Deutschland wartet auf Rot-Grün 2.0

Schwarz-gelbe Regierungen haben im Land kein Fundament mehr . Es liegt jetzt an Sozialdemokraten und Grünen, die Menschen von einer gemeinsamen gesellschaftspolitischen Alternative zu überzeugen

Am 22. September wird nicht nur der Bundestag neu gewählt. An diesem Tag finden auch Landtagswahlen in Hessen statt. Sehr wahrscheinlich wird dann die in Wiesbaden derzeit noch amtierende schwarz-gelbe Regierung abgewählt und durch eine rot-grüne Mehrheit ersetzt. Tritt dies ein, werden ab Herbst 2013 sieben der sechzehn Bundesländer mit insgesamt 50 Millionen Einwohnern von rot-grünen Regierungen geführt. Hinzu kommen weitere vier Länder mit zusammen nochmals 10 Millionen Einwohnern, in denen – in verschiedenen Mehrheitskonstellationen – ebenfalls sozialdemokratische Ministerpräsidenten die Amtsgeschäfte leiten. Flöge obendrein – auch nicht unwahrscheinlich – bei der bayerischen Landtagswahl am 15. September die FDP aus der Münchener Staatsregierung, gäbe es ab Herbst auf der Ebene der Bundesländer überhaupt nur noch ein einziges Exemplar der Spezies Schwarz-Gelb zu betrachten, hinten weit in Sachsen nämlich. Und das auch bloß deshalb, weil dort erst wieder 2014 gewählt wird.

Abschüssiger kann eine Entwicklung nicht verlaufen: Schwarz-Gelb stirbt aus. Als politisches Projekt, als sozialkulturelle Formation, als kollektives Selbstverständnis, als wahlarithmetische Option – die ehemalige „bürgerliche Wunschkoalition“ besitzt in Deutschland flächendeckend keinerlei Fundamente mehr. In gesellschaftlicher Perspektive ist Schwarz-Gelb so tot wie Elvis, und machtpolitisch ist diese Koalition spätestens am Ende, seit Rot-Grün im Bundesrat den Ton angibt – woran sich übrigens auch nach der Bundestagswahl im September nichts ändern wird, egal wie diese ausgeht.

Bedauerlich ist allerdings, wie wenig Zuversicht, Offensivgeist und propagandistische Munition Sozialdemokraten und Grüne bislang aus all diesem reichhaltigen Rohstoff beziehen. Klar, da ist Angela Merkel, die im Land – wie die Beiträge unseres Schwerpunkts herausarbeiten: völlig zu Unrecht – als effektive Managerin und Beschützerin deutschen Wohlstands gilt. Merkels persönliche Popularität und vermeintliche Unbesiegbarkeit scheinen namhafte Akteure der Oppositionsparteien einzuschüchtern und zu entnerven. So sehr, dass manchen Roten und Grünen nichts Pfiffigeres mehr einfällt, als sich gegenseitig vorzuhalten, der jeweils andere wolle nach dem 22. September ja doch bloß als Schiffsjunge auf dem unsinkbaren Dickschiff SMS Merkel anheuern.

Doch Merkel ist nicht unsinkbar. Dringend nötig ist deshalb jetzt die selbstbewusste Besinnung darauf, dass Sozialdemokraten und Grüne in diesem Wahljahr eine wirkliche gemeinsame Verantwortung tragen. Die Verantwortung nämlich, dem kläglichen Treiben der Regierung Merkel/Rösler gemeinsam eine überzeugende gesellschaftspolitische Alternative entgegenzusetzen. Merkels persönliche Beliebtheit verschleiert, dass das Land längst auf einen progressiven Gegen- und Zukunftsentwurf aus einem Guss hofft; genau hiervon legt doch die rot-grüne Hegemonie auf der Länderebene beredtes Zeugnis ab. Deutschland 2013 ist in Wahrheit bereit für „Rot-Grün 2.0“. Und noch ist es für beide Parteien auch nicht zu spät, ihr fortschrittliches Alternativangebot zum ambitionslosen Stillstand à la Merkel prägnant und mit leuchtenden Augen herauszuarbeiten. Sie müssen nur den Mut fassen, endlich damit zu beginnen. If you build it, they will come, sagen sie in Amerika in solchen Fällen. Also fangt einfach an, die Leute warten drauf!

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