Ein Kantianer vom Mars

In seinem letzten Werk hat sich der amerikanische Philosoph John Rawls mit den moralischen Grundlagen der Außenpolitik westlich-liberaler Gesellschaften beschäftigt - und gibt "Schurkenstaaten" keine Chance

Ich arbeite mit Revolutionären zusammen", so beschrieb der Publizist Christopher Hitchens, britisches enfant terrible der amerikanischen Linken, bereits Ende des vergangenen Jahres seine Beziehung zu den Neokonservativen der Bush-Administration. Inzwischen hat sich gezeigt, wie Recht er mit dieser Charakterisierung hatte. Man muss nicht so weit gehen, das Völkerrecht für Makulatur zu erklären und den Beginn der Angriffe auf Bagdad am 20. März zu einer "Geschichtswende" zu stilisieren, wie es der österreichische Schriftsteller Josef Haslinger kürzlich in der Welt getan hat. So viel ist aber klar: Verlauf und Resultat der Irak-Krise haben an den Fundamenten der Institutionen und Konventionen gerüttelt, die seit dem Ende des Kalten Krieges für die internationalen Beziehungen bestimmend waren. Die zukünftige Rolle von UN und Nato ist vor dem Hintergrund der neuen Sicherheitsdoktrin der Vereinigten Staaten ungewiss, der Krieg scheint wieder zu einem normalen Mittel der Politik zu werden und im Völkerrecht sind künftig einige "gleicher" als die anderen. Die neokonservativen "Revolutionäre" haben seit dem 11. September 2001 den außenpolitischen Handlungsrahmen der westlichen Staaten in einer Weise aufgesprengt, die noch vor kurzem nicht für möglich gehalten wurde.

Mit der "Weltgewaltordnung" zum Frieden?

Der Philosoph Karl Otto Hondrich hat die "neuen Kriege" der Vereinigten Staaten in der Neuen Zürcher Zeitung als notwendige Mittel zur Durchsetzung einer friedensschaffenden, imperialen "Weltgewaltordnung" gerechtfertigt. Eine solche betont desillusionierte und allen Fragen nach Legitimität und Normen ausweichende Analyse wird jedoch den Bedürfnissen der Weltöffentlichkeit nicht gerecht, die sich in den letzten Monaten in bis dahin ungekanntem Maße manifestiert hat. Denn in den Debatten um den Irak-Krieg haben sich sowohl Kriegsgegner als auch Kriegsbefürworter auf völkerrechtliche Normen und moralische Werte bezogen. Der Frage, an welchen Prinzipien sich eine gerechte und moralisch akzeptable Außenpolitik ausrichten sollte und ob es überhaupt moralische Prinzipien zwischenstaatlichen Handelns gibt, auf die sich vernünftige und rationale Wesen unter günstigen Bedingungen einigen können, kommt daher in der gegenwärtigen Situation eine besondere Bedeutung zu.


Genau diesem Problem widmet sich der kürzlich verstorbene amerikanische Philosoph John Rawls, dessen Studie A Theory of Justice von 1971 als das bedeutendste Werk der politischen Philosophie des 20. Jahrhunderts gilt, in seinem jetzt auch auf Deutsch erschienenen Buch Das Recht der Völker (Das Original erschien 1999 unter dem Titel The Law of Peoples). Es handelt sich um die Ausarbeitung eines Vortrags, den Rawls bereits 1993 gehalten und publiziert hat. Dem Buch ist zudem Rawls′ Essay Nochmals: Die Idee der öffentlichen Vernunft von 1997 in einer überarbeiteten Fassung beigegeben, der diesen auch für das Recht der Völker wichtigen Grundgedanken der Rawlsschen Philosophie in prägnanter Weise zusammenfasst.


Rawls hat die Anschläge des 11. September nicht voraussehen können und außerdem, da er sein Buch schon 1998 abschloss, auch den Kosovo-Krieg, der die Aushöhlung des Gewaltmonopols der Vereinten Nationen vorbereitete, nicht in seine Überlegungen einbezogen. Das schmälert zwar nicht die Bedeutung seines Buches, da es sich um ein Grundlagenwerk handelt, in dem auf kurzem Raum eine beeindruckende Fülle von Problemen behandelt wird, die hier nicht im entferntesten erschöpfend vorgestellt werden können, aber die gegenwärtige Politik der Bush-Administration lässt Rawls′ Theorie doch in einem neuen Licht erscheinen.

"Realistische Utopien" verschieben Grenzen

In Anlehnung an Kant und seine Schrift Zum Ewigen Frieden von 1795 stellt Rawls die Frage, ob die verschiedenen Völker der Erde in stabiler Weise friedlich und kooperativ koexistieren könnten. Indem er diese Frage positiv beantwortet, hofft Rawls eine "realistische Utopie" zu formulieren, durch die die Grenzen dessen, was als politisch möglich gilt, verschoben und damit die Hoffnungen auf einen Kantischen "Foedus Pacificum" zu einem konkreten Langzeitziel politischen Handelns gemacht werden können: "Unsere Hoffnung für die Zukunft unserer Gesellschaft beruht auf dem Glauben, dass die Existenz annehmbar gerechter demokratisch verfasster Gesellschaften, die Mitglieder in der Gesellschaft der Völker sind, mit der Natur der sozialen Welt zu vereinbaren ist".


Mit diesem Ansatz lässt Rawls sich in die "neoidealistische" Strömung in der Theorie der internationalen Beziehungen einreihen, die nach dem Ende des Kalten Krieges die vorherrschende "realistische" Denkrichtung herausforderte. Für die "Realisten", deren prominentester Vertreter wohl Henry Kissinger ist und die Rawls als die Hauptgegner seiner Theorie identifiziert, wird staatliches Handeln nicht durch moralische Prinzipien bestimmt, sondern durch rationale Interessen und das Streben nach Macht. Ein "ewiger Friede" ist in dieser Sichtweise nicht zu erreichen. Kriege lassen sich vielmehr, wenn überhaupt, nur über ein stabiles Machtgleichgewicht verhindern.

Die Idee des "demokratischen Friedens"

Die "Realisten" befürchteten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, es werde nun auf das relativ stabile Zeitalter des "Gleichgewichts des Schreckens" eine Periode der Instabilität und der Unsicherheit folgen. Für die "Neoidealisten" bot das Ende der Systemkonfrontation dagegen die Chance, den bloßen "modus vivendi" eines unsicheren Machtgleichgewichts in einen stabilen Friedensbund zu verwandeln. Denn ebenso wie Kant nehmen sie an, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der innenpolitischen Organisationsweise eines Staates und seinem außenpolitischen Verhalten. Diese Überzeugung teilt auch Rawls. Bezug nehmend auf die Beobachtung Michael Doyles, dass seit etwa 1800 etablierte liberale Gesellschaften nicht mehr Krieg gegeneinander geführt hätten, entwickelt er seine Idee eines stabilen "demokratischen Friedens", in dem die Gründe für kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Völkern beseitigt wären. Die großen Übel der Menschheitsgeschichte, so Rawls, seien Folgen politischer Ungerechtigkeiten und ungerechter politischer Institutionen. Sobald die Menschen unter gerechten politischen Institutionen lebten, würden diese Übel verschwinden. Völker, im Gegensatz zu Staaten, würden unter diesen Bedingungen einen moralischen Charakter entwickeln, vernünftig und rational handeln und sich im gegenseitigen Umgang an faire Grundprinzipien halten.


In den ersten beiden Teilen seines Buches, die sich der "Idealtheorie" widmen, beschreibt Rawls davon ausgehend die Utopie einer "Gesellschaft der Völker", in der diese friedlich miteinander kooperieren und sich gegenseitig respektieren würden. Eine solche internationale Gemeinschaft sei daher "stabil aus den richtigen Gründen" und eben nicht nur das Produkt einer "Weltgewaltordnung". Mit dieser Idee steht John Rawls in der gegenwärtigen Theorielandschaft keineswegs allein. Auch Francis Fukuyama beispielsweise, dessen Einfluss auf die Neokonservativen nicht unterschätzt werden sollte, hat sein Konzept einer liberalen Weltgesellschaft als "Ende der Geschichte" mit dem Gedanken einer stabilen Friedensordnung verknüpft. Was John Rawls allerdings von Francis Fukuyama unterscheidet, ist, dass er seinen Friedensbund auch für nicht-liberale, aber "achtbare" Gesellschaften offen hält, solange diese Gesellschaften bestimmte grundlegende Menschenrechte respektieren und der Bevölkerung eine gewisse, aber nicht individuelle oder gleiche Beteiligung am politischen Entscheidungsprozess zugestehen.

Nochmals: Der "Schleier des Nichtwissens"

In seiner schon aus A Theory of Justice bekannten vertragstheoretischen Argumentationsweise versucht Rawls darzulegen, dass liberale und "achtbare" Gesellschaften in einem "Urzustand", in dem die Fairness des Ergebnisses durch einen "Schleier des Nichtwissens" über die eigene Position sichergestellt wird, dieselben Prinzipien friedlicher Koexistenz als "Recht der Völker" annehmen und sich in der Folge auch danach richten würden. Nicht das Bekenntnis zu einer bestimmten Doktrin, wie etwa der von Rawls ausformulierten des "politischen Liberalismus", sondern allein die Akzeptanz rein politischer Regeln, zu denen allerdings auch die Achtung grundlegender Menschenrechte gehört, bestimmen daher über die Aufnahme in Rawls′ "Gesellschaft der Völker". Die westlich-liberalen Staaten müssten somit "achtbare hierarchische Gesellschaften" tolerieren und respektieren und dürften nicht versuchen, sie zur Übernahme einer liberalen Gesellschaftsordnung zu bewegen.


Da Rawls eine realistische Utopie beschreiben will, bleibt er jedoch hier nicht stehen, sondern widmet sich im dritten Teil seines Buches der "nichtidealen Theorie" und damit dem Problem, wie unter den gegenwärtigen Bedingungen auf seine "Gesellschaft der Völker" hingearbeitet werden kann. Während in den ersten beiden Abschnitten die Frage im Mittelpunkt stand, bis zu welcher Grenze liberale Gesellschaften Toleranz gegenüber nicht-liberalen üben müssen, erörtert Rawls nun, wie mit den Gesellschaften umzugehen sei, die sich außerhalb dieser Toleranzgrenze befinden - er erwähnt hier "wohlwollende Absolutismen" (in denen die Menschenrechte gelten, die aber der Bevölkerung keinen Anteil am Entscheidungsprozess geben), "belastete Gesellschaften" (die Anspruch auf Entwicklungshilfe haben, aber nicht auf eine generelle Umverteilung des Reichtums), und "Schurkenstaaten" (die ein Fall für die Theorie des gerechten Krieges sind - im Original "outlaw states", nicht das politisch belastete "rogue states").


Es zeigt sich, dass Rawls zwar mit Kant argumentiert, deswegen aber noch lange nicht, wie Robert Kagan vermuten würde, von der Venus kommt. Denn von einem "appeasement" der "Schurkenstaaten", die sich weigern, das "Recht der Völker" anzuerkennen, den Krieg für ein legitimes Mittel halten, um ihre Interessen zu fördern und im Inneren die Menschenrechte verletzen, hält er offensichtlich nichts. Vielmehr ist es nach Rawls gerade das Kennzeichen des wahren "Staatsmannes", dass dieser bereit ist, Krieg zu führen, wenn er "begründeterweise" und "aufrichtig" glaubt, dass die Sicherheit der liberalen und "achtbaren" Gesellschaften durch die expansionistische Politik von "Schurkenstaaten" gefährdet wird. Zur Abschreckung ist "wohlgeordneten" Gesellschaften daher auch der Besitz von Massenvernichtungswaffen gestattet, während es zu den wichtigsten Aufgaben des Staatsmannes gehört, deren Verbreitung unter "Schurkenstaaten" zu verhindern.

Bei Schurken hilft nur der "regime change"

Darüber hinaus ist in Rawls′ Theorie das langfristige Ziel im Umgang mit "Schurkenstaaten" immer der "regime change", also die Überführung in eine liberale oder "achtbare" Gesellschaft. Allerdings will Rawls dies, anders als die Neokonservativen und manche "liberale Falken", überwiegend auf friedliche Weise, durch Sanktionen und moralischen Druck, herbeiführen. Militärische Mittel sind nach Rawls im Umgang mit "Schurkenstaaten" - abgesehen von der Selbstverteidigung - nur gestattet, wenn diese "ungeheuerliche" Menschenrechtsverletzungen begehen. Ein Krieg zur Durchsetzung ökonomischer Interessen oder hegemonialer Machtansprüche dagegen ist unter Rawls′ "Recht der Völker" niemals zulässig. Ein Staat, der sich zu einem solchen Unternehmen hinreißen ließe, würde nicht mehr zur Gesellschaft der "wohlgeordneten" Völker gehören, sondern selber zu einem "Schurkenstaat" werden.


Außerdem sind "wohlgeordnete" Gesellschaften, wenn sie Krieg gegen "Schurkenstaaten" führen, an ein striktes "ius in bello" gebunden, das sie zwingt, den Schutz von Zivilisten und die Aussichten auf einen zukünftigen Friedensschluss über rein militärische Zweck-Nutzen Kalküle zu stellen. Allerdings lässt Rawls Ausnahmen von dieser Regel in äußersten Notlagen zu, in denen die Existenz der "wohlgeordneten" Gesellschaften selber auf dem Spiel steht. Während er daher die Bombardierung Dresdens 1945 und die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki verurteilt, rechtfertigt er die Bombardierung deutscher Städte bis zur Schlacht von Stalingrad von 1943.

Moralische Aufladung des Völkerrechts

Auf den ersten Blick ist Rawls′ "Recht der Völker" durchaus mit den Prinzipien des Völkerrechts vereinbar, wie sie in der UN-Charta niedergelegt sind. Auch dort wird das Recht zur Gewaltanwendung auf die Selbstverteidigung und die Sicherung von Frieden und Stabilität beschränkt. Seit den neunziger Jahren ist es unter Völkerrechtlern zudem relativ unumstritten, dass massive Menschenrechtsverletzungen unter den zuletzt genannten Punkt fallen und daher ein militärisches Eingreifen des Sicherheitsrates rechtfertigen. Bereits die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse machten überdies den Abschied von der Staatenordnung des Westfälischen Friedens deutlich, in der die einzelnen Staaten noch über eine uneingeschränkte Souveränität nach innen und außen verfügten.


Nimmt man jedoch den Kosovo-Konflikt und die Politik der Bush-Administration hinzu, werden die problematischen Aspekte der Rawlsschen Theorie deutlich. Denn diese schafft mit ihrer moralischen Aufladung der internationalen Beziehungen eine alternative Legitimationsbasis außenpolitischen Handelns neben Völkerrecht und Vereinten Nationen. Rawls ist sich durchaus bewusst, dass die gegenwärtig existierenden Gesellschaften den von ihm aufgestellten Anforderungen an "wohlgeordnete" Völker nicht vollständig entsprechen. Einseitige Verklärungen amerikanischer Außenpolitik finden sich bei ihm nicht. Dennoch geht er in seiner nicht-idealen Theorie davon aus, dass "relativ wohlgeordnete" Gesellschaften existieren, die gegenüber den übrigen Völkern jene moralische Überlegenheit genießen, die eigentlich erst der "Gesellschaft der Völker" seiner idealen Theorie zukommt. Insofern enthält auch Rawls′ nicht-ideale Theorie noch zu viele utopische Elemente, um wirklich realistisch zu sein.

Gut oder Böse, Schurke oder einer von uns

Auch wenn Rawls vielleicht nicht so konkret verstanden werden will, drängt es sich doch auf, unter diesen "relativ wohlgeordneten" Völkern in erster Linie die so genannten westlichen Staaten zu verstehen, also im Wesentlichen die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten. Diesen Völkern kommt damit als Trägern eines zukünftigen Friedensbundes eine Legitimation zu, mit der moralisch indifferente Organisationen wie die Vereinten Nationen - "Schurkenstaaten" sitzen dort gleichberechtigt neben "wohlgeordneten" Völkern - nicht mithalten können. Dementsprechend legt Rawls die "relativ wohlgeordneten" Gesellschaften in ihrer Außenpolitik auch nicht auf den Rahmen der UN fest. In ihrem Umgang mit "Schurkenstaaten" können diese vielmehr auf "besondere Allianzen wohlgeordneter Völker" zurückgreifen - "Koalitionen der Willigen" würde Präsident Bush sie nennen. Rawls′ moralischer Idealismus und seine mit dem Erlösungsversprechen der "Gesellschaft der Völker" verbundene Einteilung der Welt in Gut und Böse - "wohlgeordnete" Völker und "Schurkenstaaten" - kann daher eine gewisse Nähe zu den neokonservativen "Revolutionären" nicht leugnen.


Zwar ist zu vermuten, dass Rawls sich gegen die neue Sicherheitsdoktrin der Vereinigten Staaten ausgesprochen und den Irak-Krieg abgelehnt hätte, wenn er dazu noch in der Lage gewesen wäre. Zu groß ist in seiner Theorie die Bedeutung von Frieden und Stabilität, von Selbstbestimmung und Respekt als Grundlagen der internationalen Beziehungen, als dass er die bloße Vermutung der Existenz von Massenvernichtungswaffen oder die vage Hoffnung, die Demokratie im Irak herbeizubomben, als legitime Kriegsgründe anerkannt hätte. Da er aber darauf verzichtet, Überlegungen zur Institutionalisierung von Entscheidungsprozessen in seine Theorie einzubeziehen, hätte Rawls′ Recht der Völker ebensogut von George W. Bush wie von Jacques Chirac zur Begründung der eigenen Position herangezogen werden können.

Alle berufen sich auf dieselben Werte

Denn wer bestimmt, wann Menschenrechtsverletzungen "ungeheuer" sind und daher eine Intervention rechtfertigen? Wann genau ist die Sicherheit der liberalen und "achtbaren" Völker durch die expansionistische Politik eines "Schurkenstaates" bedroht? Und wie wird überhaupt festgelegt, welche Staaten "Schurkenstaaten" sind? Rawls geht in seiner Theorie davon aus, dass die "wohlgeordneten" Völker mit der Zeit gemeinsame moralische Intuitionen und Überzeugungen entwickeln würden. Damit hat er zwar einerseits Recht, postuliert aber andererseits eine Einigkeit der "wohlgeordneten" Völker, die, wie sich neuerdings wieder gezeigt hat, so nicht existiert. Denn das Bezeichnende an den Debatten um den Irak-Krieg war ja gerade, dass beide Seiten, Kriegsgegner und Kriegsbefürworter sich nahezu auf dieselben moralischen Werte bezogen, aber trotzdem unterschiedlicher Auffassung waren. Nicht die moralischen oder juristischen Normen waren das Problem, sondern ihre konkrete Anwendung auf die Realität.


Rawls verbindet mit seinem "Recht der Völker" vor allem eine Absicht: Er will zeigen, dass eine gerechte und friedliche Welt prinzipiell möglich ist. Dies reicht in seiner Sichtweise aus, um die Menschen mit ihrer sozialen Realität zu versöhnen und zu verhindern, dass die Hoffnungen auf eine bessere Welt durch die grauenhaften Verbrechen der Menschheitsgeschichte, wie den Holocaust, zerstört und von einer zynischen Haltung abgelöst werden. Denn andernfalls, so Rawls, "würde auch uns das falsche und böse und dämonische Handeln anderer zerstören und deren Sieg besiegeln". In diesem Punkt stimmt man Rawls gerne zu, doch die eigentlichen Probleme fangen damit erst an.

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