Die zentrale Frage des 21. Jahrhunderts

Die deutsche Gesellschaft sollte endlich die Dramatik der energiepolitischen Situation erkennen - und entsprechend handeln. Wollen wir der drohenden Falle entrinnen, müssen wir uns auf eine Zukunft der kohlendioxidfreien Energie vorbereiten

Die Energieversorgung ist die zentrale Frage des 21. Jahrhunderts. Die Preise für Öl, Gas und Importkohle werden erratisch steigen und die Industrieländer immer abhängiger werden von Energieimporten aus instabilen Förderregionen. Gleichzeitig zwingt uns der Klimawandel zu einer Reduzierung der CO2-Emissionen.

Die deutsche Gesellschaft sollte den schnell wachsenden globalen Energiebedarf endlich zur Kenntnis nehmen. Allein Chinas Energieverbrauch erhöht sich alle drei Jahre etwa um die Menge des japanischen Gesamtbedarfs. Auch in Indien, Brasilien und anderen Schwellenländern entwickeln sich Industrie, privater Konsum und Mobilität rasant. Dazu kommt: Bis Mitte des 21. Jahrhunderts wird die Weltbevölkerung um 2,5 Milliarden Menschen wachsen. All diese Entwicklungen haben gewaltige Auswirkungen auf die Energieträger, besonders auf die Ölversorgung. Schon seit Jahren übertrifft der zusätzliche Ölverbrauch um das dreifache die Ölmenge, die neu gefunden wird. Neue Ölquellen haben allenfalls die Größe des Doba-Ölfeldes im Tschad. Die dort liegenden 900 Millionen Barrel entsprechen gerade mal der Menge Öl, die die Welt derzeit in zwölf Tagen verbraucht.

Weil der weltweite Ölbedarf in etwa zehn Jahren nicht mehr gedeckt werden kann, steigt der Ölpreis bereits heute – in den nächsten fünf bis zehn Jahren schätzungsweise von heute 70 auf dann 100 Dollar pro Fass. Auch der Gaspreis wird steigen, denn diese Ressource überfordern wir gleich mehrfach: Gas soll unsere Wohnungen heizen, unsere Mobilität garantieren und nach dem Atomausstieg unsere Kraftwerke mit ersetzen.

Unsere Abhängigkeit von den öl- und gasfördernden Staaten macht uns verwundbar, wie die Terroranschläge vom 11. September oder die Angriffe auf irakische Öl-Pipelines und Förderanlagen in Saudi-Arabien zeigen. Rund 70 Prozent der weltweiten Ölreserven liegen in der Region von Kasachstan bis zum Persischen Golf, wobei Saudi-Arabien der größte Erdöllieferant der Welt ist. Doch die wahabitische Diktatur ist politisch und wirtschaftlich instabil: Eine perspektivlose, fundamentalistische Jugend könnte das saudi-arabische Königshaus irgendwann stürzen. Zudem gibt es Anzeichen dafür, dass die angeblich vorhandene Ölmenge – im Jahr 1990 gaben die Saudis eine Größe von 260 Milliarden Barrel an – gar nicht existiert. Der Grund für die falschen Angaben könnte sein, dass sich die Förderquote jedes Mitglieds der OPEC seit 1986 nach der Höhe der jeweiligen Reserven richtet. Seither haben fast alle OPEC-Staaten diese Angaben um bis zu 50 Prozent nach oben korrigiert.

Führen uns die Saudis etwa hinters Licht?

Wie reagieren wir, wenn herauskommt, dass Saudi-Arabien uns seit fünfzehn Jahren hinters Licht führt? Erdgas zumindest wäre keine wirkliche Alternative. Nur die Vorkommen in den GUS-Staaten reichen aus, um Europa ab dem Jahr 2025 noch zu versorgen. Wir würden also abhängig von einem einzigen Staat. Es gibt keine Alternative: Heimische Energieträger werden immer wichtiger werden.

Dazu kommt die klimapolitische Dimension der Energiepolitik. Das Intergovernmental Panel on Climate Change der Vereinten Nationen sagt voraus, dass die mittlere globale Temperatur bis Ende des 21. Jahrhunderts um einen Wert zwischen 1,4 und 5,8 Grad Celsius ansteigt. Die Lebensräume von Tieren und Pflanzen werden sich verändern, extreme Wetterereignisse wie starke Niederschläge oder Hitzeperioden zunehmen, die Lebensmittelversorgung in vielen Regionen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas bedroht sein. Schon heute spüren wir die Vorboten des Klimawandels: Der Atlantik vor der europäischen Küste ist um 0,5 Grad Celsius wärmer als noch vor einigen Jahrzehnten, die mitteleuropäische Winterperiode tritt zwei bis drei Wochen später ein, unsere Gletscher sind um zehn Prozent geschrumpft, der Niederschlag hat in Nordeuropa um 10 bis 40 Prozent zu- und in Südeuropa um 20 Prozent abgenommen. Wir stehen am Vorabend eines gigantischen Klimawandels, seine Wucht können wir nur noch dämpfen.

Wie wir der Energiefalle entkommen

Wie entkommen wir der Energiefalle? Langfristig spricht alles für Energien ohne Kohlendioxid. Wir werden erstens die Laufzeiten der Kernkraftwerke in Deutschland verlängern müssen. Nur so gewinnen wir Zeit, um auf heimische, CO2-freie Energieträger umzustellen. Der Ausstieg aus der Kernenergie ist klimapolitisch, geopolitisch und wirtschaftspolitisch ein schwerer Fehler und eine typisch deutsche Kurzschlussreaktion.

Zweitens wird es eine Renaissance der Kohle geben. Die Kohlevorräte sind weltweit sehr viel gerechter verteilt als Gas und Öl und reichen noch für Jahrhunderte. Sollte das Ziel des CO2-freien Kohlekraftwerks bis Ende des kommenden Jahrzehnts tatsächlich erreicht werden, würde Kohle keinerlei Nachteile mehr haben. Eine solche umweltfreundliche Technologie ist allerdings teuer.

Drittens müssen wir beim Energie- und Materialverbrauch effizienter werden. Durch bessere Wärmedämmung können wir ohne weiteres 50 Prozent der derzeit verbrauchten Energie einsparen.

Viertens gehört die Zukunft den verschiedenen Erneuerbaren Energien. Biomasse zum Beispiel wird weltweit einen großen Anteil der Erneuerbaren Energien ausmachen, in Deutschland ist ihr Potenzial aufgrund des begrenzten Holzangebots allerdings begrenzt. Maximal zwei Prozent des Stromverbrauches lassen sich hierzulande mit Biomasse erzeugen. Biokraftstoff ist da viel versprechender. Die Europäische Kommission schätzt, bis 2010 könnte sein Anteil an allen Kraftstoffen sieben Prozent ausmachen. DaimlerChrysler rechnet damit, dass langfristig weltweit 15 Prozent des Kraftstoffes auf biogener Basis beruhen werden, in Europa sogar 30 Prozent. Unterschätzt wird bei uns das Biogas: Mehr als fünf Prozent unseres Stroms könnten erzeugt werden, wenn nur die Hälfte der tierischen Exkremente gemeinsam mit fetthaltiger Biomasse zu Biogas umgesetzt würde. Auch die geothermische Technologie kann künftig einen guten Teil von Strom und Wärme erzeugen. Derzeit ist sie noch nicht wirtschaftlich, die Produktivität der geothermischen Lagerstätten kann aber erhöht werden. Die ersten geothermischen Kraftwerke in Deutschland sollen in den nächsten drei Jahren entstehen.

Die Solarenergie bleibt ein Mauerblümchen

Die Solarenergie hingegen wird in Deutschland ein Mauerblümchen bleiben. Sie ist einfach zu weit davon entfernt, wirtschaftlich zu sein. Dennoch war es richtig, diese Technologie und deren Massenproduktion in Deutschland zu unterstützen. Schon heute rentiert sie sich in den ländlichen Gebieten sonnenreicher Länder und hat sich dort als äußerst segensreich erwiesen.

Die Europäische Union will bis zum Jahr 2020 mindestens 20 Prozent ihres Stroms aus Erneuerbaren Energien gewinnen. Um dieses Ziel zu erreichen, können Wasserkraft und die übrigen Alternativen Energien einige Prozentpunkte beitragen. Den Löwenanteil jedoch muss die Windenergie erzeugen, die voraussichtlich in zehn Jahren wettbewerbsfähig sein wird. Derzeit hat die Windenergie in Deutschland einen Anteil an der Stromversorgung von sechs Prozent. Mit dem Ausbau der Offshore-Windparks könnte sie bis 2020 etwa zwanzig Prozent der Stromversorgung ausmachen. Nur lassen sich Offshore-Projekte und die damit verbundenen Leitungen nicht ohne einen erheblichen politischen Kraftakt bauen. Die Bundesregierung hat Unterstützung angekündigt, doch ist zu befürchten, dass der Pilotwindpark vor Borkum 2009 vorerst die einzige Offshore-Anlage in Deutschland bleiben wird.

Auf dem Weg zu einem neuen Energiemix bis zum Jahr 2020 ist also noch viel zu tun. Deutschland hat aber einen großen Vorteil: Wir sind in der Energietechnik und im Maschinenbau weltweit spitze. Und auf diese Fähigkeiten müssen wir uns besinnen. Die Ingenieurs- und Naturwissenschaften sollten ins Zentrum unserer Bildungspolitik rücken, die Mittel für die Energieforschung erhöht werden – und aus den Energieforschungszentren müssen wieder kreative Denkschmieden entstehen. Darüber hinaus sollten wir den Ausstieg aus der Kernenergie rückgängig machen, um Zeit zu gewinnen für den Aufbau der CO2-freien heimischen Energieversorgung. Deutschland hat das Potenzial für eine umweltfreundliche und zukunftsfähige Energieversorgung.

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