¿Deutsche Interessen?

Europa nützt nicht nur den anderen

Besser geht‘s nicht. "Die Europäische Union ist der beste Garant für Frieden, Sicherheit und soziale Stabilität." Diesen Superlativ beschloss der SPD-Parteitag im April 1998 in Leipzig als Teil des Wahlprogramms. Es liegt auf der Hand, dass solche segensreichen Eigenschaften der EU im deutschen Interesse liegen. Auch der Blick in die Vergangenheit lässt daran keinen Zweifel aufkommen. Die alte Bundesrepublik machte als Gründungsmitglied der europäischen Gemeinschaften ihre ersten, wichtigen Schritte auf dem Weg zur gefestigten Demokratie. Die wirtschaftlichen Erfolge der frühen Jahrzehnte wären ohne die nachbarschaftliche Zusammenarbeit so nicht vorstellbar.

Die Bonner Regierungen waren in der Vergangenheit nicht nur Zuschauer oder Mitläufer. Sie haben die erstaunliche "europäische" Entwicklung vom Garanten der Nahrungsversorgung und der Schwerindustrie bis zur Schaffung von Binnenmarkt und gemeinsamer Währung mitgestaltet. Im Nachhinein mag mancher das als europäischen Altruismus verklären. Doch die Interessen eines exportorientierten Beinah-Binnenlandes mit einer gewissen Ressourcen-Schwäche wiegen schwer.

Auch nach mehreren Erweiterungen ist die EU noch nicht ausgewachsen. Wer mitgestalten will, dessen Stimme sollte zu hören sein. Aus der Bonner Regierung ist unterdes eine Berliner geworden und allein der Begriff "Berliner Republik" löste eine kontroverse Feuilleton-Debatte aus. Dabei wurde scharfsinnig eingewandt, es solle vielleicht besser gleich von einer "Brüsseler Republik" die Rede sein. Der Einwand verkennt, wie wichtig für Europa die Berliner Stimme ist. Gerade weil die EU, die in Wahrheit nicht in Brüssel sondern in Schwedt und Ludwigsburg stattfindet, gewachsene Staaten vereint, ist eine sichere und legitimierte Stimme jedes einzelnen Voraussetzung für den Erfolg des Ganzen. Dabei kann die deutsche Attitüde des europäischen Wohltäters getrost abgestreift werden. Das glaubten die anderen Europäer den Deutschen auch unter Kohl schon nicht. Sie schlossen - und das zu Recht -von sich auf andere.

Doch wo und von wem sind sie zu hören, die deutschen Interessen in Europa? Bei den großen Themen wie "Osterweiterung" oder "Kandidatenstatus der Türkei" aus dem Munde des Bundeskanzlers oder seines Außenministers. In Wahrheit interessiert sich dafür allerdings kaum jemand außerhalb recht enger Zirkel. Und wenn am Ende die neue Wirklichkeit mangelndes Interesse nicht mehr zulässt, fühlen sich wieder allzu viele nicht ausreichend informiert.

Bei den laufenden Debatten über das deutsche EU-Interesse sind mitunter auch Stimmen aus den Ländern zu hören. Sie setzen sich vehement für Interessen ein, und zwar für die des Freistaates Bayern, des Landes Nordrhein-Westfalen oder des Ostens unserer Republik. Das geht vom Erhalt der Ziel-1-Strukturförderung über die Unterstützung von Konversionsregionen (nach Abzug der Alliierten) bis zur Agrarförderung für Gebirgsregionen im Süden des deutschen Föderalstaates.

Welches sind nun unsere nationalen Interessen? Die grundlegenden sind schnell genannt: Sicherung des Friedens in Europa - wie wichtig das ist, haben gerade die Ereignisse des vergangen Jahres deutlich gezeigt. Als exportorientierte Wirtschaftsnation haben wir nach wie vor ein Interesse am Binnenmarkt und dessen Erweiterung, sowie am Schutz des fairen Wettbewerbs. In der globalisierten Welt, egal ob sie real ist oder nur ein Gesellschaftsmodell, nach dem sich alle richten, können wir nur gemeinsam mit den europäischen Partnern eine Rolle spielen. Dabei geht es auch um die vielbeschworene soziale Gerechtigkeit, die ökonomisch betrachtet ein schlichter Kostenfaktor ist, bei dem die (kurzfristigen) Kosten den (eher langfristigen) Nutzen in betriebswirtschaftlicher Sicht deutlich überwiegen. Als einsamer deutscher Don Quichotte unsere soziale Marktwirtschaft verteidigen zu wollen, erscheint wenig Erfolg versprechend. Der Erhalt und die Weiterentwicklung eines europäischen Sozialmodells, trotz all seiner Unterschiede, ist das Ziel.

Diese grundlegenden Interessen sind ausreichend allgemein, um beifälliges Nicken hervorzurufen. Aber was sich konkret mit diesen Themen verbindet, welche weiteren Schritte wir wollen, darüber entzündet sich zu selten eine Diskussion. Obwohl die Themen dafür auf der Straße liegen. Als Wirtschaftsnation ist die Energieversorgung für uns ein wesentliches Thema. Im europäischen Gesetzgebungsprozess über die Liberalisierung des Strombinnenmarktes wurden von deutscher Seite aus sehr spät, teilweise zu spät, Positionen präsentiert. Die Thematik ist immer noch aktuell für ein Land, das stärker als viele Nachbarn auf Erdgas setzt und dieses aus dem Osten bezieht. Wie gehen wir als Europäer mit den Lieferländern außenpolitisch um? Oder welche Flüchtlings- und Einwanderungspolitik wollen wir in Europa gemeinsam machen? Dazu brauchen wir Positionen, die selbstbewusst vertreten werden. Aber eben auch in dem Bewusstsein vertreten werden, dass nicht jeder Kompromiss ein fauler ist.

Unsere Interessen werden besser zu vertreten sein, wenn wir sie in einer breiten öffentlichen Diskussion bestimmen. Da helfen keine kleinen europapolitischen Liebhaber-Zirkel welcher Organisation auch immer. Wer Europa nur sonntags oder zu außerordentlichen Anlässen diskutiert, verschläft unsere Zukunft. Es soll nicht ständig und überall von Europa die Rede sein, wir brauchen keine "neue Europa-Euphorie", vor der Willy Brandt 1977 einmal gewarnt hat. Aber auf den vielen Feldern unserer politischen Realität, die wir europäisch voranbringen wollen, müssen wir uns unserer Interessen an und in Europa bewusst sein.

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