Das Entscheidende ist unsichtbar

Von der Fähigkeit zur Innovation hängen Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Wohlstand in Deutschland ab - und ohne moderne Software keine Innovation. Deshalb müssen wir unsere Effizienz- und Intelligenzpotenziale besser nutzen. Einige Vorschläge

Einstein kennt fast jeder. Er ist heute eine Art Pop-Ikone. Aber seine Theorien stehen als Synonyme für das Unverständliche schlechthin. Kaum einer kann die allgemeine Relativitätstheorie erklären. Dennoch hat Einstein bis heute unser Denken weitgehend verändert. Wer dagegen kennt die Namen Jack Kilby, Zhores Iwanowitsch Alferow und Herbert Kroemer? Aus ihren Erfindungen, darunter der schnelle Transistor und die integrierte Schaltung, ist die gesamte Mikroelektronik hervorgegangen. Ohne diese drei Nobelpreisträger des Jahres 2000 gäbe es Dinge wie Computer, moderne Fernseher oder Handys in dieser Form nicht. Auch ihre Entwicklungen haben unser Leben verändert. Sie haben den Übergang in die Informations- oder Wissensgesellschaft gebracht.

Die Informatik, die Basistechnologie der neuen Gesellschaft, teilt das Schicksal der Nobelpreisträger Kilby, Alferow und Kroemer: Sie ist unsichtbar. Dabei hat sie unser Leben stärker verändert als jede andere Disziplin seit der Erfindung der Dampfmaschine: die Arbeit, das Lernen, Forschung und Entwicklung, die Produktion, selbst Medien oder Kunst. Bewusst ist dies den wenigsten Menschen. Bewusstsein, Anerkennung und Sichtbarkeit sind aber wichtig. Wenn wir über die Bedeutung von Informatik sprechen, sprechen wir schließlich über die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland, über die Antwort Deutschlands auf die Globalisierung, über die Modernisierung der Industriegesellschaft, über die Basis einer entwicklungsfähigen Dienstleistungsgesellschaft.

Deutschlands IT-Investitionen sind zu niedrig

Die klassische IT-Industrie ist längst davongezogen: Computer, Bildschirme und Chips werden heute zu konkurrenzlosen Preisen in Südostasien hergestellt, bei IT-Dienstleistungen werden wir die Vereinigten Staaten und Indien kaum noch einholen. Trotzdem ist die Informations- und Telekommunikationsbranche Deutschlands größter Industriezweig. Aber nur 10 Prozent des gesamten Branchenumsatzes werden mit Software erzielt, und der Anteil Deutschlands am weltweiten Softwaremarkt beträgt gerade einmal 8 Prozent. Die Vereinigten Staaten dagegen haben in diesem Wachstums- und Schlüsselsektor einen Marktanteil von etwa 50 Prozent.

Software ist die entscheidende Triebkraft für Innovation, für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum in allen Branchen. Dabei spielt sie eine Doppelrolle: Sie verstärkt die Effizienz und die Intelligenz. Dass der jährliche Produktivitätszuwachs in den Vereinigten Staaten im Vergleich zu Deutschland um rund 30 Prozent höher liegt, wird zu einem guten Stück auf den höheren und besseren Einsatz von Informationstechnologie zurückgeführt. Die IT-Investitionen liegen in Deutschland um etwa 50 Prozent unter dem Niveau vergleichbarer Länder. Wir schöpfen das Effizienzpotenzial der IT in Deutschland also bei weitem nicht aus. Angesichts unserer höheren Lohnkosten und kürzeren Arbeitszeiten ist das besonders problematisch.

Wichtiger noch wird die Rolle von Software als „Intelligenzverstärker“ für Innovation in allen Industrien. In der Automobilindustrie basieren schon heute 80 Prozent aller Innovationen auf Software, in der Mobilfunkindustrie sind es 70 Prozent. Nur wenn wir Informatik und besonders Software verstärkt und flächendeckend zum Einsatz bringen, schaffen wir eine solide Grundlage für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland.

Dabei gibt es keinen Grund, beim Einsatz von IT zwischen öffentlichem und privatem Sektor zu unterscheiden. Nehmen wir das Beispiel öffentliche Verwaltung. Mit BundOnline 2005 oder Projekten im Land Hessen existieren in Deutschland bereits Paradebeispiele. Doch mehr als jede andere Investition erfordern IT-Projekte eine fundierte Steuerung und die unbedingte Aufmerksamkeit des Managements. Hier liegt das vielleicht größte Problem öffentlicher IT-Anstrengungen: Sie waren nie „Chefsache“. Es gibt kaum Prozesse, die in Verwaltungen bundesweit einheitlich sind. Gleiches gilt für den Einsatz und das Management von IT-Investitionen. Im Interesse der Effizienz muss die Bundesregierung eine zentrale IT-Strategie durchsetzen und divergierende IT-Konzepte vereinheitlichen. Laut McKinsey könnte Deutschland allein hiermit jährlich knapp zwei Milliarden Euro sparen.

Innovation an den Nahtstellen der Disziplinen

Kosteneffizienz ist unverzichtbar, beschert uns aber noch kein nachhaltiges Wachstum. Dieses erzielen wir nur durch Innovation. Blicken wir daher auf den Ursprung aller Innovation, die Forschung und Entwicklung. Forschung ist heute ohne massiven Einsatz von IT kaum denkbar. Mehr und mehr ersetzt das virtuelle Computerexperiment den realen Versuch – weil dieser zu teuer, zu langwierig und manchmal unmöglich ist. Innovation findet vor allem an den Nahtstellen der Disziplinen statt. Also müssen wir die Informatik aus ihrer fachlichen Nische herausholen und sie auch an den Nahtstellen zu traditionellen Disziplinen verankern: Betriebswirtschaft und IT, Maschinenbau und IT, Medizin und IT – diese Felder haben gerade in Deutschland großes Zukunftspotenzial.

Die deutsche Wirtschaft investiert hohe Umsatzanteile in Forschung und Entwicklung. Und das sollte mehr honoriert werden. Würde die Bundesregierung bessere Rahmenbedingungen schaffen, damit Unternehmen eine höhere Rendite aus ihren Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen in Deutschland ziehen können, dann würden die Unternehmen ihre Forschung am Standort Deutschland weiter ausbauen. Wir brauchen keine Subventionen, sondern Anreize für Investitionen in Forschung und Entwicklung.

Für den Mittelstand ist IT besonders wichtig

Deutschland zählt zu den Gewinnern der Globalisierung. Die Profitabilität unserer Exporte hat sich durch die Verfügbarkeit kostengünstiger Werkstoffe und Arbeitskräfte erhöht. Zugleich aber erzeugt die Globalisierung einen nie da gewesenen Wettbewerbsdruck. Mit unserem Lohnniveau können wir nicht beim Preis konkurrieren, sondern müssen Qualitätsführerschaft anstreben. Die Innovationen, die in Zukunft für Wachstum und Wettbewerbsvorteile sorgen, werden sich nicht nur auf Produkte selbst beschränken. Schon heute ist erkennbar, dass die Art und Weise, wie etwas produziert, verteilt oder konsumiert wird, mindestens ebenso relevant für den wirtschaftlichen Erfolg sein kann wie das Produkt selbst. Das Geschäftsmodell wird genau so wichtig wie der Geschäftsgegenstand, die Ware. Künftig werden jene Unternehmen erfolgreich sein, die ihre Geschäftsmodelle schneller als ihre Wettbewerber verändern können. Ohne den Einsatz von Informationstechnologie ist das nicht mehr möglich. IT ermöglicht Geschäftsmodellinnovation gerade auch in klassischen Industrien wie dem Maschinen- und Anlagenbau. Besonders wichtig ist IT für mittelständische Unternehmen, die auch von der Europäischen Kommission als Wachstumsmotoren in Deutschland und Europa identifiziert wurden. Ihnen eröffnet Informationstechnik den Zugang zu einem globalen Ökosystem. So können sie erfolgreich wachsen und die Chancen der Globalisierung nutzen.

Was können wir von der IT in Zukunft erwarten? Für Deutschland liegt in der „Konvergenz“ ein großes Wachstumspotenzial. Zum einen gibt es die Konvergenz zwischen IT und Wirtschaft. Künftig können Manager ihre Geschäftsprozesse über eine grafische Benutzeroberfläche selbst modellieren. So werden die Verantwortlichen unterschiedlicher Unternehmensbereiche die IT-Entwicklung vorantreiben. Zum anderen vollzieht sich die Konvergenz der IT-Industrie mit anderen Industrien, beispielsweise verschmelzen Ingenieurwissenschaft und Informatik durch so genannte Embedded Software. Für die Zukunft der verarbeitenden Industrien in Deutschland ist diese Entwicklung von größter Bedeutung. Nicht die Masse des Wissens, sondern seine Kombinierbarkeit macht den entscheidenden Unterschied – und in der Rekombination hat Deutschland traditionelle Stärken. Beim Werkzeugmaschinenbau etwa können die Basiskomponenten überall auf der Welt hergestellt werden. Deutsche Firmen verbinden sie dann durch die industrielle Tradition und das intellektuelle Know-how zu einem hochwertigen Präzisionsprodukt – und sichern so ihre Wettbewerbfähigkeit.

Deutschland steht vor drei wesentlichen Aufgaben. Erstens müssen wir uns auf Felder konzentrieren, in denen wir mit komplexen, hoch entwickelten und intelligenten Produkten wettbewerbsfähig bleiben. Dabei bleibt der Maschinen- und Anlagenbau als größter industrieller Arbeitgeber weiterhin eine deutsche Schlüsselindustrie und ein Wachstumsmotor.

Der Bedarf an IT-Experten wird weiter steigen

Zweitens müssen wir das Potenzial der Informationstechnik besser nutzen und unsere IT-Kompetenz im unternehmerischen sowie im privaten Bereich erhöhen. Dazu müssen die Führungskräfte in den Unternehmen die hohe Relevanz der IT für mehr Wettbewerbsfähigkeit und neue Geschäftsstrategien besser verstehen. Gleichzeitig sind die Mitarbeiter gefordert, auch im Umgang mit Informationstechnologie durch Aus- und Weiterbildung auf dem neuesten Wissensstand zu bleiben. Der Bedarf an gut ausgebildeten IT-Experten wird in Zukunft exponentiell steigen und muss auch in Deutschland gedeckt werden, nicht nur im Ausland. Zudem kommt es darauf an, den digital divide im eigenen Land zu überwinden. IT darf kein Elitewissen sein und muss besser in die schulische Ausbildung integriert werden. In gewisser Weise erkennt die jüngere Generation bereits heute das Potenzial der IT: Jugendkultur und Unterhaltungsindustrie sind bereits vollständig globalisiert. Doch haben die „Nintendo-Kids“ von heute noch keineswegs die erforderliche IT-Kompetenz. Die jüngere Generation sollte moderne Technologien nicht nur als Unterhaltungselement sehen – sie sind Mittel zur Gestaltung ihrer Zukunft.

Informationstechnik schafft Arbeitsplätze

Das bedeutet aber drittens, dass Deutschland in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft eine neue „Informatikkultur“ benötigt. Immer noch glauben viele, IT sei eine Bedrohung für Arbeitsplätze. Das genaue Gegenteil ist richtig, weil die Informationstechnik geografische und zeitliche Grenzen aufhebt, die globale Vernetzung fördert und die effiziente, globale Verteilung von Arbeit und Ressourcen erlaubt. Das führt zu mehr Produktivität und Prosperität in allen beteiligten Ländern. So entsteht zwar Abhängigkeit, aber diese Abhängigkeit ist wechselseitig und bedeutet daher Sicherheit. So werden wir künftig unsere Wettbewerbsfähigkeit nur sichern, wenn wir einzelne Produktionsschritte in Länder mit niedrigeren Löhnen verlagern und uns auf „Innovation made in Germany“ konzentrieren. Deshalb muss sich die Politik künftig noch eindeutiger zur Stärkung der IT bekennen.

Von größter Bedeutung für die politische Praxis ist dabei die Senkung der Eintrittsbarrieren für Unternehmen, so dass „Innovation made in Germany“ sich in Produkten und Dienstleistungen niederschlägt, die in Deutschland hergestellt werden. Die Ankündigung der Bundesregierung, das Unternehmenssteuerrecht zu reformieren und besonders für kleine Unternehmen Erleichterungen zu schaffen, zielt in die richtige Richtung. Darüber hinaus muss die öffentliche Hand ihrer Vorbildrolle gerecht werden und der Bevölkerung die Möglichkeiten von IT durch deren beispielhaften Einsatz näher bringen. Zudem muss sie die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Universitäten unterstützen, um Innovationen voranzutreiben.

Um zukunftsfähig zu bleiben, brauchen wir außerdem ein flexibleres Arbeitsrecht und niedrigere Lohnnebenkosten in den Hightech-Industrien. Unternehmen der Hightech-Industrie dürfen nicht wie Unternehmen anderer Branchen behandelt werden. Ihre Mitarbeiter leben in einer modernen Arbeitswelt mit flexiblen Arbeitszeiten und einem sich über den gesamten Globus erstreckenden Teamwork. Da finden Telefonkonferenzen eben manchmal erst nach 20 Uhr statt, weil die Kollegen in Amerika dabei sein müssen. Brüssel, Berlin und die deutschen Länder müssen aufhören, zwischen Industriepolitik und Informationsgesellschaft zu unterscheiden und stattdessen helfen, die traditionelle Produktionswelt mit der Informationsgesellschaft zu verknüpfen.

Die Gießkanne ist das falsche Instrument

Die Bundesregierung hat angekündigt, zukunftsträchtige Schlüsseltechnologien mit 6 Milliarden Euro zu fördern. Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Nun muss gut überlegt werden, wie diese Summe angelegt werden sollte. Es ist wenig dienlich, die Gelder wahllos zu verteilen. Ob die deutsche IT-Industrie in Zukunft ein kraftvolles digitales Zugpferd sein wird, so stark wie der deutsche Maschinenbau und so begehrt wie deutsche Automobile, das hängt von uns selbst ab. Wir selbst sitzen im Sattel.

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