Die Dschihad-Touristen

Auch in Deutschland wird für den Krieg in Syrien und Irak mobilisiert. Hier aufgewachsene und sozialisierte junge Menschen halten es für ihre Pflicht, sich am "Dschihad" zu beteiligen. Doch was passiert, wenn sie zurückkehren? Wie ist ihnen zu begegnen? Und sind wir für diese Aufgabe gerüstet?

Mehr als 400 Personen sollen aus Deutschland bis Mitte 2014 nach Syrien ausgereist sein, manche von ihnen sind bereits zurückgekehrt. Der syrische Bürgerkrieg, der durch die Expansion des so genannten Islamischen Staates (IS) mittlerweile eng mit der Lage im Irak verknüpft ist, ist ein Magnet für „Dschihad-Touristen“ aus über 50 Staaten, besonders aus den arabischen Ländern, aber auch aus Tschetschenien, Georgien, Indonesien, Usbekistan oder China. Zwischen 7 000 und 12 000 ausländische Kämpfer sollen sich aufseiten des syrischen Aufstands am Kampf gegen das Regime von Baschar al-Assad beteiligen, zumeist in den Reihen islamistischer Milizen. Allein aus Europa sind es mehr als 2 000. War es bis 2013 noch die Jabhat al-Nusra (JaN), der offizielle Ableger von al-Qaida in Syrien, der Dschihadisten aus aller Welt anzog, verzeichnet mittlerweile der IS (vormals ISIS: Islamischer Staat in Syrien und Irak) den größten Zulauf. In seinen Reihen befinden sich auch einige Deutsche unbekannter Zahl, die sich zuweilen in Form von Fotos, Videos oder Schriftstücken aus dem Irak oder Syrien zu Wort melden.

Mit welchen Gefahren ist zu rechnen?

Geht von diesen Deutschen auch eine Gefahr für uns aus? Die Antwort auf diese Frage muss zwei Dimensionen berücksichtigen: eine inländische und eine ausländische. Bei der ausländischen Dimension geht es um deutsche Interessen in der Welt; deutsche Dschihadisten könnten beispielsweise wirtschaftliche Einrichtungen mit deutscher Beteiligung, diplomatische Vertretungen oder auch Mitarbeiter von Hilfsorganisationen gefährden. Im Inland umfasst das Bedrohungsszenario Anschläge auf öffentliche Plätze, Bahnhöfe oder Flughäfen, aber auch auf Politiker und andere Einzelpersonen des öffentlichen Lebens.

Hinsichtlich der deutschen Interessen im Ausland liegt in der irakisch-syrischen Doppelkrise eine grundsätzlich andere Lage vor, als im Fall Afghanistans. Bereits seit Beginn des Afghanistankrieges 2001 gab es Dschihadisten aus Deutschland, die nach Afghanistan und in die Grenzregion zu Pakistan reisten, um sich dort militanten Gruppen wie der Islamischen Bewegung Usbekistan, der Islamischen Dschihad-Union oder auch al-Qaida anzuschließen. Damals trugen sie zu einer potenziell erhöhten Bedrohungslage für deutsche Soldaten vor Ort bei. In Syrien oder im Irak gibt es derzeit jedoch keine Beteiligung der Bundeswehr. Allerdings sind deutsche Einrichtungen – etwa die Deutschen Wirtschaftsbüros Irak (DWI) mit Vertretungen in Bagdad (seit 2010) und Erbil (seit 2009) – potenzielle Ziele von Attentätern, da den Dschihadisten Deutschland aufgrund seiner Rolle als Nato-Mitglied und Verbündeter der USA als feindlicher Staat gilt. Neben Objekten, die in einem Zusammenhang mit der deutschen Regierung oder Wirtschaft stehen, sind vor Ort besonders deutsche Journalisten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen gefährdet. Dies zeigt beispielsweise der Fall von drei Mitarbeitern des humanitären Vereins „Grünhelme“, die 2013 in Syrien entführt und wochenlang gefangen gehalten wurden, bis ihnen die Flucht gelang. Rupert Neudeck, Vorsitzender der „Grünhelme“, erhob in diesem Zusammenhang Vorwürfe gegen deutsche Salafisten in Syrien, die an der Entführung mitgewirkt haben sollen.

Verrohung, Radikalisierung und Gehirnwäsche

Bereits vor dem Syrien/Irak-Krieg haben Dschihadisten aus Deutschland zu Anschlägen gegen deutsche Interessen weltweit aufgerufen – und sie tun dies weiterhin. Zwar sind die Vereinigten Staaten das Hauptziel der Terroristen, aber es ist durchaus möglich, dass mit Deutschland assoziierte Objekte und Personen in ihren Fokus geraten, sollte sich dazu die Gelegenheit bieten. Beispiele hierfür außerhalb Syriens und Iraks sind der tödliche Anschlag auf einen Sicherheitsbeamten der Deutschen Botschaft in Sana´a (Jemen) am 6. Oktober 2013 und der Beschuss eines Fahrzeugs der Deutschen Vertretung in Sana´a am 28. April 2014, bei dem der Fahrer und zwei Passagiere leicht verletzt wurden.

Was die innere Sicherheit betrifft, bilden dschihadistisch gesinnte Rückkehrer aus Kriegsgebieten eine besondere Risikogruppe: Durch ihre Ausreise haben sie ihre Bereitschaft demonstriert, den radikalen Worten Taten folgen zu lassen. Sie gehören damit nicht zur Gruppe der „Maulhelden“, die es auch unter deutschen Dschihadisten gibt. Insofern sind solche Rückkehrer aus sicherheitsbehördlicher Perspektive ein Personenkreis, von dem zunächst eine abstrakte Gefährdung ausgeht, die sich aber stets konkretisieren könnte. Deshalb müssen diese Personen sorgfältig beobachtet werden. Die Rückkehrer haben möglicherweise eine militärische Ausbildung durchlaufen – ohne dass sie zwangsläufig Bomben bauen können. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die Bandbreite terroristischer Anschläge groß ist. Für terroristische Zwecke braucht es nicht unbedingt den Einsatz von Sprengstoffen, Handfeuerwaffen genügen bereits. Ist den Sicherheitsbehörden eine wie auch immer geartete Ausbildung an Waffen bekannt, sind betreffende Rückkehrer natürlich als potenziell gefährlicher zu bewerten.

Neben dem Umgang mit Waffen ist die mögliche Verrohung der Rückkehrer ein weiterer Risikofaktor – besonders wenn eine Person sich selbst an Kampfhandlungen beteiligt und andere Menschen getötet hat oder Zeuge von Kriegsgräueln geworden ist. Außerdem stellen die Rückkehrer auch deshalb eine besondere Gruppe dar, weil neue Rekruten bei Organisationen wie Jabhat al-Nusra oder dem Islamischen Staat zunächst eine intensive Gehirnwäsche erhalten und massiv mit der Ideologie indoktriniert werden.

Aufgrund all dieser Aspekte tragen zurückgekehrte Dschihadisten zu einer verschärften Sicherheitslage bei. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass nicht jeder Ausgereiste nach der Rückkehr auch tatsächlich Anschläge vorbereiten oder durchführen möchte. So wies der amerikanische Journalist Peter Bergen, der Osama Bin Laden im Jahr 1997 persönlich traf, zusammen mit seinem Kollegen David Sterman in einem CNN-Artikel vor Kurzem darauf hin, dass Personen, die aus den Vereinigten Staaten ausgereist waren, um sich der mit al-Qaida verbundenen al-Shabab-Miliz in Somalia anzuschließen, nach ihrer Rückkehr keinen Anschlag in den USA geplant haben. Auch seien jene Amerikaner, die JaN oder IS unterstützt oder mit ihnen gekämpft haben, bislang nicht wegen Anschlagsvorbereitungen verhaftet oder angeklagt worden. Weiterhin betonten Bergen und Sterman, dass die Attentäter bei erfolgreichen Anschlägen in den Vereinigten Staaten nach dem 11. September 2001, etwa auf den Boston-Marathon oder in Fort Hood, keine Rückkehrer waren.

Nicht alle Dschihadisten werden zurückkehren

Eine Studie des norwegischen Terrorismus-Experten Thomas Hegghammer von 2013 ergab ferner, dass die Mehrheit der Dschihadisten auf den so genannten Dschihad-Schauplätzen kämpfen will (also in Ländern der muslimischen Welt wie Afghanistan, Somalia, Irak oder eben Syrien), nicht aber Anschläge im Westen anstrebt. Dschihadisten aus westlichen Staaten, die nach einem Kampfaufenthalt zurückehren, sind Hegghammer zufolge nicht öfter in Anschläge im Westen involviert als andere Dschihadisten auch. Allerdings steigen Gefahr und Erfolgswahrscheinlichkeit einer Attacke, wenn Veteranen daran beteiligt sind. Ein Beispiel hierfür ist der Anschlag auf Besucher des jüdischen Museums in Brüssel am 24. Mai 2014, bei dem drei Menschen getötet wurden. Mehdi Nemmouche, der 29-jährige Täter mit französischer Staatsangehörigkeit und algerischen Wurzeln, hatte zuvor ein Jahr lang in Syrien gekämpft und war Anfang März 2014 nach Europa zurückgekehrt. Bei seiner Verhaftung fand die Polizei eine Maschinenpistole, die in eine ISIS-Flagge gewickelt war.

Wie groß ist also die Herausforderung durch Dschihad-Touristen für die westlichen Staaten? Klar ist: Nicht alle ausgereisten Dschihadisten werden zurückkehren. Viele von ihnen wollen in einem vermeintlich „islamischen“ Staat leben, wie ihn der IS vorgeblich anbietet. Sie wollen ihre Pflicht als „Soldaten“ dieses Staates bis zum Ende, also bis zum Tod erfüllen. Dennoch gibt es auch diejenigen, die dem Kriegsschauplatz vorübergehend oder endgültig den Rücken zukehren. Mit ihnen werden die Sicherheitsbehörden in den nächsten Monaten und Jahren alle Hände voll zu tun haben.

Auch Psychologen sind gefragt

Es wird Rückkehrer geben, die gekämpft haben, die radikalisiert und verroht sind. Es wird aber auch jene geben, die nicht unbedingt selbst eine Waffe in der Hand hatten und auch solche, die im Krieg traumatisiert wurden oder desillusioniert sind, etwa aufgrund des Konfliktes innerhalb der dschihadistischen Bewegung. Für alle Rückkehrer gilt jedoch, dass die Erfahrung des Krieges und der Entmenschlichung in Syrien oder im Irak zu kognitiven Dissonanzen mit der Lebenswelt des Friedens und der Stabilität in Deutschland führen kann.

Insofern ist es wichtig, dass Problem der Rückkehrer nicht ausschließlich den Sicherheitsbehörden zu überlassen, sondern parallel dazu auch Re-Integrationsprogramme anzubieten, die eine intensive sozialpädagogische oder psychologische Betreuung umfassen müssen. Auf diese Weise könnten zum einen die Faktoren aufgearbeitet werden, die zur Radikalisierung der betreffenden Personen geführt haben. Zum anderen ließen sich die Rückkehrer so besser kennenlernen und einschätzen. Und man könnte ihnen bei der Bewältigung möglicher Traumata helfen, damit es nicht zu einem „Rückfall“ und somit zu einer Gefahr für die innere Sicherheit kommt. Natürlich werden diese Betreuungsangebote nicht alle Rückkehrer gleichermaßen erreichen oder von diesen akzeptiert werden, speziell nicht von jenen, die erheblich radikalisiert sind und damit automatisch in den Zuständigkeitsbereich der Sicherheitsbehörden fallen. Doch sind solche Angebote wichtig für diejenigen, die das Erlebte aufarbeiten wollen, damit sie später nicht erneut radikalisiert werden.

Bislang müssen die wenigen zivilen Strukturen in der Präven­tionsarbeit, die etwa die Betreuung von Rückkehrern oder Familienangehörigen leisten, oft mit knappen finanziellen Mitteln auskommen und können daher kaum den vorhandenen Bedarf an Beratung abdecken. Hinzu kommt, dass viele Projekte auf Fördermittel des Bundes oder der Länder angewiesen sind und diese zumeist nur für einen kurzen Zeitraum bewilligt werden, was langfristige Planungen und Zielsetzungen nur bedingt möglich macht.

Prävention und Deradikalisierung – nicht nur bei Dschihad-Rückkehrern, aber besonders bei ihnen – sind letztlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der nicht nur verschiedene ministerielle Ressorts wie Inneres, Soziales, Justiz und Schule gemeinsam gefordert sind, sondern auch zivilgesellschaftliche Träger: etwa das Zentrum Demokratische Kultur (Beratungsstelle Hayat), Vaja (Kitab-Projekt), Ufuq.de oder das Violence Prevention Network. Diese Träger können aber nur dann erfolgreich arbeiten, wenn die materiellen Voraussetzungen gegeben sind. Daher sind mehr Investitionen in die Präventionsarbeit notwendig und unerlässlich.

Im Oktober erscheint Behnam T. Saids Buch „Islamischer Staat: IS-Miliz, al-Qaida und die deutschen Brigaden“ im C. H. Beck Verlag. Es hat 224 Seiten und kostet 14,95 Euro.

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