Der konkrete Charme von Schwarz-Grün

Die Große Koalition bereitet den Boden für christdemokratisch-grüne Bündnisse - weil sie die CDU an "linke Ideen" gewöhnt. In vielen Kommunen ist diese Partnerschaft längst fest etabliert. Die SPD muss sich dringend etwas einfallen lassen

Betretene Gesichter gab es Ende Oktober bei der SPD im Südwesten zu sehen. In der Universitätsstadt Tübingen löste der grüne Abgeordnete Boris Palmer mit 50,4 Prozent die seit 1998 amtierende SPD-Oberbürgermeisterin ab. Noch in der Wahlnacht erklärte der 34-Jährige, der sich im Wahlkampf von CDU-Größen hatte unterstützen lassen: „Wir haben keine Angst vor Schwarz-Grün, unsere Wählerinnen und Wähler auch nicht.“ Und in Heidelberg wird die langjährige SPD-Oberbürgermeisterin Beate Weber voraussichtlich vom parteilosen Umweltbürgermeister beerbt, den das bürgerliche Lager unterstützte. Der holte im ersten Wahlgang 47,5 Prozent, die grüne Kandidatin immerhin 33,6 Prozent, der SPD-Kandidat ganze 12,8 Prozent.

Zuvor musste die Berliner SPD kräftig schlucken: Ausgerechnet im rot-grünen Musterbezirk Wilmersdorf-Charlottenburg entschied sich der grüne Bezirksverband mit knapper Mehrheit für den CDU-Kandidaten und gegen die amtierende SPD-Bürgermeisterin. Zwar gelang es den Genossen dort, die Grünen wieder auf rot-grünen Kurs zu bringen – nach mächtigem Rumoren an der grünen Bezirksbasis. Aber Anfang November bildete sich im bürgerlichen Bezirk Steglitz-Zehlendorf eine schwarz-grüne Zählgemeinschaft, die den CDU-Kandidaten zum Bürgermeister wählte. „Die Karten werden neu gemischt“, schrieb die Tageszeitung und verwies darauf, dass die Grünen im Landtagswahlkampf gerade in bürgerlichen Wohnvierteln kräftig geworben und gewonnen hatten. Das erste schwarz-grüne Bündnis der Hauptstadt begrüßte denn auch der erzkonservative CDU-Landeschef Ingo Schmitt als „Erweiterung der Bündnismöglichkeiten“ für die gerade landesweit abgestrafte Berliner CDU.

Entsprechend heftig die Urteile auf SPD-Seite: Viele Genossen vermuteten eine Retourkutsche für die Entscheidung der Landespartei, nicht mit den Grünen zu koalieren. Für Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit haben die Grünen „viel von ihrer Programmatik verloren“. Sie müssten sich entscheiden, ob sie linke oder bürgerlich-liberale Partei sein und für CDU und FDP koalitionsfähig werden wollten. Hier hinkt Wowereit der Entwicklung hinterher: Diese Entscheidung haben die Grünen offenkundig längst gefällt, ob in Berlin, Frankfurt, Hamburg oder anderswo. Bundesweit sind die Grünen eine linksliberale Milieupartei geworden und keineswegs mehr auf die SPD angewiesen. Und diese Entwicklung hat einen langen Vorlauf.

Die Ära Birkenstock ist längst vorbei

Längst sind die Grünen nicht mehr die Friedens-, Basis-, Umwelt- und die Antiparteien-Partei der frühen achtziger Jahre. Spätestens aus der bitteren Niederlage bei der Bundestagswahl 1990 haben sie gründlich gelernt. Eine neue Generation pragmatisch-machtbewusster Realos löste die Birkenstock-Grünen der ersten Stunde ab. In der Bundestagsfraktion stellten diese Realos bereits im Jahr 1994 die Mehrheit, es folgten Hessen und Baden-Württemberg, dann weitere Landesverbände.

Es war der kluge Wolfgang Schäuble, der in der Union im Jahr 1992 die Debatte über die schwarz-grüne Option begann. Von der SPD genervte Spitzengrüne wie Krista Sager kritisierten schon damals die „babylonische Gefangenschaft bei der SPD“, aber erste Ausbruchsversuche, etwa die Bremer Ampel 1995 (deren Initiator Ralf Fücks heute der einflussreiche Leiter der grünen Böll-Stiftung ist), scheiterten am ewigen Streit zwischen Grünen und FDP.

Dafür trafen sich Mitte der neunziger Jahre junge pragmatische Bundestagsabgeordnete aller Parteien in der so genannten Pizza-Connection in Bonn. Auch auf kommunaler Ebene gab es erste Ansätze: Zuerst 1994 in Mülheim/Ruhr. Gemeinsamer Nenner war damals der Kampf gegen den SPD-Filz, man scheiterte jedoch am CDU-Filz. Ergebnis: 2004 gab es mit Dagmar Mühlenfeld wieder eine SPD-Oberbürgermeisterin. Ähnlich lief es in Saarbrücken. Dort wurde Schwarz-Grün im Jahr 2001 von beiden Landesparteien als Testfall gefördert und funktionierte reibungslos. Nur verloren die Grünen dabei an Profil, die Leute wählten im Jahr 2005 die Sozialdemokratin Charlotte Britz zur Oberbürgermeisterin.

In Köln zerbrach Schwarz-Grün 2001 an der Sollbruchstelle Wohnungsprivatisierung. Nachdem diese 2003 beschlossen wurde, zerfiel das Bündnis sehr rasch, seit 2005 regiert dort wieder Rot-Grün. Es scheint ein Muster zu geben: Konflikte werden bei Schwarz-Grün ausgeklammert, zum Beispiel die Flughäfen in Kassel oder Kiel; und meist werden Grüne mit Posten und Projekten – von der Frauenbeauftragten bis zu Fahrradwegen – beruhigt. Wo das nicht reicht, knirscht es bald.

In Frankfurt am Main scheiterte ein erster schwarz-grüner Versuch im Jahr 2001 an Joschka Fischers Ein-spruch. Nach dem SPD-Debakel bei der Kommunalwahl 2006 wählte dann ein schwarz-grünes Bündnis, gefördert von der hessischen Grünen-Spitze, alle SPD-Bürgermeister ab. Zur Oberbürgermeister-Wahl 2007 will aber kein grüner Kandidat antreten. Gefragt, ob er kandidieren wolle, stellte Daniel Cohn-Bendit eine Gegenfrage: Was solle er denn anders machen als das jetzige grün-schwarze Bündnis und die CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth. Schwarz-Grün macht Grüne eben tendenziell profilarm, eine CDU an der Spitze übermächtig.

Oettinger war nicht abgeneigt

Rückenwind für Schwarz-Grün kommt aus den Ländern. Nach dem Zerfall von Rot-Grün auf Bundes- und Landesebene sehen immer mehr Grüne hier neue Machtchancen, so die Realissimos in Hessen unter Matthias Berninger wie auch die im Südwesten, die nach der Landtagswahl im Frühjahr 2006 unbedingt mit Ministerpräsident Günter Oettinger anbandeln wollten. Nur die konservative CDU-Basis verhinderte den Pakt, der umtriebige Oettinger war gar nicht abgeneigt. Schon bei der Wahl zum Oberbürgermeister in Stuttgart 2004 hatte der grüne Kandidat Palmer nach dem ersten Wahlgang offen den CDU-Kandidaten unterstützt, der prompt gewann. Zuvor hatte der grüne Landtagsfraktionschef Dieter Salomon die alte SPD-Hochburg Freiburg mit gut 60 Prozent erobert. Das ist ein Zeichen dafür, dass der smarte grüne Schwiegersohn-Typ im Anzug zumindest in Universitätsstädten mehrheitsfähig ist. Seit Boris Palmers Erfolg in Tübingen und dem Heidelberger SPD-Debakel stehen die Signale im Südwesten auf Schwarz-Grün, für die SPD sieht es nicht gut aus.

Was Wulff und Koch begrüßen

Auch anderswo gibt es schwarz-grüne Flirts. Seit 2004 in zwei Hamburger Bezirken zum Beispiel, mit Ole von Beusts Plazet. In Niedersachsen warb Christian Wulff zur Kommunalwahl 2006 heftig um Niedersachsens Grüne. Der grüne Sprecher erklärte daraufhin übrigens, nur CDU und Grüne seien kommunal verankert. Oldenburgs SPD-Oberbürgermeister wurde von Gerd Schwandner besiegt, einem parteilosen CDU-Kandidaten, der früher als grüner Realo im Stuttgarter Landtag saß. Und in Nordrhein-Westfalen bewies Michael Vesper, wie populär telegene Realos mit ausgeprägtem Machtinstinkt werden können. Nicht zufällig will Jürgen Rüttgers seine CDU ergrünen lassen, sein Leitantrag zum CDU-Parteitag in Münster hieß „Umwelt schützen, Verbraucher stärken.“
Der Flirt treibt zum Teil komische Blüten. In Hessen, unter Berninger schwarz-grüne Speerspitze, eroberten die Grünen im Frühjahr 2006 den Landeswohlfahrtsverband. Zur Neuwahl der Verbandsversammlung führte der grüne Erste Beigeordnete im Kreis Marburg-Biedenkopf, Karsten McGovern, die Liste an – die der CDU! Seit den Kommunalwahlen 2006 entstanden in vielen Kommunen, etwa in Gießen, schwarz-grüne Bündnisse. Roland Koch begrüßt das.

Schwer tun sich beide Parteien noch im Bund. Seit der Gründung der Großen Koalition blocken Merkel, Pofalla und Co. Annäherungsversuche aus verständlichen Gründen ab. Und die Bundesgrünen orientieren sich seit dem Machtverlust vorerst nach links – dort macht die PDS/Linkspartei Konkurrenz und die SPD Platz. Der interne Positionskampf ist in vollem Gange: Für den Ex-KBWler Reinhard Bütikofer und die Ex-Spontifrau Claudia Roth „stehen die Grünen der SPD viel näher als der Union“, aber die flexible Renate Künast hat sich längst umorientiert und auch Fritz Kuhn ist „für alles offen“. Die Zeit läuft gegen die SPD-nahe Grünengeneration und für liberale Junggrüne wie Matthias Berninger. Parteienforscher sehen Teile der Grünen und der Union in Habitus und Inhalten nahe beieinander: Links- und rechtsliberale Bürgerkinder trennt auf der Funktionärs- und Mandatsebene nur noch wenig.

Die Reizthemen werden ausgeklammert

Dennoch, es bleiben Widerstände. Laut einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung wünschten sich 2003 nur zwei Prozent der Wähler Schwarz-Grün über die lokale Ebene hinaus. Nach der Bundestagswahl 2005 zeigte die „Jamaika-Debatte“ noch große Vorbehalte bei Politikern und Stammwählern beider Parteien auf. Leicht lassen sich tief sitzende Vorurteile gegeneinander bedienen, Reizthemen von Atomausstieg über Armuts- und Frauenpolitik bis zur Bekämpfung des Rechtsextremismus zeigen Gegensätze hart auf und müssen meist ausgeklammert werden, wenn man vor Ort kooperieren will.

Und die lokalen Bilanzen von Schwarz-Grün ähneln sich bisher: Erstens ist ihr kleinster gemeinsamer Nenner der Kampf gegen die SPD, auch wenn den Sozialdemokraten gute Arbeit konzediert wird wie in Charlottenburg-Wilmersdorf, Tübingen und anderswo. Zweitens treffen sich die Funktionäre auf der Ebene der Personalverteilung, die Basis bleibt aber (gottlob) an Politik-Ergebnissen orientiert. Der Erfolg differiert je nach den Zugeständnissen der Partner, meist der kleineren Partei. Weil es viele Sollbruchstellen gibt, halten die Bündnisse meist nur, solange Probleme ausklammert werden oder wenn der kleine Partner ein schwaches Profil hat. Das bedeutet aber auch: Da die politischen Kosten für das Bündnis unterschiedlich verteilt sind, wächst die Distanz zwischen Wählern und Mitgliedern der beiden Partner. Man entfernt sich, anstatt sich anzunähern.

Jede Konkurrenz schafft Wettbewerb, und dieser belebt bekanntlich das Geschäft. Die SPD kann also von Schwarz-Grün profitieren. Vorausgesetzt, dass sie sich auf die neue Konkurrenz einstellt und sich erneuert. In Hessen trat der jahrelange Streit zwischen eher bürgerlichen „Netzwerkern“ um Fraktionschef Jürgen Walter und den „Traditionslinken“ um Landeschefin Andrea Ypsilanti auch deshalb endlich offen zu Tage, weil die schwarz-grünen Bündnisse das strategische Dilemma der Hessen-SPD offenbaren: Mit wem will die Partei Koch ablösen? Mit den Grünen wie Ypsilanti? Mit der FDP wie Walter? Oder gar mit einer Ermattungsstrategie, der Beteiligung an einer Großen Koalition?

Kleine Leute und Bildungsbürger

So einfach sollte es sich die SPD nicht machen. Sie verlor unter Rot-Grün massiv Wähler der Unterschicht und mutierte zur linksliberalen Koalitionspartei mit irgendwie sozialem Touch. Nur wenn sie sich erneuert, also zeitgemäße soziale Themen besetzt – und der CDU teilweise die so genannten „kleinen Leute“ wieder abjagt; nur wenn sie Bürgerthemen besetzt – und den Grünen teilweise die Bildungsbürger abgräbt, hat sie eine Chance. Ein gutes Beispiel für so eine Strategie ist der couragierte Wahlkampf des Kasseler Oberbürgermeister-Kandidaten Bertram Hilgen im Jahr 2005. Hilgen forderte ein beitragsfreies Kindergartenjahr und Bürgerbeteiligung in Haushaltsfragen – und schlug den schier übermächtigen CDU-Amtsinhaber.

Auf den Amtsbonus setzen kann hingegen nur, wer Jüngeren und der „kulturelle Klasse“ so attraktiv vorkommt wie Klaus Wowereit in Berlin. Über die lokale Ebene hinaus muss die SPD praktikable Politikangebote für Arbeit, Bildung und Teilhabe machen, wie Kurt Beck es in Rheinland-Pfalz vorexerziert hat. Das gilt auch für den Bund, wo sich Sozialdemokraten trotz aller nötigen Schwüre auf Rot-Schwarz frühzeitig überlegen sollten, wie sie dem konkreten Charme von Schwarz-Grün begegnen wollen.

In den Kommunen und Ländern kann die SPD rot-grüne Bündnisse eingehen wie in Köln oder München. Voraussetzungen sind ein klares eigenes Profil und Mehrheitsthemen, ein fairer Umgang miteinander und – wichtig! – eine angesehene Führungsfigur, am besten eine vom Kaliber des Münchner Oberbürgermeisters Christian Ude, der nicht zufällig das älteste und erfolgreichste rot-grüne Bündnis auf lokaler Ebene anführt.

Die SPD kann auch Oppositionspartei sein wie in Essen, Frankfurt und Kiel. Dies fällt dann besonders schwer, wenn die CDU einen angesehenen Oberbürgermeister stellt. Ampeln scheitern oft am Streit zwischen FDP und Grünen wie in Bremen – oder an Personalfragen wie jüngst in Bonn.

In Ostdeutschland wiederum findet sich Rot-Rot zunehmend erfolgreich zusammen, zuletzt verhalfen im Mai 2006 bei den Direktwahlen in fast allen thüringischen kreisfreien Städten PDS-Stimmen den SPD-Kandidaten zum Erfolg. Bei den Dezernentenwahlen war es dann aber wieder vorbei mit der Einigkeit.

Schwarz-Grün könnte zu einer normalen Machtkonstellation im deutschen Parteiensystem werden. Scheitert Schwarz-Rot, liegt es förmlich in der Luft. Denn die Große Koalition bereitet den Boden für Schwarz-Grün: Das Antidiskriminierungsgesetz, das Elterngeld, der Gesundheitsfonds und andere Themen gewöhnen die Union an „linke Ideen“. CDU und Grüne in Bund und Ländern stehen vor der Wahl, kommunal sind trotz mäßiger Erfolge längst alle Dämme gebrochen. Das erste Landesbündnis wird kommen.

Nun hängt es von der SPD ab: Bleibt sie gemeinsamer Gegner der Schwarzen und der Grünen? Oder wird sie ein möglicher starker Partner für beide? Will sie die zweite Variante, dann braucht sie eine klare Orientierung als Partei der wirklichen Leistungsträger, die dazu passenden Mehrheitsprojekte für Arbeit, Bildung, Bürgergesellschaft – und vor allem überzeugende Personalangebote.

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