Torn in the U.S.A.

Bruce Springsteen hat sein Leben aufgeschrieben. Eine so ergreifende Künstlerbiografie wird man so schnell nicht wieder zu lesen bekommen

Dieses ganz und gar wunderbare Buch gehört zu den vermutlich sehr wenigen Dingen in der Welt, die durch Donald Trump noch besser geworden sind, als sie es ohnehin schon waren. Den Wert einer Erzählung, die von Schmerz und Ehrlichkeit, Demut, Selbsteinsicht, von Erzählkraft und poetischer Schönheit durchsetzt ist, über den Kampf eines Mannes mit den eigenen Dämonen erkennt man vielleicht erst so richtig, wenn man von nun an täglich einem anderen Mann dabei zusehen muss, wie er seinen Dämonen freien Lauf lässt – und dabei vielleicht die ganze Welt in den Abgrund reißt.

Warum muss man über Donald Trump schreiben, wenn man die Autobiografie von Bruce Springsteen bespricht? Die Frage nach Ende der Lektüre muss lauten: Wie kann man es nicht? Hier haben wir zwei fast gleichaltrige Männer (Trump ist 70, Springsteen 67), die nur einen Katzensprung voneinander entfernt aufgewachsen sind, die beide eine zerstörte Vaterbeziehung als Hypothek fürs Leben mitbekamen. Und die doch entgegengesetzte Lebenswege eingeschlagen haben, weil der eine den Mut hatte, den Kampf mit seinen seelischen Ungeheuern aufzunehmen, während dem anderen dieser Mut fehlte, und der sich deshalb entschied, die Ungeheuer zu unterdrücken oder zu füttern, je nachdem, was gerade Erleichterung zu verschaffen verspricht.

Aber zunächst zu Bruce Springsteen und seinem Buch. Auch denjenigen Menschen, denen Springsteens Musik gleichgültig ist, die den Mann ablehnen oder sogar peinlich finden, darf man gleich am Anfang zurufen: Lest dieses Buch, lest es bis zum Ende! Es ist ein Manifest großer Menschlichkeit, ein griffiges Stück Zeitgeschichte, und es trägt vielleicht mehr zum Verständnis von Amerika bei als das oft hilflose Gestammel der beruflichen Transatlantiker, zu denen der Autor dieser Zeilen ja ebenfalls gehört.

Songs voller Sehnsucht, Liebe und Tod

Dass Springsteen schreiben kann, wird niemanden überraschen. Er gehört zu den großen Textern der amerikanischen Songwriter-Geschichte. Die Bilder, die er für Einsamkeit, Sehnsucht, Hoffnungslosigkeit, Lebenshunger, Einzelgängertum, Liebe, Tod und Überschwang gefunden hat, sind stimmig. Das Pathos seiner Lieder wird nie klebrig, weil das dahinter liegende Gefühl authentisch ist. Der literarische Wert von Springsteens Liedlyrik ist durch besessenes sprachliches Feilen und durch die unermüdliche Suche nach dem richtigen Bild hart errungen. Und all dieses Talent hat er nun auch genutzt, um in sieben Jahren eine Musikerbiografie zu verfassen, wie man sie so schnell nicht wieder zu lesen bekommen wird.

Im katholischen Arbeitermilieu irisch-italienischer Familien, deren Einwanderung nach Amerika gar nicht so lang zurückliegt, wird der Grundton für die Story von Bruce gesetzt, den man später „the Boss“ nennen wird. Das Licht New Yorks glitzert manchmal hinein in das kleinstädtische New Jersey der fünfziger und sechziger Jahre, das noch keine Rassenunruhen kennt, dafür aber rohen Klassenkampf. Doch die Erlösung des jungen Bruce, der von seinem Vater keine Liebe erfährt und von seiner Großmutter bis zum Ersticken verwöhnt wird, kommt nicht aus der großen Metropole, sondern aus dem Fernseher. 1956 spielt Elvis Presley seinen epochemachenden Gig in der Ed Sullivan Show, und Springsteen nennt den Erleuchtungsmoment vorm Schwarzweiß-TV seinen Big Bang. Am nächsten Tag kauft ihm seine Mutter vom Geld, das sie eigentlich nicht hat, eine Gitarre.

Was folgt, ist der steinige amerikanische Traum. Verweigerung des kleinbürgerlichen Berufsweges, besessenes Üben, erste Bands, Leben ohne Geld und feste Adresse, kleine Erfolge, Selbstzweifel, falsche Freunde, echte Freunde, manchmal sogar ein bisschen Liebe. Und in all diesen Versatzstücken der Großtraumgeschichte scheint durch, was bei Springsteen anders ist als bei anderen. Zwei Eigenschaften quälen ihn und halten ihn über Wasser: ein ernstes – zu ernstes – Eigenbrötlertum, das ihn distanziert und sozial schwierig macht; und ein wundersames, gottgeschenktes, unverrückbares Vertrauen darin, es eines Tages ganz weit zu bringen. Aus diesen Eigenheiten erwachsen die beiden -Moralstränge seiner Erzählung, die Tiefe, aus der dieses Buch seine beglückende Kraft und innere Schönheit bezieht.

Springsteen beschreibt, fein miteinander verwoben, die beiden Kämpfe, die er ausfechten muss. Einerseits, wie er durch penetranten Perfektionismus, nimmermüdes Weitermachen und diktatorische Härte gegenüber seinen Bandmitgliedern aus seinem beschränkten musikalischen, aber erstklassigen Erzähl-Talent einen Weltklasse-Act formt. Das Unglaubliche an dieser Geschichte ist, dass der mit allen nur denkbaren Unsicherheiten und Selbstzweifeln ausgestattete Sohn eines zur Liebe unfähigen Vaters so früh diesen festen Kern in sich entdeckt, ihn instinktiv als Stärke begreift und dann in den Dienst seiner so authentischen Emotionskunst stellt – solange, bis er ein globaler Mega-Star ist.

Die Einsicht, dass der Kampf nie endet

Der zweite Strang gibt dieser Aufsteigergeschichte ihre Tragik. Irgendwann nämlich, nach all den frühen Jahren des Existenzkampfes, meldet sich die Depression, lässt sich das Erbe der kaputten Familie nicht mehr unterdrücken. Springsteen merkt, wie er Erleichterung und Freiheit nur auf der Bühne empfinden kann. Und immer wenn die Show zu Ende ist, kommt die Leere hervor, der Schmerz, die Einsamkeit des Bindungsunfähigen, ja kommt manchmal auch das Arschloch hervor, randvoll mit Wut, Hass und Aggression. Solange, bis Springsteen nicht mehr kann und seinen besten Freund um Hilfe bittet.

Und hier beginnt das eigentlich Unglaubliche dieses Buches. Bruce Springsteen begibt sich nicht auf den Pfad, den so viele Rockstars vor ihm beschritten haben. Er dröhnt sich eben nicht voll, verschleißt Frauen und Freunde, zerstört Familien, gibt sich der Autoaggression oder dem Selbstmitleid hin. Stattdessen beginnt er eine Therapie und arbeitet sich, mit der heiligen Angst desjenigen, der seine Angst überwinden muss, durch sein Trauma und seine Abgründe. Mit einem großen Teil dieser Ehrlichkeit, mit der Springsteen vor sich selbst getreten ist, tritt er auch vor den Leser. Und es muss schon sehr schlecht um einen bestellt sein, wenn man die Lebensklugheit, die entsetzliche Einsicht, dass der Kampf niemals enden wird, den Ethos, das eigene Talent als Verpflichtung zu verstehen und die liebevolle Abrechnung mit sich selbst nicht geradezu als erschütternd und zugleich inspirierend empfindet.

Es ist natürlich dieser zweite Strang, der Springsteen von Trump unterscheidet. Es ist sein Mut, sich den eigenen Dämonen zu stellen. Die Sensibilität, zu erkennen, dass man für seine Umgebung unerträglich wird und das ändern muss. Der Wille, nicht andere für die eigenen Defizite bezahlen zu lassen. Der Ehrgeiz, den Fluch des kaputten, abwesenden Vaters, der man so leicht auch selbst hätte werden können, zu durchbrechen. Zwei Männer stellen sich den Härten der Moderne auf ganz unterschiedliche Weise. Der eine schickt sich an, den ganzen Westen in den Mülleimer zu werfen, nur um den inneren Schmerz zu lindern. Der andere tritt dem Schmerz entgegen und erzählt seine Geschichte, wie der Westen die seine erzählen muss: als immerwährenden Kampf gegen die eigenen Schwächen, der wahre Größe und Stärke erst möglich macht.

Bruce Springsteen, Born to Run: Die Autobiografie, München: Heyne 2016, 672 Seiten, 27,99 Euro

zurück zur Ausgabe