Entdeckung und Erfindung

Genomforschung in Deutschland: zu wenig Geld, unsichere Rechtslage

Keine andere Forschungsrichtung hat in den letzten Jahren eine der Genomforschung vergleichbare Dynamik entwickelt. Seit der ersten vollständigen Sequenzierung eines Bakteriengenoms im Jahre 1995 werden immer mehr und zunehmend komplexe Organismen analysiert. Die Genome von über 20 weiteren Bakterien, der Hefe, des Fadenwurms und der Fruchtfliege sind entschlüsselt, das Genom von Arabidopsis (Ackerschmalwand) und das Reisgenom werden in Kürze folgen.

Durch diese Entwicklung ist nicht nur das Verständnis der Funktionsweise einzelner Gene möglich, sondern das Verständnis eines Gesamtorganismus ist erstmals in greifbare Nähe gerückt. Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms - 1990 als international koordiniertes Projekt begonnen - wird weit vor dem avisierten Termin im Jahre 2005 beendet sein. Am 26. Juni 2000 wurde der Großteil der Genomsequenz veröffentlicht, die vollständige Sequenz wird in den nächsten Monaten erwartet.

Die Kenntnis der Sequenz ist jedoch nur eine Etappe auf dem Weg zum Verständnis des Genoms. Die Identifizierung der darin enthaltenen Gene, deren Funktion, komplexe Wechselwirkungen und die Struktur der durch sie kodierten Proteine sowie die Rolle der Gene in Gesundheit und Krankheit und ihre gezielte Beeinflussung bleiben langfristiger Gegenstand der Forschung. Die Erforschung eines umfassenderen Verständnisses beinhaltet sowohl für die biologische wie für die medizinische Grundlagenforschung als auch für die angewandte Forschung in der Pharmakologie, Landwirtschaft und Ernährung ein immenses wissenschaftliches und wirtschaftliches Potential.

Die Wertschöpfung aus diesen Ergebnissen wird in den Ländern stattfinden, die in der Lage sind, Wissen und Technologie der Genomforschung über effektive Formen des Technologietransfers wirtschaftlich zu verwerten. Andere Länder werden in Zukunft die hiermit hergestellten Produkte oder die entsprechenden Lizenzen teuer zukaufen müssen.

Förderung der deutschen Genomforschung im internationalen Vergleich

Die USA, Großbritannien, Japan und Frankreich forcieren gegenwärtig ihre Anstrengungen im Bereich der Genomforschung massiv. Exemplarisch sei hier das Fördervolumen des amerikanischen Humangenomforschungsprogramms genannt: Bei einem Startvolumen von ca. 85 Millionen US-Dollar im Jahre 1990 sind die Ausgaben bis 1999 auf jährlich über 300 Millionen US-Dollar gestiegen. Das National Human Genome Research Institute (NHGRI) ist das seit nunmehr fünf Jahren am schnellsten wachsende aller National Instituts for Health-Institute (NIH) und verzeichnet im Jahr 1998 erneut 15 Prozent Steigerung (NIH-Durchschnitt: 7,1 Prozent). Außerdem besteht eine große Anzahl weiterer Projekte zur Analyse von Bakterien-, Pflanzen- und Tiergenomen. Hierbei handelt es sich nur um die staatliche Förderung. Diese wird um ein Mehrfaches übertroffen von den industriellen Investitionen von mehreren Milliarden US-Dollar, die sich vorwiegend auf die USA konzentrieren.

Nach anfänglicher Zurückhaltung wurde die Beteiligung Deutschlands an der Genomforschung von Seiten des Parlaments, der Bundesregierung, der Forschungsförderorganisationen, der pharmazeutischen Industrie und der Wissenschaft als wichtig erkannt. Als Ergebnis dieses Konsenses wurde 1995 durch das damalige Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) zunächst das durch Projektfinanzierung getragene Deutsche Humangenomprojekt (DHGP) initiiert, durch welches neue Forschungsinfrastrukturen aufgebaut sowie wissenschaftliche Forschungsprojekte zur Förderung gebracht werden konnten. Die Mittel wurden nach einer Begutachtung durch einen international besetzten wissenschaftlichen Beirat, insbesondere an Institutionen bewilligt, die bereits mit institutionellen Mitteln kleinere Genomforschungsprojekte aufgebaut hatten (vor allem Max-Planck-Institute und Helmholtz-Zentren, Universitäten).

Das Deutsche Humangenomprojekt fand trotz der geringen Mittelaufwendungen durch seine wissenschaftlichen Leistungen, aber nicht zuletzt auch durch die Erfolge in der kommerziellen Umsetzung, international erhebliche Beachtung. Dies trug 1999 zur Etablierung eines Deutschen Pflanzengenomprojekts (GABI) bei, mit einem Jahresetat von etwa 15 Millionen Mark, bei dem die Organisationsstrukturen des DHGP, insbesondere zum Technologietransfer, übernommen wurden. Unterstützt wurden diese national koordinierten Projekte durch eine ganze Reihe zusätzlicher Förderprogramme des BMBF, insbesondere durch den Bioregio-Wettbewerb, die Ausschreibung "Leitprojekte Molekulare Medizin" und den InnoRegio-Wettbewerb, aber auch durch institutionelle Schwerpunktbildungen, insbesondere in der Helmholtzgemeinschaft (Strategiefonds) und in der Max-Planck-Gesellschaft.

Durch diese Programme konnten deutlich bessere Forschungsbedingungen für die Genomforschung geschaffen werden, wodurch die weitere Abwanderung von qualifizierten Genomforschern ins Ausland (insbesondere in Richtung USA) vorübergehend aufgehalten werden konnte. Diese Anstrengungen sind als Versuch anzuerkennen, den während der letzten Jahre immer größer gewordenen Rückstand der deutschen Genomforschung zumindest teilweise wieder aufzuholen. Die angekündigten Anstrengungen des BMBF, schon ab nächstem Jahr erheblich mehr in die Genomforschung zu investieren, sind ein Bekenntnis zur Bedeutung dieser Forschung, reichen aber quantitativ nicht aus.

Für die Zukunft wird die Bildung von neuen Strukturen, Netzwerken und Kompetenzzentren in Deutschland empfohlen, da diese dem systematischen und interdisziplinären Ansatz der Genomforschung entsprechen. Auch das BMBF kommt in einem Strategiepapier zu diesem Ergebnis.

Wirtschaftliches Potential der Genomforschung und Biopatente

Schon die vergleichsweise geringen Mittel der letzten Jahre aus verschiedenen Programmen des BMBF haben zu einer erheblichen Anzahl von Firmengründungen unter anderem aus dem akademischen Bereich geführt und eine bislang nicht vorhandene neue Technologietransfer- und Risikokapital-Kultur etabliert. Die deutschen Biotech-Unternehmen mit dem Schwerpunkt Genomforschung gehören zu dem am schnellsten wachsenden Industriesegment überhaupt. Nach einem Platz im europäischen Mittelfeld belegt Deutschland seit diesem Jahr in der Biotechnologie nach Anzahl der Unternehmen den ersten Platz (Ernst&Young, 2000), liegt aber weit hinter den USA.

Es gibt Stimmen, die eine Patentierung von Genen mit dem Hinweis ablehnen, dass "Patent auf menschliches Leben" wider die guten Sitten sei. Diese Argumentation verkennt völlig, dass Gensequenzen überhaupt nichts mit Leben als ganzem zu tun haben und nur in isolierter Form patentierbar sind.

Patente haben keine andere Aufgabe, als die zeitlich begrenzte Sicherung der wirtschaftlichen Nutzung wissenschaftlicher Ergebnisse durch die Erfinder und den Ausschluss der Nutzung patentierter Erfindungen durch Dritte. Patente sichern somit auch die Finanzierung der Forschung. Internationale Vereinbarungen in diesem Bereich sind grundsätzlich ein Vorteil gegenüber nationalen Richtlinien. Insofern ist die Biopatentrichtlinie der Europäischen Union ein Fortschritt. In der EU-Biopatentrichtlinie werden eine Reihe von Gesichtspunkten zusätzlich geregelt, wie zum Beispiel die präzisere Abgrenzung zwischen nicht patentierbarer Entdeckung und patentfähiger Erfindung sowie die allgemeinen Patentierungsvoraussetzungen wie Neuheit, erfinderische Tätigkeit und gewerbliche Anwendbarkeit. Ebenso wird festgelegt, dass ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten Patentierung ausschließt.

Die Patentierung biotechnologischer Erfindungen unterscheidet sich nach den vorliegenden Entwürfen nicht grundsätzlich von der Patentierung in anderen Bereichen (Stoffschutzpatent). Gleichwohl gibt es einige Aspekte, die für die Zukunft von besonderer Bedeutung sein werden. Gensequenzen können selbst den Charakter eines Produktes haben, indem sie direkt für die Therapie (zum Beispiel Gentherapie) oder für diagnostische Maßnahmen (zum Beispiel Chipdiagnostik) eingesetzt werden. Das Gleiche gilt für Proteine, die über biotechnologische Verfahren mit Hilfe von Genen synthetisiert werden. Hier lassen sich direkte Verbindungen zum Stoffpatent leicht herstellen.

Darüber hinaus können Gensequenzen aber Ausgangspunkt oder Teil einer langen Signalkette sein, die über viele verschiedene Zwischenprodukte zu einer Vielzahl von Eiweißen und deren Spaltprodukten (Peptiden) führen können. Hierbei ergibt sich aus der Gensequenz und möglicherweise einem der vielen möglichen Zwischenprodukte eine Funktion, die in anderem Zusammenhang neue Eigenschaften und Bedeutung oder Anwendung (medizinische Indikation) gewinnt. Darüber hinaus kann diese Gensequenz zu vielen anderen bisher nicht entdeckten Funktionen führen. Zusätzlich gibt es zunehmend Hinweise, dass das Zusammenwirken verschiedener Gene und deren komplexe Signalketten entscheidend sein werden für die Definition neuer konkreter medizinischer Funktionen.

Die erfinderische Leistung der Zukunft wird daher voraussichtlich weniger in der Beschreibung einer Gensequenz als vielmehr in der Erkenntnis der komplexen Funktionszusammenhänge und Gen-Gen-Interaktionen zu suchen sein. Es wäre insofern nicht richtig, mit einer Primärbeschreibung einer Genstruktur, die dabei noch nicht entdeckten und komplexen Abläufe, Interaktionen und neuen Funktionen endgültig patentmässig zu binden. Die bereits bestehende Möglichkeit sogenannter abhängiger Patente und Kreuzlizensierungen ist wegen der Besonderheit dieser Forschung nur bedingt befriedigend. Es gibt daher grundsätzliche Überlegungen im Bereich der Biopatente auf einer besonders konkreten und präzisen Funktionsbeschreibung des Genproduktes, zum Beispiel des Proteins oder des Peptids, in einem Krankheitsgeschehen mit spezifischer medizinischer Indikation zu bestehen und für neue Funktionen und neue Indikationen neue Patente zu ermöglichen.

Wenn aber die wissenschaftliche und erfinderische Tätigkeit sich in Zukunft weniger bei der Genstruktur als vielmehr im Bereich der Genfunktionen und der Erforschung der Signalketten abspielen wird, wäre es ebenfalls richtig, diesen in Zukunft so wichtigen Forschungsbereich nicht durch relativ einfach zu erstellende Genstrukturen patentmässig zu belegen, sondern hier das bereits bestehende Forschungsprivileg so zu erweitern, dass eine Behinderung von Forschung, Entwicklung und Nutzung von Testsystemen vermieden wird.

Es ist ein interessanter Gedanke, die Gensequenzen grundsätzlich in Datenbanken frei verfügbar zu halten und eine Benutzungs- und Lesegebühr zu erheben, wie wir dies aus klassischen Bibliotheken kennen und akzeptieren. Dieses würde die Sequenzierung und Strukturforschung auch finanziell interessant machen, und dabei Forschung und Entwicklung fördern, ohne die Patentierung der Genprodukte mit beschriebener konkreter Funktion zu behindern. Der freie Zugang zu Wissen und Datenbanken und deren wissenschaftliche und wirtschaftliche Nutzung bleibt ein hohes Gut.

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