Obamas Donnerschlag

Soeben hat sich Barack Obama dafür ausgesprochen, die Ehe für Lesben und Schwule zu öffnen. Warum gilt das in den USA als Sensation? Und wie steht es bei uns um die Frage von Homosexualität und Ehe?

Es war ein Donnerschlag: Am 9. Mai 2012 gab Barack Obama im amerikanischen Fernsehen ein Interview, das die Amerikaner, aber auch die übrige westliche Welt staunen ließ. Drei Tage zuvor hatte Vizepräsident Joe Biden mit einem ähnlichen Vorstoß einen klassischen Testballon gestartet, nun bekannte sich auch der amerikanische Präsident zur Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben – mit denselben Rechten und Pflichten wie bei heterosexuellen Paaren. Von „Sensation“ und „Meilenstein“ war die Rede. Aber warum tut man sich gerade im Land des Stonewall-Aufstandes in der Christopher Street so schwer mit diesem Thema?

Wir schreiben das Jahr 1969. Am 28. Juni wehren sich -Homosexuelle gegen Polizeigewalt in der Bar „Stonewall Inn“ in der Christopher Street in New York. Die Auseinandersetzungen dauern mehrere Tage an – ein erstes Zeichen, dass sich schwule Männer und lesbische Frauen mit Diskriminierung und Gewalt nicht länger abfinden. Der „gay pride“ war geboren, der schwullesbische Stolz. Er schwappte in weitere Städte über, erst innerhalb der Vereinigten Staaten, dann nach außen.

Die USA hatten auch den ersten öffentlich bekennenden schwulen Kommunalpolitiker: Der 1978 ermordete Harvey Milk war eine Politikerlegende, deren Angedenken sich noch heute viele homosexuelle Politiker verpflichtet fühlen. Damals tobte in Kalifornien eine Art Kulturkampf um die „California Proposition 6“, eine Verordnung, der zufolge homosexuelle Lehrkräfte aus dem Schuldienst entfernt werden sollten. Zwar gewannen die Schwulen und Lesben den Kampf und die Proposition 6 wurde abgelehnt, aber nach dem gewaltsamen Tod Milks kam es in den achtziger Jahren zu einem konservativen Roll-back. Bis heute ist in Amerika der Einfluss religiöser Gruppen politisch entscheidend, so dass das Bekenntnis Obamas für die Öffnung der Ehe erstaunlich ist, zumal mitten im Wahlkampf. Viele dieser religiösen Gruppen lehnen Homosexualität und die Gleichstellung von Lesben und Schwulen ab.

Aber sind die Deutschen wirklich toleranter? Hierzulande war männliche Homosexualität in der Zeit von Stonewall und der Proposition 6 noch immer strafbar: Der Schandparagraf 175 des Strafgesetzbuches – im Jahr 1957 vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß bestätigt – wurde erst 1994 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Aber besonders nach der Streichung wurde Homosexualität gesellschaftlich immer -akzeptierter. Sozialdemokratische Politiker und Politikerinnen um Margot von Renesse haben den Weg bereitet, der 2001 zum Lebenspartnerschaftsgesetz führte.

Zugleich zeigt das Lebenspartnerschaftsgesetz aber auch, dass gesellschaftliche Entwicklungen durch politische Willensbildung gefördert werden können. Die Debatte in Deutschland über die so genannte Homo-Ehe begann Anfang der neunziger Jahre. 1992 wurde mit der öffentlichkeitswirksamen „Aktion Standesamt“ der Wille der Lesben und Schwulen nach rechtlich gefestigten Partnerschaften deutlich gemacht. Klaus Wowereits Ausruf aus dem Jahr 2001 – „Ich bin schwul, und das ist auch gut so!“ – sowie die Einführung der Lebenspartnerschaft im gleichen Jahr machten die Republik toleranter. Homosexualität kam in der Normalität an und verlor den Schmuddelcharakter des Lebens in der Isolation. Die Debatte vor der Einführung des Lebenspartnerschaftsgesetzes ließ diese Entwicklung nicht zwangsläufig erkennen. Vor allem konservative deutsche Politiker zeichneten ein Bild vom Untergang des Abendlandes und zogen vor das Bundesverfassungsgericht, das 2002 mit einem wegweisenden Urteil das Gesetz und die Lebenspartnerschaft mit dem Grundgesetz vereinbar sah.

Sexuelle Identität als Menschenrecht

Danach dümpelte die Debatte vor sich hin. Aufgrund der Blockadehaltung der Konservativen blieb das Lebenspartnerschaftsrecht ein Torso. Wichtige Bestandteile wie die Hinterbliebenenversorgung und das Steuerrecht blieben außen vor. Es begannen Jahre der schmerzhaften Auseinandersetzungen von Paaren, die sich durch den gesamten Instanzenzug klagen mussten, um auch den Rest zu erstreiten. Dabei waren die Umsetzungsdefizite in Bund und Ländern verheerend und dauern zum Teil bis heute an. Erst die jüngste Auseinandersetzung in Baden-Württemberg über die Gleichstellung im Landesbeamtenrecht zeigt, dass hier noch einiges nachzuholen ist.

Für Sozialdemokraten ist die sexuelle Identität ein Menschenrecht. Dessen Anerkennung und der Abbau von Diskriminierung bedeuten die Ausgestaltung des allgemeinen -Persönlichkeitsrechts. Beides ist aber auch Bestandteil von sozialer Gerechtigkeit. Eben diese soziale Gerechtigkeit ist verletzt, wenn es Benachteiligungen gibt. Das gilt auch für die rückwirkende Gleichstellung. Das Lebenspartnerschaftsrecht gilt seit 2001 – insofern ist seitdem auch die Rückwirkung anzusetzen –und nicht erst seit 2006, wie in Baden-Württemberg vereinbart. Allein finanzielle Erwägungen können nicht vorgebracht werden, wenn es um die Verwirklichung von sozialer Gerechtigkeit geht. Leider müssen daran auch Sozialdemokraten immer wieder erinnert werden .

Im Übrigen regt die Homo-Ehe die deutsche Gesellschaft nicht mehr auf. Jede Hochzeit, auch von bekannten Politikern, wird maximal zu einer Randnotiz in den Gesellschaftsspalten. Sind Lesben und Schwule damit in der Gesellschaft vollständig angekommen? Eine aktuelle Studie zur Homophobie aus dem nordrhein-westfälischen Emanzipationsministerium zeigt, dass 20 Prozent der Bevölkerung Vorurteile gegen Lesben und Schwule hegen. Dabei bestehen Unterschiede je nach Alter, -Geschlecht, Herkunft und religiöser Einstellung.

Die Studie macht deutlich, dass Vorurteile nicht auf Schwule allein bezogen sind. Wer keine Schwulen mag, hat in der Regel auch Probleme mit Juden, Muslimen, Obdachlosen oder Menschen mit Behinderungen. Überdurchschnittlich homophob sind Ältere, Bildungsferne, Männer sowie Menschen mit Migrationshintergrund. Je religiöser sich die Befragten einschätzen, desto stärker neigen sie zu homophoben Einstellungen.

Unter Muslimen, aber auch unter orthodoxen Christen und Mitgliedern von Freikirchen gibt es besonders hohe Homophobie-Werte. Diese Einstellungen werden auch in Bezug auf Diskriminierungen im Alltag wichtig. Böse Sprüche, Gerüchte über die sexuelle Identität von Kollegen, Vorurteile und Verunglimpfungen kommen immer noch vor. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hat hier Veränderungspotenzial geschaffen – die Diskriminierung im Alltag hingegen konnte es nicht beenden.

Das Bild von Ehe und Familie hat sich gewandelt

Es bedarf einer breiteren Aufklärung über Homosexualität und sexuelle Identität, vor allem in der Schule. Lebenspartnerschaften und Lesben und Schwule müssen ebenso in der Ausbildung vorkommen wie die Ehe und die Heterosexualität oder alternative Lebensformen. Es bedarf besonderer Unterstützung beim Coming out junger Lesben, Schwuler und Transgender – und dazu müssen Lehrer besser ausgebildet werden. Auch hier kann Politik Wege weisen.

Sind die Deutschen nun toleranter als die Amerikaner? Vielleicht nicht, aber sie sind weiter. Die Deutschen waren mit dem Lebenspartnerschaftsrecht Vorreiter. Zahlreiche Länder haben uns inzwischen mit vollen Gleichstellungsrechten und der Öffnung der Ehe überholt. In vielen europäischen Ländern, in Südafrika, in Argentinien, in Brasilien und in Kanada ist die Entwicklung schon weiter. Heute hinkt die deutsche Debatte hinterher.

Auf ihrem Bundesparteitag 2011 hat die SPD beschlossen, die Ehe auch für Lesben und Schwule zu öffnen und damit ein einziges Institut des rechtlich abgesicherten Zusammenlebens zu entwickeln. Dies ist die logische Konsequenz einer vollständigen Gleichstellung. Die Existenz zweier gleichwertiger Institute nebeneinander käme weiterer Diskriminierung gleich. In der besagten nordrhein-westfälischen Studie wird die Forderung nach Öffnung der Ehe von rund 75 Prozent der Befragten geteilt.

Die mit der politischen Forderung einhergehende Debatte wird möglicherweise dazu führen, dass es zu unterschiedlichen Definitionen von Ehe kommt. Die bürgerlich-rechtliche Ehe kann auch für Lesben und Schwule geöffnet werden. Dennoch wird es – besonders mit den beiden deutschen Kirchen – Auseinandersetzungen über die Definition des Ehebegriffs geben. An dieser Debatte führt kein Weg vorbei. Sowohl der Begriff der Ehe als auch der Begriff der Familie muss neu definiert werden.

Die heutige Familie spiegelt nicht mehr das Bild wider, das die Mütter und Väter des Grundgesetzes vor 60 Jahren vor Augen hatten. Heute ist Familie da, wo Kinder sind, unabhängig von der gesetzlichen Verbindung der Eltern. Ehe – das Wort stammt aus dem althochdeutschen Begriff für die Ewigkeit – ist vor allem die langfristige Verbindung zweier Menschen, die füreinander einstehen wollen. Welchem Geschlecht die beiden angehören, muss dabei nicht von Belang sein.

Diese fortschrittliche Debatte ist nun zu führen – in den USA ebenso wie in Deutschland. Hierzu müssen die politischen Akteure Farbe bekennen. Und das nicht nur bei den Christopher-Street-Day-Paraden, sondern gerade im parlamentarischen Alltag. Insofern kann man den Handelnden nur das Motto der diesjährigen SPD-Kampagne zum CSD zurufen: „Traut Euch!“

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