An die Arbeit, Progressive!

Wenige Fragen sind so bedeutsam für fast alle Menschen wie das Thema Arbeit, in wenigen Sphären ihres Lebens vollzieht sich Wandel so umfassend wie hier. Erfolg oder Scheitern progressiver Politik für die kommenden Jahrzehnte hängen deshalb entscheidend davon ab, welche Haltung und welche Ideen sie zur Arbeit entwickelt

War die Zukunft der Arbeit bis vor kurzer Zeit eher ein Thema für das Feuilleton, bestimmen Debatten über künstliche Intelligenz, Roboter und digitale Plattformen momentan alle wichtigen globalen Foren. Der digitale Wandel, so die allgemeine These, wird die Arbeitswelt tiefgehend verändern.

Ließe sich die Zukunft eindeutig aus technologischen Entwicklungen ableiten, würden sich also die Innovationen von heute direkt in eine Arbeitswelt von morgen und übermorgen übersetzen, dann könnte man es bei dieser Diagnose belassen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Die Zukunft der Arbeit ist in einem hohen Maße gestaltbar. Es gibt Raum für politisches Handeln. Das heißt aber, dass die Frage, wie wir morgen arbeiten wollen, zum Gegenstand gesellschaftlicher Aushandlungen werden muss. Jedoch hat im Vorfeld der Bundestagswahl bisher keine wirkliche Abgrenzung der politischen Wettbewerber stattgefunden.

Ich möchte daher drei Gedanken skizzieren, die für einen progressiven Entwurf der Arbeit der Zukunft maßgeblich sind und eine Abgrenzung zur politischen Konkurrenz ermöglichen.

Maschinenstürmerei führt in die Irre

Erstens, ein progressiver Entwurf der Arbeit der Zukunft grenzt sich klar von der technologieskeptischen Grundhaltung ab, die sowohl links der Mitte als auch im konservativen Lager zu finden ist.

In maschinenstürmerischer Tradition wird häufig unterstellt, dass ungebremster technologischer Fortschritt unvermeidlich in die Massenarbeitslosigkeit führt. Mit einer gewissen Lust am Untergang überbieten sich die Apokalyptiker in ihren Aussagen, wie viele Arbeitsplätze durch die Automatisierung vernichtet würden. Und in kulturpessimistischer Tradition heißt es, der übermäßige Umgang mit digitaler Technologie würde den Geist verkrüppeln. Der Computer macht uns erst dumm und nimmt uns dann die Arbeitsplätze weg. Beides ist, zumindest in dieser Verkürzung, schlichtweg falsch.

Ohne Frage sind die jüngsten Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz und Robotik eine Herausforderung für unser Wirtschafts- und Sozialmodell, in dem gehobene manuelle und kognitive Routinetätigkeiten eine Mittelschichtsexistenz ermöglichen. Einige Berufe, die größtenteils Routinetätigkeiten umfassen, werden vollständig verschwinden. In vielen Berufen werden Maschinen Tätigkeiten übernehmen. Zugleich entstehen aus der Kombination menschlicher und maschineller Fähigkeiten neue Berufsbilder.

Der Markt allein kann es nicht richten

Sich dieser Entwicklung grundsätzlich zu verschließen, kann keine progressive Haltung sein: In einer Welt globaler Wertschöpfungsnetzwerke mit vielen jungen und zunehmend gut gebildeten Menschen in Asien, Südamerika und Afrika ist unser Wohlstandsniveau in Europa ohne eine zunehmende Verschränkung menschlicher Fähigkeiten mit digitalen Technologien nicht zu halten. Race with the machines – das ist der Weg zu Wachstum und Wohlstand.

Es wäre jedoch fahrlässig, den sich abzeichnenden Transformationsprozess allein dem Markt zu überlassen. Die Automatisierungswellen der letzten Dekaden haben gezeigt: Wer an der Automatisierung seines Jobs mitarbeitet, hat die besten Chancen, ihn nicht zu verlieren. Wer sich frühzeitig auf neue Technologien einlässt und Tätigkeiten an Maschinen übergibt, profitiert vom technologischen Wandel. Dem Markt allein gelingt es nur bedingt, alle Menschen hierzu zu befähigen. Progressive Politik muss deshalb Anreize für individuelle und betriebliche Investitionen in die Beschäftigungsfähigkeit setzen.

Das heißt nicht, nur auf universitäre Bildung zu setzten. Wer in der Digitalisierung das Ende des Facharbeiters sieht, liegt falsch. Ohne das Anwendungs- und Erfahrungswissen der Facharbeiterebene sind die Prozessinnovationen einer Industrie 4.0 nicht denkbar. Progressive Politik sollte sich deshalb darum kümmern, wie Tätigkeits- und Qualifikationsprofile für das Zusammenspiel von Facharbeitern und digitalen Technologien neu definiert und wie Lernen und Arbeiten neu verschränkt werden können.

Gleichzeitig sollten Progressive im Hype um digitale Technologien Advokaten der Geisteswissenschaften sein. Zwar sollte es nicht länger zum guten Ton gehören, mit mangelhaften Kenntnissen in Mathematik und Informatik zu kokettieren; Bildung auf MINT-Berufe zu verengen, ist aber ebenso gefährlich. Jenseits von Hubs und Hackathons wird der digitale Wandel eine ungeahnte Renaissance der Geisteswissenschaften auslösen. Führende Wissenschaftler im Bereich künstlicher Intelligenz prognostizieren schon heute eine große Nachfrage nach Berufen, die auf einem Verständnis für die conditio humana aufbauen. Technologie gestalten, die Welt reflektieren, die wir uns damit schaffen, und Menschen befähigen, sich in dieser Welt zu bewähren – das ist die Arbeit von morgen.

Angesichts der weitverbreiteten Pauschalkritik an digitalen Plattformen sollten Progressive außerdem diejenigen sein, die die richtigen Fragen stellen: Wo entsprechen diese neuen Formen der Arbeitsorganisation den Präferenzen aller Beteiligten und wo werden nur unternehmerische Risiken externalisiert? Über welche Plattform-Modelle lässt sich die Marktmacht von Selbständigen steigern? Die Progressiven könnten sich damit hervortun, einen Weg aufzuzeigen, wie sich digitale Plattformen frühzeitig in die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft einhegen lassen.

Zweitens muss sich ein progressiver Entwurf der Arbeit der Zukunft zur Erwerbsarbeit bekennen und sich damit klar vom vielstimmigen Chor des Abgesangs auf die Erwerbsarbeitsgesellschaft abgrenzen.

Es kann nicht progressiv sein, angesichts einer vermeintlichen technologischen Übermacht leichtfertig eines der Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft aufzugeben, nämlich das kooperative Einbeziehen aller Willigen in die gesellschaftliche Arbeitsteilung.

Die äußerst heterogene Gruppe der Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens wächst stetig und findet sich heute sowohl im wirtschaftsliberalen als auch im linken Lager. Die Herausforderungen, die einige Befürworter skizzieren, sind auch für Progressive relevant: Wie weit darf eine immer wohlhabendere Gesellschaft die Aufnahme von Erwerbsarbeit mittels materieller Einschränkung befördern? Was tut diese wohlhabende Gesellschaft, wenn es manchen Individuen aufgrund des technologischen Wandels absehbar nicht gelingt, in die organisierte Arbeitsteilung einbezogen zu werden?

Spaltung durch Grundeinkommen

Es gibt unterschiedliche Gründe, die dagegen sprechen, im bedingungslosen Grundeinkommen eine Antwort auf diese Fragen zu sehen. Dennoch sollten sich Progressive nicht auf die Aussage zurückziehen, ein bedingungsloses Grundeinkommen sei nicht bezahlbar. Was bezahlbar ist, muss Gegenstand gesellschaftlicher Aushandlungen sein.

Vielmehr lautet die gewichtigste progressive Kritik am bedingungslosen Grundeinkommen, dass es im digitalen Wandel eine gesellschaftliche Polarisierung nicht abfedern, sondern eher noch befördern dürfte. Denn: Ein Grundeinkommen würde die Entscheidungseliten aus der Verantwortung entlassen, dafür zu sorgen, dass alle Bürgerinnen und Bürger Zugang zur organisierten gesellschaftlichen Arbeitsteilung erhalten.

Wenn wir mit Axel Honneth annehmen, dass Erwerbsarbeit auf absehbare Zeit der Kern „wechselseitiger Anerkennung im gesamtgesellschaftlichen Rahmen“ und damit eine zentrale Quelle der Identitäts- und Sinnstiftung bleibt, dann ist eines der größten Risiken der digitalen Transformation der Arbeitswelt, dass viele Bürger im gesellschaftlichen Kooperationszusammenhang nicht mehr bestimmen können, von welcher Position aus sie einen wertvollen Beitrag erbringen können. Anders als die Befürworter des Grundeinkommens nahelegen, ist diese Entwicklung aber nicht unabwendbar, sondern wäre vielmehr das Ergebnis einer rückwärtsgewandten Politik.

Progressive bauen belastbare Brücken

Im digitalen Zeitalter muss es daher ein klares Erkennungsmerkmal progressiver Arbeits- und Sozialpolitik sein, für die potenziellen Bruchstellen von Erwerbsbiografien belastbare Brücken zurück in die Arbeitswelt zu bieten. Ein Schul-, Aus- und Weiterbildungssystem, das diesem Anspruch nicht gerecht wird, kann nicht als progressiv gelten.

Die Absage an das Grundeinkommen bedeutet nicht, die Realität der Erwerbsarbeit zu verklären. Es geht um ein qualifiziertes Bekenntnis zur Erwerbsarbeit. Arbeit ist nicht für alle Menschen lustvoll – und wird es auf absehbare Zeit trotz Robotik und künstlicher Intelligenz auch nicht sein. „Arbeit ist für viele Menschen wie ein Schnupfen, bis Freitag hält man es noch aus“, formulierte es Frithjof Bergmann kürzlich. Progressiv sein bedeutet, die humane Erwerbsarbeit als Verwirklichung sozialer Freiheit in einer arbeitsteiligen Gesellschaft zu fördern und zugleich den Blick in Richtung einer Gesellschaft zu weiten, in der die Möglichkeit einer selbstbestimmten Kombination bezahlter und unbezahlter, öffentlicher und privater, lohn- und gemeinwohlorientierter Tätigkeiten besteht.

Drittens, ein progressiver Entwurf der Arbeit der Zukunft muss gegenüber den selbsternannten Wirtschaftsverstehern liberaler und konservativer Provenienz das emanzipatorische Potenzial der Digitalisierung herausarbeiten. Start-ups zu fördern, hinter denen die alten Organisationsmodelle des command and control stehen, mag wirtschaftlich sinnvoll sein, progressiv ist es nicht. Denn die neuen Geschäftsmodelle sind durchaus mit klassischen patriarchischen Strukturen vereinbar, wie Ubers Ex-Chef Travis Kalanick eindrucksvoll demonstrierte.

Zugleich erleben wir gerade einen Aufbruch in Richtung neuer Organisationsformen und Führungsmodelle: mehr Souveränität und Beteiligung des Einzelnen als Antwort auf den digitalen Wandel. Progressive müssen Teil dieser Bewegung werden und den historischen Bogen zur Demokratisierung des Arbeitslebens schlagen.

Auf die Haltung kommt es an

So erlaubt die Digitalisierung von Arbeitsinhalten ein nie dagewesenes Maß an Orts- und Zeitsouveränität. Was vor wenigen Jahren Science Fiction war, etwa eine Produktionsanlage aus dem Homeoffice zu steuern, ist heute Realität. Nur wird dieses Potenzial für mehr Souveränität vielerorts nicht realisiert. Karriere wird immer noch nach 17 Uhr gemacht und das Büro nicht vor dem Chef verlassen. Hier braucht es einen Kulturwandel, und Progressive sollten sich an die Spitze dieser Bewegung stellen. Sie könnten zum Beispiel für eine Umkehr der Beweislast eintreten: Nicht die Beschäftigten müssen rechtfertigen, warum sie orts- und zeitflexibler arbeiten möchten, sondern die Betriebe sollten begründen, warum diese Flexibilität nicht zugelassen wird.

Der bewusste Einsatz von Technologie zur Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen, diese Idee gehört zum Kern progressiven Denkens. Die Progressiven täten gut daran, sich mit eben dieser Haltung aufzumachen, um den Wandel unserer Arbeitswelt zu gestalten. An die Arbeit!

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