Das Versagen der Eliten

Wenn 40 Prozent der Deutschen ihre Wirtschaftsführer für korrupt halten, ist das der Anfang vom Ende der sozialen Marktwirtschaft. Weil die Erneuerung unseres Landes nur in einem Klima des Vertrauens gelingt, ist es höchste Zeit für eine Kehrtwende

Wer über marktwirtschaftliche Effizienz und soziale Gerechtigkeit nachdenkt, muss fragen, wie sich Unternehmen im Zeitalter der Globalisierung neuen Herausforderungen stellen und zugleich ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden können. Ludwig Erhard schrieb in Wohlstand für alle: „Maßstab und Richter über Gut und Böse der Wirtschaftspolitik sind nicht Dogmen oder Gruppenstandpunkte, sondern ist ausschließlich der Mensch, der Verbraucher, das Volk.“ Und ein Schlüsselzitat von Alfred Müller-Armack lautet: „Der richtungweisende Sinn der sozialen Marktwirtschaft ist es, das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem Prinzip des sozialen Ausgleichs zu verbinden.“ Interessanterweise war gerade Karl Schiller bei diesem Thema weitaus kühler. Er schrieb seiner staunenden Partei auf einem Parteitag ins Stammbuch: „Ohne wirtschaftliches Wachstum gibt es in der interessenpluralistischen Massendemokratie unserer Tage keinen Interessensausgleich und keinen Haushaltsausgleich, in Rezession, Stagnation und Deflation schwindet die gesellschaftliche Kompromissmöglichkeit allmählich ganz. Dagegen wächst der latent vorhandene Radikalismus, die Intoleranz breitet sich aus.“

Zur Wahrheit gehört, dass es die Lehrmeinung gibt, ein Management versage, wenn es sich für etwas anderes interessiert als für die ökonomischen Erfolgskriterien. „Marktwirtschaft ohne Adjektiv“ liegt im Trend. Als andere Seite der Medaille feiert eine Linke Urständ, die die alte Melodie vom „Kapitalismusversagen“ neu auflegt. „Werteorientierte Unternehmensführung“ ist mittlerweile auch in Seminaren und bei Börsenanalysten ein Schlagwort geworden, aber die öffentliche Wahrnehmung ist eine andere.

Klar ist: Wenn es um die Wiederherstellung des Vertrauens in Unternehmen geht, ist der Staat der falsche Adressat. Die Revitalisierung der Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft geht nur konkret in den Unternehmen. Nur in der betrieblichen Praxis wird der Beweis erbracht werden können, dass wirtschaftliche Effizienz sowie erfüllende und humane Arbeitsbedingungen einander nicht ausschließen. Das gilt ganz besonders, wenn wir das innovative Betriebsklima schaffen wollen, das nach allgemeiner Übereinkunft zukunftsentscheidend ist. Wenn der Appell der Bundeskanzlerin „Bildung für alle“ ernst gemeint ist, muss es eine Entsprechung dafür in wissensgesteuerter Wertschöpfung geben, in Arbeitsplätzen, die gebildeten Menschen Entfaltung und Weiterentwicklung ermöglichen.

Die Beletage bietet keinen Anlass zur Freude

Die öffentliche Debatte dagegen dreht sich weniger um die Prinzipien unserer Wirtschaftsordnung als um das Verhalten der Manager selbst. Emnid-Chef Schöppner rechnet vor, nur noch 6 Prozent der Bürger erwarten, dass es ihnen in 10 Jahren besser geht, aber 54 Prozent erwarten, dass es den Unternehmern besser geht. Zwei Drittel erwarten, in Zukunft mit ihrem Einkommen nicht mehr auszukommen, aber die Mehrheit glaubt, der Staat würde seine Finanzlage noch weiter aufbessern. 80 Prozent bezeichnen mittlerweile unsere Wirtschaftsordnung als sozial ungerecht. 82 Prozent meinen, dass dem Unternehmensziel Gewinnmaximierung alles andere untergeordnet wird. Ganze 93 Prozent glauben explizit nicht daran, dass es eine stärkere Fokussierung wirtschaftspolitischer Entscheidungen auf „Arbeitnehmerinteressen“ geben könnte.

Als Medienmanager stelle ich fest: Was aus der „Beletage“ von einst stolzen deutschen Unternehmungen wie Siemens, Post, Telekom und anderen berichtet wird, ist kein Anlass zur Freude. Erst recht nicht, wenn man die heutige Wirtschaft und die Leistung ihrer Spitzenvertreter mit dem moralischen Maßstab Ludwig Erhards misst. Einer dieser unverrückbaren Grundsätze ist Wahrhaftigkeit.

Eliteversagen wie noch nie

Bundespräsident Horst Köhler hat kürzlich an das Leitbild des ehrbaren Kaufmannes erinnert. Tugenden wie Wahrhaftigkeit und Mäßigung waren Maßstäbe für die Gesellschaft. Von Unternehmern erwartet Köhler eine Vorbildfunktion. Ihr Fehlverhalten gehöre ohne Ansehen der Person geahndet. Ludwig Erhard hätte der Bundespräsident aus dem Herzen gesprochen. Er schrieb: „Ich verlange in letzter Konsequenz gerade von den verantwortlichen Unternehmen, die über den Produktions- und Verteilungsapparat der Volkswirtschaft verfügen, die größten Opfer, die höchste Einsicht und Verantwortung.“

Zum Erfolg der sozialen Marktwirtschaft hat die Verlässlichkeit der Bosse ebenso beigetragen wie die Schufterei der Arbeiter. Das von Persönlichkeiten wie Berthold Beitz oder Otto Wolff von Amerongen aufgebaute Vertrauen in die Wirtschaftseliten ist bis heute verbunden mit Themen wie Siedlungsbau, der Konsumgenossenschaft, spezieller Gesundheitsvorsorge, aber ganz besonders der Wertschätzung für die Mitarbeiter. Bestimmte Manager machen das auf geradezu zynische Weise zunichte. Verflogen ist die alte Gewissheit: „Wenn die Wirtschaft brummt, geht es allen gut“. Einige aus der Wirtschaftselite stehen sogar im Verdacht, hinter die Normen der sizilianischen Mafia zurückzufallen. Dort gilt als erste Regel: „Wer mit der Beute durchgeht, wird erschossen.“

Ich halte es nicht für Polemik: Korruptions- und Steueraffären, Spitzel- und Selbstbedingungsskandale sind Ausdruck eines Eliteversagens, wie es die Republik noch nicht erlebt hat. Wenn 40 Prozent der Deutschen ihre Wirtschaftsführer für korrupt halten, ist das der Anfang vom Ende der sozialen Marktwirtschaft. Soziale Verantwortung und bürgerschaftliches Engagement müssen stringent aus den Unternehmenszielen abgeleitet werden. Verantwortungsvoll sind diejenigen Wirtschaftseliten, die ihr Unternehmen modernisieren, ihre Mitarbeiter von diesem Weg begeistern und auf die neuen globalen Herausforderungen einstellen; und selbstredend dabei am Markt erfolgreich positioniert bleiben.

Ob Marktwirtschaft sozial ist, erleben die Arbeitnehmer an ihrem Arbeitsplatz. Die gegenwärtige „Betriebsverfassung“ in Deutschland leistet dafür recht wenig. Unternehmen können Leistungen für das Gemeinwohl erbringen; so kann ein Unternehmen etwa einzelne Mitarbeiter für gemeinnützige Tätigkeiten freistellen. Über ein rein finanzielles Sponsoring hinaus wird von corporate citizenship erst gesprochen, wenn sich die Firmen mit ihrem Know-how umfassend aktiv beteiligen.

Was deutsche Unternehmer begreifen müssen

Derartige „Sozialinvestitionen“ in das Gemeinwesen haben bei Unternehmen in den USA, Großbritannien, aber auch den Niederlanden und der Schweiz eine gute Tradition. Die Belegschaft des US-Schuhkonzerns Timberland etwa leistet jährlich zehntausende Stunden vom Arbeitgeber bezahlter Freiwilligenarbeit in Kinderheimen, Frauenhäusern oder Umweltprojekten. Und der Elektronikkonzern Hewlett-Packard stellt Mitarbeiter von ihrer Tätigkeit frei, wenn sie sich in ihrer privaten Umgebung ehrenamtlich engagieren. Ich stelle mir ein ähnliches Engagement in unserem Land als Beitrag zu einer Neuen Sozialen Marktwirtschaft vor. Deutsche Unternehmen denken allerdings bei bürgerschaftlichem Engagement allzu oft nur an eine Spendenquittung und bestenfalls an Sponsoring.

Gerade vor dem Hintergrund der Debatten um soziale Gerechtigkeit und Eliteversagen gerät die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen in den Blick. Wer es ernst damit meint, dem geht es nicht primär um kurzfristige Imageerfolge. Unternehmer müssen erkennen: Hinter dem Wunsch nach Verantwortung der Wirtschaft steckt das Misstrauen in grundlegende Mechanismen unserer Wirtschaftsordnung.

Im Unternehmen ist die Begegnung Mensch und Wirtschaft konkret, die gemachten Erfahrungen prägen die Einstellung stärker und tiefer als alles andere, erst recht nachhaltiger als Politikerreden. Wir haben deshalb in unserem Unternehmen nach gründlicher Debatte einen strengen Ehrenkodex beschlossen, der Mitarbeiter und Führung verpflichtet. Dieser Kodex wird durch einen Ombudsmann und Gremien überwacht.

Viele meinen, Leistung lohne sich nicht mehr

Der frühere amerikanische Arbeitsminister Robert Reich verspricht uns: „Eine lebendige Demokratie und ein lebendiger Kapitalismus können durchaus nebeneinander existieren.“ Eine Botschaft muss deshalb wieder geglaubt werden: dass Arbeit sich lohnt. Ende der neunziger Jahre stimmten noch über 70 Prozent dem Satz zu: „Wettbewerb ist gut. Er bringt die Leute dazu, hart zu arbeiten und neue Ideen zu entwickeln.“ Aber schon vor gut 10 Jahren glaubte fast die Hälfte auch, dass harte Arbeit keinen Erfolg bringt, das sei mehr eine Sache des Glücks und der Beziehungen. Dieser Anteil ist in den letzten Jahren bedrohlich angestiegen. Die Bürger erfahren schmerzlich, dass Leistung eben nicht mehr in jedem Fall zu persönlichem Erfolg führt und oft keine neuen Sicherheiten für die eigene Biografie und Lebensplanung bringt. Insofern kann man auch von einem Verlust des Vertrauens in das Leistungsprinzip sprechen.

Unaufrichtigkeit und Arroganz

Ich teile die Ansicht von Notger Wolf, dem Abtprimas des Benediktiner-Ordens, dass „Almosen entwürdigend“ sind und dass es „gegen die Natur des Menschen“ ist, untätig bleiben zu müssen. Darum brauchen wir einen ausreichenden Abstand zwischen Sozialhilfe und den untersten Lohngruppen. Die Unternehmen nutzen lediglich die Freiräume, die der Staat ihnen lässt. So würden es jedenfalls die Gründerväter der sozialen Marktwirtschaft sehen. Also ist hier der Staat am Zuge, für einen fairen Abstand zu sorgen, wenn er denn ein gestaltender Staat etwa nach dem Modell von Walter Eucken sein will.

Sucht man nach einem Stichtag für die kritische Debatte um Wirtschaft und Moral, wird man wohl in den Jahren 2005 und 2006 landen, als die Affäre um Lustreisen bei VW voll entbrannte und die Korruptionsfälle bei Siemens am Horizont auftauchten. Von der Bevölkerung besonders aufgenommen wird jedoch nicht nur die „Gier“ einiger Topmanager, die etwa bei Rekordabfindungen nach katastrophalen Managementleistungen zu Tage tritt. Für neues Misstrauen gegenüber der angeblichen Elite des Landes sorgen auch immer wieder Fälle von Unaufrichtigkeit und Arroganz bei Managern.

Für viele Post-Angestellte war es nicht nur ein schwerer Schlag, dass ihr Konzernchef wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung abgeführt wurde – sie durften wie zum Hohn am gleichen Tag in der Hauszeitschrift lesen, wie sehr der Vorstandschef sich den Führungskräften als Vorbild darstellte. Ludwig Erhard wäre da gnadenlos. Und die Bundeskanzlerin hat Recht, wenn sie die Konzernführer zur strengeren Selbstkontrolle ermahnt. Da Manager sich heute von ihren PR-Leuten wie Stars behandeln lassen, müssen sie besonders vorbildlich sein, weil der Preis der öffentlichen Sonne die soziale Kontrolle ist.

Es muss alles daran gesetzt werden, die Korruptions-, Steuer-, und Spitzelaffären aufzuklären, um auf dieser Ebene endlich wieder Vertrauen zu etablieren. Geschieht das nicht, droht uns eine echte Systemdebatte. Gerade Freunde der Marktwirtschaft können das nicht wollen. Hier haben auch die Medien eine große Aufgabe. Sie müssen das Versagen von Topmanagern aufdecken, können aber auch jene Unternehmen vorstellen, die sich durchaus noch ihrer Verantwortung für unseren Staat und unser Wirtschaftssystem bewusst sind. Es ist ein Irrtum zu glauben, die Leserinnen und Leser wollten nur das Negative. Aus Befragungen wissen wir, dass das Gegenteil wahr ist.

„Wohlstand für alle“ – das bleibt überzeugend

Gerade im Mittelstand wirken viele Unternehmer, die vor den klassischen Kriterien von sozialer und wirtschaftlicher Verantwortung bestehen. Sie tun dies aus wohlverstandenem Eigeninteresse – und es gibt keinen Grund, weshalb angestellte Manager eine Sondermoral für sich beanspruchen könnten. Die Globalisierung ist dafür jedenfalls keine Begründung – auch Moral ist schließlich universell.

Ludwig Erhards Zauberformel vom „Wohlstand für alle“ sollten wir durch nichts ersetzen. Sie ist einfach und überzeugend. Erst in diesen Wochen scheint die Erinnerung an Erhard und seine felsenfesten Prinzipien gewissermaßen aus dem Keller der Nachkriegsgeschichte geborgen zu werden. Erstaunlich zögerlich. Erhards Leistung bestand darin, die Balance zwischen Ökonomie und Sozialem zu suchen und zu halten. Dieses Prinzip wurde zum deutschen Markenzeichen.

Aber heute leben wir nicht mehr im Wirtschaftswunderland, sondern im Globalen Dorf. Nicht nur der EU-Binnenmarkt, sondern gerade auch der Abbau weltweiter Handels- und Investitionsschranken hat dem Staat Einflussmöglichkeiten genommen und den Unternehmen Spielfelder eröffnet, auf denen sie die Regeln mangels internationaler Absprachen immer noch zu ihren Gunsten beeinflussen können. Das muss kein Schaden sein. Im Gegenteil. Vom Balkan habe ich ein schönes Sprichwort mitgebracht: „Wenn der Markt brummt, pfeifen die Händler.“

Unterm Strich hat der Exportweltmeister Deutschland bislang durch die Globalisierung gewonnen, aber viele Deutsche verbinden diesen Prozess mit Angst. Nicht ganz zu Unrecht. Denn ein anderes Sprichwort, in diesem Fall aus Arabien, besagt: „Wo ein Markt ist, gibt es auch Diebe.“ Es ist die Aufgabe von Politik und Unternehmen, durch Regeln und Selbstverpflichtungen den Dieben auf die Finger zu schauen und zu klopfen. Heute treten sie in Gestalt von finanzmarktgetriebenen Produkten und Gebaren auf, die selbst so erfahrene Menschen wie George Soros tief beunruhigen. Wer sich nicht einmal schämt, sogar Hunger und Nahrungsmittel zu Spekulationsobjekten zu machen, weil ihm die üblichen Grundstoffe schon ausgereizt scheinen, dem sollte man sein Geschäft zunichte machen.

Ich habe Sorge angesichts des manchmal spielerischen Umgangs der Finanzmärkte mit abstrakten Produkten, die sich weit entfernt haben vom realen wirtschaftlichen Geschehen, von der Wertschöpfung und dem Alltag in den Unternehmen und den Produktionsbedingungen, ja manchmal sogar von realen Märkten aus Angebot und Nachfrage. Mit verantwortlichem Handeln, wie es die soziale Marktwirtschaft auszeichnet, hat das oft nichts zu tun. Manchmal scheint es mir so, als würde auf den Bildschirmen nicht die Realität abgebildet, sondern eine Art Videospiel ablaufen. Die Opfer erscheinen in einem solchen Elfenbeinturm nur noch virtuell.

Oft genug reibt Politik in diese Wunden auch noch Salz. Denn während selbst kleine Unternehmen heute mindestens europaweit denken, ist die Wirtschafts- und Sozialpolitik meist auf Nationales beschränkt – und da zunehmend hilf- und konzeptlos. Bundespräsident Horst Köhler hat mit Blick auf die Finanzmärkte von einem „Monster“ gesprochen, das in die Schranken gewiesen werden müsse.

Die „Bleib-so-Partei“ weiß keine Lösungen

Gegen Monster hilft keine Weltregierung. Aber der Bürger darf von seinen Regierenden ein deutlich effizienteres Vorgehen erwarten, wenn es um die Koordinierung wirtschaftspolitischer Maßnahmen geht. Die Gründung der G8 war ein guter Start, dem zu wenig gefolgt ist. Wir sind weit entfernt von dem „starken Staat“, den die Gründerväter der Sozialen Marktwirtschaft vor Augen hatten. Denn der sollte seine Stärke gerade durch unideologische, pragmatische Lösungen zeigen und dadurch, sich auf wesentliche Aufgaben zu beschränken. Die nötige Phantasie dazu haben unsere politischen Eliten bislang vermissen lassen.

Die Überzeugung, dass der Markt selbst Kräfte entwickelt, die mehr leisten, als staatliche Bürokratien es könnten, wird seltener in Konzepte gegossen. Für mich als Manager ist Willy Brandts Satz „Wer morgen sicher leben will, muss heute für Reformen kämpfen“ eine selbstverständliche tägliche Handlungsmaxime. Für viele Bürger hingegen sind Reformen eine Bedrohung. Zunehmend begegnen die Deutschen drohenden Schwierigkeiten mit Antriebslosigkeit. Karl Schiller stellte schon in einfacheren Zeiten fest: „Wir Deutschen sind ein problemsüchtiges Volk geworden.“ Damit stehen wir ganz im Gegensatz zu den USA, wo Barack Obama derzeit seine Landsleute mit den Slogans „Change“ und „Yes, we can“ begeistert. In Deutschland hört man zwar gern den Song der Scorpions vom „Wind of Change“, eine wachsende Mehrheit fürchtet sich aber eher vor Veränderungen und möchte lieber alles beim Alten lassen.

Der Journalist Gabor Steingart hat von der unsichtbaren Größe der „Bleib-so-Deutschland“-Mehrheit gesprochen. Die „Bleib-so-Partei“ findet sich auf keinem Wahlzettel. Dennoch hat sie einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die politische Stimmung. „Schon Veränderungen im Denken lehnt ‚Bleib-so-Deutschland‘ ab, weil diese das Risiko bergen, dass einem Neu-Gedacht auch ein Neu-Gemacht folgen könnte“, schreibt Steingart. Wenn Deutschland weiter in der Spitzenklasse der Wirtschaftsnationen spielen will, müssen wir es mit der „Bleib-so-Partei“ aufnehmen. Dieser Appell richtet sich an Unternehmer ebenso wie an Politiker.

Welche Verantwortung die Wirtschaft trägt

Unsere Wirtschaftsordnung ist zum Erfolg verdammt. Wenn wir es nicht schaffen, dauerhaft Wachstum und damit Wohlstand zu erwirtschaften und es uns nicht gelingt, breite Bevölkerungsschichten daran teilhaben zu lassen, öffnen wir dem politischen Radikalismus und wirtschaftlicher Instabilität Tür und Tor. Vor allem die Politik ist hier gefragt: Spätestens seit Rot-Grün ist die Regierungspolitik „begründungsarm“ geworden. An die Stelle von Erklärungen, warum welche Reformschritte notwendig sind, traten „Basta-Politik“ und Argumentationsarmut. Nur wenn die Politik wieder lernt, die Menschen zu überzeugen und auf den Weg der gesellschaftlichen Modernisierung mitzunehmen, kann sie künftig mehr Vertrauen und Zustimmung gewinnen.

Größeres Verantwortungsbewusstsein müssen auch Unternehmer an den Tag legen. Die Wirtschaft ist ebenso für die Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft verantwortlich wie die Politik. Gerade die Unternehmer sind aufgefordert, im Rahmen der Modernisierung der Unternehmen Ökonomie und Gemeinwesen wieder miteinander zu versöhnen. Der Motor der Modernisierung liegt in den Unternehmen, und dabei sind weitsichtige Manager gefragt. Hier ist ein Verantwortungsbewusstsein notwendig, das auch die gesellschaftliche Umgebung des Unternehmens in den Blick nimmt.

Der Staat muss seine Instrumente stärker an die Globalisierung der Wirtschaft anpassen. Das Konzept der sozialen Marktwirtschaft hat in der Systemkonkurrenz mit dem Kommunismus und dem Sozialismus eindeutig „gesiegt“, aber das heißt nicht, dass auch die neuen Herausforderungen der globalisierten Moderne erfolgreich gemeistert werden. Die Entkoppelung der Politik von der Ökonomie muss unterbunden werden, sie muss wieder neu eingebettet werden. Das bedeutet in erster Linie eine noch stärkere internationale Zusammenarbeit, um auf dem größer gewordenen Spielfeld der Wirtschaft Regeln einzuführen, die möglichst überall gelten.

Dazu braucht es einen Staat, der handlungsfähig und kompetent genug ist, Regeln zu setzen und durchzusetzen. Ludwig Erhard favorisierte keinen Politikverzicht. „Eine Wirtschaftspolitik ist nur dann und nur so lange für gut zu erachten, als sie den Menschen schlechthin zum Nutzen und Segen gereicht“, sagte er 1957. Sein Ziel bleibt aktuell: eine Wirtschaftsordnung im Dienst der Menschen.

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