Diesseits von Bismarck

Einst war Deutschland Weltmarktführer auf dem Gebiet der Sozialpolitik. Tempi passati. Mit einer "Grundeinkommensversicherung" könnten wir wieder nach vorne kommen. Einen Vorschlag für Deutschland und (vielleicht) den Rest der Welt macht unser Autor

Innovationen finden nicht nur in der Forschung statt. Auch in der Politik sind nachhaltige Innovationen möglich. Es gibt ein Feld, auf dem Deutschland einst Weltmarktführer war: die Sozialpolitik. Ende des 19. Jahrhunderts kam die Welt nach Deutschland, um die Sozialversicherungen zu studieren und zugunsten eines befriedeten Arbeitsmarktes zu übernehmen. Seitdem hat sich die Welt verändert. Der deutsche Sozialstaat ist nur noch Mittelmaß. Ohne sozialpolitische Spitzenleistungen sind in modernen Demokratien jedoch Innovationen in anderen Sektoren unwahrscheinlich.

Statt der "Agenda 2010" hier also ein besserer Vorschlag für einen aufgeklärten Sozialstaat: Er verbindet linke, mittlere und rechte Werte, grüne obendrein. Er ist kein Vorschlag für alles, aber für die großen Strukturen. Er beginnt bei der erstaunlichsten Leistung der Schweiz in den letzten Jahrzehnten: der Reform ihrer Alters- und Hinterlassenversicherung (AHV) im Jahr 1981, die eine Grundrente für alle Bürger vorsieht, die ihr Leben lang Beiträge leisteten, wenn sie auch noch so gering waren. Dieses Modell lässt sich ausweiten und es kann das alte deutsche, von Bismarck übrigens nie geliebte und nur noch nach ihm benannte lohnarbeitszentrierte Sozialversicherungssystem ersetzen.

Warum soll man sich überhaupt über eine Sozialreform Gedanken machen, die exportfähig wäre? Man kann das mit der Autoproduktion vergleichen. Man baut einen Mercedes, einen BMW oder einen Volkswagen zunächst natürlich für sich selbst. Aber man achtet seit langem darauf, dass auch Amerikaner, Saudis und Chinesen eine Freude daran haben. Sonst wäre man nicht Exportweltmeister. So könnte man auch mit der Sozialpolitik verfahren, zumindest im Prinzip. Was andere nicht attraktiv finden könnten, sollte man lassen. Heute nennt man das benchmarking. Deshalb also ein exportfähiger Vorschlag: die Grundeinkommensversicherung.

Viele Beobachter meinen, eine grundlegende Reform der monetären Transfersysteme sei aufgrund der Beharrungskräfte ("Pfadabhängigkeit") des deutschen Sozialversicherungsmodells nicht möglich. Andere argumentieren, dass ohnehin die Zeit des Umverteilens vorbei und Verteilungsgerechtigkeit nur noch nachrangig wäre. Doch die bereits mittelfristig dramatischen Finanzierungsprobleme der Gesetzlichen Rentenversicherung wie der Beamtenversorgung könnten das Nachdenken über langfristig wirksame Reformen befördern. Zudem erscheinen auch die anderen Geldleistungssysteme strittig und weder nachhaltig, sozial gerecht noch zieleffektiv.

Raus aus der Bindung an die Erwerbsarbeit

Die Idee der Grundeinkommensversicherung basiert auf dem Gedanken der Sozialversicherung, wonach ein jeder nach seiner Leistungsfähigkeit Beiträge leistet und im Bedarfsfall mit eigentumsrechtlich garantierten Zahlungen rechnen kann. Das löst diese Sicherung weitestgehend von der Erwerbsarbeit. Damit wird - vergleichbare Lösungen bei der Kranken- und Pflegeversicherung vorausgesetzt - der Faktor Arbeit von Sozialversicherungsbeiträgen befreit. Indem alle Bürger einbezogen werden, sind die Beiträge weitaus geringer als gegenwärtig. Der Grundgedanke ist die Sicherung sozialer Bürgerrechte und die Belastung nach Leistungsfähigkeit. Die Leistungen der Grundeinkommensversicherung sichern nicht den bisherigen Lebensstandard. Sie sind also keine Vollkaskoversicherung. Die Grundeinkommensversicherung ist aber mehr als eine reine Grundsicherung oder ein "Bürgergeld", da in Abhängigkeit von Dauer und Höhe der Beitragsleistung höhere und bessere Leistungen beansprucht werden können. Die deutliche Reduzierung der Steuer- und Abgabenbelastung ermöglicht mehr private, zumeist marktvermittelte Vorsorge und eröffnet insbesondere Möglichkeiten wie auch Notwendigkeiten für gemeinschaftliche Regelungen (Familiensolidarität, betriebliche Zusatzversorgungen usf.).

Sofern im folgenden Daten und Beträge genannt werden, handelt es sich um grobe, gleichwohl erfahrungsgeleitete Schätzwerte. Im Zentrum der folgenden Überlegungen steht, schon aufgrund des Finanzierungsvolumens, die Reform der Alterssicherung. Als Modell für diese Reform und als Leitidee für die Gesamtreform der Geldleistungssysteme in Deutschland hin zu einer Grundeinkommensversicherung (GEV) dient das System der Schweizer Alterssicherung AHV.

Eine GEV unterscheidet sich damit wesentlich von den bisher diskutierten Modellen eines "garantierten Grundeinkommens" oder "Bürgergeldes", die steuerfinanziert werden und in der Regel dem Strukturmodell einer "Negativen Einkommenssteuer" folgen. Auch diese Modelle führen faktisch zu einer Grundrente im Alter. Sie setzen aber ideologietechnisch nicht an der Alterssicherung, sondern zunächst an einer Entkopplung von Arbeit und Einkommen in der Erwerbsphase an. Die in Deutschland seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts virulente Diskussion um ein Grundeinkommen steht - ähnlich wie die internationale Diskussion - mit dieser Entkopplungs-Forderung vor einem gravierenden technischen und noch mehr kulturellen Übergangsproblem: Entweder ist das Grundeinkommen gering und leistet damit der von seinen liberalen Befürwortern (etwa Milton Friedman) gewollten Expansion eines Niedriglohnsektors Vorschub; oder es befindet sich auf menschenwürdigem Existenzniveau und erfordert dann eine enorme Umverteilung, die wiederum frühzeitig von lobbystarken Wohlhabenden bekämpft wird. Deshalb wurden schon früh Übergangsmodelle eines partiellen oder lebenslagenorientierten Grundeinkommens diskutiert und Überlegungen angestellt, bestimmte Formen von Tätigkeit und gesellschaftlicher Arbeit zunächst mit einem insoweit thematisch fokussierten, staatlichen Grundeinkommen auszustatten. Ein Beispiel dafür ist die Forderung nach einem Erziehungsgehalt. Modelle einer steuerfinanzierten Grundrente sind insoweit Formen eines fokussierten, begrenzten Grundeinkommens.

Weg mit der Beitragsbemessungsrenze!

Es scheint so zu sein, dass Gesellschaften, in denen die Steuerzahlung als System sozialer Umverteilung relative Anerkennung genießt, eher eine steuerfinanzierte Grundrente und möglicherweise auch ein Grundeinkommen demokratisch akzeptieren. Vor dem Hintergrund des deutschen, eher auf Sozialbeiträge setzenden konservativen Wohlfahrtsregimes dürfte mithin eine auf Beiträge setzende Konzeption des Grundeinkommens chancenreicher sein. Denn der Betrachtungswinkel verlagert sich von der Erwerbsphase auf die Altersphase: Eine beitragsfinanzierte GEV macht deutlich, dass der weitaus größte Teil der staatlichen Geldleistungssysteme sowohl heute wie in Zukunft zugunsten der älteren Bürger aufgebracht werden muss.

Die GEV umfasst die bisherigen monetären Risikosicherungssysteme Rentenversicherung und Pensionen, Arbeitslosenversicherung, Familienleistungsausgleich (Elterngeld, Kindergeld), Krankengeld, Bafög und Sozialhilfe. Jeder in Deutschland zur Einkommenssteuer veranlagte Bürger ab dem 18. Lebensjahr (beziehungsweise ab dem 20. Lebensjahr bei Ausbildung) zahlt entsprechend seinem gesamten Bruttoeinkommen (nach Abschreibungen) einen Beitrag zur GEV (einschließlich der Selbstständigen, Beamten, Nichterwerbstätigen). Eine Beitragsbemessungsgrenze gibt es dabei nicht. Eine Verrechnung mit sonstigen Ausgaben (Werbungskosten) ist nicht möglich. Die Leistungen der GEV selbst sind beitragsfrei. Der Beitrag hat insoweit teilweise den Charakter einer Sozialsteuer. Er ist jedoch trotz der Steuerähnlichkeit ein Beitrag, da er ohne Freibeträge auf die gesamten Primäreinkommen erhoben wird, nicht mit anderen Einkommen verrechnet werden kann, zweckgebunden für die Einkommenssicherung verwendet und durch eine von den Versicherten selbstverwalteten Körperschaft des öffentlichen Rechts administriert wird. Das Prinzip der "Leistungsgerechtigkeit" wird durch eine eingeschränkte Teilhabeäquivalenz verwirklicht: Dem Modell der Schweizer Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) folgend, führen Beiträge auf Einkommen bis zur fünffachen Höhe des Grundeinkommensbetrages zu Ansprüchen bis zur doppelten Höhe dieses Betrages. Höhere Beiträge führen nicht zu einer Erhöhung der Leistungsansprüche. Personen, die kein Einkommen erzielen, jedoch über Vermögen oberhalb eines Freibetrages verfügen, zahlen wie in der AHV pauschalierte Beiträge. Gleichfalls wie in der AHV wird ein Mindestbeitrag erhoben. Ohne Beitragszahlung bestehen keine Ansprüche auf Leistungen der GEV (mit Ausnahme der Leistungen des Kindergeldes). Da die Beiträge pro Person erhoben werden, entstehen individuelle Leistungsansprüche in einem voll eigenständigen Sicherungssystem für Frauen und Männer.

Aufgrund der umfassenden Beitragsgrundlage ist eine Mitfinanzierung durch die öffentlichen Haushalte nicht notwendig. Da der bisherige Arbeitgeberanteil für die Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung entfällt, die Verantwortung der Arbeitgeber für die Bereitstellung von Arbeitsplätzen jedoch unterstützt werden sollte, erscheint es sinnvoll, wenn der Leistungsbereich Arbeitslosenversicherung innerhalb der GEV zur Hälfte durch die Arbeitgeber finanziert wird. Denkbar wäre entweder eine Lohnsummensteuer oder vorzugsweise eine Bruttowertschöpfungssteuer, womit hoch produktive Betriebe entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit berücksichtigt werden.

Der Beitrag zur Grundeinkommensversicherung setzt sich im Interesse einer Transparenz der Leistungsbereiche aus Teilbeiträgen zusammen, die insgesamt erhoben werden. Unter Berücksichtigung der Erfahrungen der Schweiz (Alterssicherung AHV), der Daten des Sozialbudget 2001 (Statistisches Bundesamt, Stand Oktober 2003) und von Schätzungen aufgrund der weiter unten näher ausgeführten Leistungsänderungen gegenüber dem gegenwärtigen Rechtsstand ist mit folgendem Beitrag zu rechnen: Bezugsgröße der Beitragsbemessung ist das Primäreinkommen (Netto-Nationaleinkommen) der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung von 1.791 Milliarden Euro im Jahr 2002. Bei einem Beitrag von 17,5 Prozent betragen die Einnahmen der Grundeinkommensversicherung aus dem GEV-Beitrag 313,42 Milliarden Euro (Stand 2002). Hinzu kommen Einnahmen aus dem Arbeitgeberanteil für die Arbeitslosenversicherung und die Pauschalbeiträge für einkommenslose Vermögende, so dass mit Gesamteinnahmen in Höhe von etwa 350 Milliarden Euro zu rechnen ist. In einer Übergangszeit sind noch Ansprüche auf Rentenleistungen oberhalb des Faktors Zwei des Grundeinkommensbetrages zu bedienen, so dass ein Beitragszuschlag in Höhe von einem bis zwei Prozent erforderlich sein dürfte. Der Gesamtbeitrag zur GEV liegt deutlich unter den gegenwärtigen Beiträgen allein zur Gesetzlichen Rentenversicherung, die zudem knapp ein Drittel ihres Haushalts aus dem Bundeshaushalt bestreitet (Bundeszuschuss) und dafür allgemeine Steuermittel in Anspruch nimmt (Ökosteuer, Mehrwertsteuer et cetera).

Bürgerrechte und Bürgerpflicht

Der Grundgedanke der Sicherung sozialer Bürgerrechte wird in einer Grundeinkommensversicherung mit der bürgerlichen Pflicht zur Beitragsleistung entsprechend der persönlichen Leistungsfähigkeit kombiniert. Der Leistungsanspruch folgt dem Prinzip der Teilhabeäquivalenz. Je nach Dauer und Höhe der Beitragsleistung verbessern sich die Leistungsansprüche. Die Sicherung des sozialen Bürgerrechts wird durch einen altersabhängigen Grundeinkommensbetrag in Höhe von 50 Prozent des durchschnittlichen gewichteten Pro-Kopf-Einkommens garantiert. Dieser würde im Jahr 2004 annäherungsweise 7.400 Euro pro Jahr, monatlich etwa 610 Euro betragen. Er entspricht in etwa dem Grundfreibetrag im Einkommenssteuerrecht (2004: 7.664 Euro). Da der Grundeinkommensbetrag nicht unter dem steuerlichen Grundfreibetrag liegen kann, gehen wir im folgenden von einem monatlichen Betrag von 640 Euro aus.

Die Logik einer alle Bürger (beziehungsweise Einwohner) umfassenden Sozialversicherung bedingt, dass alle in der politischen Meinungsbildung empirisch repräsentierten und durch sozialwissenschaftliche Analyse identifizierbaren Sozialpräferenzen in angemessener Weise berücksichtigt werden müssen. Anderenfalls ist eine derartig weit reichende, aufgrund ihrer verfassungsrechtlichen Implikationen wohl nur in einer "Großen Koalition" oder durch Plebiszit umsetzbare Sozialreform nicht nachhaltig. Das entscheidende Kennzeichen der Grundeinkommensversicherung ist ihre Konzentration auf Einkommensleistungen. Dies erst ermöglicht ein hohes Maß an Transparenz und sozialer Gerechtigkeit.

Rentenversicherung. Die in der deutschen Gesetzlichen Rentenversicherung eingebauten Grundsätze der Teilhabeäquivalenz und des Umlageverfahrens korrespondieren mit den sozialen Wertvorstellungen der Mehrheit der Bundesbürger. Für die wirtschaftliche Existenz der Rentner zu sorgen kann im Interesse der alten und der jungen Generation nur über kollektive Sicherungssysteme freiheitlich und verlässlich organisiert werden. Fast alle deutschen Bürger sind in entsprechende Alterssicherungssysteme integriert, im wesentlichen in drei Systeme: in die Gesetzliche Rentenversicherung selbst, in die berufsständischen Versorgungswerke (für Freie Berufe) und in die Beamtenversorgung. Alle drei Systeme basieren auf den Grundsätzen Teilhabeäquivalenz und Umlageverfahren, allerdings mit gewissen Modifikationen: Die Gesetzliche Rentenversicherung wird vollständig umlagefinanziert, annähernd einem Drittel der Leistungen stehen jedoch keine Beiträge gegenüber; sie werden durch einen in den letzten Jahren kontinuierlich steigenden Bundeszuschuss finanziert. Die berufsständischen Versorgungswerke werden überwiegend umlagefinanziert, nur ein Teil der Einnahmen wird zur Bildung von Altersrückstellungen verwendet. Die Teilhabeäquivalenz gilt weitgehend. Die Beamtenversorgung wiederum wird vollständig nach dem Umlageverfahren - und zwar aus dem laufenden Steueraufkommen - finanziert, ein Kapitalstock existiert nicht. Von Teilhabeäquivalenz kann man insoweit sprechen, als sich die Pensionsansprüche nach den dienstrechtlichen Einkommenspositionen richten. Insgesamt sind alle genannten Alterssicherungssysteme mehr oder weniger intransparent und damit für eine demokratische Willensbildung kaum geeignet. Die Tatsache, dass die als zentral geltenden Grundsätze Teilhabeäquivalenz und Umlageverfahren in allen Systemen Beachtung finden, erlaubt es, eine Strukturreform daran anzuknüpfen.

Wie Beitrag und Leistung zusammenhängen

Der Begriff "Teilhabeäquivalenz" erfordert dabei eine Präzisierung: In der deutschen rentenpolitischen Literatur wurde bislang in der Regel der Begriff "Beitragsäquivalenz" verwendet, der eine eigentumsähnliche Bindung von Beitragsleistung und Rentenanspruch beschreibt (oder besser postuliert). Neuerdings wird - so zuletzt im Bericht der "Rürup-Kommission" - häufiger der Begriff "Teilhabeäquivalenz" gebraucht, vermutlich um darauf aufmerksam zu machen, dass eine unmittelbare Kopplung von Beitrag und Leistung im Umlageverfahren nicht existieren kann, sondern mit der Rentenzahlung (via Rentenformel) nur eine Position in der Hierarchie der Beitragszahler erworben wird, die dann im Rentenalter die Position innerhalb der Rentenzahlungshierarchie bestimmt. In welcher Spreizung sich diese Teilhabe bewegt, ob beispielsweise bei der Beitragszahlung ein erheblich breiterer Korridor als bei den späteren Rentenzahlungen existiert, wird mit dem Begriff der Teilhabe offener gehalten.

Die Grundeinkommensversicherung trägt im Bereich der Alterssicherung folgende, stark an das Modell der Schweizer AHV angelehnte Züge:

- Es existieren eine Grundrente sowie eine Maximalrente in Höhe von 200 Prozent der Grundrente.

- Die Höhe der Grundrente entspricht dem Grundeinkommensbetrag plus einem Alterszuschlag in Höhe von 20 Prozent (also im Jahr 2004 etwa 768 Euro monatlich), die Maximalrente demnach 1.536 Euro.

- Die Höhe der Rentenleistung im Korridor zwischen Grund- und Maximalrente bemisst sich nach dem Prinzip der Teilhabeäquivalenz entsprechend der Beitragsleistung im Lebenslauf. Die Maximalrente wird dann erreicht, wenn durchgängig Beiträge auf ein Einkommen in Höhe des Fünffachen des Einkommens entrichtet wurden, das für einen Anspruch in Höhe der Grundrente ausreicht (2004: 3.875 Euro). Dieses Fünffache liegt unter der Beitragsbemessungsgrenze in der Gesetzlichen Rentenversicherung (2004: 5.150 Euro in Westdeutschland).

Rente mit 67. Und zwar für alle

- Der Rentenanspruch ist individuell für Männer und Frauen. Bei zusammenlebenden Paaren (unabhängig vom Familienstatus) beträgt - entsprechend der Schweizer Regelung - der Rentenanspruch 150 Prozent des gemittelten individuellen Rentenanspruchs. Eine Hinterbliebenenrente existiert nicht. Nach Tod des Partners oder Trennung lebt der eigene Rentenanspruch in voller Höhe auf.

- Das Rentenzugangsalter beträgt geschlechtsunabhängig 67 Jahre. Ein früherer oder späterer Renteneintritt ist mit versicherungsmathematischen Ab- und Zuschlägen (etwa 6 Prozent pro Jahr) problemlos möglich. Eine Übergangslösung zur Erhöhung des Rentenzugangsalters (von derzeit 65 Jahren) für Personen in rentennahen Jahrgängen ist aufgrund der Sicherung von Lebensplanungen erforderlich. Die Erhöhung des Rentenzugangsalters ist neben der Verbreiterung der Beitragsgrundlage und der Einführung eines Rentenkorridors die entscheidende Voraussetzung für eine Anpassung der Rentenversicherung an die demografische Entwicklung.

- Neben der Beitragszahlung werden Ansprüche auf Rentenleistungen auch durch die Leistung der Kindererziehung erworben. Entsprechend der seit 1992 in der Gesetzlichen Rentenversicherung geltenden Regelung (ähnlich auch in der Schweizer AHV) sollen drei Jahre der Kindererziehung mit dem bei einem durchschnittlichen Vollzeit-Erwerbseinkommen erzielten Beitrag bewertet werden. Ein Zuschuss aus dem Staatshaushalt ist nicht erforderlich, da die gesamte Bevölkerung in der Grundeinkommensversicherung erfasst wird. Eine Ausweitung der Kindererziehungszeiten auf mehr als drei Jahre wäre angemessen, wenn und solange die Chancen auf Erzielung eines Erwerbseinkommens durch Frauen als für die Familienarbeit (bislang) Hauptzuständige geringer sind.

Für weitere Ansprüche ist der Markt zuständig

- Der volle Betrag der Grundrente wird erreicht, wenn der Mindestbeitrag entsprechend der durchschnittlichen Versicherungszeit aller Versicherten des jeweiligen Jahrgangs im Rentenzugang entrichtet wurde. Eine Nachentrichtung von GEV-Beiträgen (Teilbetrag der RV) sollte in einer angemessenen Frist vor Rentenzugang möglich sein, um dadurch einen Grundrentenanspruch zu erwerben. Die dadurch entstehenden Beitragseinnahmen werden zudem in der Übergangszeit entlastend wirken, in der eine Bedienung von Altrentenansprüchen höhere Ausgaben erfordert.

- Dauerhaft erwerbsunfähige Versicherte werden wie Altersrentner behandelt. Die Kriterien der Erwerbsunfähigkeit sind rein medizinisch-rehabilitativ zu fassen. Aufgrund der berufsunspezifischen, vom Erwerbsverhältnis entkoppelten Struktur der GEV sind Zumutbarkeitsregeln unabhängig von früheren Tätigkeiten. Die bisher besonders von den Gesetzlichen Rentenversicherungen erbrachten Rehabilitationsleistungen sind auf die Krankenversicherungen zu übertragen. Für weitere Ansprüche (etwa Berufsunfähigkeitsrenten) sind der private Versicherungsmarkt, betriebliche oder berufsständische Versorgungswerke zuständig.

Übergangsregelungen sind für alle bisherigen Alterssicherungssysteme erforderlich und möglich, wobei deren Laufzeit im Interesse von Transparenz und Verwaltungsvereinfachung deutlich begrenzt werden muss. Sofern die bisherigen Systeme zu höheren Leistungsansprüchen führen als in der Grundeinkommensversicherung, sind unterschiedliche Regelungen sinnvoll: Für die bisherigen Mitglieder der gesetzlichen Rentenversicherung sind abschmelzende Zuschläge möglich, hierfür wird ein Übergangszuschlag auf den Beitrag zur GEV erhoben; die Systeme der berufsständischen Versorgungswerke sollten als private Zusatzversorgungssysteme fortbestehen können, für die auch in Zukunft Beiträge erhoben werden; die öffentlichen Dienstgeber werden Ansprüche oberhalb der Leistungen der GEV gleichfalls in Form einer Zusatzversorgung sicherstellen; ob hierfür Beiträge erhoben würden, ist für eine GEV nicht erheblich. Eine steuerliche Subventionierung von privater Vorsorge erscheint unter den Bedingungen einer GEV nicht erforderlich, da bereits die Grundrente innerhalb der GEV in etwa der durchschnittlichen Rente in der Arbeiterrentenversicherung entspricht. Die Ein- und Fortführung sowie die Weiterentwicklung betrieblicher Zusatzversorgungssysteme ist Aufgabe der Tarifparteien.

Die Erhöhung der Altersgrenzen, das Auslaufen der Hinterbliebenenrenten aufgrund der voll eigenständigen Alterssicherung und die Verbreiterung der Beitragsbasis werden die Finanzierung von Übergangsregelungen wesentlich erleichtern.

Die Arbeitslosenversicherung geht alle an

Arbeitslosenversicherung. Die deutsche Arbeitslosenversicherung sichert historisch nur Arbeitnehmer, da andere Berufsgruppen (Beamte, Freiberufler, Selbstständige) entweder unkündbar sind oder aufgrund ihres Status nicht als vermittelbar gelten. Diese Differenzierungen erweisen sich allerdings zunehmend als wenig hilfreich, worauf die Einstellung von Beamten "auf Zeit" und besonders zwischen Angestellten- und freiberuflicher bzw. selbstständiger Arbeit zunehmend wechselnde Berufsbiographien verweisen, die als Folge neuerer Arbeitsmarktinnovationen (zum Beispiel der "Ich-AG") häufiger werden. Hinzu kommt, dass mit der "Agenda 2010" der rot-grünen Bundesregierung ab 2005 die Arbeitslosen- und die Sozialhilfe zu einem "Arbeitslosengeld II" zusammengelegt werden, womit die Grenzen zwischen Arbeitslosenversicherung und der nur auf den Einwohnerstatus abhebenden Sozialhilfe verschwimmen.

Verantwortung für den Arbeitsmarkt

Die Arbeitslosenversicherung ist deshalb Bestandteil der Grundeinkommensversicherung. Die Einbeziehung von Selbstständigen, Freiberuflern und Beamten begründet sich aus ihrer Verantwortung für einen nationalen Arbeitsmarkt, von dessen Funktionieren auch Bevölkerungsgruppen profitieren, deren Arbeitslosigkeitsrisiko nicht besteht oder gering erscheint. Während in der Rentenversicherung das Missbrauchsrisiko aufgrund eindeutiger Zugangskriterien (Alter, gegebenenfalls Erwerbsunfähigkeit) ausgeschlossen werden kann, ist dies im Bereich der Arbeitslosenversicherung nicht immer problemlos möglich. In einer GEV empfehlen sich deshalb möglichst eindeutige Anspruchsregeln:

- Der Anspruch auf Arbeitslosengeld wird teilhabeäquivalent festgesetzt, es gilt auch hier das Prinzip von Grundbetrag und Maximalbetrag im Verhältnis von 1:2 auf der Grundlage eines Beitragskorridors von 1:5 (siehe Rentenversicherung). Der Grundeinkommensbetrag in der Arbeitslosenversicherung beträgt 640 Euro, also etwas mehr als 50 Prozent des Pro-Kopf-Einkommens der Bevölkerung. Sonstige Erwerbseinkommen werden vollständig angerechnet, nicht jedoch Einkommen unterhaltsverpflichteter Personen. Zusätzliche Einkommen aus Vermögen sind zu versteuern und mit dem GEV-Beitrag zu belasten.

- Für den Anspruch auf ein Grundeinkommen als Arbeitslosengeld ist eine Mindestbeitragszeit erforderlich. Im Sinne der Beitragsäquivalenz sollte diese etwa drei Jahre betragen. Erziehungszeiten gelten als Beitragszeiten. Bei geringeren Beitragszeiten vor Eintritt der Arbeitslosigkeit besteht kein Anspruch auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Diese Versicherten - in der Regel handelt es sich dabei um jüngere Personen - sind auf private Vorsorge und Unterstützung, auf die Übernahme auch gering bezahlter Arbeiten und vorzugsweise auf Bildungsgänge zu verweisen, für die ein Grundeinkommensanspruch besteht (Ausbildungsgeld, siehe unten). Zudem existiert die Grundsicherung als bedarfsorientiertes Grundeinkommen.

Wer Arbeit ablehnt, bekommt nichts mehr

Ähnlich wie in einigen skandinavischen Ländern (etwa Dänemark) gibt es keine zeitliche Begrenzung für den Bezug des Arbeitslosengeldes als Grundeinkommen. Der Anspruch auf das Arbeitslosengeld entfällt jedoch vollständig, wenn ein durch die Arbeitsverwaltung - die insoweit an die für die GEV zuständige Körperschaft mitteilungspflichtig ist - erfolgtes Arbeitsplatzangebot, dessen Nettoeinkommen höher ist als das jeweilige Grundeinkommen des Versicherten, unbegründet abgelehnt wird. Die Ablehnungsgründe sind zur Vermeidung von Missbrauch eng zu fassen. Das Arbeitslosengeld in der GEV dient damit nicht der Lohnsubvention, eine Aufstockung von niedrigen Löhnen durch das Arbeitslosengeld erfolgt nicht. Die Übernahme von unterdurchschnittlich bezahlten Arbeitsplätzen mit Nettoeinkommen oberhalb des Grundeinkommens wird jedoch wesentlich erleichtert, da die Übernahme von Erwerbsverhältnissen, die die Mindestbeitragspflicht erfüllen, die künftigen Ansprüche auf Arbeitslosengeld et cetera nur wenig reduziert.

- Zur Verwaltungsvereinfachung, zur Stärkung der Motivation für Ersparnisbildung und zur Unterstützung allgemeiner Reziprozitätserwartungen erscheint eine Karenzzeit vor Inanspruchnahme des Grundeinkommens aus der Arbeitslosenversicherung im Umfang von mindestens einem und höchstens drei Monaten sinnvoll. Damit wird das System der Grundeinkommensversicherung nicht missbraucht, um kurzfristige Arbeitsplatzwechsel abzufedern.

Dynamisierung und Würde

Die Arbeitslosenversicherung innerhalb der GEV ist - ähnlich wie das Problem der Erwerbsunfähigkeit in der Rentenversicherung und das Krankengeld - auf der Leistungsseite notwendig mit dem Arbeitsmarkt verknüpft, auch wenn die Beitragsseite vom Arbeitsverhältnis entkoppelt wird. Die hier vorgeschlagene Regelung verknüpft Effektivitätskriterien - besonders zur Vermeidung von Missbrauch und zur Dynamisierung des Arbeitsmarktes - mit der Garantie sozialer Grundrechte und der Sicherung der Würde auch derjenigen, deren wesentliche wirtschaftliche Ressource im Verkauf ihrer Arbeitskraft besteht. Indem die Arbeitslosenversicherung in der GEV von allen Bürgern finanziert wird und die Arbeitgeber den diesen Beitragseinnahmen entsprechenden Anteil aufbringen müssen, steht zu erwarten, dass das Problem der Arbeitslosigkeit nicht mehr, wie bisher, nur zu einem Problem der Arbeitnehmer gemacht wird und damit aus dem Fokus der gesellschaftlichen Eliten verschwindet. Der Zugang zur Erwerbsarbeit als einem zentralen Bereich der Verteilung von Lebenschancen wird mit diesem Vorschlag als politisches, jedoch nicht individuell einklagbares Recht auf Arbeit verstanden. Er bildet eine der Voraussetzungen einer demokratischen Gesellschaft, die eine Exklusion von Bevölkerungsgruppen aus zentralen Funktionsbereichen nicht zulassen kann, ohne sich selbst zu gefährden.

Elterngeld. Erziehungsleistungen gelten in der Grundeinkommensversicherung gegenüber Beitragsleistungen aus Erwerbs- und sonstigen Einkommen als gleichwertig. Diese Gleichwertigkeit kann sich jedoch nicht nur auf Leistungsansprüche im Alter (wie dies seit 1992 in Deutschland ansatzweise der Fall ist) oder bei Arbeitslosigkeit beschränken. Sinnvollerweise werden deshalb auch die Ansprüche auf ein Elterngeld als Grundeinkommen für Erziehende in das System der GEV integriert. Die Regelungen des Arbeitslosengeldes werden dabei mit einigen Modifikationen auf das Elterngeld übertragen:

- Das Elterngeld wird beitragsäquivalent festgesetzt. Der Mindestbetrag entspricht dem Grundeinkommen (640 Euro pro Monat), der Maximalbetrag bei entsprechenden Beitragszeiten dem Doppelten des Grundeinkommens. Ein Wechsel des Anspruchs zwischen Vater und Mutter sowie die Teilung des Anspruchs sind (wie seit 2000) während der Laufzeit, auch mehrfach, möglich. Der Anspruch auf Elterngeld ist mit dem Recht auf Freistellung vom und Rückkehr an den Arbeitsplatz zu verbinden.

- Der Anspruch auf das Elterngeld besteht für drei Jahre. Zusätzliches Einkommen, vor allem Erwerbseinkommen, wird nicht angerechnet (jedoch versteuert und mit GEV-Beitrag belegt), da bei der Aufnahme von Erwerbsarbeit vor Ende des dritten Lebensjahres des Kindes das Elterngeld zur Finanzierung von familienergänzender oder -externer Kinderbetreuung zur Verfügung stehen soll.

Wie Eltern gestärkt werden sollten

Kindergeld. Das Kindergeld als von den Eltern treuhänderisch verwaltetes Grundeinkommen für Kinder gehört gleichfalls in die GEV. Damit wird systematisch berücksichtigt, dass vor dem Hintergrund der kritischen demografischen Entwicklung in säkularen Gesellschaften und besonders in bildungsstarken Schichten die Unterstützung der elterlichen Verantwortung durch die gesamte Gesellschaft notwendig ist. Allerdings stellt sich dabei ein grundsätzliches ordnungspolitisches Problem, das in der bisherigen sozialwissenschaftlichen und sozialethischen Diskussion nicht befriedigend beantwortet werden konnte: Je höher die gesellschaftliche Verantwortungsübernahme für Kinder, desto geringer werden Elternrecht und Elternverantwortung.

Eltern sind heute häufig hilflos

Dies ist in einer gesellschaftlichen Entwicklungsphase besonders sensibel zu handhaben, die wie die gegenwärtige von moralisch-ethischer Verunsicherung und damit unsicheren pädagogischen Haltungen zahlreicher Eltern geprägt ist. Eltern sind angesichts der Entwicklung moderner Kommunikationsmedien, der anscheinenden Ungültigkeit tradierter Motive und Werte und jugendkultureller Unterscheidungen häufig hilflos. Die Übernahme elterlicher Verantwortung erscheint nicht nur wegen der damit verbundenen, bislang unzureichend kompensierten Opportunitätskosten vor allem für junge Frauen vielleicht zu wenig attraktiv, sie wurde auch ein qualitatives Problem in sich. Aus diesen eher kommunitaristischen und nur scheinbar konservativen Überlegungen heraus spricht viel dafür, die Eltern in ihrer aktiven Verantwortung für ihre Kinder zwar zu unterstützen, keineswegs aber diese Verantwortung übermäßig zu minimieren.

Ein Grundeinkommen für Kinder (und Jugendliche) müsste sich etwa auf Höhe der Hälfte des Grundeinkommens für Erwachsene bewegen. In einer bedarfsbezogenen Betrachtung (etwa in den gegenwärtigen Regelungen der Sozialhilfe) würde das Grundeinkommen für Kinder zudem altersabhängig steigen. Derartige Regelungen sind für ein allgemeines Kindergeld jedoch nicht ratsam und werden im bisherigen Recht auch nicht angelegt, da sie von der Elternverantwortung abstrahieren würden (so besteht trotz geringeren materiellen Bedarfs des Kleinkindes selbst in den ersten Lebensjahren gewöhnlich ein höherer Grundausstattungsbedarf, sind die Elterneinkommen geringer als bei älteren Kindern und so weiter). Ein Kindergeld in Höhe des halben Grundeinkommens würde mit etwa 320 Euro pro Monat gut doppelt so hoch sein wie der gegenwärtige Anspruch (154 Euro monatlich für das erste und das zweite Kind). Damit würde der Grundbedarf eines Kindes auf dem Niveau des Existenzminimums abgedeckt. Eine solche Erhöhung wird von vielen Familienverbänden mit dem Verweis auf einen Familienleistungsausgleich auch gefordert. Dagegen sprechen jedoch die genannten Gründe im Sinne der gemeinschaftlichen Elternverantwortung.

Bessere Bildung statt mehr Kindergeld

Denkbar wäre, auch für das Kindergeld das Prinzip der Teilhabeäquivalenz anzulegen, also ein höheres Kindergeld bei entsprechenden Beitragsvorleistungen der Eltern auszuzahlen. Angesichts der langen Laufzeit des Kindergeldes erscheint ein von Beitragsleistungen der Eltern abhängiges Kindergeld jedoch problematisch. Zusammenfassend betrachtet wirkt das derzeitige Kindergeldniveau insoweit als ein geeigneter Kompromiss zwischen elterlicher und gesellschaftlicher Verantwortung, allerdings unter einer heute durchaus strittigen Voraussetzung: dass die Gesellschaft über die öffentlichen Haushalte (und damit aus Steuern finanziert) umfassende Dienstleistungsangebote zur Bildung von Kindern und Jugendlichen (Kindertageseinrichtungen, Vorschulen, Schulen, Hochschulen).

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