Die Opfer sollen nur Zeugen sein

Opfer des internationalen Menschenhandels in Deutschland müssen eine echte Bleibeperspektive erhalten. Das wird nicht zuletzt zum Erfolg des Kampfs gegen die Kriminalität beitragen

Auf europäischer Ebene hat sich die Diskussion zum Thema Menschenhandel gewandelt. Lag anfangs der Fokus fast ausschließlich auf der Kriminalitätsbekämpfung, so wird seit einigen Jahren zunehmend über die menschenrechtlichen Verpflichtungen der Staaten gegenüber den Opfern diskutiert. So erklärte 2005 der Europarat in seinem Übereinkommen gegen Menschenhandel erstmals die strafrechtliche Bekämpfung des Menschenhandels und die Stärkung der Menschenrechte für die Betroffenen zu gleichwertigen Zielen. Auch die Europäische Union geht mit ihrer Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer von 2011 einen menschenrechtsbasierten Weg und fordert umfangreiche Unterstützungs- und Betreuungsmaßnahmen für die Betroffenen.

Wer nicht mehr Zeuge ist, fliegt raus

Diese positiven Entwicklungen stehen in einem deutlichen Kontrast zu denen auf bundespolitischer Ebene. Nach wie vor befindet sich in Deutschland die täterseitige Bekämpfung des Menschenhandels an erster Stelle. Die Rechtsansprüche der Opfer hingegen hängen oft von deren Mitwirkung im Strafverfahren gegen die Täter ab. Ein opferrechtsbasierter Ansatz fehlt. Die Betroffenen werden auf ihre Eigenschaft als Zeugen reduziert. Die Tatsache, dass sie Opfer schwerer Rechtsverletzungen wurden, wird somit in vielen Fällen ignoriert. Dies wird besonders bei den aufenthaltsrechtlichen Regelungen deutlich: Das Aufenthaltsrecht für Drittstaatenangehörige ist eng an ihre Rolle als Zeugen gebunden; sie können nur dann eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis erhalten, wenn sie bereit sind, im Strafverfahren auszusagen und die Strafverfolgungsbehörden ihre Anwesenheit zusätzlich als notwendig erachten. Sobald das Verfahren endet, erlischt ihre Aufenthaltserlaubnis. Dass in der Praxis aus Mangel an Beweisen in vielen Fällen kein Verfahren eingeleitet wird oder die Betroffenen – häufig aus Angst und aufgrund fehlender Rechtssicherheit – nicht dazu bereit sind, als Zeugen aufzutreten, bleibt hierbei unberücksichtigt.

Die Europaratskonvention gegen Menschenhandel verpflichtet auch Deutschland zu umfassenden Maßnahmen auf dem Gebiet des Opferschutzes und betont, dass die Unterstützung der Opfer unabhängig von ihrer Rolle als Zeugen zu gewährleisten ist. Deutschland hat das Übereinkommen im Jahr 2012 ratifiziert, ohne die Rechtssituation der Opfer zu verbessern. Dabei besteht dringender Handlungsbedarf.

So gibt die Konvention beispielsweise vor, dass der Aufenthaltstitel bei minderjährigen Opfern im Einklang mit dem Kindeswohl zu erteilen ist. In Deutschland gelten allerdings für Kinder und Erwachsene die gleichen Bedingungen für eine Aufenthaltserlaubnis, die eine Mitwirkung im Strafverfahren voraussetzt. Dies verstößt nicht nur gegen das Übereinkommen des Europarats, sondern auch gegen die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Vor allem für minderjährige Opfer muss die Aufenthaltserlaubnis unbedingt von ihrer Mitwirkung im Strafverfahren losgelöst werden.

Schwarz-Gelb trödelte halbherzig herum

Auch in Bezug auf die in der Europaratskonvention formulierten Entschädigungsansprüche greifen derzeitige Regelungen zu kurz; bislang erhalten Betroffene kaum staatliche Entschädigungsleistungen. Dafür müssen sie unter anderem nachweisen, in Deutschland Opfer physischer Gewalt geworden zu sein. Die Androhung von Gewalt oder die Bedrohung Familienangehöriger begründen noch keinen Anspruch auf Entschädigung. Drittstaatenangehörige haben grundsätzlich keinen staatlichen Entschädigungsanspruch, es sei denn, sie kooperieren mit den Strafverfolgungsbehörden.

Obwohl Deutschland Europaratskonvention ratifiziert hat, sind die Opfer rechtlich nicht besser gestellt worden. Ähnlich wirkungslos blieb in Deutschland bislang auch die EU-Richt-linie zur Bekämpfung des Menschenhandels. So gab es vor Ende der letzten Legislaturperiode vonseiten der schwarz-gelben Koalition lediglich halbherzige Bemühungen, die Richtlinie zu verwirklichen, deren Umsetzungsfrist bereits im April 2013 abgelaufen ist. Der entsprechende Gesetzentwurf bezog sich allerdings nur auf das Strafrecht. Unterstützungs- und Schutzmaßnahmen, wie es die Richtlinie für die Betroffenen fordert, blieben vollständig unberücksichtigt. Als Grund dafür nannte die damalige Bundesregierung die Fristgebundenheit, die es unmöglich gemacht habe, die Vorschläge von Opferverbänden zu prüfen. Tatsächlich hatte die damalige Bundesregierung aber mehr als zwei Jahre Zeit dafür gehabt. Schließlich stellte sich der Bundesrat quer und stoppte das Gesetzesvorhaben durch Einberufung des Vermittlungsausschusses. Nun ist die Bundesregierung erneut gefordert, die EU-Richtlinie in die Tat umzusetzen und hierbei dem menschenrechtlichen Ansatz Rechnung zu tragen.

Wer bleiben darf, sagt vor Gericht eher aus

Der Koalitionsvertrag machte zunächst Hoffnung: CDU/CSU und SPD kündigten an, die Rechte der Opfer zu stärken und ihre aufenthaltsrechtliche Situation zu verbessern. Angesichts eines aktuellen Referentenentwurfes des Bundesinnenministeriums ist jedoch zu befürchten, dass diese Ankündigungen nicht eingehalten werden. Für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis soll weiterhin die Mitwirkung der Betroffenen im Strafverfahren erforderlich sein. Der Entwurf räumt lediglich ein, dass der Aufenthaltstitel über das Ende des Strafverfahrens hinaus verlängert werden kann. Hierbei liegt die Verlängerung im Ermessen der Behörden und stellt für die Betroffenen keinesfalls eine Garantie dar.

Die Feststellung der Opfereigenschaft sollte ausreichend sein, um Betroffenen aus humanitären Gründen eine langfristige Aufenthaltserlaubnis zu garantieren. Der häufig vorgebrachte Einwand, ein solches Aufenthaltsrecht könne missbraucht werden und eine irreguläre Einwanderung verstärken, kann durch die Erfahrungen in Italien entkräftet werden, wo es die Möglichkeit einer – von der Kooperationsbereitschaft unabhängigen – Aufenthaltserlaubnis seit 1998 gibt. Im Gegenteil, die Zusicherung einer langfristigen Bleibeperspektive kann für die Kriminalitätsbekämpfung auch von Vorteil sein, da Betroffene eher dazu bereit sind, als Zeugen aufzutreten, wenn sie nicht fürchten müssen, abgeschoben zu werden. Auch in weiteren EU-Staaten wie Großbritannien, Norwegen und Spanien sind die aufenthaltsrechtlichen Regelungen für Drittstaatenangehörige lockerer und nicht unbedingt an ihre Mitwirkung im Strafverfahren geknüpft.

Die Bundesregierung sollte ihrer menschenrechtlichen Verantwortung gegenüber den Opfern nachkommen und längst ausstehende gesetzgeberische Maßnahmen ergreifen.

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