungsreform von 1969. Damals gab es eine weitgehende Übereinstimmung über Ziele und Instrumente. "Kooperativer Föderalismus" lautete in den sechziger Jahren der politische Begriff für die angestrebte Neuordnung, die vor allem in den 1969 eingeführten neuen Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgaben, etwa für den Hochschulbau, die Forschungsförderung, die Bildungsplanung, die regionale Wirtschaftsförderung oder die Agrarstruktur Ausdruck fand. Einem Bedürfnis der Staatspraxis folgend hatte sich der Bund bereits längere Zeit vor der Verfassungsreform von 1969 unter anderem an der Förderung des Hochschulbaus, der Forschung oder von Stipendien beteiligt. Die Verfassungsreform von 1969 legalisierte in diesen und in anderen Bereichen die damals von allen Beteiligten anerkannte Bund-Länder-Mischfinanzierung.

Inzwischen ist die verfassungspolitische Debatte von dem früheren Konsens zum kooperativen Föderalismus abgekommen. "Politikverflechtung" ist nach Auffassung vieler Kommentatoren die Folge des neuen Systems von Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgaben und sonstiger, schon vor 1969 vorhandener und nicht im Verfassungsrecht fixierter Formen der Länderzusammenarbeit, etwa in der Kultusministerkonferenz oder der Bund-Länder-Kooperation.

Dass die Politikverflechtung den unverzichtbaren Innovationsmotor des Parteienwettbewerbs ausschalte und sich in den einstimmig beschließenden Koordinationsgremien die Neigung zu Allparteienkoalitionen breit mache, stellte bereits 1978 ein Bericht der Bundesregierung über die strukturellen Probleme des föderativen Bildungssystems fest. Verstärkt werden die Verflechtungstendenzen durch das im deutschen Wahlsystem im Laufe einer Legislaturperiode fast schon regelmäßig zu beobachtende Phänomen, dass Bundestagsmehrheiten durch gegenläufige Bundesratsmehrheiten konterkariert werden - mit Auswirkungen übrigens nicht nur auf die zustimmungsbedürftigen Bundesgesetze, deren Bedeutung in der Gesetzgebungspraxis deutlich zugenommen hat.

Bürokratieföderalismus aus der Bismarckzeit

Im internationalen Vergleich der Bundesstaaten fällt zunächst der starke Ausbau einer dritten Ebene zwischen der Bundespolitik und den einzelnen Ländern in Deutschland auf. Er ist historisch auf den Exekutiv- und Bürokratieföderalismus der Bismarckzeit zurückzuführen - zum Teil sogar auf noch ältere Wurzeln. Auch andere föderativ organisierte Staaten kennen Koordinationsinstanzen zwischen der Bundes- und der Landesebene.

In Deutschland jedoch übersteigen Ausmaß und Dichte des Verflechtungsnetzes das für ältere Bundesstaaten mit ausgeprägt demokratisch-parlamentarischer Tradition übliche Maß. Der zweite negative Unterschied betrifft die sehr weit gehende Mitwirkung der Gliedstaatenregierungen an der Willensbildung des Bundes über den deutschen Bundesrat. Auch dafür gibt es international kein geeignetes Vergleichsbeispiel.

Die meisten Beobachter sehen vor diesem Hintergrund Lösungsansätze in der Entflechtung der "grauen Zone" in der Bund-Länder-Zusammenarbeit, in der Länder-Selbstkoordination oder im Verhältnis zwischen Bundestag und Bundesrat. Die Vorstellungen zur Entflechtungsrichtung stimmen allerdings oft nicht überein.

Vor allem die Finanzminister der finanzstarken Länder und, ihnen folgend, die Länderregierungschefs denken daran, die Bundesfinanzierungsbeteiligung im Rahmen der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgaben bei gleichzeitiger Übertragung höherer Steueranteile auf die Länder einzuschränken. Andere, darunter die Bundesregierung, treten auf bestimmten Gebieten für neue Bundesaufgaben ein. In Teilbereichen, etwa bei der bundesweiten Festlegung von Bildungsstandards, soll damit die Länder-Selbstkoordinierung - unter anderem in der Kultusministerkonferenz - ersetzt werden.

Länderneugliederung? Lieber doch nicht!

Bei der Überprüfung der Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen lassen die Länder mit ihrer Position, zunächst auf Bundesvorschläge zu warten, Gesprächsbereitschaft erkennen. Die Bundesregierung regt auf diesem Gebiet an, die Zustimmungspflicht des Bundesrats auf Bundesgesetze zu begrenzen, die "Länderbelange unzweifelhaft tangieren". Ob diese Auffassung zu einer Einigung führen kann, ist offen.

Weitere in der Öffentlichkeit diskutierte Punkte einer möglichen Verfassungsreform, etwa die Direktwahl des Bundespräsidenten oder Volksbefragungen auf der Bundesebene, spielen in der Länderkonzeption und der Bundesantwort keine Rolle. Die Neugliederung der Länder erwähnt der Bund in seiner Stellungnahme mit einem Appell zur Nutzung der vorhandenen Instrumente in Artikel 29 des Grundgesetzes. Die Länder hatten diese Frage in ihrem vorausgehenden Positionspapier nicht angesprochen. Vielleicht abgesehen vom Sonderfall Berlin-Brandenburg besteht zur Zeit wenig Bereitschaft für eine Länderneugliederung.

Betrachtet man die in den ersten Stellungnahmen von Landesregierungschefs und Bundesregierung zu erkennenden Tendenzen, so ist eine Einigung nur auf einigen begrenzten Gebieten vorstellbar. Das gilt etwa für die Auffassung der Regierungen, die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau in der bislang geltenden Form aufzugeben (wozu allerdings Mecklenburg-Vorpommern einen Vorbehalt erklärt hat). Es gilt für die im Grundsatz von allen Seiten erklärte Bereitschaft, die Regelungen für Bundesfinanzhilfen zu reformieren und zu präzisieren, oder für die gemeinsam bekundete Absicht, den Bereich der Bundesrahmenkompetenzen neu zu ordnen, ihn überwiegend oder ganz zwischen Bund und Ländern aufzuteilen und dabei auch flexible Neuregelungen einzuführen.
Derartige Neuregelungen sollen Öffnungsklauseln zu Gunsten der Länder nach dem Muster des opting out zulassen, wie es etwa das kanadische Föderalismussystem kennt. Im Detail bestehen jedoch auch in diesen Bereichen regelmäßig Differenzen - etwa in der Frage, ob die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau (wie die Landesregierungschefs meinen) einfach gestrichen oder (so der bereits erwähnte Bundesvorschlag) durch eine neue Förderzuständigkeit des Bundes ersetzt werden soll. Ähnliches gilt für die anderen Beispiele. Die konkreten Änderungsvorhaben der Bundes- und Landesseite zielen häufig in entgegengesetzte Richtungen; die Landesregierungen fordern nicht selten mehr Kompetenzen für die Länder, der Bund mehr Bundeseinfluss - was letztlich nicht verwundert und die bekannten Interessenbindungen der Gesprächspartner zeigt.

Die Kommission ist kein Nebenparlament

Inzwischen ist vom Bundestag und vom Bundesrat eine Föderalismuskommission eingesetzt worden. Ihr gehören 102 Politiker und Sachverständige an. Bundestag und Bundesrat entsenden je 16 Mitglieder. Hinzu kommen sechs Vertreter der Landtage und vier Mitglieder der Bundesregierung, die aber kein Stimmrecht haben, sowie weitere nicht stimmberechtigte Kommissionsmitglieder. Ein "Nebenparlament" ist die Kommission schon deshalb nicht, weil die Letztentscheidung bei Bundestag und Bundesrat bleiben muss. Die für Verfassungsänderungen zuständigen Körperschaften - Bundestag und Bundesrat - dürfen auf keinen Fall in eine Ratifizierungslage geraten, wie wir sie als Folge von Bund-Länder-Abkommen oder von KMK-Beschlüssen kennen.

Um welche Ziele geht es überhaupt?

Offene Fragen gibt es noch immer hinsichtlich der Zielsetzung der Änderungsansätze. Dabei geht es weniger um die Begrenzung der Reform auf das Bund-Länder-Verhältnis. Auch die geschilderten Bund-Länder-Initiativen zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung lassen nicht immer über- zeugende Schwerpunktsetzungen erkennen. In den ersten Ländervorschlägen zeichneten sich gut bekannte Positionen der Finanzseite ab. Viele Finanzminister sahen und sehen beispielsweise in der Bindung von Landesmitteln im Rahmen der vom Bund und den Ländern gemeinsam finanzierten Gemeinschaftsaufgaben (etwa für den Hochschulbau, die Forschungsförderung oder die regionale Wirtschaftsförderung) eine vor allem in Zeiten knapper Kassen unerwünschte Einschränkung ihrer finanzpolitischen Operationsmöglichkeiten.

Eine politische Neuordnungsinitiative sollte jedoch prüfen, ob die verfassungsrechtliche Privilegierung bestimmter Gemeinschaftsaufgaben ohne ausreichende Kompensation aufgegeben werden kann. Durchschlagende Gründe etwa für eine ersatzlose Streichung des gemeinsam finanzierten Hochschulbaus sind, um ein konkretes Beispiel zu nennen, vor dem Hintergrund des deutschen Hochschulrückstands wohl kaum geltend zu machen.

Das führt in diesem Fall zu der nicht ohne weiteres positiv zu beantwortenden Folgefrage, ob der Bundesvorschlag für eine flexible Hochschulförderung nach seinem Volumen und taktischem Debattenwert als adäquate Ersatzlösung für die umfassende Mitfinanzierung des Hochschulbaus angesehen werden kann.

Bei den als Antwort auf die Länderposition konzipierten Bundesvorschlägen fällt zudem auf, dass die Auffassungen der einzelnen Fachressorts in der Bundesregierung offenbar eine entscheidende Rolle bei der Formulierung bestimmter Passagen gespielt haben. Das erklärt vielleicht einige problematische Aspekte der Vorschläge. In der Prioritätenabwägung kaum überzeugend ist jedenfalls die These, dass ein gesamtstaatliches Interesse die deutliche Verstärkung der Bundeskompetenzen für Umwelt- und Verbraucherschutz rechtfertigen soll, nicht dagegen eine mindestens gleichgewichtige Erweiterung der Zuständigkeit auf den Gebieten Wissenschaft und Bildung.

Mehr Geld für mehr Bildung

Deutschlands Defizite in Wissenschaft und Bildung sind nicht erst seit den neuen OECD-Vergleichen oder der PISA-Studie bekannt, die sich mit Teilausschnitten des Schulbereichs befassen. Anerkannte OECD-Untersuchungen belegen seit langem Deutschlands Rückstand bei den Hochschulausgaben pro Kopf der Bevölkerung. Die Vereinigten Staaten etwa geben auf diesem Gebiet pro Kopf der Bevölkerung mehr als doppelt so viel aus wie Deutschland. In ungefähr gleicher Höhe bewegen sich die Pro-Kopf-Leistungen Finnlands oder Schwedens.

Deutschland hat bei den Hochschulzugangsberechtigten, den Studierenden oder den Hochschulabsolventen deutlich kleinere Anteile am jeweiligen Altersjahrgang als andere wichtige Länder, mit denen wir international im Wettbewerb stehen. Dabei erreicht Deutschland nicht einmal den OECD-Durchschnitt. Darüber hinaus liegen ostdeutsche Regionen auf allen diesen Gebieten gegenüber den westdeutschen Ergebnissen zurück - was Auswirkungen auf den innerdeutschen Standortwettbewerb hat. Der ostdeutsche Rückstand war nach 1990 zunächst rasch reduziert worden; neuerdings erweitert sich der Ost-West-Abstand aber wieder. In Ostdeutschland ist noch über einen langen Zeitraum eine besondere Wissenschaftsförderung des Bundes erforderlich, um den vorhandenen Rückstand auszugleichen.

Mehr Wissenschaftskompetenz für den Bund

In anderen Sektoren des deutschen Bildungssystems gibt es gleichfalls beachtliche Defizite. Sie sind aber zumeist einem Kernbereich der Landeszuständigkeiten - dem Schulwesen - zuzuordnen oder liegen in dessen Nähe, etwa im Vorschulbereich. Auf diesem Gebiet den Bundeseinfluss durch Verfassungsänderungen oder auf anderem Wege wesentlich erweitern zu wollen, wäre kein erfolgversprechendes Unternehmen - und mit Blick auf die Machtbalance in der Zuständigkeitsverteilung wohl nicht zweckmäßig.

Eine sinnvolle Aufgabenerweiterung für den Bund beträfe hingegen Schwerpunktsetzungen im Wissenschaftsbereich (vor allem im Hochschulwesen), in der beruflichen Bildung in Betrieb und Schule und bei bestimmten Querschnittsaspekten (Abschlüsse; Sicherung von Bildungsstandards). Die Abstimmungsverfahren in der BLK und in der KMK sollten dabei in Umfang und Intensität reduziert werden, um der Politikverflechtung entgegenzuwirken und das Übergewicht der Exekutive auf diesem Politikfeld einzuschränken. Eine neue Bundeszuständigkeit für die Weiterbildung, wie sie von verschiedenen Seiten vorgeschlagen wurde, ist demgegenüber nicht unbedingt notwendig - und zudem wegen des System- und Sachzusammenhangs von Erstausbildung und folgenden Bildungsschritten (Stichwort lifelong learning) problematisch.

Eine stärkere Finanzierungsbeteiligung des Bundes in der Wissenschaft, wie im Rahmen der Föderalismusreform geplant, könnte, wiederum im Sinne des Entflechtungsziels, die Länder entlasten und sie motivieren, in ihrem eigenen zentralen Zuständigkeitsgebiet, der Schulpolitik, größere Anstrengungen zu unternehmen. Eine ausreichende Bundesmitfinanzierung kann die zwischen den Ländern bestehenden Strukturunterschiede in gewissem Umfang ausgleichen und das deutsche Hochschulwesen insgesamt voranbringen.

Durch Verfassungsänderung eingeführte neue Finanzierungsinstrumente sollten flexibel sein, aber auch eine Verstetigung der Finanzleistungen sichern; starre Länderschlüssel entsprechen nicht diesen Erfordernissen. Die damit beschriebenen Kriterien würde etwa eine neue Gesetzgebungskompetenz des Bun-des erfüllen, die zum Ziel hat, die Hochschulstruktur zu fördern und zu verbessern. Eine derartige neue Bundesgesetzgebung könnte an die Zustimmung des Bundesrates gebunden sein - als Kompensation für den Verlust von Zustimmungsvorbehalten bei Bund-Länder-Vereinbarungen oder im Rahmen von Gemeinschaftsaufgaben.

Betreibt der Bund "Rosinenpickerei"?

Eine Entlastung der Länder durch den Bund ist übrigens bereits vor einer Verfassungsänderung möglich, wie die Hochschulsonderprogramme seit dem Ende der achtziger Jahre gezeigt haben. Auch für andere Wege, wie für die Errichtung einer nationalen Stiftung für Wissenschaft und Bildung nach dem Vorbild der Kulturstiftung oder für eine Erhöhung des Finanzierungsanteils des Bundes bei der Ausbildungsförderung, ist keine Verfassungsänderung notwendig.

Inzwischen haben sich auch Wissenschaftsminister der Länder für die Beibehaltung eines hohen Finanzierungsengagements des Bundes im Wissenschaftsbereich und der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau ausgesprochen - gegen die zunächst deutliche Mehrheitsposition der Länderregierungschefs. Dem Bundesvorschlag für eine neue, flexible Bundesförderung im Hochschulbereich unterstellen Landesvertreter zum Teil, der Bund wolle auf diese Weise "Rosinenpickerei" betreiben und sein Engagement auf wenige Hochschulen beschränken. Die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau sei, so die Gegenargumentation von Landesministern, weiterhin notwendig, um gleichwertige Lebensverhältnisse und die gesamtstaatliche Leistungsfähigkeit zu sichern.

Aus ähnlichen Gründen votieren Landeswissenschaftsminister gegen die Änderungsvorschläge des Bundes zur Forschungsförderung, nach denen bestimmte Forschungseinrichtungen wie etwa die Max-Planck-Institute ganz vom Bund, andere wie die Institute der Leibniz-Gemeinschaft (früher: Blaue-Liste-Institute) allein von den Ländern finanziert werden sollen. Viele Landesminister sind allerdings für die Auflösung der BLK - aber gleichzeitig für eine Stärkung der Länderselbstkoordination in der KMK. Im eigenen Zuständigkeitsbereich ist "Entflechtung" also nicht immer ein überzeugendes Argument.

Eine vergleichbare Argumentationstendenz vertraten im Sommer 2003 - von der Max-Planck-Gesellschaft bis zum Wissenschaftsrat - die großen Wissenschafts- und Forschungsorganisationen. Sie sprechen sich dafür aus, die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau und die Bund-Länder-Finanzierung in der Forschungsförderung zu erhalten. Ein Rückzug des Bundes aus den beiden Bereichen führe, so die Organisationen, zur Kleinstaaterei und zum Verlust der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Auch einige Landesregierungschefs haben sich inzwischen entgegen ihrer früheren Position dieser Auffassung angeschlossen.

Soziale Gerechtigkeit durch Bildungschancen

Die innerhalb der Länder - vielleicht etwas spät - kontrovers geführte Debatte und die Stellungnahmen der Wissenschaftsorganisationen machen deutlich, dass die Föderalismusreform nicht im Schnellverfahren einer Kommissionsabstimmung durchgezogen werden kann. Sie zeigt zudem, dass eine Verfassungsrevision dieser Größenordnung neben dem Entflechtungs- und Modernisierungsziel auch eine Prioritätenentscheidung in der Sache erfordert.

Der deutsche Investitionsrückstand in Wissenschaft und Bildung spricht, um es noch einmal zu betonen, auch im Rahmen einer Verfassungsreform für eine gesamtstaatliche Schwerpunktsetzung vor allem auf diesem Gebiet. Mehr denn je setzt soziale Gerechtigkeit den chancengleichen Zugang zu allen Bildungswegen voraus. Die Ausschöpfung der Begabungsreserven ist für unsere Position im internationalen Wettbewerb eine entscheidende Größe, auch vor dem Hintergrund des zunächst im Osten, dann in ganz Deutschland bevorstehenden demografischen Rückgangs. Zukunftsperspektiven durch Investitionen für Wissenschaft und Bildung zu eröffnen ist ein zentrales Anliegen sozialer Gerechtigkeit im regionalen Ausgleich und vor allem im Generationenverhältnis - ein Anliegen, das Verzicht und Belastungen auf anderen Gebieten rechtfertigt.

Rückstände aufholen, überall

Trotz der anerkannten Änderungsbedürfnisse, die sich selbstverständlich nicht nur auf Bildung und Wissenschaft beziehen, sind die Erfolgsaussichten der eingeleiteten Verfassungsrevision in der Sache immer noch begrenzt. Unabhängig davon sollte die Debatte zur Föderalismusreform im Verfahren und in der Argumentation aber in jedem Fall der Bedeutung des verfassungspolitischen Vorhabens gerecht werden. Sie muss die Chancen für eine Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung offen halten. Entscheidend ist dabei, dass eine Grundgesetzänderung die notwendigen Instrumente für gesamtstaatliche Infrastrukturinvestitionen nicht aufgibt, sondern verbessert, damit der deutsche Rückstand auf verschiedenen Gebieten aufgeholt werden kann.

Die bereits jetzt, vor einer Verfassungsänderung vorhandenen gesamtstaatlichen Fördermöglichkeiten sollten deshalb intensiver genutzt werden, um die Wissenschaft in Deutschland voran zu bringen. Eine nationale, von Bund, Ländern und Privaten getragene Stiftung für Wissenschaft und Bildung wäre dafür übrigens ein geeigneter Organisationsansatz.

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