Mafia auf Motorrädern?

Viel deutet darauf hin, dass die Rockerszene der Organisierten Kriminalität zugerechnet werden muss. Letztlich aber bleiben die »Motorcycle Clubs« ein eigenes Milieu mit rauen Ritualen

Schon von weitem erkennt man sie. Auf ihren Lederkutten steht deutlich, wer sie sind und woher sie kommen. Vorsichtig sind sie ohnehin nicht, eher laut und launisch. Ein falscher Blick kann genügen, dann wird auch vor laufenden Kameras zugeschlagen. Meist sind sie breiter und schwerer als die Natur es ihnen erlaubt, ihre massigen Körper sind lebende Wirksamkeitsbeweise chemischer Hilfsmittel. Ihren Muskeln allein vertrauen sie dennoch nicht, weshalb einige von ihnen zu Macheten greifen.

Vor der Tür ein abgestochenes Schaf

Die Rede ist von Rockern, jenen Männern, die sich in selbst ernannten Bruderschaften zusammengeschlossen haben. Die Platzhirsche unter ihnen sind die Gruppierungen der Hells Angels, Bandidos und Gremium. Auf ihren Lederkutten, deren Tragen meist öffentlichkeitswirksame Pflicht ist, steht hinter dem Namen der jeweiligen Bruderschaft das Kürzel „MC“ für „Motorcycle Club“. Es soll zeigen, dass die Männer ihre Liebe zu Motorrädern eint.

Doch wegen ihrer Maschinen kommen Rocker selten in die Schlagzeilen. In den Fokus von Innenpolitikern und Presse rückten die Motoradclubs, weil in ihren Reihen immer wieder wegen Erpressung, Totschlags oder Drogen- und Waffenhandels ermittelt wurde. Erst kürzlich ist ein früherer Berliner Hells Angels-Boss wegen Anstiftung zum Mordversuch verurteilt worden. Seine Clubbrüder wiederum hatten einst einem säumigen Zahler zur Drohung ein abgestochenes Schaf vor die Tür gelegt.

Rocker konkurrieren um Rotlichtmeilen, den Handel mit Anabolika und die Türen lukrativer Diskos, weil sie als Einlasser bestimmen, welche Geschäfte dahinter stattfinden. Der Streit ist längst zum Ritual geworden: Der so genannte Rockerkrieg begann schon vor einem halben Jahrhundert. Amerikanische Veteranen gründeten 1966 in Texas die Bandidos, seitdem gibt es Ärger mit den 1948 in Kalifornien formierten Hells Angels. Die beiden Originale haben Ableger in 100 Ländern. In Deutschland blieben die Clubs bis in die neunziger Jahre unbedeutend. Seitdem hat sich jedoch viel geändert. Aktuell sollen bundesweit etwa 8 000 Männer den großen Clubs und ihren Vorfeld- sowie Nachwuchsorganisationen angehören. Insgesamt starben mindestens sechs Personen bei Auseinandersetzungen in der Szene, Dutzende wurden schwer verletzt – zuletzt im Dezember 2013, als ein 51-jähriger Bandido vor seinem Clubhaus in Berlin niedergestochen wurde.

Es geht um »Ehre«, um brutale Rituale

Gemessen am Grad der Gewalt werden Rocker vor Gericht nur selten verurteilt. Das hängt damit zusammen, dass unter ihnen ein Schweigegelübde gilt. Egal ob Opfer oder Täter – mit der Justiz reden sie nicht. Stattdessen sorgen die Männer selbst für Strafen. Viele Fälle sind bis heute nicht aufgeklärt, zum Beispiel der Mord an Michael B., der im Jahr 2009 in Berlin erschossen wurde. Der 33-jährige Hüne war dabei, die Berliner Hells Angels zu verlassen, um sich den Bandidos anzuschließen. Es liegt nahe, dass B. als Deserteur, als Überläufer, als Hochverräter bestraft wurde.

Solche Deutungen und Analogien ergeben sich schon aufgrund des Erscheinungsbildes der Rocker: Ihre Kluft gleicht der Uniform einer Armee. Auf den Lederwesten steht nicht nur der Name des Charters oder Chapters, also der örtlichen Dependance. Dort ist auch der Status des Einzelnen angegeben. Wichtige Ränge sind President (Präsident), Sergeant at Arms (Sicherheitschef) oder Treasurer (Schatzmeister).

Schweigegelübde, Bestrafungsmorde, Ränge – das klingt alles nach Mafiastrukturen. Eine Mafia sind die Rockerclubs trotzdem nicht. Denn welcher Mafiosi will derart auffallen, dass Anschläge der Rivalen und Razzien der Polizei seinen Alltag bestimmen? Auffallen müssen Rocker aber, das macht sie schließlich aus. Aufzufallen ist nicht nur die Grundlage ihres angsteinflößenden Images und damit ihrer Macht, sondern entspricht ihrer Psycho- und Sozialstruktur, wie ein kurzer Blick in das Leben von Berliner und Brandenburger Rockern zeigt: Vor ein paar Jahren missfällt einem Bandido in einem Imbiss, dass zwei Bauarbeiter seine Freundin anschauen. Was tut er? Er geht zu seinem Auto, holt eine Machete und jagt die Männer durch den Kiez. Ein Hells Angel wird bei einer Gewahrsamnahme von einem Polizisten geschubst. Wie reagiert er? Er reißt den behelmten Beamten zu Boden – und wird erwartungsgemäß von dessen daneben stehenden Kollegen mit Schlagstöcken verprügelt, bevor sie ihn festnehmen. Ein junger Hells Angel sticht in Königs Wusterhausen einen Gremium-Mann nieder. Was tut der Gremium MC daraufhin? Seine Mitglieder bewaffnen sich, als wären sie in Kabul und nicht in einem Berliner Vorort, fangen vor einer Discothek versehentlich einen unbeteiligten Teenager ab und stechen ihn – vor Zeugen! – fast zu Tode.

Rational ist solches Verhalten nicht – von moralischen Erwägungen einmal abgesehen, stehen Risiko und Nutzen der Taten in keinem Verhältnis. Vielmehr geht es um Ehre, um brutale Rituale, darum, sich vor der eigenen Crew zu beweisen. Auch in Polizeipapieren über die Rocker heißt es, das „gezielte Herbeiführen“ von Schlägereien unter Einsatz eines „erheblichen Eigenrisikos“ sei üblich. Haben Mafiosi so etwas nötig?

Dass Rocker gefährlich sind, vor allem für diejenigen, die sich in der Biker-Szene und im Nachtleben aufhalten, bestreitet kaum jemand. Doch mit Organisierter Kriminalität meinen die meisten Experten planvolleres und letztlich erfolgreicheres Handeln. Daran ändert auch nichts, dass hierzulande 2012 laut Bundeskriminalamt in jedem zwanzigsten Verfahren der Organisierten Kriminalität direkt gegen Rocker ermittelt wurde. Wer – definitorisch sauber – der Organisierten Kriminalität zugerechnet wird, begeht aus Gewinn- und Machtstreben nicht nur systematisch Straftaten, sondern übt zudem Einfluss auf Politik und Justiz aus. Und das gelingt den Rockern meist nicht. Sicher, es gab in Hessen und Berlin Beamte, die Razzien vorab an Hells Angels verraten haben. Dabei flossen weder große Summen, noch sind die Polizisten erpresst worden. Beamte und Rocker kannten sich aus Fitnessstudio und Schule. Die Allianzen kamen wegen eines bisschen Kokains und der gemeinsamen Vorliebe für Muskeln und Motorräder zustande.

Die Mitgliedsbeiträge sind Investitionen

Aber auch ohne das „Mafia!“-Geschrei des Boulevards und von vermeintlichen Kriminalitätsexperten bleibt festzuhalten: In den Motoradclubs gibt es routinierte Kriminelle, die mithilfe ihrer Rockercrew einschlägigen Geschäften nachgehen. Für den Einzelnen sind die Bruderschaften dabei nicht nur ein emotionaler Gewinn – durch neugierige Blicke von Frauen, Motorradtouren und Partys. Das Tragen des Patches, des Emblems eines MCs, ist eine Versicherung: Wenn Polizisten nach Rockern suchen, haben diese einen Vorteil gegenüber anderen Verdächtigen. Aus Sicherheitsgründen rücken Spezialeinsatzkommandos (SEK) an, bevor ein Rockertreff gestürmt wird. Die SEK fahren nicht im Streifenwagen durch die Kieze, sondern werden von den Beamten vor Ort gerufen. Bis dahin bleibt meist genügend Zeit, allerlei verschwinden zu lassen.

Die Militanz hat nicht nur diesen geldwerten Vorteil zur Folge, sondern bringt darüber hinaus direkt Bares ein. Säumige Kunden und potenzielle Konkurrenten sind oft von vornherein eingeschüchtert, die Rocker können sich sicher sein, ihr zu horrenden Zinsen verliehenes Geld zurückzubekommen. Und weil kein Discobetreiber riskieren will, dass seine Türsteher vertrieben werden, überlässt er diesen Job gleich den Sicherheitsdiensten der Rockerbosse. Dutzende Security-Firmen bundesweit haben Männer aus der Szene angemeldet. Sich Rockern anzuschließen, kann also ökonomisch lohnenswert sein. Insofern sind die monatlichen Mitgliedsbeiträge – angeblich bis zu 300 Euro –, die teuren Kutten und das noch teurere Motorrad sinnvolle Investitionen.

Die Aussicht auf schnelles Geld und das von Öffentlichkeit und Politik gepflegte Gangster-Image haben allerdings massive Folgen: Seit Rocker in den Nachrichten auftauchen und Musiker mit ihnen kokettieren, bemühen sich Kneipenschläger, Angeber und Kleindealer um die Nähe zu den international vernetzten Clubs.

Der einst gepflegte Germanenkult ist gefährdet

Bislang setzten sich die großen MCs aus deutschen Facharbeitern zusammen, die Mitglieder waren Schlosser, Kfz-Mechaniker, Gastronomen. Viele starteten in ihrer Jugend als Hooligans, aber nur wenige hatten eine Karriere als aktenkundige Intensivtäter hinter sich, als sie sich einer der Bruderschaften anschlossen. Der Konkurrenzdruck im Milieu sorgte dafür, dass sich die Clubs öffneten, um personell aufrüsten zu können. In allen Bruderschaften gibt es nun junge Männer, die den Altrockern an Aggressivität überlegen sind. Durch die Mitglieder-Expansion ist auch der einst gepflegte Germanenkult gefährdet. In den Vorfeldcrews, den so genannten Supportern, hat bald die Hälfte der Mitglieder türkische, arabische oder kurdische Eltern. Diese Jungen hören Hip-Hop statt Rock, gehen ins Solarium statt ins Fußballstadion, rauchen Wasserpfeife, statt sich ein Bier zu zapfen. Aus Sicht von Altrockern ist jedoch bedenklicher, dass der Nachwuchs schnell zur Konkurrenz wechselt, wenn es ihm opportun erscheint.

Dieser Prozess wurde durch die Verbote einzelner Rocker­gruppen beschleunigt. Das Milieu saugt auf, wer immer sich ihm andient. Interessanterweise haben die Bandidos im Ruhrgebiet und in Berlin massenhaft Migranten rekrutiert, während in Neumünster und Regensburg in ihren Reihen zwei führende NPD-Männer aufgestiegen sind. Doch für die meisten Rechtsradikalen, die sich in den Nuller-Jahren den Rockern angeschlossen haben, zählt inzwischen Kasse statt Rasse, Geschäft statt Partei.

Das könnte bald auch für eine bekannte Neonazi-Clique aus Wismar gelten. Seit zwei Jahren nennen sich die motorradfahrenden Männer „Schwarze Schar“. Im Dezember 2013 luden sie befreundete Biker zu einer Feier ein. Unter den Gästen waren Hells Angels, die wohl zur Entideologisierung der rassistischen Truppe beitragen dürften. Denn bei den Höllenengeln haben vielerorts Türken das Sagen.

Das Schweigegebot hat an Kraft verloren

Die Reihen der alten Rocker-Generation sind mittlerweile ausgedünnt. Einige humpeln, von den Schlägen der Konkurrenz verletzt, andere sitzen in Haft. Was die angeschlagenen Bosse sagen, gilt nicht mehr allen als Gesetz, nicht mal mehr als väterlicher Rat. Der abnehmende Einfluss der Alten und das aggressive Umsichschlagen der Jüngeren werden dazu führen, dass die Behörden stärker Druck ausüben können. So gibt es gegenüber der Polizei immer wieder Aussagen verunsicherter Nachwuchsrocker, die sich Macht im Milieu gewünscht, im Angesicht drohender Haftstrafen aber schnell klein bei gegeben haben. Verzierte Harleys und den Rebellenkult der Alt­rocker, die zur Easy Rider-Ästhetik der amerikanischen Originale passten, kennen sie nur aus dem Fernsehen. Viele Rocker sind inzwischen zurückhaltender; die interne Versicherung hält nicht mehr, was sie einst versprach, das Schweigegebot hat an Kraft verloren.

Wegen der oft fehlenden Strategie, der eitlen Rituale und der irren Szenelogik sprechen Kenner bei Rockern nicht von Mafia, sondern von Banden. Strafrechtlich sind Banden eine kleinere Nummer: Drei oder mehr Personen, die sich zusammenschließen, um eine zeitlang Straftaten zu begehen. Demnach sind Rocker bloß ein subkulturelles Mafiasubstitut.

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