Die A f D mag scheitern, ihre Ex-Anhänger sind weiter da

Typisch für Sympathisanten der AfD ist das nostalgische Grundgefühl, dass ihre Werte in der modernen Gesellschaft keine Rolle mehr spielen. Wohin wird sich dieses Früher-war-alles-besser-Milieu politisch wenden, wenn die AfD am Ende ist?

Im Jahr 2017 hat die AfD den Wandel von einer konservativen und eurokritischen Partei hin zu einer in Teilen offen nationalistischen, vor allem aber einwanderungsfeindlichen Partei vollzogen. Gleichzeitig ist sie derzeit weit entfernt von ihrem Umfragehoch vom Herbst 2016. Eine gemeinsame Online-Studie von pollytix strategic research und Kernwert, für die Forscher zwei Wochen lang mit 32 AfD-Sympathisanten in einer geschlossenen Online-Community diskutierten, zeigt jedoch, dass sich das Problem einer rechtspopulistischen Partei in Deutschland nicht von selbst löst: Denn auch wenn sich die Partei aufgrund des internen Gezänks und unsäglicher Parolen selbst zerstören sollte, sind deren Wähler lange noch nicht wieder demokratisch integriert.

AfD-Fans wollen keine AfD-Regierung

Im Verlauf der Studie wurden die Teilnehmer gebeten, die sieben größten Parteien in einem Koordinatensystem zu platzieren und dabei zu entscheiden, ob die Partei die eigenen Werte vertritt und den Bundeskanzler stellen sollte. Die Ergebnisse und die anschließende Diskussion zeigen, dass unter AfD-Sympathisanten eine offensichtliche Orientierungslosigkeit herrscht. Sie wissen schlicht nicht, welche Partei die Geschicke des Landes lenken sollte. Zwar entspricht die AfD am ehesten den eigenen Werten, aber nicht einmal entschiedene AfD-Wähler wollen eine Bundesregierung unter der Führung der AfD. Bei noch unsicheren AfD-Wählern ist die AfD sogar die letzte Partei, die den Bundeskanzler stellen sollte. Dabei entsprechen die Parteien, denen in der Öffentlichkeit immer wieder Populismus vorgeworfen wird (AfD, Linke, CSU), am ehesten den Werten der AfD-Sympathisanten. Die Grünen sind für sie wiederum das Gegenmodell zur AfD und stehen ihr auf der Ebene der Werte diametral gegenüber.

Viele Wähler sympathisieren also nicht mit der AfD, weil sie sich für deren Konzepte oder Personal begeistern. Viele verbinden auch keine konkreten Hoffnungen mit der Wahl der AfD, die sie häufig sogar als regierungsunfähig betrachten. Aber warum fühlen sich diese Wähler dennoch zur AfD hingezogen? Um das zu klären, müssen zunächst einige Vorurteile gegenüber AfD-Anhängern ausgeräumt werden, die den Blick auf die eigentlichen Wahlmotive erschweren.

Weder verbittert noch abgehängt

Erstens sind AfD-Sympathisanten nicht verbittert, zumindest nicht zwingend verbitterter als die Wähler anderer Parteien auch. Mit einem Stimmungsbarometer haben die Teilnehmer der Studie ihre tägliche Gemütslage festgehalten. Statt ständigem Ärger über die Flüchtlingspolitik und die Bundesregierung bestimmen Alltagssorgen und -freuden das Leben, sei es die Schulnote der Tochter, das Wetter oder ein Erfolgserlebnis am Arbeitsplatz.

Zweitens sind AfD-Sympathisanten nicht sozial abgehängt. Von einer Isolation kann keine Rede sein. Zwar fokussieren sich AfD-Sympathisanten häufig auf lokale Aktivitäten, aber viele sind in ein ausgeprägtes Sozialleben eingebunden und engagieren sich ehrenamtlich, etwa in der Pfarrgemeinde, im Tierschutzbund oder im Sportverein.

Drittens informieren sich AfD-Sympathisanten nicht ausschließlich über soziale Medien. Nicht zuletzt, da die Partei selbst das Bild der „Lügen-“ und „Pinocchio-Presse“ formt, wird häufig angenommen, dass AfD-Sympathisanten sich vollständig von den Mainstream-Medien abgewandt hätten. Ohne Zweifel gibt es einen Teil ihrer Wählerschaft, der die etablierte Medienlandschaft meidet, dies gilt jedoch nicht für den Querschnitt der AfD-Sympathisanten. Klassische Medien wie Fernsehen, Radio und Tageszeitungen spielen bei diesen Menschen eine weit größere Rolle als beispielsweise Blogs. Auch Facebook dient vielen vor allem zur Pflege von Kontakten, während sie ihre Nachrichten über etablierte Fernseh- und Radiosender oder auf den Websites großer Medienhäuser beziehen.

Es lässt sich also nicht einfach aus der Lebenswelt ableiten, warum Menschen mit der AfD sympathisieren. Schließlich gibt es Millionen andere, die ein ähnliches bürgerliches Leben führen und denen es nicht im Traum einfallen würde, die AfD zu wählen. Doch woran liegt es dann? Die kurze Antwort: Es liegt an dem Gefühl, dass die eigenen Werte und Einstellungen in der Gesellschaft nicht mehr repräsentiert, sondern im Zuge des gesellschaftlichen Wandels herabgestuft und von anderen Werten abgelöst werden.

Die eigenen Wertvorstellungen scheinen nicht kompatibel mit dem Zeitgeist zu sein. Soziale und kreative Werte wie Toleranz, Empathie, Selbstverwirklichung, Neugier oder auch Spaß, die in modernen, globalisierten Gesellschaften betont werden, spielen unter AfD-Sympathisanten kaum eine Rolle. Ihr Fokus liegt stattdessen auf traditionellen, „preußischen“ Werten wie Pünktlichkeit, Respekt, Höflichkeit oder Pflichtbewusstsein. Auf diese Weise entsteht der Eindruck, dass die eigenen Bedürfnisse im gesellschaftlichen Diskurs ignoriert werden.

Sehnsucht nach der guten alten Zeit

Weil die Werte, die den AfD-Sympathisanten wichtig sind, weder von der Politik noch von anderen gesellschaftlichen Institutionen im gewünschten Maße aufgegriffen werden, verstärkt sich das Gefühl, irgendwie nicht mehr in die Zeit zu passen. Das führt zu einem tiefen Misstrauen gegenüber der gesellschaftlichen „Elite“. Egal ob Politik, Medien, Unternehmen oder Kirchen, sogar Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften: Sie alle besitzen aus Sicht der AfD-Sympathisanten nur geringe Glaubwürdigkeit.

Zudem blicken sie sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern wehmütig auf „die gute alte Zeit“ zurück. In der Erinnerung der Älteren und in der Vorstellung der Jüngeren war Deutschland früher ein besserer Ort. Zum einen, weil ökonomische Sorgen in der Rückschau geringer erscheinen, vor allem aber, weil die eigenen Einstellungen damals keine Außenseiterpositionen gewesen seien. Den gesellschaftlichen Wandel gehen die AfD-Sympathisanten – teilweise zähneknirschend – technologisch mit; selbstverständlich nutzen sie Smartphones und soziale Medien. Kulturelle und soziale Veränderungen, die sich beispielsweise durch Einwanderung oder moderne Familienmodelle ergeben, werden jedoch abgelehnt.

Die AfD scheitert, das Problem bleibt

Es ist zu früh, eine Prognose über das Abschneiden der AfD bei der anstehenden Bundestagswahl abzugeben. Der interne Streit, sinkende Umfrageergebnisse und das Wiedererstarken der Volksparteien zeigen aber, dass sich die AfD möglicherweise doch nicht dauerhaft in der politischen Landschaft festsetzen kann. Wäre das Problem gelöst, wenn die rechtspopulistische Revolution abgesagt würde?

Leider nein! Den Fokus allein auf die Wahlergebnisse der AfD zu legen wird dem grundsätzlichen Problem nicht gerecht: Es gibt einen Teil der Bevölkerung, der sich aktuell nicht ausreichend verstanden und repräsentiert fühlt. Aber bei weitem nicht alle Sympathisanten der Partei gehen den harten Rechtsruck mit. Was aber passiert mit den Protestwählern, die die AfD nur wählen würden, um einen Warnschuss an die anderen Parteien abzugeben? Wohin orientieren sich die Bürger, die – wie die Teilnehmer der Studie – den Eindruck haben, dass ihre Werte und Einstellungen in einer sich wandelnden Gesellschaft nicht mehr ausreichend berücksichtigt werden?

Drei Entwicklungen sind denkbar: Erstens, dass die anderen Parteien, allen voran CDU und CSU diese Menschen (wieder) für sich entdecken und integrieren können. Solange Angela Merkel Parteivorsitzende der CDU ist, scheint das ausgeschlossen; schließlich versucht sie eine konservative Kehrtwende ihrer Partei zu verhindern, weil sie die besten Chancen in der Mitte sieht.

Die zweite Option wäre, dass sich enttäuschte Sympathisanten entpolitisieren und vollständig ins Private zurückziehen. Unwahrscheinlich ist das nicht, schließlich haben Familie und Freunde in der betroffenen Gruppe ohnehin einen besonderen Stellenwert. Das Grundproblem, eine mangelnde gesellschaftliche Repräsentation, wäre dann zwar nicht mehr sichtbar, aber weiterhin vorhanden.

Und drittens wäre das Gegenteil denkbar: erneute Politisierung, die sich im außerparlamentarischen Bereich abspielt und vor allem auf nicht-institutionalisierte Beteiligungsformen wie Protest setzt. Hier würde die Auseinandersetzung zwar öffentlich ablaufen, dennoch bliebe auch hier das eigentliche Problem ungelöst. Schließlich drückt der Protest gerade die Wut darüber aus, dass kein gesellschaftlicher Akteur die eigenen Einstellungen aufnimmt.

Besser erklären, Unfug aushalten

Wie lässt es sich also verhindern, dass es eine Gruppe gibt, um die sich keine etablierte Partei mehr kümmert? Zum einen sind natürlich die Parteien in der Pflicht. Das bedeutet nicht, dass sie den Wählern programmatisch nachlaufen sollen, schließlich fordert man von den Parteien zu Recht wertegebundenes Handeln. Stattdessen gilt es, besser zu erklären, warum man etwas macht und warum das den Werten der Partei entspricht.

Zum anderen müssen wir in einer Gesellschaft immer wieder neu aushandeln, wie unser Zusammenleben aussehen soll. Klar ist: Solange sich Meinungen und Einstellungen im demokratischen Rahmen befinden, muss eine Gesellschaft sie aushalten, auch wenn sie nicht mehr dem Zeitgeist entsprechen. Das ist bei den oben geschilderten Einstellungen der Fall.

Fest steht aber auch: Falls die demokratischen Grenzen überschritten werden, muss dies sanktioniert werden. Im Idealfall durch die Zivilgesellschaft, im Notfall aber auch mit den Mitteln des Rechtsstaates.

zurück zur Person