Die spannende Vorgeschichte eines Jubiläums

In diesem Jahr feiern wir das 50. Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. Angesichts der ungeheuren Last der Vergangenheit erscheint 1965 hierfür im Rückblick früh. Doch zuvor war der Botschafteraustausch bereits über Jahre verschleppt worden - verblüffenderweise nicht von Israel, sondern von Deutschland. Deshalb lohnt gerade der Blick auf die Vorgeschichte der deutsch-israelischen Annäherung

In diesem Jahr feiern wir mit zahlreichen Veranstaltungen das 50. Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. 50 Jahre – das hört sich angesichts der ungeheuren Last der Vergangenheit beeindruckend an. Wenn man aber weiß, dass nicht Israel, sondern Deutschland den Botschafteraustausch über Jahre verschleppt hatte, bekommt das Jubiläum einen leichten Beigeschmack. Deshalb lohnt ein Blick auf die Vorgeschichte, auf die Zeit bis 1965. Besonders erwähnenswert ist der Jugendaustausch, der bereits seit 60 Jahren stattfindet. Ebenso stolz sein können wir auf die vielen Kontakte nach Israel in der Nachkriegszeit, besonders von Sozialdemokraten und Gewerkschaftern.

Deutsche waren nicht willkommen

Dass Bundeskanzler Konrad Adenauer diplomatische Beziehungen mit Israel zunächst nicht vorangetrieben hat, war eine Folge der Hallstein-Doktrin: Der Christdemokrat wollte verhindern, dass die DDR von arabischen Staaten anerkannt wird. Diplomatische Beziehungen mit Ost-Berlin wären von der Bonner Regierung als unfreundlicher Akt betrachtet worden und hätten in der Konsequenz bis zum Abbruch der offiziellen Beziehungen mit den arabischen Staaten führen können. Um es nicht soweit kommen zu lassen, verzichtete die junge Bundesrepublik darauf, Israel offiziell anzuerkennen.

Ob und zu welchem Zeitpunkt Israel einem Botschafteraustausch zugestimmt hätte, bleibt vor diesem Hintergrund Spekulation. Einzelne Politiker in Jerusalem hatten sich für einen solchen Schritt ausgesprochen: Ministerpräsident David Ben Gurion forderte die Aufnahme „normaler diplomatischer Beziehungen“ bereits 1957. Gleichzeitig gab es aber großen Widerstand in der israelischen Politik und Gesellschaft gegen Kontakte mit Deutschen und dem deutschen Staat. Diese Haltung war besonders während des Eichmann-Prozesses 1960/61 weit verbreitet.

In Deutschland indes gab es von Jugendorganisationen, Sozialdemokraten, Gewerkschaftern und linken Protestanten zunehmenden Widerstand gegen die Haltung der Adenauer-Regierung. Dies wurde schon in den fünfziger Jahren deutlich, als Beziehungen zu Israel auch unabhängig von diplomatischen Kontakten aufgebaut wurden.

Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS), der in den fünfziger Jahren noch mit der SPD verbunden war, wurde dabei ein wichtiger Pionier. Der SDS unterhielt seit 1951 Kontakte nach Israel und startete die Kampagne „Frieden mit Israel“. Ab 1957 organisierte der Studentenbund Reisen nach Israel. Auch die SPD-nahen Falken, die Gewerkschaftsjugend und christliche Jugendgruppen reisten bereits Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre nach Israel. Das waren keine einfachen Kontakte, es gehörte Mut dazu. Denn Deutsche waren im Land der Holocaust-Überlebenden oft nicht willkommen. Auch diejenigen Israelis, die die deutschen Gäste willkommen hießen und mit ihnen einen Austausch suchten, mussten sich teilweise gegen massive Anfeindungen wehren.

Die Linke als Avantgarde der Wiedergutmachung

Die Linke in Deutschland verstand sich als eine Art „Avangarde der Wiedergutmachtung“. Kurt Schumacher hatte schon im Jahr 1947 auf dem SPD-Parteitag in Nürnberg gesagt: „Das deutsche Volk ist zur Wiedergutmachung und zur Entschädigung verpflichtet.“ Und 1949 sagte er im Bundestag: „Es ist die Pflicht jedes deutschen Patrioten, das Geschick der deutschen und der europäischen Juden in den Vordergrund zu stellen und die Hilfe anzubieten, die dort notwendig ist.“

In der Frage der Wiedergutmachung hatten die Sozialdemokraten in der Opposition eine konstruktive Rolle übernommen. Das in Luxemburg unterzeichnete Wiedergutmachungsabkommen von 1952 fand nur deshalb eine Mehrheit im Bundestag, weil die SPD-Fraktion geschlossen zustimmte. Viele Abgeordnete der Union, FDP und Deutschen Partei verweigerten hingegen ihre Zustimmung. Im Jahr 1957 hielt der damalige SPD-Parteivorsitzende Erich Ollenhauer als erster Deutscher eine öffentliche Rede als offizieller Gast des Staates Israel. Im Jahr 1960 reiste Willy Brandt nach Israel und plädierte dort für die Normalisierung der Beziehungen.

In den folgenden Jahren wurde diese Forderung gegenüber der Bundesregierung immer drängender vertreten. 1962 gründeten junge Menschen in Berlin die Initiativgruppe „Diplomatische Beziehungen mit Israel“, an der unter anderem die Berliner Deutsch-Israelische Studiengruppe (die dem SDS nahestand), die Falken und die evangelische Aktion Sühnezeichen beteiligt waren. Sie riefen zur Demonstration „Worauf warten wir?“ auf. Der DGB startete 1964 gemeinsam mit der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit eine Unterschriftensammlung und eine Plakataktion, dabei kamen in drei Monaten 70 000 Unterschriften zusammen.

Seit 1973 ist das Thema Israel in der SPD kontrovers

Dass das Thema Israel auf der Linken und bei der Jugend so viel Unterstützung mobilisieren konnte, lag nicht nur an der moralischen Frage der Wiedergutmachung. Der Aufbau dieses Staates faszinierte viele Menschen, weil die Israelis versuchten, viele sozialistische Prinzipien zu verwirklichen. Der große Einfluss der Gewerkschaft Histadrut, der wichtige Sektor der Gemeinwirtschaft und besonders die Kollektivsiedlungen (Kibbuzim) hatten große Anziehungskraft.

Im Jahr 1965 war es dann soweit: Die Regierung von Ludwig Erhard entschloss sich, Israel anzuerkennen, was einen neuen Schub für die Kontakte zwischen beiden Ländern bedeutete. Das SPD-Präsidium beschloss noch 1965, die Gründung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft anzugehen. Studentenorganisationen gelang es nun, auch hochoffizielle Kontakte nach Israel herzustellen, beispielsweise zum studentischen Dachverband und zur Jugend des sozialdemokratischen Mapai. 1967 verweigerte sich sogar die deutschlandkritische Jugend der linkssozialistischen Mapam nicht mehr den Kontakten zu den Jusos.

Der Sechstagekrieg 1967 gilt als der Höhepunkt der Israelsolidarität unter den Jugendlichen und an den deutschen Universitäten. Gleichzeitig markierte dieses Jahr auch eine Wende. Bis dahin war die politische Jugend in ihrer Mehrheit strikt proisraelisch eingestellt gewesen. Die deutsch-jüdische Aussöhnung wurde mit deutsch-israelischer Verständigung zumeist als absolut deckungsgleich verstanden.

Im Zuge der Studentenbewegung änderte sich diese Haltung jedoch, zumal Israel nun nach der Einnahme der Westbank, des Gazastreifens und von Teilen des Sinais zu einer „Besatzungsmacht“ geworden war. Die Ideologisierung der Studentenbewegung führte dazu, dass auch der Nahostkonflikt in marxistische, klassenkämpferische und antiimperialistische Erklärungsmuster einsortiert wurde.

„Palästina-Solidarität“ (nicht nur im Halstuchschmuck ausgedrückt) wurde für politisch aktive Jugendliche in den siebziger Jahren ein wichtiges Erkennungsmerkmal. Dabei wurden immer mehr antizionistische – manchmal auch die Grenze zum Antisemitismus überschreitende – Erklärungsmuster deutlich. Die Politik Israels in die Nähe eines faschistischen Staates zu rücken, zeigte ein vollständig verfehltes Bewusstsein von der eigenen deutschen Geschichte.

Die SPD blieb zunächst klar israelfreundlich, was auch in der 1971 maßgeblich von Sozialdemokraten ins Leben gerufenen Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe zum Ausdruck kam. Aber seit dem Oktoberkrieg 1973 war es mit der einmütigen Haltung zum Thema Israel vorbei. Während der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Heinz Kühn sogar die Annexion des Gazastreifens befürwortete und Willy Brandt als Bundeskanzler einen eher ausgewogenen Standpunkt vertrat, erreichten die israelkritischen Positionen der Studentenbewegung nun mit Verspätung auch die Jusos. Diese stellten damals nahezu ein Drittel der SPD-Mitglieder, nachdem sie einen erheblichen Zustrom erfahren hatten. Der Juso-Bundeskongress rückte von einer proisraelischen Haltung ab und beschloss eine neutrale Position, die eher dem arabischen Standpunkt zugeneigt war.

Beziehungen auf dem Tiefpunkt

Anfang der achtziger Jahre waren die Beziehungen zwischen den Jusos und den Partnern von der Jugend der israelischen Arbeitspartei bereits am Tiefpunkt. Die Mischmeret Tsirah, Jugendorganisation der Arbeitspartei Avoda, bat Willy Brandt darum, wegen der Jusos und ihrem österreichischen Pendant aus der sozialistischen Jungendinternationalen austreten zu dürfen. Nach dem Einmarsch Israels in den Libanon erreichte die antizionistische, israelfeindliche Welle in der von der Linken dominierten Politik vor allem an den Universitäten ihren Höhepunkt. Sabra und Schatila, Orte von Massakern an Palästinensern im Libanonkrieg 1982, wurden häufig mit den Gräueltaten der Nazis verglichen.

Ende der achtziger Jahre und Anfang der neunziger Jahre wandelte sich das Bild erneut – auch bei den Jusos. Die demonstrative Israelfeindlichkeit und pro-palästinensische Haltung nahmen ab. Im Jahr 1988 wurde Roby Nathanson, internationaler Sekretär von Mischmeret Tsirah, zum Juso-Bundeskongress eingeladen und konnte dort in einer unaufgeregten Atmosphäre sprechen. Er redete neben dem PLO-Repräsentanten Abdallah Franghi – eine wirkliche Diskussion war wegen des damals für Israelis geltenden Kontaktverbotes mit der PLO eigentlich nicht möglich. Dieser für damalige Verhältnisse große politische Schritt kann als ein Auftakt für die bis heute sehr intensiven Beziehungen zu israelischen und palästinensischen Partnern im trilateralen Dialog gesehen werden.

Was die Jusos nicht erkannten

Im Jahr 1989 beschlossen die Juso-Hochschulgruppen eine Abrechnung mit dem Antizionismus, auch in den eigenen Reihen. Und 1991 richtete der Juso-Bundeskongress eine Projektgruppe Nahost ein, die die innerverbandliche Aufklärungsarbeit übernahm und die Kontakte nach Israel und – unmittelbar nach den Osloer Verträgen – auch nach Palästina zu einer tragfähigen Zusammenarbeit ausbaute. Diese gipfelte im Aufbau des Willy Brandt Center in Jerusalem, dessen Gründung 1996 in Ramallah mit einem gemeinsamen Vertrag der Jusos, der Mischmeret Tsirah und der Schabibet Fatah beschlossen wurde.

Bis heute sind sich Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bewusst, dass ihr Engagement im Nahen Osten auch ein Resultat der historischen Verantwortung Deutschlands ist. Dabei waren die Jusos nicht die ersten, die erkannten, dass einseitige Stellungnahmen nicht wirklich hilfreich sind. Die Realität ist, dass ein demokratischer und mehrheitlich jüdischer Staat Israel nur dann auf Dauer sicher existieren kann, wenn auch ein Palästina in friedlichen und sicheren Grenzen existiert. In diesem Sinne engagieren sich Jusos, die SPD und viele sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete und unterstützen das Willy-Brandt-Zentrum Jerusalem, das bis heute ein einzigartiger Ort der Begegnung und Verständigung ist. Der Ursprung für dieses Engagement geht auf die Nachkriegszeit zurück.

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