Wenn der Krieg hybrid wird

In seinem Krieg gegen die Ukraine setzt Putins Russland ein breites Arsenal von Instrumenten ein. Nicht zuletzt der Virtuosität, mit der Moskau alle Möglichkeiten der Propaganda nutzt, hat der Westen bisher zu wenig entgegenzusetzen. Droht unseren Gesellschaften die Destabilisierung durch Putins hybride Kriegsführung?

Was genau bedeutet „hybride Kriegsführung“? Spätestens seit dem Konflikt mit Russland wird dieser Begriff in der politischen Debatte und im öffentlichen Diskurs regelmäßig verwendet. Häufig bleibt aber unklar, was hybride Kriegsführung von anderen Formen der Kriegsführung unterscheidet und welche Aspekte überhaupt eine neue Entwicklung darstellen. Deshalb werde ich den Begriff zunächst erläutern. Anschließend werde ich diskutieren, wie die westlichen Staaten auf diese Art der Kriegsführung im Ukraine-Konflikt reagieren könnten.

Krieg mit allen nur möglichen Mitteln

Auf der 51. Münchner Sicherheitskonferenz im Februar dieses Jahres wurden folgende Merkmale als charakteristisch für die hybride Kriegsführung diskutiert: Neben dem Einsatz von regulären Streitkräften und Spezialkräften spielen irreguläre Kräfte eine wichtige Rolle. Dabei versucht die kriegsführende Partei, im betreffenden Land Bürgerunruhen zu unterstützen. Charakteristisch ist außerdem, dass ein sowohl wirtschaftlicher als auch informationeller Krieg geführt wird, der gezielt auf Propaganda setzt. Cyberattacken und parallel dazu stattfindende diplomatische Verhandlungen komplettieren die möglichen Instrumente der hybriden Kriegsführung. Somit stellt diese eine Kombination aus verschiedenen konventionellen und unkonventionellen Mitteln der Kriegsführung dar und setzt alle zur Verfügung stehenden Mittel ein.

Der Begriff „Hybrider Krieg“ wurde erstmals 2005 von dem amerikanischen Politikwissenschaftler Frank Hoffmann mit Blick auf die Hisbollah verwendet. Verschiedene Aspekte dieser Art der Kriegsführung konnten jedoch bereits in früheren militärischen Auseinandersetzungen beobachtet werden. Die Kombination aus Streit-, Spezial- und ­irregulären Kräften, der gleichzeitige Einsatz wirtschaftlicher und informationeller Kriegsführung sowie parallel dazu stattfindende diplomatische Verhandlungen sind seit der Antike bekannt.

Die neue Qualität liegt in der Vernetzung

Oliver Tamminga von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) hat sehr treffend analysiert, dass durch die hybride Kriegsführung eine neue Qualität komplexer Kriegsführung und multidimensionaler Bedrohung entsteht. Darauf könne man militärisch kaum noch adäquat reagieren. So lässt sich in der Ostukraine eine Ausweitung militärischen Handelns in vornehmlich zivile Bereiche beobachten. Diplomatische, militärische, humanitäre, ökonomische, technologische und informationelle Instrumente werden als Mittel der Kriegsführung wesentlich besser aufein­ander abgestimmt als bisher. Bezüglich dieser klar koordinierten und vernetzten Vorgehensweise wurde in den Vereinigten Staaten wie auch in Deutschland bereits 2005 gefordert, ein realistischeres Bild der Kriegsführung zu entwickeln, um den überkommenen Dualismus zwischen symmetrischen und asymmetrischen Kriegen zu überwinden und diese stattdessen als vernetzt zu betrachten.

An einer genauen Definition hybrider Kriegsführung mangelt es bislang. Dies hat zur Folge, dass sich die kämpfenden Personen teilweise im rechtsfreien Raum bewegen, weil keine Konfrontation im klassischen Sinne stattfindet. Beispielsweise existieren im Ukraine-Konflikt auf beiden Seiten Freiwilligentruppen, die unter kein Kriegsrecht fallen. Genau dies nutzen die Akteure aus, die sich beim Einsatz herkömmlicher Methoden vor der internationalen Gemeinschaft rechtfertigen müssten.

Im Gegensatz zu älteren Varianten hybrider Kriegsführung haben in jüngeren Konflikten zivile Maßnahmen an Bedeutung gewonnen. Hervorzuheben sind Cyberattacken, die strategische Beeinflussung der Medien und energiepolitische Maßnahmen. Die wohl wichtigste Entwicklung dürfte jedoch der gezielte Einsatz von Propaganda sein. Zwar ist Propaganda nichts Neues. In den vergangenen Jahren sind jedoch zwei entscheidende Aspekte hinzugetreten.

Erstens hat die öffentliche Meinung für politische Entscheidungsträger heutzutage eine wesentlich höhere Bedeutung als früher. Somit sind die Eliten und ihre politischen Ziele um ein Vielfaches verwundbarer durch propagandistische Angriffe. Dieses Phänomen lässt sich nicht nur außenpolitisch beobachten, sondern auch, wenn es um persönliche Schicksale und fehlerhaftes Verhalten von Politikern geht. Dies hat in der Vergangenheit zu einer Vielzahl an Rück­tritten insbesondere in der deutschen Politik geführt.

Zweitens beschleunigen eine rasante Technologisierung und neue Kommunikationsmöglichkeiten das Tempo der Informationsübermittlung, ohne dass sich die Qualität der Informationen verbessern würde. So werden einfache „Wahrheiten“ aufgrund oberflächlicher Interpretationen von Ereignissen attraktiver. Die Dynamik moderner Medien- und Kommunikationsnetzwerke führt dazu, dass das Potenzial, die Massen zu kontrollieren und zu manipulieren, ein nie gekanntes Ausmaß angenommen hat.

Was tun gegen russische Propaganda?

Am Beispiel Russlands lässt sich zeigen, wie die Propaganda als Mittel der hybriden Kriegsführung im 21. Jahrhundert eingesetzt wird. Über eine hohe Medienpräsenz in anderen Staaten werden propagandistische Nachrichten verbreitet, die von lebensbedrohlichen Zuständen russisch sprechender Minderheiten in der Ukraine und von der Verteidigung von Religion und Meinungsfreiheit gegen einen postmodernen Westen ohne Werte handeln. Bestes Beispiel hierfür ist Russia Today. Auch Onlineforen und soziale Medien fungieren als Multiplikatoren für derartige Nachrichten.

Der Kreml weitet zudem auch innenpolitisch seine Kontrolle über russische Medien gezielt aus. Einer Schätzung der Reporter ohne Grenzen zufolge rangiert Russland in Bezug auf die Pressefreiheit mittlerweile auf Platz 152 von 180. Dabei ist der Informationskrieg Russlands sehr erfolgreich: Einerseits wird die russische Öffentlichkeit von anderen, ausländischen Informationsquellen isoliert. Andererseits wirkt sich der russische ­Informationskampf auf die öffentliche Meinung der westlichen Länder aus. Als Konsequenz beginnen Teile der russischen Regierung ihre eigenen Halbwahrheiten und einseitigen Interpretationen zu glauben. Darüber hinaus werden diejenigen im Westen, denen eine Besänftigung des Verhältnisses zu Russland als Selbstzweck wichtig ist, von der russischen Propaganda gestärkt.

Am gravierendsten wiegt jedoch, dass die russische Propaganda das Potenzial hat, den Zusammenhalt des Westens zu gefährden und zu unterlaufen. Als Konsequenz müssen Deutschland und Europa einen Weg finden, darauf angemessen zu reagieren. Klar ist, dass Russland im Bereich der Propaganda nicht auf gleicher Höhe begegnet werden kann. Zwar sind Demokratien durch solche Formen der Kriegsführung verwundbar, doch sollten sie nicht in die Falle tappen, ihre eigenen demokratischen Werte zu unterlaufen. Ein möglicher Weg ist das Wahrnehmungsmanagement. Dabei werden Umgebungen so gestaltet, dass sie positiv wahrgenommen werden – nur eben ohne propagandistische Mittel. Das kann zum Beispiel mittels einer Verstärkung des internationalen Rundfunks (zum Beispiel der Deutschen Welle) oder durch einen intensivierten kulturellen Austausch mit einem Schwerpunkt auf Völkerverständigung gelingen. Ein freundlicheres Bild des Westens in Russland könnte durch gezielte Erleichterungen von Visa-Anträgen für bestimmte Zielgruppen (junge Wissenschaftler und Unternehmer, Familien und so weiter) erheblich gefördert werden. Auch könnten an die russische Öffentlichkeit gerichtete Public-Diplomacy-Aktivitäten propagandistischen Nachrichten entgegengestellt werden. Hier gilt es, insbesondere bei unseren Innenpolitikern noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten!

Zusätzlich müssen politische Entscheidungsträger ihre Entscheidungen offener kommunizieren. So war es kontra­produktiv, den internationalen Afghanistan-Einsatz lange nicht als „Krieg“ zu bezeichnen. Darüber hinaus brauchen wir eine stärker fundierte Medienarbeit, die umfassender in die Gewinnung von Informationen in anderen Ländern investiert. Derzeit liegt der Nachrichtenfokus eher auf Facebook, Twitter und Bildern als auf Hintergrundanalysen. Deshalb waren unsere Medien absolut überrascht vom Ausbrauch der Revolution in der Ukraine.

Christian Mölling von der SWP vertritt die Auffassung, dass die Mittel zur Bekämpfung hybrider Kriege vor allem im zivilen Bereich liegen. Vorausschauende Minderheitenpolitik, Bildungspolitik und regionale Wirtschaftspolitik können dazu beitragen, Konflikten präventiv zu begegnen. Mögliche Angriffspunkte müssten durch vorausschauende politische Maßnahmen im Keim erstickt werden, so Mölling. Das ist zwar richtig, allerdings möchte ich der von ihm nachgelagerten Aussage ein mindestens ebenso starkes Gewicht verleihen: Obwohl Konflikte wie die Ukraine-Krise militärisch wohl eher nicht gelöst werden können, kommt besonders in diesem Fall der Nato eine wichtige Rolle zu. Die Werkzeuge der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik werden russische Bestrebungen ebenso wenig eindämmen wie nationalstaatliche Allein­gänge.

Dass die Nato für die Territorialsicherheit der Ukraine nicht zuständig ist, wurde (auch in realpolitischer Hinsicht) spätestens mit der russischen Annexion der Krim ersichtlich. Doch obwohl der Nato in der kriegerischen Auseinandersetzung in der Ostukraine in gewisser Weise die Hände gebunden sind, bildet sie global betrachtet den Gegenpol zu einem aggressiv auftretenden Russland. Die Problematik der aktuellen Lage liegt darin, dass die Nato nur dann eingreifen kann, wenn es zu einem bewaffneten Angriff kommt. Bei den Kämpfen in der Ostukraine werden zwar russische Soldaten getötet, aber Russland streitet eine Beteiligung an den Angriffen ab. Somit existiert offiziell auch gar kein Angriff – ebenfalls ein Kennzeichen russischer hybrider Kriegsführung.

Was die Nato jetzt lernen muss

Insofern konstatierte das Internatio­nale Institut für Strategische Studien in seinem aktuellen Jahresbericht, dass die Nato nur unzureichend auf Konflikte vorbereitet ist, in denen die andere Konfliktpartei eine hybride Kriegsführung betreibt. Eine „schnelle Destabilisierung“ westlicher Staaten könnte die Folge sein. Experten wie Christian Mölling sind sich einig, dass der Kreml eine gezielte Reaktion des Westens erschwert, indem er eine russische Beteiligung an dem Konflikt fortwährend abstreitet.

Unabhängig vom Ukraine-Konflikt besteht die Gefahr, dass künftig weitere Akteure zu ähnlichen militärischen Mitteln greifen und Moskaus Vorbild folgen könnten – vor allem Staaten wie der Iran oder China. Deshalb ist es für den Fortbestand der Nato als politisches Bündnis essenziell, sich erstens von konventionellen Taktiken zumindest teilweise zu lösen und mehr Gegenmaßnahmen gegen feindliche Propaganda zu ergreifen, zweitens die Einsatzfähigkeit der Streitkräfte zu verbessern, drittens Erkenntnisse der Geheimdienste abgestimmter auszuwerten und viertens eine geeignete strategische Kommunikationslinie zu entwickeln.

Dabei sollte die Nato ihr Augenmerk nicht alleine auf die Ukraine richten, da Krisen auch in anderen Regionen der Welt zu erwarten sind. Schon angesichts der derzeitigen Konflikte in Syrien, dem Irak und der Ostukraine scheint es, als wären unsere Gesellschaften nicht in der Lage, mehrere Krisen gleichzeitig mit der nötigen Aufmerksamkeit zu verfolgen. Die „Gleichzeitigkeit von Krisen“ überfordert unsere traditionellen Entscheidungsstrukturen wie auch die Medien und die Aufnahmefähigkeit unserer pluralistischen Zivilgesellschaften.

Neben diesen Veränderungen innerhalb der Nato muss die Kooperation mit zivilen und nicht-militärischen Akteuren stark ausgebaut werden, denn zur Eskalation werden bei hybriden Kriegen nicht militärische, sondern zivile Mittel genutzt. Außerdem sollte die internationale Rechtslage geklärt werden, um die hybride Kriegsführung durch staatliche Akteure zu unterbinden sowie wirksam völkerrechtliche Verantwortung zuzuschreiben und Missachtungen des Völkerrechts gegebenenfalls auch sanktionieren zu können.

Was die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik angeht, müssen die Ziele Deutschlands deutlicher definiert werden. Deshalb benötigt unser Land eine intensivere strategische Debatte zwischen Politik und Zivilgesellschaft, die unsere Gesellschaft weniger anfällig gegen propagandistische Mittel werden lässt. Der Review-Prozess des Auswärtigen Amtes und der Weißbuchprozess der Bundesregierung sind erste Schritte in die richtige Richtung.«

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