Die Demokratie muss ihre Akteure schützen

Immer öfter werden Politiker und kommunale Amtsträger bedroht und angegriffen. Das entzieht der Demokratie vor Ort den Boden. Es ist höchste Zeit, dass die Bundespolitik entschieden eingreift und die längst überfälligen Schritte auf den Weg bringt

Der jüngste Bundestagswahlkampf hat erneut gezeigt: Hass, Hetze und Gewalt gegen Politikerinnen und Politiker nehmen sprunghaft zu. Es geht längst nicht mehr „nur“ um Beschimpfungen, Beleidigungen oder Schmähungen. Spätestens mit der „Flüchtlingskrise“ im Herbst 2015 hat sich der Ton der Auseinandersetzungen deutlich verschärft. Drohungen gegen Leib und Leben sind ebenso an der Tagesordnung wie Angriffe auf Wahlkampfbüros, dienstliche und private Fahrzeuge sowie tätliche Übergriffe auf Amtsträger und – vielfach ehrenamtlich tätige – Politikerinnen und Politiker. Nicht selten betreffen diese Delikte auch die Familienangehörigen oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Rathäusern oder Ämtern. Am Ende der Eskalationsspirale stehen Anschläge wie der auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker im Jahr 2016. Auch der Angriff auf den Bürgermeister von Oersdorf in Niedersachsen im Jahr 2017 steht beispielhaft für das Ausmaß des Hasses und der Gewalt gegen Politiker.

Ehrenamtler müssen sich sicher fühlen können

In Niedersachsen wurde ein Bürgermeister brutal niedergeschlagen, als er gerade aus einer Gemeindeversammlung kam, die über den Bau einer Flüchtlingsunterkunft beraten hatte. Häufig sind von diesen Straftaten, wie im Fall Oersdorf, ehrenamtlich Engagierte betroffen, die sich für das Gemeinwohl einsetzen. Gerade diese Personengruppe, die anders als Spitzenpolitiker nicht wirksam von der Polizei geschützt werden kann, verdient die besondere Aufmerksamkeit der Gesellschaft. Denn wer fürchten muss, gewalttätigen Attacken ausgesetzt zu sein, wird ernsthaft überlegen, ob er sich in seiner Freizeit weiterhin kommunalpolitisch engagiert. Einige Mandatsträger sind bereits von ihrem Amt zurückgetreten.

Angriffe und Gewaltaufrufe, Beleidigungen und Drohungen gegenüber Mandats- und Amtsträgern – insbesondere in sozialen Netzwerken im Internet – ziehen bislang meistens keine oder nur geringe strafrechtlichen Konsequenzen nach sich. Die vermeintliche Anonymität im Internet senkt die Hemmschwelle für viele dieser Straftaten massiv ab. Zwar sind Beleidigungen vom strafrechtlichen Schutz erfasst, oft wird das für die Strafverfolgung notwendige öffentliche Interesse jedoch verneint. Dagegen bleiben die viel häufigeren Drohungen weitgehend straffrei. Eine isolierte Drohung, die lediglich der Einschüchterung gilt, kann nur verfolgt werden, wenn ernsthaft gemeinte, schwere Gewalt- oder Tötungsdelikte angedroht werden. Dagegen sind die Folgen für die Opfer und ihre Angehörige oft erheblich. Sie führen nicht selten zu gravierenden psychischen Belastungen.

Schon jeder zweite Bürgermeister wurde beleidigt

Nach einer Umfrage der Zeitschrift Kommunal des Deutschen Städte- und Gemeindebundes unter mehr als 1 000 Bürgermeistern wurde nahezu jeder zweite Amtsträger bereits mindestens einmal Opfer von Beschimpfungen und Beleidigungen. Jeder fünfte Befragte hat bereits einmal konkrete Einschüchterungsversuche und Drohungen erlebt. Sechs Prozent der Befragten berichteten sogar von körperlichen Übergriffen gegen ihre Person. Es handelt sich also keineswegs um „Einzelfälle“, sondern um ein weit verbreitetes Phänomen.

Wenn Bürgermeister oder Mandatsträger sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in kommunalen Ämtern und Verwaltungen solchen Angriffen schutzlos gegenüberstehen und Politiker aus diesen Gründen sogar von ihren Ämtern zurücktreten, stellt das eine ernsthafte Gefahr für die Funktionsfähigkeit öffentlicher Ämter und damit der staatlichen Ordnung dar. Es wird zunehmend unattraktiver, sich für eine Führungsposition in der Verwaltung oder Politik zu bewerben. Die Staats- und Politikverdrossenheit steigt. Dabei lebt Demokratie vom Mitmachen und vom Engagement der Bürger für das Allgemeinwesen. Wo diejenigen, die sich engagieren, bedroht, beschimpft oder sogar angegriffen werden, wird sich irgendwann kaum noch jemand finden, der zu dieser Tätigkeit bereit ist. Letztlich stellt diese Hasskriminalität eine ernsthafte Gefahr für unseren demokratischen Rechtsstaat dar.

Diese Entwicklung müssen wir stoppen. Wir dürfen nicht zulassen, dass der Demokratie vor Ort der Boden entzogen wird. Ein wehrhafter Rechtsstaat muss Straftaten dieser Art konsequent verfolgen und die betroffenen kommunalen Amts- und Mandatsträger wirksamer schützen. Es geht darum, Strafbarkeitslücken zu schließen, Straftaten dieser Art deutlicher und effektiver zu ahnden und so die Betroffenen wirksamer zu schützen. Die bisherigen Maßnahmen von Bund und Ländern reichen nicht aus. Notwendig ist eine Null-Toleranz-Politik gegenüber derartigen Angriffen, die auch rechtlich konsequent in die Tat umgesetzt wird. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund spricht sich seit langem für einen Aktionsplan von Bund und Ländern gegen Hasskriminalität und eine gemeinsame Strategie und Struktur für die Bekämpfung der Internetkriminalität aus. Trotz der offenkundigen bedrohlichen Entwicklungen hat die Bundespolitik in der vergangenen Legislaturperiode nur halbherzig gehandelt.

»Politiker-Stalking« muss bestraft werden

Um einen ausreichenden Schutz vor Nachstellungen, Drohungen und Beleidigungen gewährleisten zu können, sollte der geltende Stalking-Paragraf des § 238 Strafgesetzbuch (StGB) um einen neuen Straftatbestand des „Politiker-Stalkings“ ergänzt werden. Zwar wurden die gesetzlichen Regelungen erst kürzlich verschärft. Der geltende Stalking-Paragraf verlangt jedoch nach wie vor, dass der Täter dem Opfer wiederholt und mit einer besonderen Hartnäckigkeit („Beharrlichkeit“) nachstellen muss. Einzelne Bedrohungshandlungen werden weiterhin nicht erfasst. Dies wird dem Phänomen des Politiker-Stalkings nicht gerecht, bei dem die Taten in der Regel aus einer Masse heraus erfolgen, in ihren Auswirkungen aber gravierend sein können.

Ein neuer Straftatbestand des „Politiker-Stalkings“ verzichtet deshalb auf das Merkmal der Beharrlichkeit. Vorgesehen ist ein Strafmaß von bis zu drei Jahren. Eine weitere Maßnahme wäre, Hasskriminalität im Strafgesetzbuch als Qualifikationsmerkmal bei gemeingefährlichen Straftaten zu normieren, wie bei der besonders schweren Brandstiftung. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat zu diesen Fragen gemeinsam mit der Freiherr-vom-Stein-Akademie ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das diese Möglichkeiten aufzeigt und entsprechende Gesetzesänderungen vorschlägt.

Mit der Ausweitung der gesetzlichen Regelungen zum Schutz von Vollstreckungsbeamten oder Rettungskräften durch den Deutschen Bundestag im Frühjahr dieses Jahres ist immerhin ein erster Schritt getan. Nun müssen weitere Regeln folgen.

Die Verschärfung des Strafrechts nützt jedoch wenig, wenn die Täter nicht ermittelt und Staatsanwaltschaften und Justiz diese nicht konsequent verfolgen und aburteilen können. Auch die sozialen Netzwerkbetreiber sollten – etwa durch eine Änderung des Telemediengesetzes – dazu verpflichtet werden, die Daten straffälliger Personen bei Ermittlungsverfahren an die Polizei und die Justiz weiterzugeben. Absprachen, dass auf freiwilliger Basis Einträge dieser Inhalte gelöscht werden, reichen nicht aus. Die Länder sind gefordert, notfalls über Weisungen an die Staatsanwaltschaften für ein beschleunigtes und konsequentes Verfahren zu sorgen. An die Staatsanwaltschaften sollte die Empfehlung ergehen, dass im Fall von Hasskriminalität das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung regelmäßig zu bejahen ist.

Die Internet- und Computerkriminalität erfordert eine entsprechende Schulung der Fachkräfte bei Polizei und Justiz. Nötig sind IT-Experten, die sich speziell mit Internet- und Computerkriminalität auseinandersetzen. Bereits bestehende Aktivitäten in den Landeskriminalämtern und im Bundeskriminalamt sollten miteinander vernetzt und zusammengeführt werden. Die von der Bundesregierung beschlossene zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich zur Entschlüsselung der Internetkommunikation muss schnell aufgebaut werden. Zudem sollte sichergestellt werden, dass in allen Bundesländern – so wie bereits in Sachsen – eine zentrale Ermittlungsstelle mit Ansprechpartnern eingerichtet wird, die die Betroffenen bei Hassmails und Drohungen einschalten können. Schließlich sollte auch über präventive Maßnahmen nachgedacht werden, um zu verhindern, dass der Hass sich in den Köpfen der Menschen festsetzt.

Auch wenn die zunehmenden Bedrohungen, Beleidigungen und tätlichen Übergriffe mittlerweile auch in den Medien thematisiert werden, lässt konsequentes Handeln der Bundespolitik, gerade zum Schutz der kommunalen Amts- und Mandatsträger, weiterhin auf sich warten. Es ist höchste Zeit, dass der Gesetzgeber reagiert und die notwendigen Schritte in die Wege leitet. Die Vorschläge liegen bereits seit geraumer Zeit auf dem Tisch und sind bekannt. Nun darf nicht länger gezögert werden. Der Schutz der demokratischen Kultur in unserem Land muss Anlass zum Handeln sein.

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