Trumps Sieg verstehen - eine Reise zu seinen Wählern und Gegnern

Wer sind die Menschen, die Donald Trump gewählt haben? Was erwarten sie von ihm? Und was hat sein Sieg mit den sozialen Folgen von Digitalisierung und Automatisierung zu tun? Ein Road-Trip durch fünf Bundesstaaten in sieben Tagen

Die ersten Apriltage verbrachte ich auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung in den USA. Mein Programm war eine Achterbahnfahrt durch die amerikanische Demokratie: In sieben Tagen traf ich die unterschiedlichsten Menschen aus fünf amerikanischen Bundesstaaten. In Bellaire/Ohio sprach ich mit einem Stahlarbeiter, dessen Werk vor der Schließung steht und der mit dem politischen System hadert. In Pittsburgh erklärte mir ein Professor seine Vision von Automatisierung und Rationalisierung. In Washington sprach ich an einem Tag mit 14 Kongressabgeordneten – darunter Republikaner wie Demokraten. Die letzte Station meiner Reise war das ultraliberale New York, das mir nach den Tagen in Virginia und Ohio noch bunter und verrückter vorkam.

Von Hamburg-Wilhelmsburg nach Los Angeles

Wie viele andere war auch ich im November vergangenen Jahres überrascht und geschockt gewesen, dass Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden war.

Denn mit den Vereinigten Staaten bin ich seit meiner Schulzeit besonders verbunden. Begonnen hat es 1985, als meine Eltern mich im Alter von 16 Jahren für ein Highschool-Jahr über den Atlantik ziehen ließen. Für einen Jungen aus Hamburg-Wilhelmsburg war ein Jahr auf der Highschool in Kalifornien ein Abenteuer: Ronald Reagan war Präsident, die Los Angeles Lakers gewannen die NBA Championship und in den Kinos lief gerade „Zurück in die Zukunft“ an. Ein Jahr in der Metropolregion Los Angeles war natürlich mit einem Kulturschock verbunden, aber nach einer anfänglichen kritischen Distanz hatte ich die Menschen an der Westküste liebgewonnen. So wie viele Austauschschüler vor mir auch.

Zehn Jahre später kehrte ich zurück. An der Law School der Indiana University studierte ich in Bloomington ein Jahr Jura. Indiana liegt im Mittleren Westen. Das Leben im Fly-Over-Country war ein ziemlich krasses Kontrastprogramm zum Leben in Südkalifornien zehn Jahre zuvor. Aber auch hier lernte ich die Menschen schätzen. Deren romantische Sehnsucht nach Freiheit und Gerechtigkeit, mit der einige Europäer schon damals Probleme hatten, empfand ich immer als interessante Bereicherung. Außerdem waren die Menschen im Mittleren Westen stolz darauf, nicht so oberflächlich zu sein wie ihre „Fellow Americans“ an den Küsten.

Ein Albtraum nicht nur für Linksliberale


Unmittelbar nach der Wahl Donald Trumps nahm ich mir vor, bei meinem nächsten Besuch die entscheidenden Swing -States zu besuchen. Ich wollte verstehen, warum Donald Trump gewählt wurde, und ich wollte wissen, ob ich etwas übersehen oder missverstanden hatte. Außerdem sind die Vereinigten Staaten auch tagespolitisch immer eine Reise wert.

Die erste Aprilwoche dieses Jahres könnte in einigen Jahren unter politischen Beobachtern Berühmtheit erlangt haben. Donald Trump entschloss sich, 59 Tomahawk-Raketen auf die Luftwaffenbasis Al-Schairat in Syrien abzufeuern. Im Rosengarten des Weißen Hauses wurde der konservative Jurist Neil Gorsuch als Richter am Obersten Gerichtshof vereidigt. Und Chinas Staatspräsident Xi Jinping reiste zu einem zweitägigen Staatsbesuch an. Dabei hatte schon die vorausgegangene Sitzungswoche eine enorme Fallhöhe erreicht, als es Donald Trump nicht gelungen war, seine Gesundheitsreform durchzusetzen.

In diese Stimmung hinein erreichten wir das Städtchen Scottsville in Virginia, einem traditionell eher konservativen Staat, den Trump gewinnen konnte. Eine für uns Deutsche bemerkenswerte Tatsache und ein Unterschied zu Deutschland ist die Bereitschaft der Amerikaner vor Ort, auch mit Unbekannten ins Gespräch zu kommen – vor allem in den ländlichen Gebieten. Im „Smokehouse Grille“ ging es also hin und her zwischen Trumps ersten Monaten, Hillarys kapitalen Fehlern („Sie hat den Mann auf der Straße nicht erreicht“) und der Zukunft der Wirtschaft. Solche Treffen sind für mich goldwert: Wenn sich die Menschen mit mir ohne falsche Rücksichtnahme oder Parteipolitik unterhalten.

Ähnlich offen sprachen die Männer und Frauen mit mir, die ich am nächsten Tag traf – obwohl sie einer Welt entstammen, die in den Vereinigten Staaten bei vielen Menschen gerade einen schweren Stand hat: Das Washingtoner Establishment wird für vieles verantwortlich gemacht, was in den USA schiefläuft. Seit Jahren pflege ich enge Kontakte zu meinen amerikanischen Kollegen, auch zum vermeintlichen politischen Gegner, den Republikanern, weshalb unser Ton inzwischen vertrauensvoll und ziemlich geradeheraus ist. Zwischen Frühstück und Abendessen konnte ich mit 14 Kongressabgeordneten die Erfahrungen und Neuigkeiten der vergangenen Wochen und Monaten seit dem letzten Besuch austauschen.

Natürlich: Die linksliberalen Demokraten aus Kalifornien erleben mit Trumps Präsidentschaft so etwas wie einen wahr gewordenen Albtraum. Doch wer glaubt, die Republikaner hätten nun erreicht, was sie nach acht Jahren Barack Obama ersehnt haben, der irrt. Schließlich waren es unter anderem die Mitglieder des republikanischen „Freedom Caucus“, die Trump bei seiner Gesundheitsreform die Gefolgschaft verweigerten.

It’s the automatization, stupid!


Nach so viel Parteipolitik kam uns die Fahrt nach Pittsburgh im Bundesstaat Pennsylvania gerade recht. Die Stadt, auch Steel City genannt, gilt als Beispiel für gelungenen Strukturwandel. Die Krise der Stahlindustrie hat hier schon Ende der siebziger und achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts einen großen Umbruch herbeigeführt: weg von der Grundstoff- und Stahlindustrie, hin zu Dienstleistungen und Bildung. Heute geht es der Stadt in Pennsylvania relativ gut: niedrige Arbeitslosigkeit, eine relativ junge Bevölkerung, viele Universitäten, eine liberale Grundeinstellung der Menschen. Auf mich wirkte Pittsburgh wie eine liberale prosperierende Insel in einem Staat, Pennsylvania, der schwer unter der Krise der Kohle- und Stahlindustrie leidet und der – mit Ausnahme der Fracking-Gebiete – außerhalb der großen Städte ziemlich perspektivlos wirkt.

Ein Professor der privaten Carnegie Mellon University, der privat außerhalb Pittsburghs im ländlichen Umland lebt, berichtete mir von seinen wissenschaftlichen Ideen und von der nicht allzu fernen Zukunft der Technologie. Wir sprachen über die Automatisierung der Wirtschaft, das autonome Fahren und die Automation des Dienstleistungssektors. Besonders beeindruckt hat mich seine Analyse der Jobflaute in den USA. Für den Wegfall von Arbeitsplätzen und den relativen Lohnverfall macht er – anders als Donald Trump – nicht den unfairen oder schwächelnden Handel oder die Folgen der Globalisierung verantwortlich. Vielmehr hätten Rationalisierung und Automatisierung für die schlechte Stimmung am Arbeitsmarkt
gesorgt. Der Slogan „Work hard and play by the rules“ bedeutet: Wer sich Mühe gibt, sich anstrengt und an die Regeln hält, kann ein gutes Leben führen und seinen Kindern geht es einmal ein bisschen besser. Doch dieses Versprechen könne in Zukunft immer weniger gehalten werden. Und diese Tatsache werde die Automatisierungsverlierer künftig zu „crazy voters“ machen, so der Professor.

Zu Ende gedacht bedeutet diese Sicht, dass neue Jobs eben nicht durch Renationalisierung entstehen (zum Beispiel mittels einer border tax), sondern allenfalls durch die Auseinandersetzung mit den unaufhaltsamen Entwicklungen der modernen Technik, die menschliche Arbeitskraft immer schneller ersetzt.

Was uns am nächsten Tag in Ohio erwartete, konnte in kaum einem stärkeren Kontrast zu der liberalen und aufstrebenden Universitätsstadt Pittsburgh stehen. Neben Pennsylvania ist Ohio einer der entscheidenden Swing States, die Donald Trump für sich gewinnen konnte. Wenn in Pittsburgh die Zukunft die entscheidende Rolle übernommen hat, leben Städtchen wie Bellaire und Steubenville von der Vergangenheit. Die Fahrt durch das Ohio Valley entlang des Ohio River ist desillusionierend. Hier zeugen riesige leere Fabriken von der einst boomenden Kohle- und Stahlverarbeitung. Die Schwerindustrie vor Ort stirbt aus, einer der letzten Automobilzulieferer, der Bleche für Ford presst, steht kurz vor der Schließung – diese Teile werden künftig in Mexiko hergestellt. Im Gespräch mit einem Werksmitarbeiter, der von Arbeitslosigkeit bedroht ist, wurde deutlich, was hier am 8. November passierte. Der Mann ist in der dritten Generation Gewerkschafter und hatte immer für die Demokraten gestimmt – so wie sein Vater und der überwiegende Teil seiner Kleinstadt. Doch diesmal hatte er keinerlei Vertrauen in die Kandidatin Hillary Clinton gehabt.

»Washington is broken«, das sehen fast alle so

Die Lektion, die ich in diesen Tagen gelernt habe: In den Swing States ist es Trump offenbar gelungen, die von Rationalisierung und Automatisierung betroffenen Menschen anzusprechen, die in Hillary Clintons Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle spielten. Trump traf das Gefühl und die Sprache der Leute, die am Ende für seinen Wahlsieg in den Swing States entscheidend waren. Am Ende eines langen Wahlkampfes wurde er wegen seiner Qualifikation gewählt, eben kein Politiker zu sein. Was sich für uns absurd anhört: Donald Trump hat den Menschen in den abgehängten Gegenden des Mittleren Westens mehr Respekt erwiesen als die Kandidatin Clinton. Er hat auch Menschen beleidigt, aber nicht wenige schätzten es, dass er wenigstens die ehemaligen Kohle- und Stahlarbeiter ansprach und im Wahlkampf landesweit erwähnte. Die Menschen hier empfanden das als Respektsbekundung.

„Washington is broken.“ Diesen Satz hatte ich schon auf vergangenen Reisen gehört, vorwiegend von republikanischen Abgeordneten und Tea-Party-Anhängern und weniger von Wählern der Demokraten. Nun waren sich die einfachen Menschen, die Wählerinnen und Wähler, in meinen Gesprächen oft einig, dass Washington „broken“ sei, auch wenn sie die Demokraten gewählt hatten.

Diese Haltung eint Trump-Gegner und -Wähler. Auch wenn sich auf meinem Flug von Columbus zu meiner letzten Station in New York City ein Professor für seine Regierung entschuldigte, als er im Gespräch herausfand, dass ich ein deutscher Politiker bin: Selbst die härtesten Trump-Gegner und Demokraten stehen dem Kongress und oft auch den demokratischen Institutionen insgesamt mit großen Vorbehalten gegenüber.

Was auch bei uns passieren könnte

In dieses Vakuum hinein ist Donald Trump gestoßen. Es war nicht nur die gelungene emotionale Ansprache durch Donald Trump, es war auch die in den Augen der meisten Wähler versagende politische Klasse in Washington, die zu diesem Wahlergebnis geführt hat. In Virginia, Pennsylvania und Ohio zweifeln viele Menschen an der amerikanischen Demokratie und ihrer Fähigkeit, mit den Problemen von morgen fertig zu werden. Trump zu wählen bedeutete auch, keinen Politiker zu wählen.

Dennoch ist die Erwartungshaltung der Menschen nicht besonders hoch. Niemand glaubt, dass er Millionen von Jobs über Nacht zurückholt und es allen sofort besser geht. Gelungen ist Trump offenbar, die von Rationalisierung, Digitalisierung und Automatisierung betroffenen Arbeiter aus den Swing States anzusprechen und von sich zu überzeugen – oder sie wenigstens dazu zu bringen, nicht zur Wahl zu gehen.

Für meine politische Arbeit in Berlin und in meinem Wahlkreis habe ich gelernt, dass wir die Menschen, die sich vom technischen Fortschritt bedroht fühlen, mit ihren Bedürfnissen emotional erreichen müssen. Wir müssen offen kommunizieren, dass nicht nur die Globalisierung, sondern auch die Rationalisierung für Jobknappheit sorgen wird – früher als wir das heute glauben. Und wir müssen den Spagat hinbekommen, der alten Lebensart der Industriearbeit mit Respekt zu begegnen und die Leute gleichzeitig dazu aufzufordern, neue Ufer zu entdecken.

Wir brauchen neben einer Digitalisierungsdebatte zu Datenautobahnen, Datenschutz und IT-Sicherheit auch eine intensive Debatte zu den sozialen Konsequenzen der Digitalisierung und der Rationalisierung. Wir müssen glaubhaft Rezepte entwickeln, die den Arbeitern und Angestellten, die heute und morgen von diesen Rationalisierungen betroffen sein werden, neue Perspektiven bieten.

Das Vertrauen in die Institutionen, die für die Demokratie unerlässlich sind, muss erneuert werden. Parlamente, Parteien, Gerichte und Verwaltungen müssen in Zukunft noch weiter nach außen gerichtet sein, ihre Arbeitsweise noch offensiver erklären und verlässlich und vorhersehbar Entscheidungen treffen. Institutionen der Bildung müssen sich den zukünftigen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt noch besser und schneller anpassen. Gleichzeitig sollte jede und jeder die Institutionen, die unsere Demokratie tragen, offensiv und öffentlich verteidigen.

Für das deutsch-amerikanische Verhältnis bedeutet das, dass es in Zukunft neben einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik auch um eine gemeinsame Politik gehen sollte, die sich aus der Digitalisierung und Automatisierung ergibt. Wir können und sollten in der „freien Welt“ gemeinsame Strategien für den Arbeitsmarkt und das Bildungssystem entwickeln, die dafür sorgen, dass sich die Bevölkerung des Westens nicht von der Demokratie und ihren Institutionen abwendet.

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