Ein Film über sehr schlechtes Wetter

Welchen Beitrag leistet der Film The Day After Tomorrow zur Debatte um die Zukunft des klimas? Gar keinen, meint unser Autor. Die Debatte ist dringend, doch für Roland Emmerich ist sie nur ein Vorwand, New York auszuradieren. Das immerhin gelingt ihm wie immer gut

The movie the White House doesn′t want you to see", betitelt die den Demokraten in den USA nahestehende Internetseite www.moveon.org ihren Beitrag zu Roland Emmerichs neuestem Kinofilm - und versucht damit die vermeintliche Botschaft des Films politisch zu nutzen. Der Versuch der Instrumentalisierung deutet auf die interessante Kombination von politischem Inhalt in apolitschem Anzug hin, die diesen klimakatastrophalen Streifen ausmacht. Das Faszinierende dabei ist, dass es auch umgekehrt sein könnte: apolitischer Inhalt in politischem Mantel, ganz nach dem Geschmack jedes einzelnen Kinobesuchers.

In den Vereinigten Staaten ist der Internetauftritt von Moveon ein Beispiel für die neue Form des grass-roots campaigning, mit der die Demokraten im Präsidentschaftswahljahr Geld und Stimmen gegen die mächtige Allianz von Republikanern und Corporate Amerika mobilisieren. Unterstützung aus der Popkultur passt gut zu diesem Ansatz. Auch Al Gore, der große politische Verlierer der Nach-Clinton-Jahre, bezieht sich in einer Wahlkampfrede direkt auf The Day After Tomorrow, um seiner ganzen Abneigung gegen alles Ausdruck zu verleihen, was die Regierung Bush an umweltpolitischer Schuld auf sich geladen hat. Zu Hause in Berlin lässt unterdessen das Umweltministerium anlässlich einer Vorschau Flugblätter verteilen, die den Film zum Anlass nehmen, um das Problem der globalen Klimaveränderung wieder stärker ins Bewusstsein zu rücken.

Sieht man sich den Film auf diese Weise vorbelastet an, ist es schwer, noch etwas Gutes an ihm zu entdecken. Bekanntlich wirkt politische Beeinflussung desto besser, je subtiler sie angelegt ist. So gesehen ist der neue Emmerich-Streifen zu allem geeignet - nur nicht als Argumentationshilfe für Umweltaktivisten. Dann müsste man sich nämlich mit dem wissenschaftlichen Wert des so schillernd in Szene gesetzten Klima-Infernos auseinandersetzen, und das würde jeden Spaß an zwei Stunden Special-Effect-Kino vergällen. Der die Fifth Avenue heraufgespülte russische Frachter stellt in Wahrheit kein reales Szenario dar - er ist einfach nur die bildhafte Repräsentation des diesmal von Emmerich gewählten Vorwands, seinen Hang zur cineastischen Zerstörung auszuleben.

Der Sindelfinger Starregisseur, der es als einer der wenigen deutschen Filmschaffenden in Hollywood zu etwas gebracht hat, lässt sich in seinem Streben nach perfektem Weltuntergang nicht von solchen Kleinigkeiten wie einer vielschichtigen Handlung, inneren Konflikten seiner Charaktere oder gar wissenschaftlicher Präzision ablenken. Das wäre alles Ballast. Der Zuschauer hat genug damit zu tun, seinen Augen zu trauen, wenn vor ihm auf der Leinwand riesige Flutwellen, Tornados und Stürme mit fußballgroßen Hagelkörnern toben.

Bombastisch wie Leni Riefenstahl

Erwartungsgemäß hat die amerikanische Presse den Film reserviert aufgenommen. In den USA weiß man nicht so recht, wo man den deutschen Regisseur einordnen soll, der sich erdreistet, New York nach Godzilla und Independence Day nun bereits zum dritten Mal auszuradieren - noch dazu post 9/11. Eine amerikanische Rezension spricht dem Regisseur einen "Riefenstahlschen" Hang zum Bombastischen zu, wobei man nicht so genau weiß, ob der konservative Kommentator das negativ meint oder bewundernd. Beim Studium amerikanischer Kritiken fällt auf, dass der Film umso schlechter wegkommt, je ernster der Rezensent den klimawissenschaftlichen Hintergrund nimmt. Das wiederum liegt zum guten Teil daran, dass aus allen Ecken wohlmeinende Ökoaktivisten hervorspringen, die versuchen, den Film politisch zu instrumentalisieren.

Leider gehört Emmerich außerhalb des Films selber auch dazu. Anscheinend wollte er sich der neuen amerikanischen Gegenkultur der Frontalpropaganda à la Michael Moore nicht entziehen. Bush-Schelte wird schick unter den wenigen kritischen Geistern der High Society von Hollywood, die nicht der nationalen Hysterie nach dem 11. September anheim gefallen sind.

Trotzdem wirksamer als grüne Flugblätter

Michael Moore gewinnt jedoch unglücklicherweise mit Bowling for Columbine oder Fahrenheit 9/11 keine Wahlen. Seine so genannten Dokumentarfilme überzeugen keinen einzigen Republikaner, beim nächsten Mal die Demokraten zu wählen. Mit Glück mobilisiert er ein paar Wechselwähler, aber auch die umso weniger, je extremer seine Aussagen werden. Da verspricht eine Beeinflussung mit Filmen wie The Day after Tomorrow schon mehr Erfolg. Der Film sollte zwar nicht als in erster Linie politische Äußerung interpretiert werden, doch natürlich ist er alles andere als unpolitisch. Die Botschaft funktioniert nicht (wie Flugblätter der Grünen) in der Form der Predigt, sondern durch das Gemisch aus Komik und der grotesken Überzeichnung einer zwar möglichen, aber niemals im Sinne der Darstellung realen Naturkatastrophe.

Zwischen krachender Eiseskälte und der ungeheuren Zerstörungskraft von Stürmen und Flutwellen ist der Film gespickt mit Andeutungen dazu, worum es eigentlich geht. Der Ausspruch des (von Kenneth Walsh mit beeindruckender Ähnlichkeit zu Dick Cheney gespielten) amerikanischen Vizepräsidenten gibt den Gegensatz zwischen kurzfristigem Sein und längerfristigem Sollen wieder: "Our economy is every bit as fragile as the environment", bellt der zweite Mann im Staat, als Dennis Quaid - Hauptdarsteller, Klimaforscher und Rufer in der Wüste - ihm seine Sorge vor einer unmittelbar bevorstehenden Katastrophe nahe zu bringen versucht.

Damit ist die entscheidende Frage der kurzen oder der langen Frist als Maßstab politischen Handels auf den Punkt gebracht. Sozialwissenschaftlich ist sie mit dem Sieg der angelsächsisch geprägten Economic Theory über die umfassender angelegte Politische Ökonomie klar entschieden. Diese ist seit langem in akademische Randzonen abgedrängt und hat zumindest in den USA keinerlei tagespolitische Bedeutung mehr. "In the long run we are all dead", brachte es selbst John Maynard Keynes auf den Punkt. Jede Zukunftsprognose muss immer mess- und damit testbar sein, damit sie im Diskurs standhalten kann.

Die Polkappen sind sehr weit weg

Gleiches gilt für die Geowissenschaften. Dass es einen globalen Klimawandel gibt, ist empirisch unumstritten. Es ist auch einleuchtend, dass das massenhafte Freisetzen von Stoffen, die über Jahrtausende fossil gebunden waren, irgendwelche Veränderungen nach sich ziehen muss. Damit wäre dann geklärt, dass die messbaren Temperaturänderungen von Menschen verursacht sind. Doch schon bei dieser Frage ist die derzeit in den USA regierende Elite nicht mehr mit im Boot. Es lässt sich nämlich auch argumentieren, dass zwei oder drei zufällig stattfindende Vulkanausbrüche von der Intensität der Pinatubo-Eruption von 1991 viel heftigere Wirkungen auf das Klima haben als jedes menschliche Handeln. Mithin wäre eine Kursänderung bei der derzeitigen Gewinnung und Nutzung von Energie zwecklos.

Aber taugt das Vulkanargument? Die USA verdanken ihren Wohlstand ihrer weltwirtschaftlichen Vormachtstellung. Ein Handelsbilanzdefizit von über einer halben Billionen Dollar will finanziert sein. Der im Gegenzug notwendige Kapitalimport lässt sich nur durch stabile ökonomische und politische Verhältnisse realisieren. Dafür muss die volkswirtschaftliche Maschine laufen. Solange die Auswirkung der Verschwendung von fossilen Brennstoffen "nur" dazu führt, dass es ein paar Grade wärmer wird, dass die Polkappen abschmelzen und - regional beschränkt - Phänomene wie Trockenheit, Stürme oder Hochwasser zunehmen, besteht für Amerika kein Handlungsbedarf. Die Kosten dieser regionalen Naturreaktionen wiegen die erwarteten Kosten eines Umsteuerns in der Energiepolitik nicht auf.

Bloß nicht den Weltuntergang zerreden

In einem Land, wo die politisch dominierende Mittelklasse ohne Auto aus ihrer Vorstadtidylle noch nicht einmal in eine Kneipe oder zum Supermarkt kommt, hängt der Erfolg von Politikern von der Frage ab, ob sie den Luxus billigen Sprits für Sport Utility Vehicles verteidigen, oder sie für den unbequemen Wandel in der Nutzung von natürlichen Ressourcen eintreten. Um ein derartiges Umdenken doch schrittweise einzuleiten, bedarf es einer steten Beeinflussung. In den USA, wie vermutlich überall sonst auch, funktioniert diese am besten mittels der Populärmedien - vor allem dann, wenn politische Inhalte mit Standardunterhaltung kombiniert werden. Womit wir wieder bei Roland Emmerich wären.

Es steht zu hoffen, dass möglichst viele Leute - in Deutschland, in den USA und sonst wo - den Film ansehen. Und zwar ohne sich darum zu kümmern, dass hier kein wissenschaftlicher Beweis geführt, sondern eine Geschichte erzählt wird. Mögen die Charaktere noch so hilflos angelegt sein, mag Roland Emmerich auch die Handlung abgekupfert haben - das Gesamtwerk ist gelungen. Da ist ein deutscher Regisseur, der macht in Hollywood Katastrophenfilme, und die macht er gut, damit verdient er sein Geld. Wenn dabei auch noch die politische Richtung stimmt - umso besser. Zerreden sollte man das nicht, weil das dem Weltuntergangsfilm seine ästhetische Wirkung nähme.

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