Die pazifistische Versuchung

Während sich Sozialdemokraten und Linke in der Sozialpolitik annähern, liegen außenpolitisch noch immer Welten zwischen beiden Parteien. Dem populistischen Pazifismus der Linkspartei sollte die SPD eine moderne Friedenspolitik entgegensetzen. Die innerparteiliche Debatte hierzu steht jedoch noch aus

Es sind bewegte Zeiten für die Sozialdemokratie. Nach ihrem miesen Abschneiden bei der Bundestagswahl 2009 will sich die Partei programmatisch neu aufstellen und der koalitionspolitischen Sackgasse entkommen. Handlungs- und Zeitdruck sind groß, will man 2013 wieder einen Anspruch auf die Regierung anmelden. Für Rot-Grün reicht es laut Umfragen auf absehbare Zeit nicht, und auch wenn dies niemand in der Parteiführung öffentlich zugibt: Längst wird ausgelotet, unter welchen Bedingungen ein rot-rot-grünes Bündnis im Bund politisch möglich wäre. Die größte Hürde für eine linke Koalition auf Bundesebene ist dabei gar nicht die Weiterentwicklung der Sozialreformen aus der Ära Schröder. Längst hat die Linkspartei ihre schrille Rhetorik – „Hartz IV ist Armut per Gesetz“ – gemäßigt. Und auch die SPD wird bis zum Bundesparteitag im September 2010 diskutieren, wie man der Agenda 2010 einen sozialeren Anstrich geben könnte. Nicht unwahrscheinlich, dass man bis 2013 einen sozialpolitischen Nenner finden wird, der ein rot-rotes Bündnis ermöglicht.

Grundsätzlicher ist der Dissens hingegen auf einem ganz anderen Gebiet: der Außen- und Sicherheitspolitik. Sollte es 2013 zu einer Zusammenarbeit von SPD und Linkspartei kommen, dann wird eine der beiden Parteien ihren bisherigen Kurs über Bord werfen müssen. Die Gefahr ist groß, dass die Sozialdemokraten am Ende vor dem Populismus der Linkspartei einknicken werden. Pazifistische Töne wurden in der SPD schon immer mit Sympathie vernommen. Hinzu kommt, dass es zwischen beiden Parteien keinen Konsens darüber gibt, unter welchen Umständen militärische Einsätze gerechtfertigt sind. Während die SPD in ihren Regierungsjahren jeweils eine ausgewogene Fall-zu-Fall-Abwägung vorgenommen hat, liegt die Sache für die Linkspartei einfacher: Sie ist grundsätzlich gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr.

Die Anti-Kriegsrhetorik von Lafontaine und Co. stößt mittlerweile bundesweit auf Zustimmung. Laut Umfragen lehnen zwei Drittel der Bevölkerung den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ab. Die Linkspartei trifft mit ihrer Forderung nach einem sofortigen Rückzug vom Hindukusch einen offenen Nerv. Doch sie geht noch weiter. In ihrem Ende März 2010 vorgestellten Entwurf für ein Parteiprogramm fordert die Partei „ein sofortiges Ende aller Kampfeinsätze der Bundeswehr. Dazu gehören auch deutsche Beteiligungen an UN-mandatierten Militäreinsätzen nach Kapitel VII der UN-Charta“. Mit anderen Worten: Sobald die Linkspartei auf der Regierungsbank sitzt, hätte Deutschland seine Unterstützung aller bewaffneten UN-Friedensmissionen einzustellen. Hierunter würden zum Beispiel die Einsätze der Bundeswehr im Kosovo und in Bosnien fallen, die für die Stabilität des Balkans nach wie vor von großer Bedeutung sind. Betroffen wäre ebenso der deutsche Beitrag zum UNAMID-Einsatz im von Gewalt geschüttelten Darfur, der bis heute hilft, sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen zu verhindern. Auch die UNMIS-Mission im Sudan müsste einpacken, deren Arbeit selbst Fachpolitiker der Linkspartei im Bundestag in der Sache für richtig halten. Ein solcher Rückzug würde vielleicht das Gewissen mancher Politiker der Linkspartei beruhigen – für abertausende Schutzbedürftige vor Ort wäre es ein schwarzer Tag.

Von Ruanda bis Darfur: Hauptsache kein Militär!

Ob die Bundeswehr einen sinnvollen Beitrag zum Schutz von Zivilisten vor Mord und Vergewaltigung leistet oder ob sie in Krisengebieten zu Stabilisierung und Wiederaufbau beiträgt, war für die Linkspartei bisher irrelevant. Auslandseinsätze lehnt sie prinzipiell ab. Entscheidungen von Fall zu Fall? Fehlanzeige. Ruanda, Srebrenica, Kongo, Darfur? Bis heute kann man sich auf Seiten der Linkspartei nicht vorstellen, dass der Einsatz militärischer Mittel  –  sogar im Fall eines Genozids – notwendig sein könnte. Wie sehr sich die Partei in dieser Frage hinter ihren radikal-pazifistischen Positionen verschanzt, machte Bundesvorstandsmitglied Thies Gleiss kürzlich in der Jungen Welt deutlich:

„Die Linke ist heute die einzige politische Partei, die der dem Kapitalismus unausrottbar innewohnenden Tendenz zum Krieg mit der einzig menschlichen Parole begegnet: Nie wieder Krieg! Der Programmentwurf ist in dieser Frage so eindeutig, dass das allein ausreichen wird, eine Koalition mit  einer aus dem Ensemble der übrigen Kriegsparteien zu verunmöglichen. Aber es gibt unermüdliche Bemühungen außerhalb und innerhalb der Linken, diese Position aufzuweichen, zuletzt in der Debatte um angeblich ‚sinnvolle‘ internationale Polizeieinsätze.“


Ein Kompromiss- und Regierungswille ist nicht erkennbar. Und wer hofft, die Linkspartei werde in Regierungsverantwortung einen Reifungsprozess durchlaufen wie weiland die Grünen, der wird sich bald eines Besseren belehren lassen müssen. Im Gegensatz zu den Grünen hat die Ex-PDS nämlich keine programmatischen Wurzeln in der Bürger- und Menschenrechtsbewegung. Es gibt in dieser Partei keinen Joschka Fischer, der, wie vor dem Kosovo-Krieg, die Frage stellt „Nie wieder Krieg? Oder nie wieder Auschwitz?“. Stattdessen hat die Linkspartei ihre Anti-Kriegsrhetorik zum politischen Markenzeichen erhoben. Dass sich der als Pazifismus getarnte moralische Parochialismus der Linkspartei auch in der Wählergunst bezahlt macht, haben die etablierten Parteien im Bundestag mit zu verantworten. Sie haben Sinn und Ziele deutscher Auslandseinsätze aus nackter Angst vor schlechten Umfragen nicht ausreichend diskutiert. Der Einsatz in Afghanistan ist ein Lehrbeispiel dafür, wie sich die Linkspartei aufgrund der Passivität der anderen Parteien eines Themas bemächtigen konnte.

85 Prozent aller Kriegstoten sind heute Zivilisten

Wie setzt die SPD dem Populismus der Linkspartei eine moderne Friedenspolitik entgegen? Zuerst einmal müsste eine offene Diskussion darüber stattfinden, was Friedenspolitik im 21. Jahrhundert bedeutet (und was nicht). Seit dem Ende des Kalten Kriegs machen zwischenstaatliche Kriege nur noch einen geringen Anteil der bewaffneten Konflikte aus. Krieg ist heute weitestgehend ein innerstaatliches Phänomen, sofern von „Staat“ überhaupt noch die Rede sein kann. Meistens sind failed states der Ort blutiger Konfliktaustragung, von der wiederum vor allem Zivilisten betroffen sind: In heutigen Kriegen sind laut Schätzungen der Politikwissenschaftlerin Mary Kaldor 85 Prozent aller Todesopfer Zivilisten. Anfang des 20. Jahrhunderts lag diese Zahl bei nur 10 Prozent. Massive Menschenrechtsverletzungen und systematische Brüche des humanitären Völkerrechts sind aus heutigen Kriegen nicht mehr wegzudenken. Anders formuliert: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und ethnische Säuberungen sind zu Kennzeichen der Kriege des 21. Jahrhunderts geworden. Dieser veränderten Kriegsführung muss Friedenspolitik Rechnung tragen, auch wenn man sich hierfür von alten Denkmustern verabschieden muss.

Umdenken und Umlenken haben Zeit in Anspruch genommen. SPD und Grüne haben in den neunziger Jahren einsehen müssen, dass eine dezidiert pazifistische Außenpolitik im Angesicht von Völkermord und Menschenrechtsverbrechen moralisch unhaltbar ist. Dabei ist unstrittig, dass Soldaten nicht zur Lösung politischer Konflikte beitragen können. Hier sind Politiker und Diplomaten in der Verantwortung. Richtig ist aber auch: Soldaten können unschuldige Zivilisten vor den Macheten, Gewehren und Bomben ihrer Häscher beschützen, solange es noch keinen Frieden gibt. Als Bestandteil einer umfassenden Friedenspolitik sollte der Einsatz von Militär also nicht prinzipiell ausgeschlossen werden. Der jeglichem Militarismus unverdächtige Ehrhard Eppler hat hierzu festgestellt: „Wenn es stimmt, dass da, wo privatisierte und kommerzialisierte Gewalt überhand nimmt, erst Soldaten das Morden beenden und verhindern müssen, damit Friedensstifter überhaupt tätig werden können, ziehen diese Soldaten dann nicht am selben Strang wie die Pazifisten? Die Pazifisten können das Morden nicht verhindern, die Soldaten keinen Frieden schaffen.“ Vor diesem Hintergrund ist es eine Verdrehung der Tatsachen, wenn die diplomatische, finanzielle oder militärische Unterstützung bewaffneter UN-Friedensmissionen als „Kriegstreiberei“ und „Imperialismus“ denunziert wird. Das Gegenteil ist der Fall.

Die SPD ist eine Friedenspartei. Sie war in ihrer Geschichte aber nie eine pazifistische Partei. Sie stellt die Anwendung militärischer Gewalt unter strenge Vorbehalte, schließt ihren Einsatz aber nicht kategorisch aus. In ihren elf Regierungsjahren konnte sie sich mittels einer vernünftigen und ausgewogenen Außenpolitik profilieren. Als sich 1999 im Kosovo eine Wiederholung der Massaker und Vertreibungen der jugoslawischen Zerfallskriege ankündigte, beteiligte sich Rot-Grün an einer humanitären Intervention, die später von den UN als zwar „nicht legal, aber legitim“ bezeichnet wurde. Mit ihrer Ablehnung des amerikanischen Einmarsches im Irak machte die Regierung Schröder andererseits klar, dass sich Deutschland nicht an militärischen Abenteuern beteiligt. Auch dies war eine Entscheidung von historischer Tragweite, deren Richtigkeit sich nur wenig später zeigen sollte. Durch ihre konstruktive Mitarbeit bei der Verlängerung des Afghanistanmandats hat die SPD nun auch in der Opposition außenpolitische Reife gezeigt, während die Linkspartei den Einsatz als „Krieg gegen die Zivilbevölkerung“ bezeichnete.

Geht die SPD den Parolen der Linken auf den Leim?

Und dennoch bleibt die Frage: Wird die SPD den simplen Parolen der Linkspartei auf den Leim gehen? Nicht ausgeschlossen. Mit jedem Tag, den die kommende Bundestagswahl näher rückt, vergrößert sich der Druck auf die Parteiführung, inhaltliche Konzessionen zu machen. Schon fordern die selten um schrille Töne verlegenen Jusos, dass die SPD wieder eine „richtige“ Friedenspartei werden müsse. Warum die Sozialdemokratie in den letzten elf Jahren angeblich keine vernünftige Außenpolitik betrieben hat, erläutern die Jungsozialisten nicht. Noch haben solche Forderungen innerhalb der SPD noch nicht Oberhand gewonnen. Doch die Zeit spielt gegen die Vernunft. Ohne eine offene Diskussion könnte das Thema schon bald zum Spielball eines koalitionspolitischen Kuhhandels mit der Linkspartei werden. Die SPD ist gut beraten, dieser pazifistischen Versuchung zu widerstehen. «

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