Diese Zahlen verschlagen dem Leser die Sprache

Der Wirtschaftsjournalist Christoph Birnbaum hat nachgerechnet, wie irrsinnig teuer die Altersversorgung der deutschen Beamten in Zukunft wird

Deutschland hat eine neue Rentendebatte. Öffentlichkeitswirksam warnte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen vor ausufernder Altersarmut und stellte als Ausweg aus der Misere ihr Konzept der „Zuschussrente“ vor. Nicht nur die Opposition, auch Mitglieder der eigenen Koalition, ja sogar die Kanzlerin selbst sind über das Vorpreschen der Ministerin alles andere als glücklich. Vor allem jüngere Politiker kritisieren die zusätzlichen Ausgaben für die Zuschussrente als sozial ungerecht. Diese führe in letzter Konsequenz nur zu weiteren Belastungen der Beitragszahler. Dabei zeigt der aktuelle Streit um die – wohlgemerkt minimale – Aufstockung der Renten für Geringverdiener, dass die meisten Politiker bei aller Solidarität mit den Rentnern den Wert der Generationengerechtigkeit inzwischen verinnerlicht haben. Eine solche Debatte um eine gerechte Lastenverteilung in unserer Gesellschaft wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen.

Umso erstaunlicher, dass das Argument der Generationengerechtigkeit bei der Finanzierung der Beamtenversorgung noch keinen Einzug gefunden hat. Und überhaupt: Während die Diskussion um „Altersarmut“ seit einiger Zeit hohe Wellen schlägt (auch weil sie viele Bürger in ihrer Vermutung bestärkt, dass die Rente längst nicht mehr so sicher ist wie einst gepriesen), ist es um die steuerfinanzierte Beamtenversorgung still geblieben. Genau das veranlasste den Wirtschaftsjournalisten Christoph Birnbaum, sich die Beamtenversorgung einmal genauer anzuschauen. Mit erschreckendem Ergebnis: Bis 2040 belaufen sich die Pensionsverpflichtungen des Staates gegenüber seinen Beamten auf eine Billion Euro. Das bedeutet, dass wir „in den nächsten Jahrzehnten eine Summe, die der Hälfte der bestehenden Staatsschulden entspricht, alleine für die Versorgung von Ruhestandsbeamten ausgeben“. Die Zahlen, die Birnbaum in seinem Buch präsentiert, verschlagen dem Leser die Sprache. So werden sich die Versorgungsaufwendungen allein in den vermeintlich reichen Ländern wie Baden-Württemberg oder Bayern bis 2050 mehr als verdoppeln. Und das bei tendenziell rückläufigen Steuereinnahmen infolge des demografischen Wandels. Verantwortlich für die Entstehung dieser „tickenden demografischen Zeitbombe“ seien nicht etwa die Beamten selbst, sondern der Leichtsinn der Politik. „Das Problem ist das Versäumnis des Staates, rechtzeitig Vorsorge zu treffen, dass die künftigen Verpflichtungen auch eingehalten werden“, schreibt Birnbaum. Der Staat habe seine Verantwortung, eine nachhaltige Finanzierungsbasis zu schaffen, jahrelang vor sich hergeschoben. Die wenigen Rücklagen, die einige Bundesländer gebildet haben, reichen für die Heerscharen an Beamten, die bald in den Ruhestand gehen, nicht aus. Angesichts dessen ist es nahezu perfide, dass Länder wie Brandenburg oder Hessen Ende der neunziger Jahre Verbeamtungen sogar vorantrieben. Der Vorteil einer solchen Politik liegt auf der Hand: Während die Länder bei Angestellten des öffentlichen Dienstes Rentenversicherungsbeiträge abführen müssen, können diese Sozialabgaben bei den Beamten eingespart werden. So kann man sich mit guten Haushaltszahlen rühmen. Die tatsächlichen Kosten fallen erst in weiter Ferne an.

Darüber hinaus treibe der föderalistische Wettbewerb die Landesväter dazu, qualifiziertes Personal mit lebenslangen Anstellungen und üppigen Ruhestandsgehälter in den öffentlichen Dienst zu locken, analysiert Birnbaum. Sonst wanderten die hellsten Köpfe in andere Bundesländer ab – ein inländischer Braindrain.

Die Politik wird ihr Treueversprechen schwerlich halten können

Vor dem Hintergrund der Schuldenbremse erscheint es daher mehr als zweifelhaft, dass die Politik ihr Treueversprechen an die Staatsdiener einhalten kann. Für Birnbaum bleibt nur der „Weg in die Ausgabenkürzung“. Das ist die zentrale These seines Buches. Denn was den griechischen, irischen und spanischen Staatsdienern aufgrund der Haushaltsnotlagen schon heute bevorsteht, könnte in einigen Jahren auch der deutschen Beamtenschaft blühen. „Die Politiker setzen zu allererst die Altersvorsorge ihrer Staatsdiener aufs Spiel“, mahnt er.

Ob diese Prophezeiung aber wirklich eintreten wird, ist im Lichte des verfassungsrechtlich verankerten Alimentationsprinzips fraglich. Beamte übernehmen im Auftrag des Staates hoheitliche Aufgaben, worauf sie im Gegenzug einen rechtlichen Anspruch auf eine angemessene Versorgung durch ihren Dienstherrn erhalten. Zwar lässt das Bundesverfassungsgericht für Reformen einen Ermessensspielraum, je nach wirtschaftlicher und finanzieller Lage. Jedoch ist es äußert zweifelhaft, ob dieses besondere Treueverhältnis nach griechischem Muster beschnitten werden kann. Auch lässt Birnbaum außer Acht, dass die strenge Austeritätspolitik in Ländern wie Spanien oder Griechenland Resultat des massiven äußeren Drucks der Finanzmärkte, der Nachbarstaaten oder der Troika war. Solange die Bundesrepublik aber weiterhin gute Ratings erhält, werden weitreichende Kürzungen bei den Beamten wohl auch mittelfristig nicht erfolgen. Steigende Personalausgaben und Haushaltsengpässe führen erst dann zur Staatskrise und damit zu schmerzhaften Einschnitten bei der Altersvorsorge, wenn die Märkte massiven Druck ausüben.

Birnbaum weist ferner darauf hin, dass in Zukunft andere Berufsgruppen die hohe Beamtenvergütung mit wachsendem Unmut verfolgen und ihrem Groll über die ungleiche Einkommensverteilung im Alter politischen Ausdruck verleihen werden. Ein wirklich schlagendes Argument für eine radikale Pensionskürzung bleibt er jedoch schuldig. Dennoch hat Birnbaum Recht, wenn er auf den dringenden Handlungsbedarf hinweist. Tatsächlich sind große Reformanstrengungen nötig, um die bevorstehende Kostenlawine noch aufzuhalten. Unsere Nachbarstaaten sollten uns eine Lehre sein. Deutschland muss frühzeitig die Chance ergreifen, Reformen einzuleiten. Noch haben wir es selbst in der Hand.

Steht die große Stunde der Bürgerversicherung bevor?

Birnbaum formuliert diese Anforderungen an die Politik mit großer Skepsis. Schließlich sei „bereits seit Mitte der sechziger Jahre bekannt, dass man auch bei der Beamtenversorgung nicht einfach auf den Langmut der Steuerzahler vertrauen darf“. Doch leider legt Birnbaum keine konkrete Handlungsanleitung für Reformen vor. Nur flüchtig wagt er den Vergleich zu Ländern wie der Schweiz, wo das Berufsbeamtentum komplett abgeschafft wurde. An anderer Stelle fordert er zaghaft die Annäherung der Pensionen an die Rentenleistungen.

Ein interessanter Lösungsansatz, den Birnbaum aufzeigt, ist die Beteiligung der Beamten an der Finanzierung ihrer Pensionen. An dieser Stelle ist eine rot-grüne Bundesregierung gefragt, könnte sie Maßstäbe setzen. Dabei kommt die zwar schon etwas verstaubte, aber immer noch aktuelle Idee einer Bürgerversicherung ins Spiel. Mittels der Bürgerversicherung wird die Rentenversicherung auf eine breitere Finanzierungsbasis gestellt. Darüber hinaus verspricht die Eingliederung von Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung die Diskrepanz zwischen den auseinanderlaufenden Renten- und Pensionssystemen ein Ende zu setzen. Auch verfassungsrechtlich ist die Eingliederung der Beamten in die Rentenversicherung durchsetzbar, denn eine angemessene Versorgung gemäß des Alimentationsprinzips kann notfalls durch Zusatzleistungen des Staates an seine Beamten garantiert werden. Dies bedeutet zwar auch im Fall der Bürgerversicherung, dass der Steuerzahler an den Personalkosten für Beamte beteiligt wird, kommt ihn aber immer noch weitaus günstiger als die jetzige Pensionsregelung.

Was Deutschland braucht, ist „eine offene und ehrliche Diskussion über seine Beamten“. Birnbaums Buch ist ein guter, erster Anstoß dafür. Einer solchen Debatte müssen sich alle progressiven Parteien stellen. Denn es kann nicht ein Teil der Gesellschaft von Altersarmut bedroht sein, während ein anderer Teil von der realen wirtschaftlichen Altersentwicklung entkoppelt ist. Das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit.

Christoph Birnbaum, Die Pensionslüge: Warum der Staat seine Zusagen für Beamte nicht einhalten kann und warum uns das alle angeht, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2012, 260 Seiten, 14,90 Euro


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