Welche "Lehren" sind konkret gemeint?

zu Manfred Weber, Vertrauen in der Krise, Berliner Republik 3/2009

Nicht nur die elementare Wucht, das rasante Tempo und die Unberechenbarkeit der derzeitigen Krise sind beispiellos, sondern auch die Eindeutigkeit, mit der sich der Krisenherd bestimmen lässt. Es ist die Finanzindustrie, die hier versagt hat, erst in den Vereinigten Staaten, dann im internationalen Rahmen, und die Banken als ihr Kernbereich waren daran maßgeblich beteiligt, auch in Deutschland. Vertrauen ist leicht verspielt und schwer zurückzugewinnen.

Wenn sich ein so prominenter und kompetenter Branchenvertreter wie der Geschäftsführende Vorstand des Bundesverbandes deutscher Banken, Manfred Weber anschickt, diesen Vertrauensverlust zu analysieren und Wege aus dieser Vertrauenskrise aufzuzeigen, so ist das zu begrüßen. Dies besonders deshalb, weil man wahrlich nicht behaupten kann, dass in den Geldhäusern selbstkritische und nachdenkliche Betrachtungen über die Gründe für das Finanzdesaster die Regel wären. Sie sind im Gegenteil die absolute Ausnahme, und Manfred Webers Beitrag gehört dazu.

Gründliche Analysen, schlüssige Antworten

Dennoch: Ich hätte mehr erwartet - mehr und gründlichere Analysen der Ursachen der Krise, der Konsequenzen, die daraus gezogen werden müssen, vor allem aber mehr Aufschlüsse darüber, mit welchen konkreten Maßnahmen die Banken neues Vertrauen für sich erringen wollen. Eine schlüssige Antwort auf die Frage, wie eine Wiederholung dieses Unheils verhindert werden soll, gehört untrennbar dazu. Gewiss ist Manfred Weber zuzustimmen, wenn er vor Pauschalurteilen warnt. Aber das kann und darf die gründliche, mehr noch: die schonungslose Analyse nicht behindern.

Auch ist es nicht damit getan, individuelles Fehlverhalten, die in jeder Branche anzutreffenden "schwarzen Schafe", zu monieren oder vielleicht auch anzuprangern. Der Finanz-Tsunami, dessen Folgen uns so schwer zu schaffen machen, ist nicht das Resultat einzelner Verfehlungen. Die beweisbare Wahrheit ist: Hier haben mächtige Strukturen der Finanzindustrie versagt, ineffizient und alles andere als transparent, getrieben von Gier und Skrupellosigkeit. Eine klare Aussage dieser Art vermisse ich in dem Beitrag von Manfred Weber. Die großen Häuser der Finanzindustrie brauchen eine neue Unternehmenskultur, nicht nur mit technokratischen Regeln zur Beherrschung von Risiken. Ein Gesinnungswandel tut Not, geboren aus Einsicht in schlimme Fehlleistungen der Vergangenheit und aus einem neuen Bewusstsein der Verantwortung für das Gemeinwohl, das nicht unter die Räder des Profitstrebens geraten darf.

Vertrauensbildung sieht anders aus

Sehr zu Recht mahnt Manfred Weber an, dass die Banken verlorenes Vertrauen "nur wiedererlangen können, wenn sie alle notwendigen Lehren aus der Finanzmarktkrise ziehen". Aber welche Lehren sind konkret gemeint? Papierene Bekenntnisse zu mehr geschäftlicher Redlichkeit beeindrucken keinen Bankkunden mehr. Taten zählen, Fakten. Der Mittelstand leidet unter der "Kreditklemme". Niemand wird behaupten können, der Staat sei schuld an dieser Unterversorgung, die viele kleine und mittlere Unternehmen bei ihren Bemühungen, die Krise einigermaßen zu überstehen, zum Teil massiv behindert. Dieses Thema vermisse ich in Manfred Webers Beitrag. Auch hätte man gern etwas darüber gelesen, wie das Verhalten von Geldinstituten zu beurteilen ist, die ihren gutgläubigen Kunden Papiere von Lehman Brothers verkauft haben und nun lediglich auf dem Rechtsweg Entschädigungen leisten wollen. Die Verbraucherzentralen wissen dazu haarsträubende Dinge zu berichten. Sind das vertrauensbildende Maßnahmen?

Ich bin gegen jede Dramatisierung wirtschaftlicher Probleme - die Lage ist ernst genug. Aber einen Gesichtspunkt, der einem Beitrag des Verbandsmanagers Manfred Weber mehr Relief und Profil gegeben hätte, möchte ich an dieser Stelle mit Nachdruck hervorheben: Für die verantwortlichen Politiker in Deutschland, in der EU, in den USA und in den anderen wichtigen Wirtschaftsnationen war und ist die Finanzmarktkrise eine einschneidende Erfahrung. Nicht nur wegen der fast demütigen Tonlage, in der gestern noch scheinbar allmächtige Top-Manager der Geldindustrie um staatliche Hilfe nachsuchen, sondern vor allem wegen der äußersten Beanspruchung der Staatshaushalte, die diese Politiker vor der Öffentlichkeit und vor ihren Wählerinnen und Wählern verantworten müssen. Wenn es die Finanzindustrie, aus welchen Gründen auch immer, nicht schafft, ein wirksames, international durchsetzbares Regelwerk für ihre Aktivitäten zu installieren, das Krisen wie die jetzige so weit wie möglich verhindert, dann wird die Politik dies tun. Wir stehen nicht vor einer neuen Rolle des Staates in der Wirtschaft, sondern wir erleben sie bereits.

Immerhin - eine Äußerung

Die Regierungen können und werden es nicht hinnehmen, wenn manche Geldhäuser angesichts erfreulicher Quartalszahlen so tun, als sei diese Krise ein bedauerlicher Betriebsunfall, eine Art weltweiter Kollateralschaden, der eben mal passiere - und im übrigen könne man die Geschäfte weiter betreiben wie bisher. Josef Ackermann, nicht nur Chef der Deutschen Bank, sondern auch Präsident des Internationalen Bankenverbandes IIF, hat in Peking von "gewaltigen Herausforderungen" gesprochen, denen die Finanzindustrie gegenüberstehe, und Vertrauen wiederherzustellen ist nach seiner Ansicht nur ein Teil davon. Es gebe "noch eine Menge zu tun". Solchen Mahnungen kann ich nur zustimmen. Gern hätte ich das auch im Hinblick auf den Beitrag von Manfred Weber bekundet. Immerhin - es ist gut, dass er sich geäußert hat. Mit Totschweigen jedenfalls gewinnt man kein Vertrauen zurück.

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